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Die Kormorane von Ut-Röst


Norwegische Märchen


Übersetzt von Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART


Gefährten

Es war einmal ein Bauernjunge, der träumte, er würde eine Königstochter bekommen in einem fernen Lande. Sie war so weiß und rot wie Milch und Blut und so reich, daß ihr Reichtum nie zu Ende gehen konnte. Als er erwachte, erschien es ihm, als stünde sie noch licht und leibhaftig vor ihm. So lieblich und fein dünkte sie ihn, daß er nicht mehr leben wollte, ohne sie zu bekommen. Er verkaufte alles, was er besaß, und zog in die Welt hinaus, um sie zu suchen.

Er ging lange und länger als lang, und im Winter kam er in ein Land, da gingen alle Landstraßen gradaus, und keine machte einen Bogen. Als er ein viertel Jahr so gewandert war, kam er zu einer Stadt. Vor der Kirchentür lag ein großer Eisklumpen mit einer Leiche darin, und alle Kirchgänger, die da vorbeigingen, spuckten darauf. Der Bauernjunge wunderte sich darüber, und als der Pfarrer aus der Kirche kam, fragte er ihn, was das zu bedeuten hätte.

Das ist ein großer Missetäter«, sagte der Pfarrer, »er ist verdammt wegen seiner gottlosen Schuld und dort zu Spott und Hohn aufgestellt.«

»Was hat er denn verbrochen«, fragte der Junge.

»Hier im Leben war er Weinzapfer«, sagte der Pfarrer, »und er mischte Wein mit Wasser.«

Das schien dem Jungen keine so schreckliche Tat zu sein, und da er mit dem Leben bezahlt hatte, hätten sie ihn doch ruhig in christlicher Erde begraben können, daß er nach dem Tode Frieden fände.

»Nein«, sagte der Pfarrer, »das geht nicht so ohne weiteres, denn da müßte jemand ihn erst einmal aus dem Eis heraustauen, dann müßte Geld da sein, um Christenerde bei der Kirche zu kaufen, der Totengräber müßte bezahlt werden für das Grab, der Glöckner müßte bezahlt werden für das Läuten und Singen und der Pfarrer für das Erdeaufwerfen. Glaubst du, da findet sich jemand, der das alles bezahlen will für einen verdammten Sünder?«fragte er.

Ja, sagte der Junge, wenn er nur erreichen könne, daß der Sünder in die Erde käme, würde er außerdem noch Bier für den Leichenschmaus bezahlen von dem wenigen, was er hatte. Der Pfarrer wollte zuerst nicht, aber als er sah, daß der Junge wiederkam mit zwei Mann, die seine Weigerung hören sollten, antwortete er, nun könne er es ihm nicht



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mehr abschlagen. Und so wurde der Weinzapfer aus dem Eisklumpen getaut und in christliche Erde gelegt, es wurde dazu geläutet und gesungen, und der Pfarrer warf Erde auf ihn, sie tranken Bier und weinten und lachten miteinander.

Aber als der Junge auch das Bier bezahlt hatte, fand sich nicht mehr viel Geld in seiner Tasche.

Er machte sich wieder auf den Weg, aber er war noch nicht weit gegangen, da kam ein Mann hinter ihm her, der fragte ihn, ob es denn nicht langweilig sei, so allein zu gehen.

Nein, das schiene ihm nicht so zu sein, denn er hätte immer genug zu denken, sagte er. Aber er könne doch vielleicht einen Diener gebrauchen, fragte der Mann.

»Nein«, sagte der Junge, »ich werde mein eigener Diener sein müssen, ob ich will oder nicht, denn ich habe kein Geld für Kost und Lohn.«

»Einen Diener brauchst du, das weiß ich besser als du«, sagte der Mann, »und zwar brauchst du einen Diener, der mit dir durch dick und dünn geht. Und wenn du mich nicht als Diener haben willst, so nimm mich als Gefährten. Ich verspreche dir, daß ich dir nützlich sein werde, und das soll dich keinen Schilling kosten. Ich werde mich selbst verköstigen, und um meine Kleider brauchst du dich auch nicht zu kümmern.«

Ja, unter dieser Bedingung wollte er ihn gern als Gefährten haben. Seit dem Tage reisten sie zusammen, und meistens ging der Mann voran und zeigte ihm den Weg.

Als sie lange durch ferne Länder über Berge und Hügel gewandert waren, kamen sie an einen Querberg. Da klopfte der Gefährte an und bat, daß ihnen aufgetan würde. Der Berg tat sich auf, und als sie tiefer in ihn hinein gingen, kam ein Trollweib auf sie zu mit einem Stuhl. »Bitte schön, setze dich nieder, du wirst müde sein«, sagte sie.

»Sitz selbst!« sagte der Gefährte.

Da mußte sie sich niedersetzen und auf dem Stuhl sitzen bleiben, denn der Stuhl war so beschaffen, daß er denjenigen, der sich ihm näherte, nicht mehr frei gab.

Nun gingen die beiden überall im Berg umher, der Gefährte sah sich um, bis er ein Schwert entdeckte, welches über der Tür hing. Das wolle er haben, und wenn er es bekäme, so versprach er dem Trollweib, würde er sie von dem Stuhl befreien.

»Nein«, schrie sie, »um alles andere kannst du mich bitten, aber nicht um dieses, denn das ist mein Dreischwesternschwert!« Es waren drei Schwestern, denen es zusammen gehörte.



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»Ja, so mußt du eben da sitzen bleiben bis zum Weltende«, sagte der Mann.

Aber als sie das hörte, sagte sie, er könne es bekommen, wenn er sie nur lösen wolle.

Da nahm er das Schwert und ging mit ihm fort und ließ sie trotzdem sitzen.

Als sie weitergewandert waren über nackte Felsen und weite Hügel, kamen sie wieder an einen Querberg, da klopfte der Gefährte an und gebot aufzuschließen. Es geschah wie das erste Mal: der Berg tat sich vor ihnen auf, und als sie ein Stück hineingegangen waren, trat ihnen ein Trollweib mit einem Stuhl entgegen und bat sie niederzusitzen, denn sie würden wohl müde sein.

»Sitz selbst!« sagte der Gefährte, und es erging ihr wie ihrer Schwester, sie konnte nicht anders, sobald sie auf dem Stuhl saß, mußte sie sitzen bleiben. Überall ging der Junge mit seinem Gefährten umher, und der Gefährte schloß alle Schränke und Truhen auf, bis er fand, wonach er suchte: das war ein Goldknäuel. Das wollte er endlich haben. Er versprach dem Trollweib, wenn sie ihm das geben würde, wolle er sie vom Stuhl befreien.

Sie schrie, er könne alles bekommen, was sie besäße, aber das wolle sie nicht hergeben, denn das sei ihr Dreischwesternknäuel. Aber als sie hörte, daß sie da sitzen bleiben müsse bis zum Jüngsten Gericht, wenn er es nicht bekäme, so sagte sie, er könne es trotzdem nehmen, wenn sie nur vom Stuhl frei käme. Der Gefährte nahm es und ließ sie sitzen, wo sie saß.

Viele Tage gingen sie nun wieder über Hügel und durch Wälder, bis sie wieder an einen Querberg kamen. Da ging es genau so wie bei den beiden anderen. Der Gefährte pochte an, der Berg tat sich auf, und innen im Berg kam ein Trollweib mit einem Stuhl und bot ihnen an, sich zu setzen, denn sie seien gewiß müde. Aber der Gefährte sagte: »Sitz selbst!«und so saß sie da. Sie waren noch nicht durch viele Räume gegangen, als sie einen alten Hut entdeckten, welcher an einem Haken hinter der Tür hing. Den wollte der Gefährte haben, aber das alte Weib wollte ihn nicht hergeben, denn das sei der Dreischwesternhut, und wenn sie den fort geben würde, so würde sie ganz unglücklich werden. Aber als sie hörte, sie müsse da sitzen bleiben bis zum Weltenende, wenn er den Hut nicht bekäme, sagte sie, er könne ihn nehmen, wenn sie nur loskäme. Als der Gefährte nun den Hut bekommen hatte, gebot er ihr, da sitzen zu bleiben, wo sie saß, genau wie ihre Schwestern.

Nach einiger Zeit kamen sie zu einem Sund. Da nahm der Gefährte



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das Goldknäuel und warf es so kräftig gegen den Berg auf der anderen Seite des Sundes, daß es wieder zurücksprang, und als er es so einigemale geworfen hatte, wurde eine Brücke daraus. Da konnten sie hinüber gelangen. Und als sie auf der anderen Seite angekommen waren, bat der Mann den Jungen, das Knäuel wieder aufzuwickeln, so schnell er könne. »Denn wenn wir das nicht schnell tun, so kommen die drei Trollweiber und reißen uns in Stücke«, sagte er. Der Junge wickelte, so schnell er konnte, und als nur noch das letzte Fadenende drüben war, kamen die Trollweiber angefaucht. Sie flogen zum Wasser, daß ein Nebel ihnen voranstob, und griffen nach dem Fadenende. Aber es gelang ihnen nicht, es zu ergreifen, und so ertranken sie im Sund.

Als sie noch einige Tage weitergegangen waren, sagte der Gefährte: »Nun kommen wir bald zu dem Schloß, wo sie ist, die Königstochter, von der du geträumt hast. Und wenn wir dort sind, mußt du hinein zum König gehen und ihm erzählen, was du geträumt hast und warum du hergekommen bist.« Als sie zum Schloß kamen, tat der Junge wie ihm der Gefährte geraten hatte, und er wurde gut empfangen. Er bekam ein Zimmer für sich und eins für seinen Diener, den er bei sich hatte. Und als es Zeit zum Essen wurde, bat man ihn zu Mittag an des Königs eigenen Tisch.

Sowie er die Königstochter erblickte, erkannte er sie sofort wieder. Ja, sie war es, von der er geträumt hatte, daß er sie bekommen sollte. Er warb um sie, und sie antwortete ihm, daß sie ihn wohl liebe, und daß sie ihn gerne nehmen wolle, aber erst müsse er drei Proben bestehen. Als sie gegessen hatten, gab sie ihm eine goldene Schere und sagte ihm: »Die erste Probe besteht darin, daß du diese Schere nehmen und bewahren sollst. Morgen Mittag sollst du sie mir zurückgeben. Das ist keine schwere Probe, kannst du mir glauben«, sagte sie. »Wenn du es aber nicht kannst, so verlierst du dein Leben, das ist hier Gesetz. Du wirst gerichtet und aufs Rad geflochten, und der Kopf wird auf eine Stange gesteckt, genau so wie die Köpfe der anderen Freier, die du draußen vorm Fenster siehst.« Da hingen Männerköpfe rund um den Königshof, wie Krähen im Herbst auf den Stangen des Gitters sitzen.

Das ist keine Kunst, dachte der Junge. Aber die Königstochter war so lustig und wild und schäkerte mit ihm, daß er sich selbst und die Schere vergaß. Und während sie tobte und tollte, listete sie ihm die Schere ab, ohne daß er es merkte. Als er am Abend hinauf zur Kammer kam und erzählte, wie alles gegangen war, und er von der Schere



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berichtete, die er verwahren sollte, fragte der Gefährte: »Du hast doch die Schere, die sie dir gab?« Er suchte danach in all seinen Taschen, aber da war keine Schere, und dem Jungen wurde schlimm zumute, als ihm klar wurde, daß sie weg war. »Gedulde dich nur, ich will versuchen, sie dir wieder zu beschaffen«, sagte der Gefährte und ging hinunter zum Stall. Dort stand ein großer, dicker Stallbock, welcher der Königstochter gehörte. Der konnte viel schneller durch die Luft fliegen, als auf der Erde gehen. Der Gefährte nahm das Dreischwesternschwert und schlug ihn damit zwischen die Hörner und sagte: »Wann reitet die Königstochter zu ihrem Liebsten diese Nacht?« Der Bock blökte und sagte, das dürfe er nicht verraten. Aber als er noch einen Schlag bekam, sagte er, daß die Königstochter um elf kommen wolle. Der Gefährte setzte den Dreischwesternhut auf, sodaß er unsichtbar wurde, und wartete bis sie kam. Sie bestrich den Bock mit einer Salbe, die sie in einem großen Horn hatte, und flüsterte dazu: »Durch die Lüfte, durch die Lüfte über Dachfirste und Kirchtürme, über Land und Wasser, über Berg und Tal, zu meinem Liebsten, der erwartet mich im Berg diese Nacht.« Im selben Augenblick, als der Bock davonsprang, schwang der Gefährte sich mit hintendrauf, und dahin gings wie ein Sturmwind. Sie waren noch nicht lange unterwegs, als sie an einen Querberg kamen. Da klopfte sie an, und sie wurden hineingetragen in den Berg zu dem Troll, welcher ihr Liebster war.

»Nun ist ein neuer Freier gekommen, der mich haben will, mein lieber Freund«, sagte die Königstochter. »Er ist jung und schön, aber ich will keinen anderen haben als dich«, sagte sie und schmeichelte ihm. »So stellte ich ihn auf die Probe, und hier ist die Schere, die er gut verwahren sollte. Nun gib du acht auf sie.« Dann lachten sie beide so übermütig zusammen, als ob sie den Jungen schon auf Rad und Stange hätten.

»Ja, ich will sie verwahren und ich will auf sie acht geben und ich will schlafen in den Armen meiner Braut, während die Raben des Jungen Gedärme zerhacken«, rief der Troll und legte die Schere in einen eisernen Schrein mit drei Schlössern davor. Aber im selben Augenblick, als er die Schere losließ, nahm der Gefährte sie an sich, niemand konnte ihn sehen, denn er hatte den Dreischwesternhut auf, und so verschloß der Troll den Schrein wieder für gar nichts. Den Schlüssel aber verwahrte er im Loch einer seiner Backenzähne, wo er allerhand Zauberkram drin hatte. Das solle dem Burschen schwer fallen, die zu finden, meinte er.



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Als es Mitternacht geschlagen hatte, reiste die Königstochter wieder heim. Der Gefährte setzte sich auf den Bock hinter sie, und so dauerte der Heimweg nicht lange.

Zu Mittag wurde der Junge an des Königs Tisch gebeten, aber da hatte die Königstochter so müde Gebärden, und so stolz und abweisend war sie, daß sie kaum noch hinschaute auf die Seite, wo der Jüngling saß.

Als sie gespeist hatten, setzte sie eine Feiertagsmiene auf, war seelenvergnügt und sagte: »Hast du vielleicht die Schere, die ich dir gestern zur Verwahrung gab?«

»Ja, ich habe sie, hier ist sie«, sagte der Junge, zog sie hervor und stieß sie in den Tisch, daß der Tisch nur so wackelte. Der Königstochter hätte nicht schlimmer zumute sein können, wenn er ihr die Schere ins Angesicht geschlagen hätte. Aber sie schmeichelte ihm, tat freundlich und sagte: »Wenn du so gut auf die Schere aufgepaßt hast, kann es nicht schwer für dich sein, mein Goldknäuel zu verwahren, so daß du es mir morgen Mittag wiedergeben kannst. Vermagst du es aber nicht, so wirst du das Leben verlieren. Das ist Gesetz.«

Das sei keine gefährliche Sache, meinte der Junge, nahm das Goldknäuel und steckte es in die Tasche. Aber sie begann zu spaßen und zu schäkern mit ihm, sodaß er sich selbst und das Goldknäuel vergaß, und während sie tobte und am allermeisten tollte, stahl sie ihm das Goldknäuel aus der Tasche und ließ ihn gehen.

Als er in die Kammer hinaufkam und erzählte, was sie gesprochen und getan hatten, fragte der Gefährte: »Du hast doch das Goldknäuel, das sie dir gab?«

»Ja, das habe ich«, sagte der Jüngling und griff in seine Tasche, wo er es hineingesteckt hatte. Aber nein, er hatte kein Goldknäuel mehr und es wurde ihm schlimm zumute, weil er nicht wußte, was er machen sollte.

»Habe nur Geduld«, sagte der Gefährte, »ich will versuchen, es wiederzubekommen.« Er nahm Schwert und Hut und ging zu einem Schmied und ließ zwölf Pfund Eisen auf sein Schwert schlagen.

Als er in den Stall kam, gab er dem Bock einen Schlag zwischen die Hörner, daß er taumelte, und fragte ihn: »Wann reitet die Königstochter zu ihrem Liebsten heute Nacht?«

»Glock zwölf«, blökte der Bock.

Der Gefährte setzte sich wieder den Dreischwesternhut auf und wartete auf sie, bis sie eilig mit dem Salbhorn hereinkam, den Bock schmierte und wie das erste Mal sprach:» Durch die Lüfte, durch die Lüfte, über



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Dachfirste und Kirchtürme, über Land und Wasser, über Berg und Tal, zu meinem Liebsten, der mich erwartet im Berg heute Nacht.« Im selben Augenblick, als der Bock davonsprang, schwang sich der Gefährte hintendrauf und fort gings wie ein Sturmwind. Sie kamen auch richtig bei dem Trollberg an, und als sie drei Schläge getan hatte, fuhren sie hinein zum Troll, der ihr Liebster war.

»Wie hast du die Goldschere verwahrt, die ich dir gestern gab, mein Freund«, sagte die Königstochter. »Der Freier hatte sie und gab sie mir zurück«, sagte sie.

Das sei reiner Unsinn, sagte der Troll, denn er hätte sie in einen Schrein verschlossen mit drei Schlössern und den Schlüssel versteckt im Loch seines Backenzahnes. Aber als er aufschloß und nachsah, war keine Schere im Schrein.

Nun erzählte die Königstochter, daß sie dem Freier ihr Goldknäuel gegeben hatte. »Hier ist es«, sagte sie, »ich nahm es ihm wieder weg, ohne daß er es merkte. Aber was sollen wir mit ihm anfangen, wenn er sich auf solche Künste versteht?«

Ja, der Troll wußte es auch nicht recht. Als er eine Weile nachgedacht hatte, meinte er, sie könnten doch ein großes Feuer machen und das Goldknäuel verbrennen, so daß es niemand wieder finden könne. Kaum hatte sie das Knäuel ins Feuer geworfen, so ergriff es der Gefährte, ohne daß ihn jemand sah, denn er hatte den Dreischwesternhut auf.

Als es auf den Morgen zu ging, reiste die Königstochter wieder heim. Der Gefährte setzte sich hinter sie auf den Bock, und fort gings, schnell und sicher.

Am nächsten Mittag, ehe der Jüngling wieder zur Königstafel ging, gab ihm der Gefährte das Knäuel. Beim Mahl war die Königstochter eher noch stolzer und abweisender als am Tag vorher. Und da sie gegessen hatten, verzog sie den Mund und sagte: »Schön ist es wohl nicht, daß ich heute das Goldknäuel wieder haben möchte, welches ich dir gestern zur Verwahrung gab.«

»Doch«, sagte der Jüngling, »das sollst du haben, hier ist es!« Damit schlug er es auf den Tisch, daß der Tisch erzitterte und der König vom Stuhl auffuhr. Die Königstochter wurde leichenblaß, aber schnell gab sie sich wieder vergnügt und sagte: »Das hast du gut gemacht. Nun ist nur noch eine kleine Prüfung übrig. Wenn du so geschickt bist und mir das verschaffen kannst, woran ich morgen Mittag denke, so sollst du mich haben«, sagte sie.

Dem Jüngling war zumute, als ob er sein Todesurteil gehört hätte,



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denn woher sollte er wissen, woran sie dachte, und wie sollte er das herschaffen? Als er hinauf in seine Kammer kam, war es zunächst unmöglich, ihn zu trösten. Der Gefährte sagte ihm aber dann, er solle nur ruhig sein, er würde die Sache auch diesmal in Ordnung bringen, wie die beiden anderen Male auch. Endlich legte sich der Junge zu Bett, um zu schlafen.

Sogleich eilte der Gefährte zum Schmied und bekam auf sein Schwert vierundzwanzig Pfund Eisen, ging zum Stall und schlug den Bock zwischen die Hörner, sodaß er von einer Wand zur anderen taumelte.

»Wann soll die Prinzessin zu ihrem Liebsten kommen heute Nacht?« fragte er.

»Glock eins«, brüllte der Bock.

Als die Zeit herannahte, stand der Gefährte im Stall. Er hatte den Dreischwesternhut aufgesetzt, und als die Königstochter den Bock gesalbt und ihren Spruch gesagt hatte, trug sie der Bock davon wie der Sturmwind, und der Gefährte saß hinter ihr. Aber diesmal hatte er keine leichte Hand. Er schlug die Prinzessin bald rechts, bald links, als ob er sie gesund schlagen wollte. An der Bergwand angekommen, klopfte sie an die Tür, der Berg öffnete sich, und sie fuhren hinein zu ihrem Liebsten.

Als sie bei ihm war, jammerte und klagte sie: »Das ist ein schlimmer Ritt heute gewesen. Ich weiß nicht, ob ein solch arges Hagelwetter draußen gewesen ist oder ob irgend jemand mitgeritten ist, der mich und den Bock geschlagen hat. Mein ganzer Leib ist gelb und blau.« Und dann erzählte sie, daß ihr der Freier das Goldknäuel zurückgegeben hätte. Wie das zuging, wüßte sie sich nicht zu erklären. Und der Troll wußte es auch nicht.

»Aber weißt du nun, was ich mir ausgedacht habe«, sagte sie. Nein, das konnte der Troll nicht wissen. »Ich habe ihm gesagt, er soll mir das herschaffen, woran ich morgen Mittag denken werde. Das ist dein Kopf. Glaubst du, daß er dies fertig bringen wird, mein Freund«, sagte die Königstochter und liebkoste den Troll.

»Das glaube ich niemals«, rief der Troll und schwor darauf und brach in ein schallendes Gelächter aus wie ein junger Bursch. Und beide, der Troll und die Königstochter dachten, ehe der Freier das Haupt des Trolls herschaffen könne, würde er Rad und Stange zieren, und die Raben würden ihm die Augen aushacken.

Da es auf den Morgen zuging, mußte sie wieder heim. »Aber ich habe Angst«, sagte die Königstochter zu ihrem Liebsten. Allein getraue ich mich nicht nach Haus zu reiten, denn ich glaube, da ist jemand



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hinter mir. Begleite du mich auf dem Heimweg.« Er zog also seinen Bock hervor, denn er wollte zur Königstochter passen, salbte ihn auch zwischen den Hörnern, und als er aufgesessen war, schwang sich der Gefährte hinter ihn, und so wurde er mit durch die Lüfte davongetragen bis zum Königshof. Unterwegs aber schlug er Troll und Bock, gab ihnen Hieb auf Hieb und Schlag auf Schlag mit seinem Schwert, sodaß der Bock mehr und mehr niedersank und beinah ins Wasser gesunken wäre, das sie überflogen. Obgleich dem Troll das Wetter sehr wüst zu sein schien, folgte er doch der Prinzessin bis zum Königshof und blieb vor der Tür stehen, um ihr Lebewohl zu sagen. Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, schlug der Gefährte dem Troll das Haupt ab und schlich hinauf in die Kammer zu dem Jüngling. »Hier ist das, woran die Königstochter heute Mittag denken wird«, sagte er.

Das war nun alles schön und gut, das kann man sich ja denken. Mittags wurde der Jüngling zu Tisch gebeten, und als sie gegessen hatten, war die Königstochter so vergnügt wie eine Lerche.

»Vielleicht hast du dasjenige, woran ich denke«, sagte sie.

»Aber ja, das habe ich!« sagte der Jüngling, riß das Haupt unter seinem Mantel hervor und schlug es auf den Tisch, daß der ganze Tisch mit allem, was darauf stand, zusammenbrach. Die Königstochter wurde bleich, als ob sie schon unter der Erde liege, aber sie konnte nicht leugnen, daß es dieses war, woran sie gedacht hatte. Und nun mußte sie erfüllen, was sie versprochen hatte. So tranken sie auf die Hochzeit und es war große Freude im ganzen Königreiche.

Doch der Gefährte zog den Jüngling beiseite und sagte zu ihm, er könne zwar die Augen schließen und so tun als ob er schlafe in der Brautnacht, aber wenn er sein Leben lieb hätte und auf ihn hören wolle, so dürfe er nicht einschlummern, bevor er sie von dem dunklen Bann befreit hätte, der auf ihr lag. Und den solle er ihr wegpeitschen mit Reisern von neun jungen Birkenbesen, den solle er ihr abreiben in drei Wannen mit Milch. In der ersten Wanne solle er sie abschrubben mit vorjähriger Molke, in der zweiten Wanne solle er sie abreiben mit Sauermilch, und in der dritten Wanne solle er sie abspülen mit süßer Milch. Die Ruten lägen unter dem Bett, und die Wannen hätte er in den Winkel gesetzt, es sei alles bereit. Ja, der Jüngling versprach, ihm zu gehorchen und alles so zu machen, wie er es gesagt hatte.

Am Abend, .als sie ins Brautbett kamen, tat der Jüngling so, als ob er nun schlafen wolle. Die Königstochter stützte sich auf die Ellenbogen und sah nach ihm, ob er wohl schliefe. Sie kitzelte ihn unter der



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Nase, der Jüngling schien zu schlafen, sie zupfte ihn an Haar und Bart, aber er schlief wie ein Stock, glaubte sie. So zog sie unter dem Kopfkissen ein großes Schlachtermesser hervor und wollte ihm den Kopf abhacken. Aber da fuhr der Jüngling auf, schlug ihr das Messer aus der Hand und ergriff sie bei den Haaren. Er schlug sie mit den Ruten, ja, er zerpeitschte sie an ihr, daß nicht ein Zweiglein davon heil blieb. Als dies geschehen war, warf er sie in die Molkenwanne, und da bekam er zu sehen, was sie für ein Tier war. Sie war schwarz wie ein Rabe am ganzen Körper. Aber als er sie geschruppt hatte mit Molke und sie abgerieben hatte mit Sauermilch und sie abgespült hatte mit süßer Milch, da war der schwarze Bann von ihr gewichen und sie wurde so freundlich und schön, wie sie niemals vorher gewesen war.

Am nächsten Tage sagte der Gefährte, daß sie nun abreisen müßten. Der Jüngling war reisefertig und die Königstochter auch, denn die Mitgift war seit langer Zeit schon bereit. In der Nacht holte der Gefährte all das Silber und Gold und die Kostbarkeiten, welche beim Troll im Berg waren, nach dem Königshof. Und als sie am Morgen reisen sollten, war es überall so voll im Hof, daß sie kaum vorankamen. Die Mitgift war mehr wert als des Königs Land und Reich, und sie wußten gar nicht, auf welche Weise sie es mitnehmen sollten. Aber der Gefährte wußte Rat: In der Trollhöhle waren immer noch sechs Böcke, die durch die Luft fliegen konnten. Er belud sie so tüchtig mit Gold und Silber, daß sie auf der Erde gehen mußten und sich nicht mehr in die Lüfte erheben konnten mit dieser Last. All das, was die Böcke nicht tragen konnten, mußte im Königshof bleiben.

So reisten sie lang und länger als lang, und zum Schluß waren die Böcke so müde und erschöpft, daß sie nicht mehr länger gehen konnten. Der Jüngling und die Königstochter wußten keinen Rat. Aber der Gefährte nahm die ganze Mitgift auf den Nacken, legte die Böcke obendrauf und trug alles so weit vorwärts, daß die Heimat des Jünglings nur noch eine halbe Meile weit entfernt lag. Dann sagte er: »Nun muß ich von dir scheiden, ich kann nicht länger bei dir bleiben.« Doch der Jüngling wollte sich um alles in der Welt nicht von ihm trennen. So ging der Gefährte eine halbe Meile mit, aber weiter könne er ihm nicht folgen. Und als der Jüngling ihn bat, mit ihm nach Haus zu kommen und bei ihm zu bleiben oder doch wenigstens mit heimzukommen und das Willkommensbier bei seinem Vater zu trinken, sagte der Gefährte: »Nein, das kann ich nicht.«

Der Jüngling fragte ihn, was er dafür haben wolle, daß er mit ihm gegangen sei und ihm geholfen habe.



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»Willst du mir etwas geben, so muß es die Hälfte von allem sein, was du in den nächsten fünf Jahren dein eigen nennen wirst«, sagte der Gefährte. Ja, das solle er haben.

Als er fort war, ließ der Jüngling all seine Reichtümer zurück und reiste leer heim. Dort wurde das Willkommensbier getrunken, so daß man davon in sieben Königreichen sprach. Und erst als sie damit fertig waren, spannten sie die Böcke ein und die zwölf Pferde, die dem Vater gehörten, und fuhren all das Silber und Gold heim, den ganzen Winter lang.

Als fünf Jahre vergangen waren, kam der Gefährte wieder und wollte seinen Teil haben. Da hatte der Mann alles in zwei gleiche Teile geteilt.

»Aber da ist etwas, das hast du nicht geteilt«, sagte der Gefährte.

»Was ist das«, fragte der Mann, »ich dachte, ich hätte alles geteilt.«

»Du nennst ein Kind dein eigen«, sagte der Gefährte, »das mußt du auch in zwei Teile teilen.«

Ja, auch dazu war er bereit. Er zog sein Schwert: aber kaum hatte er es erhoben, um das Kind zu teilen, ergriff der Gefährte von rückwärts die Schwertspitze, sodaß er nicht zuschlagen konnte.

»Bist du nun glücklich, daß du nicht zuzuschlagen brauchtest?«fragte er.

»Ja, so glücklich war ich noch niemals«, antwortete der Mann.

»Genau so glücklich war ich, als du mich aus dem Eisklumpen erlöstest«, sagte der Gefährte. »Behalte alles, was du hast. Ich brauche nichts, denn ich bin ein schwebender Geist.«

Es war der Weinzapfer, welcher damals im Eisklumpen draußen vor der Kirchentüre stand, den alle bespuckten. Weil der Jüngling alles hergegeben hatte, um ihm den Frieden in christlicher Erde zu verschaffen, war er des Jünglings Gefährte geworden und hatte ihm geholfen. Ein Jahr lang durfte er ihm dienen. Nach fünf Jahren durfte er ihn noch einmal wiedersehen. Aber jetzt mußten sie scheiden für alle Zeiten, denn nun läutete es nach ihm mit himmlischen Glocken.


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