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Die Kormorane von Ut-Röst


Norwegische Märchen


Übersetzt von Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART


Die drei Prinzessinnen im weißen Land

Es war einmal ein Fischer, der wohnte dicht beim Schloß und fischte für des Königs Tafel.

Eines Tages war er draußen, um zu fischen, aber er fing gar nichts. Er konnte tun, was er wollte, fischen und angeln, angeln und fischen, so hing doch keine einzige Gräte am Haken.

Als der Tag zu Ende ging, da tauchte ein Haupt aus dem Wasser auf und sagte: »Bekomme ich das, was deine Frau unter dem Gürtel trägt, so sollst du Fische genug fangen.« Der Mann antwortete sogleich »ja«, denn er wußte nicht, daß seine Frau ein Kind erwartete. Von da an fing er Fische, so viel er nur haben wollte.

Aber als er abends nach Hause kam und erzählte, auf welche Weise er so viele Fische gefangen hatte, begann seine Frau zu weinen und zu klagen, daß ihr Mann so leichtsinnig gehandelt hätte, denn sie trüge ein Kind unter dem Gürtel, sagte sie. Sie lief sogleich hinauf zum Schloß und erzählte ihre Not und Sorge, und als der König das hörte, versprach er, das Kind zu sich zu nehmen und zu versuchen, es vor seinem Schicksal zu bewahren. Da beruhigte sie sich, und als die Zeit um war, brachte die Frau einen Knaben zur Welt. Den nahm der König zu sich und zog ihn auf wie seinen eigenen Sohn, bis der Knabe erwachsen war.

Eines Tages bat der Sohn um die Erlaubnis, seinem Vater hinauszufolgen und mit ihm Fische zu fangen. Er hätte so ein seltsames Verlangen danach, sagte er. Der König wollte es erst nicht zulassen, aber zum Schluß bekam der Sohn doch die Erlaubnis. Er fuhr also mit dem



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Vater hinaus, und das ging auch den ganzen Tag gut, bis sie am Abend wieder an Land kamen. Da hatte der Sohn sein Taschentuch im Boot liegen lassen. Er sprang ins Boot zurück, um es zu holen, aber im selben Augenblick fuhr das Boot mit ihm davon, und obgleich der Sohn dagegenruderte, so half das doch nichts, er trieb hinaus, immer weiter und weiter die ganze Nacht hindurch und endlich kam er weit weit weg zu einem weißen Strande. Dort ging er an Land.

Als er dort ein Stück gegangen war, begegnete er einem alten Manne mit langem weißem Bart. »Wie heißt das hier?«fragte der Junge. »Das weiße Land«, antwortete der Mann und fragte den Jungen, woher er käme und was er hier wolle, und der Junge erzählte ihm alles. »Wenn du hier den Strand entlang gehst«, sagte der alte Mann, »so kommst du zu drei Königstöchtern, welche im Erdboden stehen, so daß nur das Haupt herausschaut. Das erste Haupt, welches der ältesten gehört, wird dich rufen und dich schön bitten, zu kommen und ihr zu helfen. Und das andere Haupt wird dasselbe tun. Aber zu keiner sollst du hingehen. Eile dich vielmehr, vorbeizukommen, als hättest du niemals etwas gehört oder gesehen. Aber zu dem dritten Haupt sollst du hingehen und alles tun, worum es dich bittet. Das wird dein Glück sein.«

Als der Jüngling zu der ersten Prinzessin kam, rief sie ihn und bat ihn so wunderbar schön, daß er zu ihr kommen solle, aber er ging vorbei, als ob er sie nie gesehen hätte. Bei der anderen ging er ebenso vorbei, aber zu der dritten Prinzessin ging er hin. »Wenn du tun willst, was ich dir sage, kannst du von uns drei Königstöchtern diejenige bekommen, die du haben willst«, sagte die Prinzessin. Ja, das wolle er gerne. - Und nun erzählte sie, daß drei Trolle sie hier alle drei in die Erde verbannt hätten. Aber vorher hätten sie in dem Schloß gewohnt, welches er dort im Walde sehen könne. »Nun sollst du in das Schloß hineingehen und dich von den Trollen peinigen lassen, eine Nacht lang für jeden von uns«, sagte sie. »Wenn du das vermagst, so wirst du uns erlösen.« - »Ja«, antwortete der Jüngling, er wolle es versuchen.

»Wenn du hineingehst«, begann die Prinzessin wieder, »so wirst du zwei Löwen an der Tür stehen sehen, aber geh nur mutig zwischen ihnen hindurch, so werden sie dir nichts tun. Geh geradeaus zu einem kleinen dunklen Raum, dort lege dich nieder. Dann wird der Troll kommen und dich schlagen. Aber danach sollst du die Flasche nehmen, die an der Wand hängt, und dich mit dem Inhalt der Flasche überall dort einreiben, wo er dich geschlagen hat, so wirst du wieder heil werden.



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Ergreife dann das Schwert, welches neben der Flasche hängt, und erschlage den Troll damit.«

Er tat alles, was ihm die Prinzessin geraten hatte, er ging zwischen den Löwen hindurch, als ob er sie nicht sähe, und geradeaus in das armselige Kämmerlein, wo er sich niederlegte.

Die erste Nacht kam ein Troll mit drei Köpfen und drei Ruten, er schlug den Jungen schrecklich, aber er hielt das alles standhaft aus. Dann nahm er die Flasche und salbte sich, ergriff das Schwert und erschlug den Troll.

Als er an diesem Morgen herauskam, waren die Prinzessinnen bis zum Gürtel aus dem Erdboden befreit.

Die nächste Nacht erging es ihm genauso, aber der Troll, der da kam, hatte sechs Köpfe und sechs Ruten, und er peinigte ihn schlimmer als der vorige.

Aber als er am Morgen herauskam, standen die Prinzessinnen über der Erde bis zu den Knien.

In der dritten Nacht kam ein Troll, der hatte neun Häupter und neun Ruten, der schlug und peinigte ihn so lange, daß er zum Schluß ohnmächtig wurde. Da nahm ihn der Troll und warf ihn gegen die Wand. Dabei fiel aber die Flasche auf ihn nieder und ihr Inhalt ergoß sich über ihn, und so heilte alles wieder. Da zögerte der Junge nicht lang, ergriff das Schwert und erschlug den Troll.

Als er diesen Morgen aus dem Schlosse heraustrat, standen die Prinzessinnen ganz und gar über der Erde. Da nahm er die Jüngste, machte sie zu seiner Königin und lebte lang und glücklich mit ihr.

Aber endlich bekam er Lust, heimzureisen und nach seinen Eltern zu schauen. Die Königin wollte ihn nicht ziehen lassen. Aber da er sich so danach sehnte, fortzugehen, sagte sie zu ihm: »Eins mußt du mir versprechen, daß du nur das tun wirst, worum dein Vater dich bittet, und nicht das tun wirst, worum deine Mutter dich bittet.« Das versprach er auch. Da gab sie ihm einen Ring, der hatte die Kraft, daß derjenige, welcher ihn trug, zwei Wünsche aussprechen konnte, die ihm erfüllt wurden. Er wünschte sich also heim, und die Eltern konnten sich gar nicht genug wundern, wie stattlich und prächtig er war.

Als er einige Tage daheim war, wollte die Mutter, er solle hinaufgehen zum Königsschloß, damit der König sehen könne, was für ein prächtiger Mann er geworden war. - Der Vater sagte: »Nein, das sollst du nicht tun, denn von der Stunde an werden wir keine Freude mehr an ihm haben«. Aber das half gar nichts, die Mutter bat so lange,



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bis er hinaufging. Als er zum Schloß kam, war er prächtiger in seinen Kleidern und in allem als sein Pflegevater. Das gefiel dem alten König wenig, und so sagte er: »Ja, aber nun kannst du sehen, wie schön meine Königin ist. Die deine kann ich ja nicht sehen. Ich glaube nicht, daß du eine so schöne Königin hast.« - »Ich wünsche, sie stünde hier, so würdest du sie sehen«, sagte der junge König, und sogleich stand sie da. Aber sie war traurig und sagte zu ihm: »Warum tatest du nicht, worum ich dich bat, warum hörtest du nicht auf deinen Vater. Nun muß ich sofort wieder heim und du hast deine beiden Wünsche verbraucht und vertan.« Dabei knüpfte sie in sein Haar einen Ring mit ihrem Namen darin und wünschte sich wieder heim.

Da befiel den jungen König eine große Trauer und tagaus und tagein dachte er darüber nach, wie er wohl zu seiner Königin zurückkommen könne. Ich muß allerorts fragen, wo das »weiße Land« ist, dachte er, und so zog er in die Welt hinaus.

Als er eine Zeit lang gegangen war, kam er zu einem Berg. Dort traf er einen, der Herr über alle Tiere des Waldes war. Aber die kamen nur zu ihm, wenn er in ein Horn blies, das er umhängen hatte. Der König fragte ihn also nach dem »weißen Land«.

»Das kenne ich nicht«, antwortete der Mann, »aber ich werde meine Tiere danach fragen.« So blies er in sein Horn und fragte, ob eines von ihnen wisse, wo das »weiße Land« läge; aber keins der Tiere wußte es.

Da gab der Mann ihm ein Paar Ski. »Wenn du dich darauf stellst«, sagte er, »so wirst du zu meinem Bruder kommen, der wohnt hundert Meilen von hier. Er ist Herr über alle Vögel in den Lüften; frage ihn! Wenn du angekommen bist, so drehe nur die Ski herum, sodaß die Spitze nach rückwärts zeigt, so werden sie ganz allein nach Haus finden.« Als der König dort angekommen war, drehte er die Ski herum, genauso wie es ihm der »Herr über die Tiere« gesagt hatte, und sie fuhren allein zurück.

Er fragte wieder nach dem »weißen Land«, und der Mann blies alle Vögel zusammen und fragte, ob einer von ihnen wüßte, wo das weiße Land läge. Nein, keiner wußte es. »Ja«, sagte der Mann, »so werde ich dir ein paar Ski leihen, wenn du dich darauf stellst, so kommst du zu meinem Bruder, welcher hundert Meilen von hier wohnt; er ist Herr über alle Fische des Meeres; ihn mußt du fragen. Aber vergiß nicht, die Ski umzudrehen.«

Der König dankte und stellte sich auf die Ski, und als er angekommen war beim Herrn über alle Fische, drehte er die Ski um, und sie



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fuhren allein zurück. Der Mann blies alle Fische zusammen und fragte sie, aber keiner wußte etwas. Endlich kam ein steinalter Hecht, mit dem er Mühe gehabt hatte, ihn herbeizurufen. Als er ihn fragte, sagte er: »Ja, dort kenne ich mich aus, ich war dort zehn Jahre lang Koch. Morgen soll ich wieder hinkommen, denn da soll die Königin, deren König so lang ausblieb, mit einem anderen Hochzeit halten.«

»Wenn die Sache so steht, will ich dir einen Rat geben«, sagte der Mann. »Hier draußen bei einem Sumpf stehen drei Brüder - sie stehen schon hundert Jahre dort - und raufen sich um einen Hut, einen Mantel und ein paar Stiefel. Wenn einer die drei Dinge besitzt, so kann er sich unsichtbar machen und sich sofort dahinwünschen, wohin er will. Du kannst zu ihnen sagen, daß du die Dinge ausprobieren willst, um danach ein Urteil sprechen zu können, wie sie verteilt werden sollen.« Ja, der König bedankte sich, ging hin und fand die drei Brüder: »Was steht ihr hier und rauft euch immer und ewig«, sagte er zu den Brüdern. »Laßt mich die Dinge erproben, so werde ich später besser darüber entscheiden können.«Ja, das wollten sie gerne; und als er Hut, Mantel und Stiefel erhalten hatte, sagte er: »Wenn wir uns das nächste Mal treffen, so sollt ihr meine Entscheidung hören«, und damit wünschte er sich hinweg.

Während er durch die Luft sauste, flog er in der gleichen Richtung wie der Nordwind blies. »Wo willst du hin?« fragte der Nordwind. »Zum weißen Land«, sagte der König und erzählte, was sich ereignet hatte.

»Ja«, sagte der Nordwind, »du bist wohl etwas schneller unterwegs, ich muß in jeden Winkel wehen und blasen. Aber wenn du ankommst, so stell dich bei der Treppe an die Tür. Ich werde dann angesaust kommen, als ob ich das ganze Schloß hinwegblasen wolle. Wenn nun der Prinz, der deine Königin haben will, herauskommt und sehen will, was da los ist, so fasse ihn im Nacken und werfe ihn hinaus; dann will ich versuchen, ihn hinwegzublasen.«

Gut also: wie der Nordwind gesagt hatte, so machte es der König. Er stellte sich an der Treppe des Schlosses auf, und als der Nordwind sausend und brausend daherkam und an Dach und Wänden des Schlosses rüttelte, ging der Prinz hinaus, um zu sehen, was da los sei; da packte der König ihn im Nacken und warf ihn hinab, und der Nordwind ergriff ihn und trug ihn davon.

Als er ihn auf diese Weise los war, ging der König in das Schloß hinein. Zuerst erkannte die Königin ihn gar nicht, denn er war so blaß und mager geworden von langem Wandern und großer Traurigkeit.



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Aber als er ihr den Ring zeigte, wurde die Königin herzensfroh, und es wurde ein hochzeitliches Fest gefeiert, so fröhlich und jubelnd, daß man weit und breit von nichts anderem mehr sprach.


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