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Die Kormorane von Ut-Röst


Norwegische Märchen


Übersetzt von Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART


Mestermø

Es war einmal ein König, der hatte mehrere Söhne, ich weiß nicht mehr genau wieviele es waren, aber der jüngste von ihnen hatte zu Haus keine Ruhe, er wollte mit aller Macht in die Welt hinaus und



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sich bewähren, und schließlich mußte der König ihm auch die Erlaubnis dazu geben.

Als er einige Tage gewandert war, kam er zur Behausung eines Riesen und nahm Dienste bei dem Riesen an. Am Morgen mußte der Riese hinaus seine Ziegen hüten. Als er den Hof verließ, sagte er zum Königssohn, daß er den Stall ausmisten solle; »wenn du das getan hast, brauchst du nichts mehr zu tun an diesem Tag, denn du mußt wissen, daß du zu einem gutmütigen Hausherrn gekommen bist«, sagte er. »Alles, was ich dir sage, mußt du gut befolgen, und so darfst du auch nicht die Räume betreten, die sich in dem Haus befinden, wo du diese Nacht geschlafen hast. Tust du das, so werde ich dir das Leben nehmen. «

»Das ist wirklich ein gutmütiger Hausherr«, sagte der Königssohn zu sich selbst, ging auf und ab in seiner Stube und trällerte und sang, denn er hatte ja noch viel Zeit übrig, wenn er nur den Stall ausmisten solle. Aber spaßig wäre es doch, wenn er einmal in die anderen Räume hineinschauen könnte, denn da wird sicher etwas drin sein, vor dem man Angst haben muß, wenn man keine Erlaubnis bekommt, hineinzugehen, dachte er, und also betrat er die erste Stube. Da hing ein Kessel an der Wand und kochte, aber der Königssohn erblickte kein Feuer darunter. »Wissen möchte ich, was darin ist«, dachte er und tauchte eine Haarlocke hinein; da wurden die Haare so, als ob sie alle aus Kupfer wären. »Das ist eine komische Suppe, sollte einer davon kosten, so würde er kupferfarben um den Mund herum«, sagte der Junge, und damit ging er in den nächsten Raum hinein. Da hing auch ein Kessel an der Wand und sprudelte und kochte, aber auch da war kein Feuer darunter. »Auch den werde ich prüfen«, sagte der Königssohn und tunkte eine Locke hinein, die wurde silbern. »So eine teure Suppe gibt es nicht auf meines Vaters Hof«, sagte der Königssohn, »aber es fragt sich, wie sie schmeckt«, und damit ging er in den dritten Raum. Da hing auch ein Kessel an der Wand und kochte und der Königssohn hatte das Verlangen, auch den zu prüfen; er tauchte eine Locke hinein, da war sie so hell vergoldet, daß es nur so schimmerte. »Schlimm und schlimm!« sagte der Königssohn, »aber kocht er hier Gold, so möchte ich wissen, was er dort drinnen kocht«, und damit ging er durch die Tür zu dem vierten Raum. Da war kein Kessel zu sehen, aber auf einem Stuhl saß eine, die war mindestens eine Königstochter; welchen Mannes Tochter sie auch sein mochte, noch nie, all seine Lebtage, hatte der Königssohn ihresgleichen gesehen, so schön war sie.



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»Ach, in Jesu Namen, was willst du hier?« sagte die, welche auf dem Stuhle saß.

»Ich bin seit gestern hier im Dienst«, sagte der Königssohn.

»Gott bewahre dich vor der Stätte, zu der du gekommen bist, um zu dienen!« sagte sie.

»Ach, mir scheint, ich habe einen gutmütigen Hausherrn bekommen«, sagte der Königssohn, »er hat mir heute keine schwere Arbeit aufgetragen; wenn ich den Stall ausgemistet habe, ist meine Arbeit getan.«

»Ja, wie willst du es denn beginnen?« fragte sie. »Wenn du so ausmisten willst, wie es die Leute gewöhnlich tun, dann kommen dir für jede Schaufel voll, welche du hinauswirfst, zehn wieder herein. Aber ich will dich lehren, wie du es machen mußt. Du sollst die Schaufel umdrehen und mit dem Schaft ausmisten, so wird alles wie von selbst hinauswirbeln. «

Ja, da wolle er aufpassen, meinte der Königssohn, und so blieb er den ganzen Tag drin sitzen, denn sie mochten sich beide gut leiden, er und die Königstochter. Und so wurde ihm der erste Tag, den er bei dem Riesen diente, gar nicht lang, das kannst du mir glauben.

Aber als es auf den Abend zu ging, sagte sie, es wäre nun das beste, er würde erst mal den Stall ausmisten, bevor der Riese heimkäme, und als er nun im Stalle war, hatte er Lust, zu prüfen, ob das richtig war, wie sie gesagt hatte. Er machte es zunächst so, wie er es bei den Stallknechten seines Vaters gesehen hatte. Aber er mußte bald wieder damit aufhören, nachdem er es eine kleine Weile so getrieben hatte, denn er hatte kaum noch Platz zum Stehen. Dann machte er es so, wie es ihn die Königstochter gelehrt hatte, er wendete die Schaufel um und arbeitete mit dem Schaft, und so wurde augenblicklich der Stall so rein, als ob er gescheuert sei. Als er damit fertig war, ging er wieder in die Stube, die ihm der Riese erlaubt hatte, und darin ging er auf und ab und begann zu trällern und zu singen.

Da kam der Riese mit den Ziegen heim.

»Hast du den Stall ausgemistet?«fragte der Riese.

»Ja, nun ist er rein und ordentlich, Hausherr«, sagte der Königssohn.

»Da will ich nachsehen!« sagte der Riese und ging in den Stall, aber es war genauso, wie es der Königssohn gesagt hatte. »Du hast gewiß mit meinem Mestermø gesprochen, denn das hättest du niemals von dir aus so machen können«, sagte der Riese.

»Mestermø? Was ist das für ein Ding, Hausherr?« sagte der Königssohn und schaute so dumm wie ein Rindvieh drein, »da hätte ich Spaß dran, den zu sehen.«



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»Ach, du wirst sie noch zeitig genug sehen«, sagte der Riese. Am anderen Morgen mußte der Riese wieder hinaus mit seinen Ziegen. Da sagte er zum Königssohn, an diesem Tage sollte er das Pferd heimholen, welches oben auf dem Gebirgsrücken ging, wenn er das getan hätte, könne er sich ausruhen den Rest des Tages; »denn du sollst wissen, daß du zu einem gutmütigen Hausherrn gekommen bist«, sagte der Riese wieder, »aber wenn du in eins dieser Zimmer gehst, von denen ich gestern sprach, so drehe ich dir den Hals um«, sagte er und ging davon mit seiner Ziegenherde.

»Ja, du bist wirklich ein gutmütiger Hausherr«, sagte der Königssohn, »aber ich will trotzdem zu Mestermø gehen und mit ihr plaudern«, und so ging er zu ihr hinein.

Sie fragte ihn gleich, was er an diesem Tage machen müsse.

»Ach, das ist keine gefährliche Arbeit, glaube ich«, sagte der Königssohn, »ich soll nur auf den Bergrücken, sein Pferd holen.«

»Ja, wie willst du das beginnen?«fragte Mestermø.

»Das ist doch weiter keine Kunst, ein Pferd heimzureiten«, sagte er, »ich habe doch früher auch schon manches gesunde Pferd geritten.«

»Ja, das ist aber gar keine so leichte Sache, dieses Pferd heimzureiten«, sagte Mestermø; »aber ich werde dich lehren, wie du es zu machen hast. Wenn du es zu sehen bekommst, werden Feuer und Flammen aus seinen Nasenlöchern sprühen; paß gut auf und nimm das Zaumzeug, welches hier an der Tür hängt und wirf es um sein Maul, so wird es so zahm werden, daß du es gerne mit einem Zwirnfaden lenken kannst.«

Ja, er würde sich daran erinnern, und dann saß er den ganzen Tag bei Mestermø, sie schwatzten und plauderten miteinander über dies und jenes, aber das erste und letzte war immer wieder, wie herrlich und prächtig das wäre, wenn sie einander bekommen könnten und wenn sie nur schon weg von dem Riesen wären; der Königssohn hatte bald Pferd und Berg vergessen, aber Mestermø erinnerte ihn daran, als der Abend nahte und sagte, nun sei es das beste, er hole das Pferd, bevor der Riese käme.

Das tat er auch, er nahm das Zaumzeug, welches im Winkel hing und schlenderte auf den Bergrücken hinauf. Es dauerte nicht lang, so traf er das Pferd, sah Feuer und rote Flammen aus den Nasenlöchern sprühen. Aber der Junge paßte den richtigen Augenblick ab: als es auf ihn zukam mit schnappendem Maul, warf er ihm den Zaum gleich ins Maul, sogleich stand das Pferd so lammfromm und geduldig, daß es gar keine große Sache mehr war, es heimzuführen. Dann ging er wieder in die Stube und begann zu trällern und zu singen.



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Zum Abend kam der Riese heim mit den Ziegen. »Hast du das Pferd vom Berge heimgeholt?«fragte der Riese.

»Ja, das habe ich, Hausherr; es war vergnüglich auf dem Pferd zu reiten, aber ich ritt gleich heim und brachte es in den Stall«, sagte der Königssohn.

»Das will ich mir ansehen!« sagte der Riese. Er ging hinaus zum Stall, aber da stand das Pferd, wie der Königssohn gesagt hatte. »Du hast gewiß mit meinem Mestermø gesprochen, denn das hast du niemals allein vollbracht«, sagte der Riese wieder.

»Gestern sprach der Hausherr schon von dem Mestermø und heute wieder! Je nun, Hausherr, er will mir das Ding nicht zeigen, ich weiß; dabei würde ich richtig Spaß haben, es zu sehen«, sagte der Königssohn, er gab sich wieder so dumm und unwissend.

»Ach, zeitig genug wirst du sie sehen«, sagte der Riese. Am dritten Tag am Morgen wollte der Riese hinaus in den Wald mit seinen Ziegen. »Heute sollst du zur Hölle und die Brandsteuer holen«, sagte er zum Königssohn; »wenn du das getan hast, kannst du dich den Rest des Tages ausruhen, denn du bist zu einem gutmütigen Hausherrn gekommen, mußt du wissen«, und fort ging er.

»Ja, wenn du auch ein gutmütiger Hausherr bist, so gibst du mir doch gleichwohl schlaue Arbeit zu tun«, sagte der Königssohn, »aber ich will versuchen, ob ich deine Mestermø finden kann; du sagst zwar, sie ist dein, aber vielleicht wird sie mein, wenn ich danach handeln werde«, und so ging er zu ihr.

Als Mestermø fragte, was der Riese ihm an diesem Tage befohlen hatte zu tun, erzählte er, daß er zur Hölle solle und die Brandsteuer holen.

»Wie willst du das bewältigen?« sagte Mestermø.

»Ja, es genügt, wenn du es mir sagst«, sagte der Königssohn, »denn in der Hölle bin ich noch nie vorher gewesen, aber selbst, wenn ich den Weg wüßte, so wüßte ich nicht, wieviel ich fordern sollte.«

»Ach ja, ich kann es dir wohl sagen; du gehst ins Gebirge unterhalb des Höhenrückens und nimmst die Keule, die dort liegt und schlägst damit gegen die Bergwand«, sagte Mestermø. Da wird einer herauskommen, der Funken sprüht; ihm sollst du deinen Auftrag sagen, und wenn er dich fragt, wieviel du haben willst, so sagst du: so viel ich tragen kann.«

Ja, er würde daran denken, sagte er und setzte sich den ganzen Tag zu Mestermø, auch als es auf den Abend zu ging, und er wäre gern noch länger geblieben, wenn ihn Mestermø nicht erinnert hätte, daß



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er noch zur Hölle gehen müsse, um die Brandsteuer zu holen, bevor der Riese heim käme.

Er machte sich auf den Weg und tat alles genau so, wie Mestermø ihm gesagt hatte, er ging zu der Felswand, nahm die Keule und klopfte an. Da kam einer heraus, dem die Funken aus Augen und Nase flogen.

»Was willst du?« sagte er.

»Ich komme vom Riesen und soll die Brandsteuer fordern«, sagte der Königssohn.

»Wie viel willst du da haben?« sagte der andere wieder.

»Ich fordere niemals mehr, als ich zu tragen vermag«, sagte der Königssohn.

»Das ist gut, daß du keine Pferdelast haben willst«, sagte der, welcher aus der Bergwand herauskam. »Aber nun komm nur mit mir herein!«

Das tat der Königssohn, und da bekam er viel Gold und Silber zu sehen, kannst du mir glauben, das lag da drin im Berge wie Steinhaufen, und davon bekam er eine Last, so groß wie er tragen konnte, und damit ging er seiner Wege.

Als der Riese mit seinen Ziegen heim kam, am Abend, ging der Königssohn in die Stube, trällerte und sang wieder wie an den beiden anderen Tagen.

»Bist du in der Hölle gewesen, um die Brandsteuer zu holen?« sagte der Riese.

»Ja, das tat ich, Hausherr«, sagte der Königssohn.

»Wo hast du es denn?« sagte der Riese wieder.

»Der Goldsack steht dort auf dem Stuhl«, sagte der Königssohn.

»Das will ich erst sehen«, sagte der Riese, lief zum Stuhl, aber da stand der Sack, wie der Königssohn gesagt hatte, und der Sack war so voll, daß Gold und Silber herausrieselte, als der Riese das Sackband löste. »Du hast gewiß mit meinem Mestermø gesprochen«, sagte der Riese, »hast du das, so drehe ich dir den Hals um«.

»Mestermø?« sagte der Königssohn; »gestern sprach der Hausherr von Mestermø, und heut erzählt er wieder davon, und den Tag vorher auch. Ich wünschte, ich bekäme das Ding einmal zu sehen«, sagte er.

»Ja, ja, warte bis morgen, so werde ich selbst mit dir zu ihr gehen«, sagte der Riese.

»Dank dir, Hausherr!« sagte der Königssohn.

Am anderen Tage nahm der Riese ihn mit zu Mestermø.

»Nun sollst du ihn schlachten und ihn in dem großen Kessel kochen,



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du weißt schon. Wenn du fertig gekocht hast, kannst du mit mir sprechen«, sagte der Riese, er legte sich in den Stuhl, um zu schlafen, und bald schnarchte er, daß es in den Bergen donnerte.

Da nahm Mestermø ein Messer und ritzte dem Jungen den kleinen Finger und tropfte drei Blutstropfen auf den hölzernen Stuhl. Dann nahm sie alle alten Lumpen und Schuhsohlen und all das Ungeziefer, was sie finden konnte, und tat alles in den Kessel; dann füllte sie eine ganze Kiste voll mit gemahlenem Gold, und einen Salzstein und eine Wasserflasche, die bei der Tür hing, und einen Goldapfel und zwei Goldhühner nahm sie auch mit sich, und damit flohen sie und der Königssohn hinweg vom Riesenhof, so schnell sie nur konnten. Als sie ein Stück unterwegs waren, kamen sie an die See; von da an segelten sie -aber von wem sie das Schiff bekamen, habe ich nie erfragen können.

Als der Riese nun eine ganze Weile geschlafen hatte, begann er sich auf dem Stuhl zu strecken: »Ist nun bald gekocht?«fragte er.

»Vor kurzem begann es zu kochen«! sagte der erste Blutstropfen auf dem Schemel.

Ja, da legte sich der Riese wieder zum Schlafen hin, und so schlief er eine lange lange Zeit. Dann drehte er sich wieder ein wenig.

»Ist es nun bald fertig gekocht?« sagte er, er war noch halb im Schlafe, wie das erstemal.

»Halbgekocht!« sagte der andere Blutstropfen, und so glaubte der Riese, es sei wieder Mestermø, er drehte sich im Stuhl und begann von neuem tief zu schlafen.

Als er wieder viele Stunden geschlafen hatte, begann er sich zu rühren und zu strecken: »Hat es immer noch nicht genug gekocht?« sagte er dann.

»Fertig gekocht!« sagte der dritte Blutstropfen.

Der Riese richtete sich auf und blinzelte mit den Augen, aber er konnte niemanden sehen, der gesprochen hatte, und so fragte er nach Mestermø und rief nach ihr. Nein, da war kein Mensch, der ihm antwortete. »Ach ja, sie ist wohl ein wenig hinausgegangen«, dachte der Riese. Er nahm einen Kochlöffel und wollte zum Kessel und kosten. Aber da war ja nichts anderes drin als Schuhleder, Lumpen und Krimskrams, und das war zusammengekocht, sodaß es aussah wie Kraut und Rüben. Als er das sah, konnte er sich denken, was vorgefallen war, und da wurde er so wahnsinnig wütend, daß er nicht wußte, auf welchem Bein er stehen sollte. Er sprang also dem Königssohn und Mestermø nach, daß es nur so sauste; es dauerte nicht lange, so stand er am Wasser, und da konnte er nicht hinüberkommen. »Ja, ja, ich



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weiß schon Rat, ich brauche nur meine Flußsauger zu rufen«, sagte der Riese, und das tat er. Da kamen seine Flußsauger und legten sich nieder und tranken ein, zwei, drei Schlucke, dadurch verringerte sich das Wasser so sehr im Hafen, daß der Riese draußen im Schiff Mestermø und den Königssohn sehen konnte.

»Nun mußt du den Salzstein herauswerfen«, sprach Mestermø, und das tat der Königssohn; da wurde er zu einem Berg, so groß und hoch quer über dem Hafen, daß der Riese nicht darüberkonnte, und kein Flußsauger konnte mehr saugen.

»Ja, ja, auch dafür weiß ich Rat«, sagte der Riese; er holte seinen Bergnabenbohrer und begann den Berg zu durchbohren, sodaß die Flußsauger wieder saugen konnten. Als nun ein Loch entstand und die Flußsauger wieder saugen konnten, sagte Mestermø zum Königssohn, er solle aus der Flasche ein oder zwei Tropfen herausfallen lassen, so würde der Hafen wieder gefüllt, und bevor die Flußsauger wieder einen Schluck nehmen konnten, kamen sie an Land und waren befreit und erlöst.

Nun wollten sie heim zum Vater des Königssohnes. Aber der Königssohn wollte auf keinen Fall, daß Mestermø gehen sollte, denn das gezieme sich weder für sie noch für ihn. »Warte nur eine kleine Weile, während ich heimgehe und die sieben Pferde hole, welche in meines Vaters Stalle stehen», sagte er, »das soll nicht lang dauern, aber ich will nicht, daß meine Liebste zu Fuß in den Königshof einzieht.«

»Ach nein, tue das nicht! Denn kommst du heim zum Königshof, so wirst du mich vergessen, das weiß ich im voraus«, sagte Mestermø.

»Wieso sollte ich dich vergessen, wir haben so viel Schlimmes miteinander durchlitten und haben einander so lieb«, sagte der Königssohn; er wollte und mußte heim, den Wagen mit den sieben Pferden zu holen, und sie solle indessen warten am Strande.

Zum Schluß mußte Mestermø sich ergeben in seinen Willen. »Aber wenn du hinkommst, sollst du niemanden begrüßen, sondern geh gleich zum Stall, nimm die Pferde, spanne sie vor den Wagen und fahre so schnell du kannst. Denn sie werden alle um dich herumstehen, aber du mußt tun, als sähest du sie nicht; und zu essen darfst du auch nichts von ihnen annehmen; tust du das, so wird es zum Unglück von dir und mir sein«, sagte sie, und er versprach alles.

Als er nun zum Königshof heim kam, feierte gerade einer seiner Brüder Hochzeit, und die Braut und alle ihre Verwandten waren zum Königshof gekommen. Alle umdrängten ihn, fragten ihn dies und das und wollten ihn mit hineinziehen. Aber er tat, als sähe er sie nicht,



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er ging nur schnell zum Stall, zog die Pferde heraus und begann sie einzuspannen. Da die anderen ja von nichts wußten, kamen sie wieder heraus, boten ihm zu essen und zu trinken an von all dem Guten, was sie zur Hochzeit bereitet hatten; aber der Königssohn wollte von keinem kosten, er beeilte sich nur, einzuspannen. Doch zum Schluß rollte die Schwester der Braut einen schönen Apfel über den Hof. »Wenn du gar nichts kosten willst, kannst du wenigstens dahineinbeißen, denn du wirst doch hungrig und durstig sein nach dem langen Weg«, sagte sie; und das tat er auch, er nahm den Apfel auf und biß hinein. Kaum hatte er den ersten Bissen im Munde, so vergaß er Mestermø und daß er sie herfahren wollte. »Ich glaube, ich bin verrückt, was soll ich mit Pferd und Wagen?« sagte er und führte die Pferde wieder in den Stall und ging mit ihnen hinein, und danach wurde es so, daß er die Schwester der Braut haben sollte, jene, die ihm den Apfel zugerollt hatte.

Mestermø saß indessen am Strande und wartete und wartete, aber kein Königssohn kam mehr zurück. Da lief sie davon, und als sie ein Stück Weges gegangen war, kam sie zu einem Hüttlein, welches einsam in einem Walde lag, dicht beim Königshof. Da ging sie hinein und bat, ob sie nicht hier bleiben könne. Das Hüttlein gehörte einer alten Frau, die eine böse, arge Hexe war. Zuerst wollte sie Mestermø nicht bei sich behalten, aber nach einiger Zeit durfte sie doch für Geld und gute Worte dableiben. Aber häßlich und schwarz war das Hüttlein innen wie ein Schweinestall. Mestermø sagte, sie wolle es ein wenig putzen, so daß es sauber aussehe wie bei anderen Leuten auch. Das liebte die Alte aber gar nicht, sie schrie und war bös, aber Mestermø kümmerte sich nicht darum, sie nahm ihre Goldtruhe, schüttete einen Teil des Goldes auf den Herd, sodaß über die ganze Stube das Gold sprühte und so wurde sie inwendig ganz vergoldet. Aber als das Gold zu sprühen begann, bekam die Alte solche Angst, daß sie davonsprang, als sei der Teufel selbst hinter ihr her; so kam ihr auch nicht in den Sinn, sich durch die Türe zu bücken, und so schlug sie sich den Kopf am Türrahmen ein.

Am Morgen danach kam der Lehnsmann dort vorbei. Er war ganz verwundert über das Goldhäuschen, welches durch den Wald blinkte und glitzerte, das kann man sich denken, und noch mehr verwundert war er, als er hereinkam und die schöne Jungfrau darinnen sitzen sah. Er war sogleich so verliebt in sie, daß er auf der Stelle um sie warb und sie schön und freundlich bat, doch seine Frau zu werden.

»Ja, hast du Geld mitgebracht?«fragte Mestermø.



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Ach nein, mitgebracht hätte er es nicht, meinte der Lehnsmann, aber Geld habe er genug zu Haus, und am Abend hatte er einen ganzen Halbtonnensack mitgebracht, den er in den Türwinkel setzte.

Ja, wenn er so brav Geld mitgebracht hätte, so wolle ihn Mestermø haben. Aber kaum, daß sie sich zur Ruhe begeben hatten, so mußte Mestermø wieder auf: »Ich habe vergessen, das Feuer zu schüren«, sagte sie.

»0, sollst du aufstehen deswegen!« sagte der Lehnsmann, »das kann ich tun«, und so sprang er auf und fort zur Feuerstelle im Nu. »So sage mir nur Bescheid, wenn du den Schürhaken hälst«, sagte Mestermø.

»Nun halte ich den Schürhaken«, sagte der Lehnsmann.

»So halte du den Schürhaken und der Schürhaken halte dich, und Rauch, Ruß und Feuer über dich, bis es taget!« sagte Mestermø.

So mußte der Lehnsmann die ganze Nacht da stehen bleiben und Feuer, Rauch und Ruß quälten ihn, und obgleich er weinte und bat, so wurde das Feuer dadurch nicht kälter und der Ruß nicht heller. Aber als es tagte und er wieder Macht bekam, den Schürhaken wegzuwerfen, blieb er keine Sekunde länger, das kann man sich denken, er sprang davon, als ob ihm der Teufel auf den Fersen sei; und alle, die er traf, glotzten und gafften hinter dem Lehnsmann her, denn er floh, als ob er verrückt wäre, und schlimmer konnte er nicht aussehen, als sei er geschunden und gegerbt worden, und alle wunderten sich, wo er gewesen sei. Aber er sagte nichts vor Scham und Schuld.

Am Tag darauf kam der Schreiber vorbei dort, wo Mestermø wohnte. Er sah, daß es glitzerte und schimmerte in dem Hüttlein im Walde und wollte auch hineinschauen, wer dort drin wohl wohne. Und als er das hübsche Jungfräulein zu sehen bekam, war er noch verliebter als der Lehnsmann und warb um sie auf der Stelle. Ja, Mestermø antwortete ihm genauso, wie sie dem Lehnsmann geantwortet hatte: wenn er Geld mitbrächte... Der Schreiber meinte, Geld hätte er nicht bei sich, aber er wollte sofort heim und welches holen; am Abend kam er mit einem großen dicken Sack voll Geld - ich meine, es war ein ganzer Tonnensack voll - und setzte ihn auf den Stuhl zu Mestermø. Ihr solle er gehören, wenn er sie heiraten dürfe, und so legten sie sich nieder. Aber diesmal hatte Mestermø vergessen, die Galerietür zu schließen, deshalb müsse sie aufstehen und sie schließen, sagte sie.

»0, sollst du das tun«, sagte der Schreiber, »nein, liege du ruhig, ich werde es tun«. Er sprang auf so leicht wie eine Erbse aus der Hülse und eilte hinaus in den Gang.



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»Sage mir Bescheid, wenn du die Türklinke in der Hand hast«, sagte Mestermø.

»Nun halte ich die Tür«, schrie der Schreiber draußen im Gang.

»So halte du die Türe und die Türe halte dich, und tanze von einer Wand zur anderen, bis es taget!« sagte Mestermø.

Und so kann man sich wohl vorstellen, wie der Schreiber diese Nacht zu tanzen begann; solche langen Schritte hatte er nie vorher gemacht, bald war er voraus, bald die Tür, und das ging von dem einen Türwinkel zum anderen, sodaß der Schreiber sich beinah totgeschlagen hätte. Erst begann er zu fluchen, dann zu weinen und zu bitten; aber die Tür kümmerte sich um keins von beiden, die hielt fest bis zum Morgengrauen. Als die Tür ihn losließ, sprang der Schreiber davon, als ob er es bezahlt bekäme, er vergaß Geldsack und Werbung und war glücklich, daß die Tür nicht tanzend hinter ihm her kam. Alle, die er traf, glotzten und starrten hinter dem Schreiber her, denn er floh, als ob er verrückt wäre, und sah obendrein so schlimm aus, als ob er von einem Schafbock gestoßen worden wäre, die ganze Nacht.

Am dritten Tage kam der Schulze vorbei. So bekam er auch das Goldhüttchen draußen im Wald zu sehen. Ja, er mußte auch hinein, um zu sehen, wer dort wohnte. Als er Mestermø erblickte, war er sofort so verliebt in sie, daß er um sie warb, sowie er sie begrüßt hatte. Mestermø antwortete ihm wie den anderen beiden, wenn er Geld mitbrächte, so wolle sie ihn nehmen. Das hätte er zwar nicht bei sich, sagte der Schulze, er wolle aber sofort nach Hause und es holen, und das tat er. Als er am Abend wiederkam, hatte er einen noch größeren Geldsack bei sich als der Schreiber, diesen Geldsack stellte er auf den Stuhl. Ja, der solle da bleiben, wenn Mestermø ihn heiraten wolle.

Aber kaum hatten sie sich niedergelegt, da sagte Mestermø, daß sie vergessen habe, das Kalb hereinzuholen, sie müsse wieder aufstehen und das Kalb in den Verschlag bringen.

Nein, Kreuz nochmal, das solle sie nicht tun, das wolle der Schulze selbst tun, sagte er; und obgleich er so dick und fett war, sprang er so leicht auf wie ein junger Bursch.

»Sage mir nur Bescheid, wenn du das Kalb hältst«, sagte Mestermø, und das tat er.

»Nun halte ich das Kalb«, rief der Schulze.

»So halte du das Kalb und das Kalb halte dich, und es führe dich durch alle Welt, bis es taget!« sagte Mestermø.

Und so kann man sich wohl denken, daß der Schulze seine Füße rührte, das ging steil und flach, über Berg und tiefe Täler, und je mehr



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der Schulze schrie und fluchte, desto schneller sprang das Kalb. Als es zu dämmern begann, war er beinahe zerplatzt, und dann war er so froh, daß er nicht mehr an das Kalb gebannt war, daß er seinen Geldsack und alles zusammen vergaß. Er ging langsamer als der Lehnsmann und der Schreiber, aber je langsamer er ging, desto mehr Zeit hatten die Leute, nach ihm zu glotzen und zu starren und zu staunen, so erschöpft und zerfetzt sah er nach dem Kälbertanz aus.

Tags darauf sollte die Hochzeit im Königshof stattfinden, und da sollte der älteste Bruder mit seiner Braut zur Kirche und jener Bruder, der beim Riesen gedient hatte, mit ihrer Schwester. Aber als sie in den Wagen gestiegen waren und davonfahren wollten, zerbrach der eine Deichselnagel, und sie taten an dessen Stelle ein, zwei, drei andere, aber alle zerbrachen, nichts half, welcher Art Holz sie auch dazu verwendeten. So konnten sie nicht davonfahren und sie waren außer sich alle zusammen. Aber da sagte der Lehnsmann - denn er war auch zur Hochzeit auf den Königshof eingeladen - daß draußen im Wald eine Jungfrau wohne. »Wenn sie euch nur den Schürhaken leiht, mit dem sie in ihrem Feuer rührt, so weiß ich gewiß, der hält!« sagte er. Also gut, sie sandten Botschaft zum Waldhüttchen und ließen sehr schön darum bitten, ob sie nicht den Schürhaken ausgeliehen bekommen könnten, von dem der Lehnsmann gesprochen hatte. Es wurde nicht nein dazu geantwortet, und so hatten sie einen Deichselnagel, der nicht zerbrach. Aber im Augenblick als sie fahren wollten, ging der Wagenboden in Stücke. Sie machten gut und schnell einen neuen Wagenboden, aber wie sie ihn auch nagelten und welcher Art Holz sie auch nahmen, so half das nichts, so wie sie den Boden im Wagen hatten und davonfahren wollten, so brach er wieder entzwei, und so waren sie genau so schlimm dran wie mit dem Deichselnagel. Aber da sagte der Schreiber — denn war der Lehnsmann mit dabei, so kann man sich denken, daß auch der Schreiber zur Hochzeit eingeladen war -: »Draußen im Wald wohnt eine Jungfrau, könnte man nur von ihr die Tür zum Galeriegang geliehen bekommen, so weiß ich gewiß, die würde als Wagenboden halten!« Also gut, sie sandten Botschaft zum Waldhüttlein wieder und baten so schön, ob sie nicht die vergoldete Gangtüre, von welcher der Schreiber gesprochen hätte, geliehen bekommen könnten, und sie bekamen sie auch sofort. So wollten sie also wieder fahren, aber nun vermochten die Pferde nicht mehr den Wagen zu ziehen. Sechs Pferde hatten sie vorgespannt, nun spannten sie acht davor, dann zehn, dann zwölf, aber wieviel sie auch vorspannten und der Kutscher die Peitsche brauchte, so half das doch nichts, der Wagen rührte sich nicht vom Fleck.



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Es war schon spät am Tage und zur Kirche mußten sie, alle waren untröstlich, alle die im Königshofe waren; aber da sagte der Schulze, da draußen in dem vergoldeten Hüttlein im Walde wohne eine Jungfrau; wenn sie nur deren Kalb geliehen bekämen! »Denn das weiß ich genau, dieses würde den Wagen ziehen, sei er auch so schwer wie ein Fels!« sagte der Schulze. Es erschien ihnen zwar eigenartig, mit einem Kalb zur Kirche zu fahren, aber sie wußten keinen anderen Rat, sie mußten wieder Botschaft senden und schön bitten, ob der König das Kalb geliehen bekommen könne, von dem der Schulze gesprochen hatte, und Mestermø antwortete wieder nicht nein und lieh es ihnen. Als sie das Kalb vorgespannt hatten, begann der Wagen sich zu rühren, das ging steil und flach, über Stock und Stein, sodaß sie kaum Luft holen konnten, manchmal rollten sie über die Felder, manchmal rollten sie durch die Luft; und als sie zur Kirche kamen, ging es rundum wie eine Garnwinde. Mit äußerster Not konnten sie anhalten und aus dem Wagen steigen und in die Kirche gehen. Und zurück ging es noch schneller, sodaß sie kaum wußten, wie sie wieder zurück zum Königshof gekommen waren.

Als sie sich zu Tisch gesetzt hatten, sagte der Königssohn -derjenige welcher beim Riesen gedient hatte - sie müßten wohl die Jungfrau aus dem Waldhüttlein zum Königshof einladen, die doch den Schürhaken, die Gangtüre und das Kalb geliehen hatte; »denn hätten wir nicht diese drei Dinge bekommen, so hätten wir nie wegfahren können«, sagte er. Ja, das sei recht und gut, meinte der König, und so sandte er fünf seiner besten Männer zu dem vergoldeten Waldhüttchen; sie sagten, daß sie fleißig vom König grüßen sollten und baten, ob sie nicht so gut sein wolle, zum Königshof zu kommen zum Mittagessen.

»Grüßt den König und sagt, wenn er sich für zu gut hält, zu mir zu gehen, so halte ich mich für zu gut, zu ihm zu gehen«, antwortete Mestermø.

So mußte der König sich selbst auf den Weg machen und Mestermø ging sogleich mit. Und der König merkte, daß sie mehr war als wonach sie aussah, er setzte sie obenan neben den jüngsten Bräutigam.

Als sie eine kleine Weile am Tisch gesessen hatten, zog Mestermø Hahn und Huhn und den Goldapfel hervor, die sie vom Riesenhof mitgenommen hatte, und setzte sie vor sich auf den Tisch; kaum hatte sie das getan, so begannen Hahn und Henne am Goldapfel zu picken und darum zu streiten.

»Nein, sieh nur, wie die zwei um den Goldapfel kämpfen!« sagte der Königssohn.



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»Ja, so kämpften wir zwei auch, um herauszukommen, damals als wir im Berg waren«, sagte Mestermø.

Da erkannte der Königssohn sie wieder, und man kann sich ja vorstellen, wie glücklich er war. Die Trollhexe, die ihm den Apfel zugerollt hatte, ließ er in Stücke reißen von vierundzwanzig Pferden.

Nun wurde erst richtig Hochzeit gefeiert, und obwohl sie etwas flügellahm waren, so hielten sie doch aus, der Lehnsmann, der Schreiber und der Schulze auch.


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