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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 5

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DSCHULLANÂR, DER MEERMAID. UND IHREM SOHNE, DEM KÖNIG BADR BÂSIM VON PERSIEN

O glücklicher König, einst lebte in alten Zeiten und längst entschwundenen Vergangenheiten im Lande der Perser ein König namens Schahrimân, und seine Hauptstadt befand sich in Chorasân. Der besaß hundert Nebenfrauen, doch durch



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keine von ihnen hatte er zeit seines Lebens ein Kind erhalten. weder einen Knaben noch ein Mädchen. Eines Tages nun dachte er darüber nach, und er war betrübt, weil der größere Teil seines Lebens vergangen war, ohne daß ihm ein Sohn beschert wäre, der nach ihm das Reich erben könnte, wie er es von seinen Vätern und Vorvätern geerbt hatte; deshalb ward er von tiefem Gram und Kummer und von bitterem Herzeleid erfüllt. Und wie er nun so dazusitzen pflegte, geschah es eines Tages, daß einer seiner Mamluken zu ihm eintrat und sprach: ,Hoher Herr, an der Tür steht eine Sklavin mit einem Händler, die ist so schön, wie noch nie eine gesehen ward.' Der König befahl: ,Bringt mir den Kaufmann und die Sklavin!' Und beide kamen darauf zu ihm. Wie er die Maid erblickte, sah er, daß sie einer Lanze von Rudaina 1 glich und in einen Schleier aus golddurchwirkter Seide eingehüllt war. Nun hob der Kaufmann den Schleier von ihrem Antlitz, und die ganze Halle erstrahlte von ihrer Schönheit. Ihr Haar hing in sieben Strähnen bis zu den Fußspangen hinab und glich dem Schweife edler Rosse; ihre Augen blickten voll dunkler Glut umher, ihre Hüften wiegten sich schwer unter dem Leibe, dem schlanken; sie heilte das Leiden des Kranken und löschte die brennenden Schmerzen in liebeglühenden Herzen; denn sie war, wie der Dichter in diesen Versen spricht:

Ich liebe sie, der Schönheit herrlich Bild,
Von Anmut und von Würde ganz erfüllt;
Sie ist nicht übergroß, noch auch zu klein,
Doch hüllt ihr Schleier kaum die Hüften ein.
Ihr Wuchs ist mitten zwischen schmal und breit,
Nicht kurz, noch lang, daß er gen Himmel schreit.
Bis auf die Knöchelspangen reicht ihr Haar;
Doch ist ihr Antlitz immer tagesklar.



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Der König wunderte sich über ihren Anblick, ihre Schönheit und Lieblichkeit und ihres Wuchses Ebenmäßigkeit, und er sprach zudem Händler: ,Alterchen, wieviel kostet diese Maid?' Und der gab zur Antwort: ,Hoher Herr, ich habe sie für zweitausend Dinare von dem Händler gekauft, dem sie vor mir gehörte. Und seither bin ich drei Jahre lang mit ihr gereist, und ich habe noch, bis ich hierher gekommen bin, dreitausend Dinare ausgegeben. Doch sie ist ein Geschenk von mir an dich.' Da verlieh ihm der König ein kostbares Ehrengewand und wies ihm zehntausend Dinare an. Der Händler nahm alles hin. küßte dem König die Hände, dankte ihm für seine Huld und Güte und ging seiner Wege. Darauf übergab der König die Sklavin den Kammerfrauen und sprach zu ihnen: ,Widmet euch der Pflege dieser Maid, schmückt sie, richtet ein Gemach für sie her und führt sie hinein!' Auch befahl er den Kämmerlingen, ihr alles zu bringen, dessen sie bedurfte. Nun lag das Land, in dem er herrschte, am Meeresufer, und seine Hauptstadt hieß die Weiße Stadt. Man führte also die Maid in ein Gemach. dessen Fenster aufs Meer hinausschauten. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 739. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König, nachdem er die Sklavin erhalten hatte, sie den Kammerfrauen übergab und zu ihnen sprach: ,Widmet euch ihrer Pflege und führt sie in ein Gemach', und daß er den Kämmerlingen befahl. hinter ihr alle Türen zu schließen, nachdem sie ihr alles gebracht hätten, dessen sie bedürfte, und daß man sie darauf in ein Gemach führte, dessen Fenster aufs Meer hinausschauten. Dann ging der König zu ihr hinein; doch sie erhob sich nicht vor ihm und achtete seiner auch nicht. Da sagte er sich: ,Es



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scheint, sie ist bei Leuten gewesen, die sie kein gutes Benehmen gelehrt haben.' Und er ging auf sie zu und sah sie an, wie sie vollkommen war an Schönheit und Lieblichkeit und des Wuchses Ebenmäßigkeit; ihr Antlitz glich dem runden Monde am Tage seiner Fülle oder dem leuchtenden Sonnenball im blauen Weltenall. Und er wunderte sich von neuem über ihre Schönheit und Lieblichkeit und ihres Wuchses Ebenmäßigkeit und pries Allah den Schöpfer, dessen Allmacht hochherrlich ist. Dann trat er nahe an die Sklavin heran und setzte sich neben ihr nieder, drückte sie an seine Brust, zog sie auf seine Kniee und sog den Tau ihrer Lippen, der ihm süßer war als Honig. Darauf ließ er die Tische bringen, die mit den prächtigsten Speisen von jederlei Art gedeckt waren, und er aß selbst und reichte der Maid die Speisen, bis sie gesättigt war; doch sie sprach kein einziges Wort. Auch als der König mit ihr plaudern wollte und sie nach ihrem Namen fragte, blieb sie stumm und gab ihm keine Antwort; kein Laut kam aus ihrem Munde, sie saß immer mit gesenktem Haupte da. Und nur dadurch ward sie vor dem Zorn des Königs gerettet, daß sie so überaus schön und anmutig und liebreizend war. Da sprach der König bei sich: ,Preis sei Allah, dem Erschaffer dieser Maid! Wie entzückend ist sie! Nur daß sie nicht redet! Doch die Vollkommenheit ist nur bei Allah dem Erhabenen!' Nun fragte er die Sklavinnen, ob sie gesprochen habe, und die erwiderten ihm: ,Seit ihrer Ankunft bis zu dieser Stunde hat sie nicht ein einziges Wort gesagt; wir haben sie nicht reden hören.' Darauf ließ der König einige seiner Nebenfrauen und Odalisken kommen und befahl ihnen, vor ihr zu singen und mit ihr vergnügt zu sein, ob sie vielleicht dann reden würde. So spielten denn die Nebenfrauen und Odalisken vor ihr allerlei Musikinstrumente und trieben mancherlei Spiele und sangen, bis alle, die



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dort anwesend waren, heiter und froh wurden; doch die Maid sah ihnen schweigend zu, sie lächelte nicht, noch sprach sie. Dem König ward die Brust eng, und er entließ die Frauen und blieb mit der Sklavin allein. Dann legte er seine Gewänder ab und entkleidete auch sie mit eigener Hand; und als er ihren Leib betrachtete, erschien er ihm gleich einem Barren Silbers. Da entbrannte er in heißer Liebe zu ihr, und er nahm ihr das Mädchentum; und wie er sie als reine Jungfrau erfand, war er hocherfreut, und er sprach bei sich selber: ,Bei Allah, es ist ein Wunder, daß ein Mädchen, so schön an Gestalt und Antlitz, so lange bei den Händlern als reine Jungfrau bleiben konnte.' Und nun neigte er sich ganz ihr zu und achtete keiner anderen mehr, ja, er mied alle seine Nebenfrauen und Odalisken. Er blieb ein volles Jahr bei ihr, und dies war ihm wie ein einziger Tag; aber sie sprach nie. Eines Tages jedoch, als seine Liebe zu ihr und die Leidenschaft heiß aufloderten, sagte er zu ihr: ,O du Wunsch der Seelen, sieh, meine Liebe zu dir ist übergroß, und ich habe um deinetwillen alle meine Sklavinnen, Nebenfrauen, Frauen und Odalisken gemieden; denn dich habe ich zu meinem Glück in dieser Welt gemacht, und ich habe ein volles Jahr lang bei dir ausgeharrt. Und jetzt flehe ich zu Allah dem Erhabenen, er möge in seiner Huld mir dein Herz erweichen, auf daß du mit mir redest. Wenn du aber stumm bist, so tu es mir durch ein Zeichen kund, damit ich die Hoffnung auf ein Wort von dir fahren lasse. Und ich bete zu Gott dem Hochgepriesenen, daß Er mir durch dich einen Sohn gewähre, der nach mir mein Königreich erben soll. Ach, ich bin einsam und verlassen, ich habe keinen Erben und bin doch hochbetagt. Um Allahs willen, wenn du mich liebst, so gib mir eine Antwort!' Da senkte die Maid ihr Haupt und dachte nach. Dann erhob sie ihr Haupt wieder und lächelte dem König ins Ant



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litz; ihm aber war, als ob ein Blitz das Gemach erhellte. Und nun hub sie an: ,O König heldenhaft, o du Löwe voller Kraft, Allah hat dein Gebet erhört; denn ich habe durch dich empfangen, und die Zeit der Niederkunft ist nahe; aber ich kann nicht wissen, ob das Kind in meinem Schoße ein Sohn oder eine Tochter ist. Hätte ich nicht von dir empfangen, so hätte ich nie ein Wort mit dir gesprochen.' Als der König ihre Rede vernommen hatte, leuchtete aus seinem Antlitz helle Freude, und er küßte ihr Haupt und Hände im Überschwang der Freude, und er rief: ,Preis sei Allah, der mir gewährt hat, was ich mir wünschte: zum ersten deine Sprache und zum zweiten die Kunde, daß du von mir empfangen hast.' Dann erhob er sich und verließ sie und setzte sich auf den Thron seiner Königsherrschaft, von wachsender Freude erfüllt. Und er befahl dem Wesir, unter die Armen und Bedürftigen, die Witwen und das andere Volk hunderttausend Dinare als Almosen zu verteilen zum Danke gegen Allah den Erhabenen. Der Wesir tat, wie ihm der König befohlen hatte. Nachdem dies geschehen war, begab der König sich wieder zu der Maid, setzte sich zu ihr, umarmte sie und drückte sie an seine Brust und sprach zu ihr: ,Meine Gebieterin, du Herrin über mein Leben, warum war dies Schweigen? Seit einem vollen Jahre bist du bei mir Tag und Nacht, hast geschlafen und gewacht, aber in diesem ganzen Jahre hast du erst heute zu mir gesprochen. 'Was war der Grund deines Schweigens?' Die Maid gab ihm zur Antwort: ,Höre, o größter König unserer Zeit, ich bin eine arme Heimatlose mit gebrochenem Herzen, und ich bin fern von meiner Mutter und meinem Bruder und den Meinen.' Als der König diese Worte von ihr vernahm, erkannte er ihren Wunsch und sprach zu ihr: ,Wenn du sagst, daß du arm seiest, so ist für solche Worte kein Grund; denn mein ganzes Reich,



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mein Hab und Gut und alles, was ich besitze, stehen dir zu Diensten, und auch ich bin dein Knecht geworden. Und wenn du sagst, du seiest fern von deiner Mutter und deinem Bruder und den Deinen, so laß mich wissen, wo sie sind, und ich will zu ihnen senden und sie zu dir kommen lassen.' ,Wisse, o glücklicher König,' erwiderte sie, ,ich heiße Dschullanâr', die Meermaid, und mein Vater war einer der Könige des Meeres; er starb und hinterließ uns das Reich. Doch während wir uns der Herrschaft erfreuten, erhob sich plötzlich ein anderer König wider uns und entriß das Reich unseren Händen. Ich habe noch einen Bruder, Sâlih geheißen, und auch meine Mutter ist ein Meerweib. Nun geriet ich mit meinem Bruder in Streit, und ich schwor, ich wolle mich einem Manne vom Landvolk in die Hände werfen. So verließ ich das Meer und setzte mich am Ufer einer Insel im Mondenschein nieder; da kam ein Mann an mir vorüber, nahm mich mit und führte mich in sein Haus. Dort wollte er mich verführen, aber ich schlug ihm aufs Haupt, so daß er fast gestorben wäre. Darauf schleppte er mich fort und verkaufte mich an diesen Mann, von dem du mich erhalten hast; der war ein trefflicher und rechtschaffener Mann, fromm, zuverlässig und edelmütig. Und hätte dein Herz mich nicht liebgewonnen, und hättest du mich nicht über alle deine Nebenfrauen erhöht, so wäre ich nicht eine einzige Stunde bei dir geblieben; dann hätte ich mich ins Meer geworfen, durch dies Fenster dort, und wäre zu meiner Mutter und den Meinen geschwommen. Nun aber scheute ich mich davor, zu ihnen zu kommen, da ich von dir schwanger bin, und fürchtete, sie könnten Böses von mir denken und mir keinen Glauben schenken, auch wenn ich ihnen schwören und erzählen würde, ein König hätte mich mit seinem Golde erkauft und mich zu seil.



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nein Glück in dieser Welt gemacht, indem er mich über seine Gattinnen stellte und über alles, was seine Hand besitzt. Das ist meine Geschichte, und hiermit ist sie zu Ende.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 740, Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dschullanâr, die Meermaid, als König Schahrimân sie befragt hatte, ihm ihre Geschichte von Anfang bis zu Ende erzählte; und als er ihre Rede vernommen hatte, dankte er ihr und küßte sie auf die Stirn. Und er sprach zu ihr: ,Bei Allah, meine Gebieterin, du mein Augenlicht, ich kann es nicht ertragen, mich auch nur eine einzige Stunde von dir zu trennen; und wenn du mich verlässest, so werde ich auf der Stelle tot sein. 'Was wollen wir tune' ,Hoher Herr,' erwiderte sie, ,die Zeit meiner Niederkunft ist nahe, und die Meinen müssen bei mir sein, um mich zu pflegen; denn die Frauen vom Festlande wissen nicht, wie die Töchter des Meeres gebären, wie auch die Töchter des Meeres nicht die Art der Entbindung der Frauen des Festlandes kennen. Und wenn die Meinen kommen, so werde ich mich mit ihnen versöhnen, und auch sie werden sich mir wieder zuwenden.' Nun fragte der König sie: ,Und wie können sie sich im Meere bewegen, ohne daß sie naß werden?' Sie antwortete: ,Wir bewegen uns im Meere, geradeso wie ihr auf dem Festlande gehet; und das geschieht durch die Kraft der Zaubernamen, die auf dem Ringe Salomos, des Sohnes Davids -über beiden sei Heil! —eingegraben sind. Doch, o König, wenn die Meinen und mit ihnen mein Bruder kommen, so werde ich ihnen kundtun, daß du mich mit deinem Gelde gekauft und mir Freundlichkeit und Güte erwiesen hast. Dann sollst du vor ihnen meine Worte bestätigen, und sie sollen mit ihren eigenen



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Augen deine Herrlichkeit schauen und erfahren, daß du ein König und der Sohn eines Königs bist.' Darauf sagte der König: ,Meine Gebieterin, tu, was dir gut scheint und was dir gefällt; bei allem, was du nun tust, will ich mich dir fügen!' Da fuhr die Meermaid fort: ,Wisse, o größter König unserer Zeit, wir ziehen im Meere umher mit offenen Augen und sehen, was darinnen ist; auch erblicken wir die Sonne und den Mond und die Sterne und den Himmel, wie wenn wir auf der Oberfläche der Erde wären; und das schadet uns nichts. Und wisse ferner, es gibt im Meere viele Völker und mannigfache Gestalten von allerlei Art, wie sie ja auch auf dem Lande sind. Ja, vernimm, daß alles, was sich auf dem Festlande befindet, nur sehr wenig ist im Vergleich zu dem, was die Tiefe birgt.' Ihren Worten hörte der König mit Staunen zu. Dann nahm die Maid von ihrer Schulter zwei Stücke Komoriner' Aloeholzes, nahm etwas davon und warf es, nachdem sie ein Feuer in einer Kohlenpfanne angezündet hatte, in die Pfanne hinein; dann ließ sie einen lauten Pfiff erschallen und begann unverständliche Worte zu murmeln. Da stieg ein mächtiger Rauch auf, während der König zuschaute; und sie sprach zu ihm: ,Hoher Herr, geh, verbirg dich in einer Kammer, damit ich dir meinen Bruder und meine Mutter und die Meinen zeigen kann, ohne daß sie dich sehen; denn ich gedenke sie herbeizurufen, und du wirst hier an dieser Stätte zu dieser Stunde ein Wunder schauen. Du wirst staunen über die mannigfachen Gestalten und die seltsamen Gebilde. die Allah der Erhabene geschaffen hat.' Da ging der König alsogleich hin und trat in eine Kammer und sah ihr von dort aus bei ihrem Tun zu. Und sie fuhr fort zu räuchern und zu beschwören, bis das Meer aufschäumte und brandete und ihm ein Jüngling entstieg, von



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schöner Gestalt und mit strahlendem Antlitz. als wäre er der Mond in seiner Fülle; seine Stirn war blütenrein, seine Wangen waren von rötlichem Schein und seine Zähne gleich Perlen und Edelgestein. Von allen Geschöpfen glich er am meisten seiner Schwester, und die Zunge der Dichtung sprach über ihn diese beiden Verse:

Der Mond vollendet sich in jedem Monat einmal,
Dein schönes Antlitz ist an jedem Tag vollendet.
Der Vollmond wohnet nur in einem einz'gen Sternbild,
Doch dir ist jedes Herz als Wohnstatt zugewendet.

Danach stieg aus dem Meer empor eine Frau mit ergrauendem Haare, begleitet von fünf Jungfrauen, wie Monde anzuschauen, und die glichen der Maid, deren Name Dschullanâr war. Der König aber sah, wie der Jüngling und die alte Frau und die Jungfrauen auf der Oberfläche des Wassers dahinschritten, bis sie den Weg zu Dschullanâr einschlugen. Als sie nahe an das Fenster herangekommen waren und die Meermaid sie vor sich sah, eilte sie ihnen freudig und froh entgegen. Und da auch jene sie erblickten und erkannten, traten sie zu ihr ein und umarmten sie und weinten bitterlich. Dann sprachen sie zu ihr: ,O Dschullanâr, wie konntest du uns verlassen und vier Jahre lang fern sein, ohne daß wir die Stätte kannten, an der du weiltest? Bei Allah, die Welt ward uns zu enge durch die Qual der Trennung, Speise und Trank mundeten uns nicht einen einzigen Tag. Ja, wir weinten Tag und Nacht im Übermaß unserer Sehnsucht nach dir!' Darauf begann sie dem Jüngling, ihrem Bruder, und ihrer Mutter die Hände zu küssen, desgleichen auch ihren Basen; und sie saßen eine Weile bei ihr und fragten sie, wie es ihr ergehe und was ihr widerfahren sei und wie es jetzt um sie stehe. ,Wisset,' erwiderte sie, ,als ich euch verlassen hatte und aus dem Meere emporgestiegen war, setzte ich mich



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am Ufer einer Insel nieder. Da nahm ein Mann mich mit sich und verkaufte mich an einen Händler; und der Händler brachte mich in diese Stadt und verkaufte mich an ihren König um zehntausend Dinare. Der aber hegte und pflegte mich, ja, er verließ alle seine Frauen, Nebenfrauen und Odalisken um meinetwillen und vergaß bei mir alles, was er hatte und was in seiner Stadt vorging.' Als ihr Bruder diese Worte von ihr vernommen hatte, sprach er: ,Preis sei Allah, der uns wieder mit dir vereinigt hat! Doch jetzt, liebe Schwester, ist es mein Wunsch, daß du dich aufmachst und mit uns in unser Land und zu unserem Volke heimkehrst.' Kaum hatte der König die Worte ihres Bruders gehört, so ward er wie von Sinnen aus Furcht, die Maid könnte dem Wunsch ihres Bruders folgen, und er selbst würde dann nicht vermögen, sie zurückzuhalten, wiewohl er von heißer Liebe zu ihr erfüllt war; und er war ratlos, da er mit Schrecken an ihren Verlust dachte. Doch die Maid Dschullanâr erwiderte ihrem Bruder auf seine Worte: ,Bei Allah, mein Bruder, der Mann, der mich gekauft hat, ist doch der König dieser Stadt; er ist ein mächtiger Herrscher, ein weiser Mann, edel und gut und so freigebig, wie er nur sein kann. Er hat mich ja auch ehrenvoll behandelt, er, der Mann von Hochherzigkeit und großem Reichtum; doch er hat weder Sohn noch Tochter. Immer war er freundlich gegen mich und erwies mir lauter Gutes; von dem Tage, da ich zu ihm kam, bis zu dieser Stunde habe ich kein böses Wort von ihm gehört, das mein Herz betrübt hätte. Stets war er gütig zu mir und tat nichts, ohne mich um Rat zu fragen; und so lebe ich bei ihm im schönsten Wohlsein und im vollkommensten Glück. Und dazu kommt, daß er des Todes wäre, wenn ich ihn verließe; denn er kann es nicht ertragen, auch nur eine einzige Stunde von mir getrennt zu sein. Und wenn ich von ihm gehe, so



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werde auch ich sterben; denn ich liebe ihn so innig, da er mir übergroße Huld erwiesen hat, seitdem ich bei ihm weile. Ja, wenn mein Vater noch am Leben wäre, ich würde bei ihm nicht in so hohen Ehren stehen wie bei diesem großmächtigen und ruhmreichen König. Und nun seht ihr doch, daß ich durch ihn Mutter werde. Preis sei Allah, der mich zur Tochter des Meerkönigs gemacht und mich mit dem mächtigsten der Könige des Festlandes vermählt hat! Wahrlich, Allah der Erhabene hat mich nicht verlassen, sondern mich mit Gutem überhäuft.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 741. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dschullanâr, die Meermaid, ihrem Bruder ihre ganze Geschichte erzählte und mit den Worten schloß: ,Wahrlich, Allah der Erhabene hat mich nicht verlassen, sondern mich mit Gutem überhäuft. Und weil nun der König keinen Sohn und keine Tochter hat, so flehe ich zu Allah dem Erhabenen, daß er mir einen Sohn gewähre, der von diesem großmächtigen König erbe, was Gott ihm an Bauten und Schlössern und anderen Besitztümern verliehen hat.' Als ihr Bruder und ihre Basen diese Worte von ihr vernahmen, wurden ihre Gemüter durch solche Rede getröstet, und sie sprachen zu ihr: ,O Dschullanâr, du weißt, wie hoch du bei uns in Ehren stehst, du kennst unsere Liebe zu dir, du bist dessen gewiß, daß du uns von allen Geschöpfen am teuersten bist, und du kannst sicher glauben, daß wir dir nur das ungetrübte und ungestörte Glück wünschen. Wenn du unglücklich bist, so mache dich auf mit uns in unser Land und zu unserem Volke; aber wenn du hier glücklich lebst in Ehren und Freuden, so ist das unser Wunsch und Wille; denn wir



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wünschen dein Wohlergehen jetzt und immerdar.' Da gab sie ihnen zur Antwort: ,Bei Allah, ich lebe hier in höchster Glückseligkeit, in Freuden und in Fröhlichkeit.' Wie nun der König diese Worte aus ihrem Munde vernahm, freute er sich, und sein Herz ward wieder beruhigt und von Dankbarkeit gegen sie erfüllt; und seine Liebe zu ihr ward noch größer und durchdrang sein ganzes inneres Wesen. Denn jetzt wußte er, daß sie ihn ebenso heiß liebte wie er sie, und daß sie bei ihm zu bleiben wünschte, um das Kind zu schauen, das ihm von ihr zuteil werden sollte. Darauf gab die Maid -Dschullanâr, die Meermaid -ihren Dienerinnen Befehl, die Tische mit Speisen von allerei Art zu bringen; und das waren Speisen, die sie selbst in der Küche hatte zubereiten lassen. So brachten ihnen denn die Dienerinnen die Speisen und die Süßigkeiten und die Früchte. Dann aß sie mit den Ihren davon. Aber da hüben jene an: ,Dschullanâr, dein Herr ist uns ein Fremdling; und wir sind in sein Haus eingedrungen, ohne seine Erlaubnis und ohne daß er uns kennt, während du uns seine Herrlichkeit gepriesen hast. Ferner hast du uns von seinen Speisen vorgesetzt, und wir haben gegessen; aber wir sind ihm nicht begegnet und haben ihn nicht gesehen, und auch er hat uns nicht gesehen, er ist nicht bei uns gewesen und hat nicht mit uns gegessen, so daß wir Brot und Salz mit ihm geteilt hätten.' Sogleich ließen sie alle vom Essen ab und zürnten ihr; und Feuer sprühte aus ihrem Munde wie von Fackeln. Doch wie der König das sah, ward er wie von Sinnen, da er so gewaltig vor ihnen erschrak. Dschullanâr aber beruhigte ihre Gemüter, begab sich dann in die Kammer, in der ihr Herr, der König, sich befand, und sprach zu ihm: ,Hoher Herr, hast du gesehen und gehört, wie ich dich vor den Meinen gelobt und gepriesen habe' Und hast du auch vernommen, was sie zu mir sagten, sie wünschten mich mit



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sich zu unserem Volk und in unser Land zu nehmen?' Er antwortete ihr: ,Ich habe gehört und gesehen, möge Allah dir statt meiner mit Gutem vergelten! Bei Allah, erst jetzt, in dieser gesegneten Stunde, habe ich die Größe deiner Liebe zu mir erkannt, und ich zweifle nicht mehr daran, daß du mich wirklich lieb hast.' ,Mein Gebieter,' sagte sie darauf, ,ist der Lohn für Güte etwas anderes als Güte? Du bist gütig zu mir gewesen und hast in deiner Freigebigkeit mir die höchsten Gnaden erwiesen, und ich sehe, daß du mich innig liebst; ja, du hast mir immer nur Gutes getan und hast mich vor allen erwählt, die du liebtest und begehrtest. Wie könnte da mein Herz einwilligen, mich von dir zu trennen und dich zu verlassen? Wie wäre das denkbar, da du so gütig und huldvoll zu mir bist? Nun bitte ich dich, du möchtest in deiner Huld kommen und die Meinen begrüßen, auf daß du sie siehest und sie dich sehen und auf daß reine Freundschaft und Liebe zwischen euch herrsche. Wisse, o größter König unserer Zeit, mein Bruder und meine Mutter und meine Basen haben dich schon herzlich liebgewonnen, als ich dich vor ihnen pries. Und sie sagten: ,Wir wollen nicht eher von dir in unser Land zurückkehren, als bis wir mit dem König zusammengetroffen sind und ihn begrüßt haben.' Ja, sie wünschen wahrlich, dich zu sehen und mit dir bekannt zu werden.' Der König erwiderte: ,Ich höre und gehorche; denn dies ist auch mein Wunsch!' Und alsbald erhob er sich und trat zu ihnen ein und begrüßte sie auf das schönste. Da sprangen sie eiligst auf und empfingen ihn mit höchster Ehrerbietung; und er setzte sich mit ihnen im Saale nieder und aß mit ihnen von der gleichen Tafel. So blieb er dreißig Tage lang mit ihnen zusammen. Als sie dann wieder in ihr Land heimkehren wollten, nahmen sie Abschied vom König und von der Königin Dschullanâr, der Meermaid, und verließen



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die beiden, nachdem der König ihnen höchste Ehren erwiesen hatte.

Nach einer Weile vollendeten sich für Dschullanâr die Tage ihrer Schwangerschaft, und als die Zeit ihre Niederkunft kam, schenkte sie einem Knaben das Leben, der dem Mond in seiner Fülle glich. Darüber war der König aufs höchste erfreut, weil ihm ja in seinem ganzen Leben weder Sohn noch Tochter zuteil geworden war. Nun feierte man die Freudenfeste und schmückte die Stadt sieben Tage lang, und alle ergingen sich in Frohsinn und Heiterkeit. Am siebenten Tage aber erschienen die Mutter der Königin Dschullanâr und ihr Bruder und ihre Basen, als sie von ihrer Niederkunft gehört hatten. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 742. Nacht begann, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König, als Dschullanâr nach ihrer Niederkunft von den Ihren besucht wurde, die Leute des Meeres in höchster Freude über ihr Kommen empfing und zu ihnen sprach: ,Ich habe mir gesagt, ich wolle meinem Sohn nicht eher einen Namen geben, als bis ihr kämt und ihn nach eurer Kenntnis benennen würdet.' Da nannten sie ihn Badr Bâsim': und alle hießen diesen Namen gut. Dann brachte man den Knaben seinem Oheim' Sâlih dar, und er nahm ihn auf den Arm, schritt aus ihrer Mitte fort und ging im Schlosse hin und her, nach rechts und nach links. Dann aber trug er den Knaben aus dem Schlosse fort und ging mit



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ihm zum Salzmeere hinab und schritt dahin, bis er dem Blick des Königs entschwand. Als dieser sah, daß der Meeresjüngling seinen Sohn nahm und mit ihm in der Tiefe des Meeres verschwand, gab er sein Kind verloren und begann zu weinen und zu klagen. Dschullanâr jedoch, die das bemerkte, sprach zu ihm: ,O größter König unserer Zeit, fürchte dich nicht und gräme dich nicht um deinen Sohn! Sieh, ich liebe mein Kind noch mehr als du. Mein Sohn ist jetzt bei meinem Bruder; sei nicht besorgt um des Meeres willen und fürchte nicht, er könne ertrinken! Wenn mein Bruder wüßte, daß dem Kleinen ein Schaden widerfahren könnte, so hätte er nicht getan, was er getan hat. Noch in dieser Stunde wird er dir deinen Sohn wohlbehalten zurückbringen, so Allah der Erhabene will.' Es verging auch keine Stunde, da fing das Meer an zu tosen und zu branden, und ihm entstieg der Oheim des Kleinen, und der Sohn des Königs war wohlbehalten bei ihm. Dann flog er über das Meer dahin, bis er zu denen im Schlosse kam, während das Kind ruhig in seinen Armen lag mit einem Antlitze, das dem Monde in der Nacht seiner Fülle glich. Darauf blickte der Oheim des Prinzen den König an und sprach zu ihm: ,Du magst wohl gefürchtet haben, deinem Sohne könne ein Leid widerfahren, als ich mit ihm ins Meer hinabstieg.' ,Ja, Herr,' erwiderte der König, ,ich war um ihn besorgt, und ich glaubte, ich würde ihn nie mehr lebend wiedersehen.' Doch Sâlih fuhr fort: ,O König des Festlandes, wir haben seine Augen mit einer Salbe bestrichen, die nur wir kennen, und wir haben über ihm die Zaubernamen gesprochen, die auf dem Ringe Salomos, des Sohnes Davids -über beiden sei Heil! —geschrieben stehen. Wenn bei uns ein Kind geboren wird, so pflegen wir dies, was ich dir beschrieben habe, mit ihm zu tun. Nun brauchst du nicht zu fürchten, daß er je ertrinken oder ersticken werde,



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auch nicht in irgendeinem anderen Meere, wenn er darin hinabsteigt; denn wie ihr auf dem Lande wandelt, so wandeln wir im Meere.' Darauf zog er aus seiner Tasche ein Kästchen hervor, das mit Schriftzeichen bedeckt und versiegelt war; und nachdem er die Siegel gelöst hatte, entleerte er es. Da entfielen ihm aufgereihte Edelsteine von allen Arten, Hyazinthe und andere Juwelen, dreihundert Stäbchen aus Smaragd und dreihundert durchlochte Edelsteine, die so groß waren wie Straußeneier und deren Licht heller erstrahlte als das Licht von Sonne und Mond. Und Sâlih sprach: ,O größter König unserer Zeit, diese Edelsteine und Hyazinthe sind ein Geschenk von mir an dich, da wir dir noch nie ein Geschenk gebracht haben; wir wußten ja auch nicht, wo Dschullanâr weilte, und hatten jede Spur und Nachricht von ihr verloren. Aber jetzt, da wir dich mit ihr vereint sehen und da wir alle gleichsam ein einziges Wesen geworden sind, haben wir dir dies Geschenk gebracht. Und fortan wollen wir dir oft, immer nach wenigen Tagen, dergleichen darbringen, so Allah der Erhabene will; denn diese Edelsteine und Hyazinthe sind bei uns zahlreicher als die Kiesel am Strande; und wir kennen die guten und schlechten von ihnen, die Wege zu ihnen und ihre Fundstätten, und so sind sie leicht für uns zu beschaffen.' Als aber der König jene Juwelen und Hyazinthe erblickte, ward ihm sein Verstand wirre und sein Herz irre, und er rief: ,Bei Allah, ein einziger von diesen Edelsteinen ist so viel wert wie mein ganzes Reich!' Dann dankte er Sâlih, dem Meeresjüngling, für seine Güte, und indem er die Königin Dschullanâr anschaute, sprach er zu ihr: ,Ich stehe beschämt vor deinem Bruder, der so freigebig gegen mich gewesen ist und mir diese herrliche Gabe dargebracht hat, die das Vermögen der Erdbewohner weit übersteigt.' Darum dankte auch sie ihrem Bruder für seine Güte; doch er



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sprach: ,O größter König unserer Zeit, du hast ältere Ansprüche an uns, und dir zu danken ist uns eine Pflicht; denn du bist zu unserer Schwester freundlich gewesen, und wir sind in dein Haus gekommen und haben von deiner Speise gegessen, wie der Dichter sagt:

Hält ich vor ihr geweint in meiner Lieb zu Su'da,
Eh mir die Reue kam, so wär mein Herz geheilt!
Nun weinte sie vor mir, da mußt ich mit ihr weinen
Und sprach: Der Preis wird dem, der vorgeht, zuerteilt.

Dann fuhr Sâlih fort: ,Und wenn wir auch, o größter König unserer Zeit, tausend Jahre lang mit allein Eifer in deinem Dienste ständen, so könnten wir dir doch nicht vergelten, und all das wäre nur ein karger Teil von dem, was dir gebührt.' Der König dankte ihm aufs herzlichste, und Sâlih blieb mit seiner Mutter und seinen Basen vierzig Tage bei dem König. Darauf ging Sâlih, der Bruder Dschullanârs, hin und küßte den Boden vor dem König, dem Gemahl seiner Schwester. Der fragte ihn: ,Was wünschest du, o Sâlih?' ,O größter König unserer Zeit,' erwiderte jener, ,du hast uns große Huld erwiesen, und jetzt erbitten wir von deiner Güte, daß du uns gnädiglich Erlaubnis gibst, abzureisen. Denn siehe, wir sehnen uns nach unserem Volk und Land, unseren Anverwandten und unseren Heimstätten, obwohl wir nimmermehr den Dienst bei dir und meiner Schwester und meinem Neffen verlassen wollen. Bei Allah, o größter König unserer Zeit, es wird meinem Herzen nicht leicht, mich von euch zu trennen. Aber was sollen wir tun, da wir nun einmal im Meere groß geworden sind und das Festland uns nicht zusagt?' Sowie der König seine Worte vernommen hatte, sprang er auf und nahm Abschied von Sâlih, dem Meeresjüngling, und seiner Mutter und seinen Basen; und alle weinten Tränen des Abschieds miteinander.



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Dann sprachen die vom Meere: ,In kurzer Zeit werden wir wieder bei euch sein; nie werden wir uns ganz von euch trennen, sondern wir werden stets, je nach Verlauf von wenigen Tagen, euch besuchen.' Dann flogen sie auf und dem Meere zu, bis sie dort ankamen und den Blicken entschwanden. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 743. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Anverwandten Dschullanârs, der Meermaid, als sie von dem König und von ihr Abschied nahmen, miteinander Tränen des Abschieds weinten; dann flogen sie davon und stiegen ins Meer hinab und entschwanden den Blicken. Der König aber erwies Dschullanâr nur noch mehr Güte und höhere Ehren. Und der Kleine wuchs und gedieh, während sein Oheim und seine Ahne und seine Muhme und die Basen seiner Mutter oftmals, immer nach kurzer Zeit, zum Schlosse des Königs kamen und dort einen Monat oder auch zwei Monatelang blieben und dann zu ihrer Stätte zurückkehrten. Der Knabe aber nahm mit seinen wachsenden Jahren immer mehr zu an Schönheit und Anmut, bis er fünfzehn Jahre alt war und seinesgleichen nicht hatte an Vollkommenheit und des Wuchses Ebenmäßigkeit. Auch hatte er die Kunst zu schreiben und zu lesen gelernt, dazu die Geschichte, die Kunde vom Satzbau und vom Wortschatz, das Pfeilschießen und das Speerspiel; so lernte er das Rittertum und alles andere, was sich für die Söhne der Könige ziemt. Und es gab niemanden unter den Kindern des Stadtvolkes, sei es Mann oder Weib, der nicht von den trefflichen Eigenschaften jenes Jüngling gesprochen hätte; denn er war von unvergleichlicher Lieblichkeit und Vollkommenheit, wie er in den Dichterworten beschrieben ist:



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Er schrieb sein Wangenflaum in Perlenschrift mit Ambra
Zwei Zeilen mit Gaga, gemalt auf Äpfel fein.
Er tötet mit dem Blick der träumerischen Augen,
Und seine Wangen machen trunken ohne Wein.

Oder auch in den Worten eines anderen:

Es sproßte zarter Flaum auf seiner Wangen Fläche
Gleich einer Stickerei, die dort zu ruhen schien;
Es war, als ob bei Nacht dort eine Lampe hinge,
An Ambraketten, über die sich Schatten ziehn.'

Der König aber war ihm mit innigster Liebe zugetan, und so berief er nun den Wesir und die Emire, die Würdenträger des Staates und die Großen des Reiches und ließ sie feierliche Eide schwören, daß sie Badr Bâsim nach dem Tode seines Vaters zu ihrem König wählen würden. Und jene schworen die feierlichen Eide mit Freuden; denn der König war wohltätig gegen jedermann, freundlich in seinen Worten und ein Hort von Güte, und er sprach nichts, als was dem Volke Nutzen brachte. Am nächsten Tage stieg der König mit den Würdenträgern des Staates und allen Emiren und seiner ganzen Truppenmacht zu Pferde und zog mit ihnen durch die Stadt; dann kehrten sie zurück, und als sie sich dem Palaste näherten, saß der König ab und ging zum Zeichen der Dienstleistung vor seinem Sohn zu Fuß; dabei trugen zuerst er und dann alle Emire und Großen des Reiches die Staatsschabracke vor dem Prinzen her, nacheinander ein jeder eine Weile, und so zogen sie dahin, bis sie zur Halle des Palastes kamen, während der Prinz immer hoch zu Rosse saß. Dann stieg er ab, und sein Vater und die Emire umarmten ihn und setzten ihn auf den Thron der Herrschaft. Dort standen sie nun vor ihm, der Vater und desgleichen die



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Emire. Badr Bâsim aber sprach Recht unter dem Volke, setzte die Ungerechten ab und belohnte die Gerechten; so waltete er seines Amtes, bis die Mittagszeit nahte. Dann erhob er sich von dem Königsthron und begab sich zu seiner Mutter Dschullanâr, der Meermaid, indem er die Krone auf seinem Haupte trug und so schön war wie der Vollmond, während König Schahrimân vor ihm herging. Als die Mutter die beiden erblickte, stand sie vor ihrem Sohne auf, küßte ihn und beglückwünschte ihn zur Herrscherwürde, und sie betete, der Himmel möchte ihm und seinem Vater langes Leben und Sieg über die Feinde geben. Darauf setzte er sich zu seiner Mutter und ruhte sich aus. Doch als die Zeit des Nachmittagsgebetes kam, ritt er mit den Emiren, die ihn führten, zum Blachfeld hinab und pflog des Waffenspieles bis zur Abendzeit mit seinem Vater und den Großen seines Reiches. Dann kehrte er zum Palaste zurück, während alles Volk vor ihm herzog. Und hinfort ritt er jeden Tag zum Blachfeld hinab, und wenn er zurückgekehrt war, setzte er sich nieder, um unter dem Volke zurichten, und er sprach das Recht über Herr und Knecht. Ein ganzes Jahr lang lebte er so; dann begann er zu Jagd und Hatz auszuziehen und in den Städten und Ländern, die seiner Herrschaft unterstanden. umherzureiten und Frieden und Sicherheit zu verbreiten, und er tat, wie die Könige tun. Und unter den Menschen seiner Tage war er einzig an Ruhm und Tapferkeit und Gerechtigkeit gegen die Untertanen. Es begab sich aber, daß eines Tages der alte König, der Vater von Badr Bâsim, erkrankte und an dem Pochen seines Herzens erkannte, daß er bald zur ewigen Stätte entrückt werden würde. Ja, die Krankheit in ihm ward so heftig, daß er dem Tode nahe kam, und da berief er seinen Sohn und empfahl ihm die Untertanen, desselbigengleichen auch seine Mutter und die Großen seines



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Reiches und alle Vasallen, und er ließ die Versammelten noch einmal schwören und nahm ihnen den Treueid gegen seinen Sohn ab und versicherte sich ihrer durch die Schwüre. Darauf siechte er noch einige wenige Tage dahin; dann ging er ein zur Barmherzigkeit Allahs des Erhabenen. Nun trauerten um ihn sein Sohn Badr Bâsim und seine Gemahlin Dschullanâr, die Emire und die Wesire und die Großen des Reiches; und sie erbauten ihm ein Grabhaus und bestatteten ihn darin. Einen ganzen Monat lang dauerte ihre Trauerfeier; dann aber kamen Sâlih. der Bruder Dschullanârs, und ihre Mutter und ihre Basen. und sie trösteten die Betrübten in ihrem Schmerz um den König und sprachen: ,O Dschullanâr, wenn auch der König dahingeschieden ist, so hat er doch diesen trefflichen Sohn hinterlassen; und wer seinesgleichen hinterläßt, der ist nicht tot; denn dieser ist der Unvergleichliche, der reißende Leu.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 744. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Bruder Dschullanârs, Sâlih, und ihre Mutter und ihre Basen zu ihr sprachen: ,Wenn auch der König dahingeschieden ist, so hat er doch diesen unvergleichlichen Jüngling hinterlassen, den reißenden Leu, den gleißenden Mond.' Die Großen des Reiches aber und die Vornehmen traten zu König Badr Bâsim ein und sprachen zu ihm: ,O König, es liegt nichts Unrechtes in der Trauer um den Verstorbenen; doch das Trauern ist die Sache der Frauen. Drum quäle nicht dein und unser Gemüt durch die Trauer um deinen Vater; denn er hat ja, da er starb, dich hinterlassen, und wer deinesgleichen hinterläßt, der ist nicht tot.' So suchten sie ihn mit milden Worten zu trösten.



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und darauf geleiteten sie ihn ins Bad. Und als er das Bad verlassen hatte, legte er ein prächtiges Gewand an, das mit Gold durchwirkt und mit Edelsteinen und Hyazinthen besetzt war; auch legte er die Königskrone wieder auf sein Haupt und setzte sich auf den Thron seiner Herrschaft. Nun ordnete er wieder die Angelegenheiten der Menschen, ließ zwischen dem Starken und dem Schwachen Gerechtigkeit walten und verschaffte dem Knecht vor dem Herren sein Recht. Das Volk war ihm in herzlicher Liebe zugetan, und so lebte er wiederum ein volles Jahr dahin. Dabei besuchten ihn seine Anverwandten aus dem Meere immer von Zeit zu Zeit, und sein Leben war schön und sein Auge heiter. Das blieb auch so eine lange Weile. Nun aber begab es sich, daß sein Oheim eines Nachts zu Dschullanâr eintrat und sie begrüßte. Da erhob sie sich, umarmte ihn und ließ ihn zu ihrer Seite sitzen und fragte ihn: ,Lieber Bruder, wie ergeht es dir und meiner Mutter und meinen Basen?' ,Liebe Schwester,' antwortete er, ,sie sind wohlauf, gesund und sehr glücklich, und ihnen fehlt nichts als der Anblick deines Gesichtes.' Darauf setzte sie ihm etwas Speise vor, und er aß; und nun entspann sich zwischen ihnen ein Gespräch, und sie sprachen von König Badr Bâsim, von seiner Schönheit und Lieblichkeit, seines Wuchses Ebenmäßigkeit, seinem Rittertum, seinem Verstand und seiner Vornehmheit. Der König Badr Bâsim aber lag da, auf seinen Ellenbogen gestützt, und als er hörte, wie seine Mutter und sein Oheim von ihm sprachen, stellte er sich schlafend und lauschte ihrem Gespräche. Und Sâlih sprach zu seiner Schwester Dschullanâr: ,Siehe, dein Sohn ist jetzt siebenzehn Jahre alt und ist noch nicht vermählt. Da müssen wir fürchten, daß ihm etwas zustoßen könnte, ehe ihm ein Sohn geboren würde; und deshalb möchte ich ihn mit einer von den Prinzessinen des Meeres vermählen, die



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ihm an Schönheit und Anmut gleicht.' Dschullanâr sagte darauf: ,Nenne mir sie; denn ich kenne sie alle.' Nun begann er, sie ihr aufzuzählen, eine nach der andern; doch bei jeder sprach sie: ,Die möchte ich nicht für meinen Sohn haben; ich will ihn nur mit einer vermählen, die ihm gleich ist an Schönheit und Anmut, an Verstand und Frömmigkeit, an Vornehmheit und Hochherzigkeit, an Macht, an Abkunft und Adel.' Schließlich sagte Sâlih: ,Ich kenne keine mehr unter den Töchtern der Meereskönige; nun habe ich dir schon über hundert Jungfrauen aufgezählt, aber keine einzige von ihnen gefällt dir! Doch schau, meine Schwester, ob dein Sohn schläft oder nicht.' Da tastete sie nach ihrem Sohne hin, und als sie die Zeichen des Schlummers an ihm fand, sprach sie zu ihrem Bruder: ,Er schläft; was hast du noch zu sagen, und warum willst du wissen, ob er schläft?' ,Liebe Schwester,' gab er ihr zur Antwort, ,mir ist noch eine von den Töchtern des Meeres in den Sinn gekommen, die für deinen Sohn paßt, aber ich fürchtete mich, sie zu nennen; denn wenn er wach wäre, so könnte sein Herz von der Liebe zu ihr ergriffen werden, und wir könnten vielleicht nicht imstande sein, zu ihr zu gelangen; dann würden er und wir und die Großen seines Reiches vergebliche Mühe haben, und das könnte uns viel Beschwerden machen. Sagt doch auch der Dichter:

Die Liebe ist am Anfang nur ein Tröpfchen Wasser;
Doch hat sie erst Gewalt, wird sie ein weites Meer.'

Als sie diese Worte von ihm vernahm, sprach sie: ,Sage mir, was ist es mit dieser Maid? Und wie heißt sie? Ich kenne doch alle Töchter des Meeres, Prinzessinnen und andere. Und wenn ich sie für seiner würdig halte, so will ich für ihn bei ihrem Vater um sie werben, und müßte ich auch alles, was meine Hand besitzt, für sie hingeben. Also sage mir, wer sie ist; fürchte



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nichts, denn mein Sohn schläft.' Dennoch entgegnete er ihr: ,Ich fürchte, er ist wach. Und der Dichter sagt:

Ich liebte ihn, als ich ihn preisen hörte;
Denn oftmals liebt das Ohr noch vor dem Auge.'

Aber Dschullanâr fuhr fort: ,Sprich und fasse dich kurz und fürchte nichts, mein Bruder!' Da begann er: ,Bei Allah, liebe Schwester, keine ist deines Sohnes würdiger als die Prinzessin Dschauhara, die Tochter des Königs es-Samandal'; denn sie ist ihm gleich an Schönheit und Lieblichkeit, Glanz und Vollkommenheit. Weder im Meere noch auf dem Lande findet sich eine, die von feinerem und zarterem Wesen wäre als sie. In ihr paaren sich Schönheit und Lieblichkeit mit des Wuchses Ebenmäßigkeit. Ihre Wangen sind von rotem Schein, ihre Stirn ist blütenrein, ihre Zähne glitzern wie Edelgestein; und ihre Augen, die dunkeln, glänzen und funkeln; ihre schweren Hüften schwanken unter dem Leibe dem schlanken, und Anmut umflicht ihr Angesicht. Wenn sie sich umschaut, werden Antilopen und Gazellen beschämt; und ihr Schritt ist so leicht, daß der Weidenzweig vor Neid sich grämt. Durch ihrer Schönheit Strahl beschämt sie Sonne und Mond zumal; wer sie nur erblickt, wird von ihr berückt; ihre Lippen sind an Süße reich, und ihre Formen sind zart und weich.' Wie Dschullanâr die Worte ihres Bruders vernommen hatte, erwiderte sie ihm: ,Du hast recht, mein Bruder, bei Allah, ich habe sie viele Male gesehen, und sie war meine Gefährtin, als wir noch Kinder waren. Jetzt freilich wissen wir nichts mehr voneinander, da wir uns fern gerückt sind; und seit nunmehr achtzehn Jahren habe ich sie nicht gesehen. Bei Allah, nur sie allein ist meines Sohnes würdig!' Badr Bâsim aber, der ihre Rede hörte und von Anfang bis zu Ende alles verstand, was sie zum



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Lobe der Maid sagten, die Sâlih genannt hatte, nämlich Dschauhara, Tochter des Königs es-Samandal, gewann sie durch Hörensagen lieb, während er sich vor ihnen schlafend stellte; und in seinem Herzen loderte um ihretwillen ein Feuer empor, und er versank in ein Meer, in dem er Ufer und Boden verlor. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 745. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Badr Bâsim die Worte seines Oheims Sâlih und seiner Mutter Dschullanâr zum Lobe der Tochter des Königs es-Samandal hörte, und in seinem Herzen loderte um ihretwillen ein Feuer empor, und er versank in ein Meer, in dem er Ufer und Boden verlor. Sâlih aber blickte seine Schwester Dschullanâr an und sprach zu ihr: ,Bei Allah, liebe Schwester, es gibt unter den Königen des Meeres keinen größeren Tor als ihren Vater, noch einen, der gewalttätiger wäre als er. Deshalb erzähle deinem Sohne nichts von dieser Jungfrau, als bis wir ihre Hand von ihrem Vater erhalten haben. Wenn er uns seine Einwilligung gibt, so wollen wir Allah den Erhabenen preisen; wenn er uns aber abweist und sie nicht mit deinem Sohne vermählen will, so wollen wir uns damit zufrieden geben und nach einer anderen Gemahlin suchen.' Auf diese Worte ihres Bruders Sâlih antwortete Dschullanâr: ,Der Plan, zu dem du rätst, ist gut.' Dann hörten sie auf zu reden und ruhten die Nacht über, während im Herzen des Königs Badr Bâsim ein Feuer brannte um seiner Liebe zur Prinzessin Dschauhara willen. Doch er verbarg seine Not und sprach weder zu seiner Mutter noch zu seinem Oheim über die Maid, wiewohl er in seiner Leidenschaft für sie wie auf feurigen Kohlen lag. Als es dann Morgen ward, begab sich der König mit seinem Oheim ins Badehaus; und nachdem die



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beiden sich gewaschen hatten, kehrten sie zurück und tranken Scherbett. Darauf brachte man ihnen die Speisen, und der König Badr Bâsim und seine Mutter und sein Oheim aßen, bis sie gesättigt waren. Nun wuschen sie sich die Hände, und als sie damit fertig waren, stand Sâlih auf und sprach zu König Badr Bâsim und zu dessen Mutter Dschullanâr: ,Mit eurer Erlaubnis möchte ich mich jetzt zu meiner Mutter begeben; denn ich bin schon seit einer Reihe von Tagen bei euch; und die Meinen sind in ihrem Herzen um mich besorgt, da sie so lange auf mich warten müssen.' Doch König Badr Bâsim bat seinen Oheim Sâlih: ,Bleib noch diesen Tag bei uns!' Und jener fügte sich seinen Worten. Da sagte der König: ,Komm, lieber Oheim, laß uns in den Garten gehen!' Sie begaben sich also in den Garten und schritten lustwandelnd einher. Schließlich setzte Badr Bâsim sich unter einem schattigen Baume nieder, denn er wünschte dort sich auszuruhen und zu schlafen. Aber er gedachte dessen, was sein Oheim Sâlih zum Preise der Jungfrau gesagt hatte, und ihrer Schönheit und Anmut; und er vergoß strömende Tränen und sprach diese beiden Verse:

Spräch man zu mir, wenn eine heiße Flamme glüht
Und wenn die Feuersglut durch Herz und Brust mir zieht:
Begehrest du denn mehr, mit ihr vereint zu sein,
Als kühlen Wassers Trunk? ich riefe: Sie allein!

Dann hub er an zu klagen und unter Seufzern und Tränen diese Verse vorzutragen:

Wer schützt mich vor der Lieb zu einem trauten Reh.
Auf dessen Antlitz ich die hellste Sonne seh?
Die Lieb zu ihr war meinem Herzen unbekannt -
Für es-Samandals Tochter ist es nun entbrannt.

Kaum hatte Sâlih die Worte seines Neffen vernommen, so schlug er die Hände aufeinander und rief: ,Es gibt keinen Gott



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außer Allah, Mohammed ist der Gesandte Allahs! Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Und er fuhr fort: ,Mein Sohn, hast du denn gehört, wie wir beiden, ich und deine Mutter, von der Prinzessin Dschauhara redeten und ihre Schönheit priesen?' ,Jawohl, mein Oheim,' erwiderte Badr Bâsim, ,und ich habe sie durch Hörensagen liebgewonnen, als ich vernahm, was ihr von ihr sprachet. Jetzt hängt mein Herz ihr an, und ich kann ohne sie nicht mehr leben.' Darauf sagte Sâlih: ,O König, laß uns zu deiner Mutter zurückkehren und ihr alles kundtun; dann will ich sie um Erlaubnis bitten, daß ich dich mit mir nehme und für dich um die Prinzessin Dschauhara werbe. Sodann wollen wir von ihr Abschied nehmen, und später bringe ich dich ihr wieder. Denn ich scheue mich, dich ohne ihre Erlaubnis mitzunehmen und fortzugehen; sie würde mir sonst zürnen, und dabei wäre das Recht auf ihrer Seite, weil ich die Ursache eurer Trennung wäre, wie ich einst die Ursache ihrer Trennung von uns war. Auch würde die Stadt ohne König bleiben, und die Einwohner würden niemanden haben, der über sie herrscht und für ihre Angelegenheiten sorgt; so würde das Reich wider dich in Wirrwarr geraten, und die Herrschaft würde deiner Hand entgleiten.' Doch Badr Bâsim erwiderte auf diese Worte seines Oheims Sâlih: ,Wisse, lieber Oheim. wenn ich zu meiner Mutter zurückkehre und sie hierüber um Rat frage, so wird sie es mir nicht gestatten. Darum will ich auf keinen Fall zu ihr zurückkehren, noch sie befragen.' Und unter Tränen fuhr er fort: ,Ich will mit dir gehen und ihr nichts sagen; später will ich dann heimkehren.' Wie nun Sâ— lili die Worte des Sohnes seiner Schwester hörte, wußte er nicht, was er tun sollte, und er rief: ,Ich flehe zu Allah dem Erhabenen um Hilfe in jedem Falle.' Und da er sah, daß es also



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um seinen Neffen stand, und wußte, daß jener nicht zu seiner Mutter zurückkehren, sondern alsbald mit ihm gehen wollte, zog er von seinem Finger einen Siegelring, auf dem einige der Namen Allahs des Erhabenen eingegraben waren, und reichte ihn dem König, indem er zu ihm sprach: ,Tu den an deinen Finger, so wirst du sicher sein vor dem Ertrinken und vor anderen Gefahren, auch vor dem Unheil der Meerestiere und der großen Fische.' Da nahm König Badr Bâsim den Ring von seinem Oheim entgegen und steckte ihn auf seinen Finger. Und nun tauchten die beiden hinab in die Tiefe. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 746. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König Badr Bâsim und sein Oheim Sâlih, als sie in die Tiefe hinabgetaucht waren, dort ihres Weges immer weiter zogen, bis sie den Palast Sâlihs erreichten. Wie sie dort eintraten, ward der König alsbald von seiner Ahne, der Mutter seiner Mutter, erkannt; die saß dort im Kreise der Ihren. Beide gingen auf sie zu und küßten ihnen die Hände. Die alte Königin aber, die auf ihren Enkel schaute, erhob sich und ging ihm entgegen, umarmte ihn und küßte ihn auf die Stirn und sprach zu ihm: ,Gesegnet sei deine Ankunft, mein Sohn! Wie hast du deine Mutter Dschullanâr verlassene' Der König gab ihr zur Antwort: ,Sie ist wohlauf und gesund, und sie läßt dich und ihre Basen grüßen.' Darauf berichtete Sâlih seiner Mutter, was er mit seiner Schwester besprochen hatte und wie der König Badr Bâsim die Prinzessin Dschauhara, die Tochter des Königs es-Samandal, durch Hörensagen liebgewonnen hatte; so erzählte er ihr alles, was geschehen war, von Anfang bis zu Ende. Und er schloß mit den Worten: ,Sieh, er ist nur deshalb gekommen.



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um sie von ihrem Vater zu erbitten und sich mit ihr zu vermählen.' Als die Ahne des Königs Badr Bâsim diese Worte von Sâlih vernommen hatte, ergrimmte sie wider ihn gewaltig, doch es kamen auch Unruhe und Sorge über sie. Und sie sprach zu ihm: ,Mein Sohn, du hast darin gefehlt, daß du die Prinzessin Dschauhara, die Tochter des Königs es-Samandal, vor dem Sohne deiner Schwester nanntest; denn du weißt doch, daß jener König ein gewalttätiger Narr ist, gering von Verstand und jähzornigen Sinnes, der seine Tochter Dschauhara allen ihren Freiem mißgönnt. Alle Könige der Tiefe haben schon bei ihm um sie geworben, doch er war mit keinem von ihnen zufrieden; ja, er wies sie alle zurück, indem er sprach: ,Ihr seid ihr nicht gleich an Schönheit und Anmut noch auch sonst irgendwie!' Darum scheuen wir uns, um sie bei ihrem Vater zu werben; denn wir fürchten, er wird uns ebenso abweisen, wie er andere abgewiesen hat; und wir, ein hochgesinnt Geschlecht, müßten dann gebrochenen Herzens umkehren.' Wie Sâlih diese Worte von seiner Mutter vernahm, sprach er zu ihr: ,Liebe Mutter, was ist denn zu tun? König Badr Bâsim ward von Liebe zu jener Jungfrau erfüllt, damals als ich über sie mit meiner Schwester Dschullanâr sprach; und er sagte, wir müßten um sie bei ihrem Vater freien, wenn er auch sein ganzes Königreich hingeben solle, ach, er behauptete gar, wenn er sich nicht mit ihr vermähle, so würde er um ihretwillen vor Liebe und Sehnsucht sterben.' Und weiter sprach Sâlih zu seiner Mutter: ,Wisse, der Sohn meiner Schwester ist noch schöner und anmutiger als jene Jungfrau; sein Vater war der König aller Perser, und jetzt herrscht er über sie; darum gebührt Dschauhara allein nur ihm. So hab ich mich denn entschlossen, allerlei Edelsteine, Hyazinthe und andere, mit mir zu nehmen und dem König ein Geschenk zu



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bringen, wie es sich für ihn geziemt, und um seine Tochter bei ihm zu werben. Wenn er uns vorhält, er sei ein König, nun, so ist Badr Bâsim auch ein König, Sohn eines Königs; und wenn er uns wegen ihrer Schönheit Einwände macht, nun, so ist unser König noch schöner als sie. Und wenn er uns darauf die Ausdehnung des Reiches entgegenhält, so ist das Reich unseres Königs noch größer als das ihre und das ihres Vaters, und er hat noch mehr Truppen und Wachen, da ja seine Herrschaft mächtiger ist als die ihres Vaters. Es ist nicht anders möglich, ich muß alles tun, um den Wunsch meines Schwestersohns zu erfüllen, wenn es mich auch mein Leben kostet; denn ich war ja die Ursache von all dem, was geschehen ist, und wie ich ihn in das Meer der Liebe zu ihr hineingestürzt habe, so will ich mich auch mühen, um ihn mit ihr zu vermählen, und Allah der Erhabene möge mir dazu verhelfen!' Darauf erwiderte ihm seine Mutter: ,Tu, was du willst, doch hüte dich, ihrem Vater rauhe Worte zu geben, wenn du mit ihm redest! Denn du kennst seine Torheit und seinen Jähzorn, und ich fürchte, er wird übel mit dir verfahren, da er ja vor niemandem Achtung hat.' ,Ich höre und gehorche!' antwortete Sâlih; dann machte er sich auf und holte zwei Säcke voller Edelsteine, Hyazinthe und Smaragdstangen, edle Erze und allerlei andere Kleinodien. Nachdem er das alles seinen Dienern aufgeladen hatte, begab er sich mit ihnen und mit dem Sohne seiner Schwester zum Schlosse des Königs es-Samandal. Dort bat er um Einlaß, und der ward ihm gewährt. Als er dann eingetreten war, küßte er den Boden vor dem König und begrüßte ihn aufs schönste. Wie es-Samandal ihn sah, erhob er sich vor ihm und erwies ihm die höchsten Ehren und hieß ihn sich setzen. Jener tat es, und als sie eine Weile gesessen hatten, sprach der König zu ihm: ,Gesegnet sei deine Ankunft! Du hast uns lange deines



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Anblicks beraubt, o Sâlih. Was ist dein Begehr, daß du zu uns gekommen bist? Nenne es mir, auf daß ich es dir erfülle!' Da küßte Sâlih den Boden ein zweites Mal und hub an: ,O größter König unserer Zeit, meine Bitte ergeht an Allah und an den König voll Herrscherpracht, den Löwen von gewaltiger Macht, von dessen herrlichen Eigenschaften die Kunde alle Reisenden begleitet und dessen Ruhm sich in allen Gauen und Ländern verbreitet ob seiner Güte und Wohltätigkeit, seiner Gnade und Huld und Freigebigkeit.' Dann öffnete er die beiden Säcke, holte aus ihnen die Edelsteine und andere Kleinodien hervor und breitete sie vor König es-Samandal aus, indem er zu ihm sprach: ,O größter König unserer Zeit, vielleicht nimmst du meine Gabe an und gewährst mir die Gnade, mein Herz zu heilen, indem du sie von mir hinnimmst.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 747. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß damals, als Sâlih dem König es-Samandal die Gabe darbrachte und zu ihm sprach: ,Mein Ziel ist, daß der König mir die Gnade gewähre, mein Herz zu heilen, indem er sie hinnimmt', jener ihm antwortete: ,Warum bringst du mir dies Geschenk? Erzähle mir deine Geschichte und tu mir deinen Wunsch kund! Wenn es in meiner Macht steht, ihn zu erfüllen, so will ich es sofort tun und dir alle Mühe ersparen. Wenn ich aber nicht dazu imstande bin, nun, so lädt Allah keiner Seele mehr auf, als sie tragen kann.' Nun küßte Sâlih den Boden dreimal und sprach: ,O größter König unserer Zeit, meinen Wunsch zu erfüllen, steht wahrlich in deiner Macht; das ist in deiner Gewalt, dessen bist du Herr. Ich will doch dem König keine Schwierigkeiten verursachen, und ich bin auch nicht so von Sinnen, daß



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ich mich in einer Sache an den König wende, die nicht in seiner Macht steht. Einer der Weisen sagt: Willst du, daß dein Wunsch in Erfüllung geht, so erbitte, was im Bereiche des Möglichen steht. Fürwahr, mein Anliegen, das mich veranlaßt hat zu kommen, das steht in der Macht des Königs, den Allah behüten möge!' Da befahl der König: ,Bitte um das, was du begehrst; sag, was es mit dir ist; nenne deinen Wunsch!' ,O größter König unserer Zeit,' antwortete Sâlih, ,wisse denn, ich komme als Werber zu dir, und mein Sinn steht nach der Perle. die ihresgleichen nicht hat, dem wohlbehüteten Juwel, der Prinzessin Dschauhara, der Tochter unseres Gebieters. Drum enttäusche den nicht, der dir bittend naht, o König!' Als der König seine Worte vernommen hatte, lachte er, bis er auf den Rücken fiel, um Sâlih zu verhöhnen. Dann sprach er: ,O Sâlih, ich habe geglaubt, du wärest ein Mann von Verstand, ein Jüngling als trefflich bekannt, der nur für das Rechte ficht und nur verständige Worte spricht. Was ist denn deinem Verstande widerfahren, was hat dich veranlaßt, so Gewaltiges zu beginnen und so Ungeheuerliches zu ersinnen, daß du begehrst, die Töchter der Könige, der Herren über Länder und Gaue, zu Frauen zu gewinnen? Ist es deinem Stande angemessen, daß du zu dieser hohen Stufe gelangen solltest, oder fehlt es dir an Verstand so sehr, daß du mir mit solchen Worten unter die Augen zu kommen wagst?' ,Allah fördere den König,' erwiderte Sâlih, ,ich werbe nicht um sie für mich selbst. Zwar wäre ich, wenn ich sie für mich erbäte, ihr ebenbürtig und noch mehr; denn du weißt, mein Vater war einer von den Königen des Meeres, wenn du auch jetzt unser König bist. Doch ich werbe um sie für den König Badr Bâsim, den Herrscher der Perserlande und den Sohn des Königs Schahrimân, und du kennst seine Macht. Wenn du nun sagst, du seiest ein



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großer König, so ist König Badr Bâsim noch größer. Und wenn du behauptest, deine Tochter sei anmutig, so ist König Badr Bâsim noch anmutiger als sie, ja, er ist noch schöner von Gestalt und noch höher von Adel und Abkunft; denn er ist der herrlichste Ritter unter dem Volke seiner Zeit. Wenn du also. o größter König unserer Zeit, meine Bitte gewährst, so hast du die Sache geordnet, wie es sich geziemt. Doch wenn du dich über uns überhebst, so handelst du nicht gerecht gegen uns und wandelst in deinem Tun an uns nicht auf dem rechten Wege. Du weißt auch, o König, daß diese Prinzessin Dschauhara, die Tochter unseres Herrn und Königs, sich vermählen muß; denn der Weise sagt: Dem Mädchen ist entweder die Ehe oder das Grab bestimmt. Gedenkst du nun, sie zu vermählen, so ist meiner Schwester Sohn ihrer würdiger als alle anderen Menschen.' Kaum hatte der König diese Worte von Sâlih vernommen, so ergrimmte er gewaltig; fast entfloh ihm der Verstand, und fast verließ seine Seele seinen Körper. Und er rief: ,Du Hund, soll deinesgleichen es wagen, so mit mir zu reden und meine Tochter in voller Versammlung zu nennen und zu sagen, der Sohn deiner Schwester Dschullanâr sei ihr ebenbürtig? Wer bist du denn, wer ist deine Schwester, wer ist ihr Sohn, und wer war sein Vater, daß du so zu mir zu sprechen und solche Worte vor mir zu gebrauchen wagst? Seid ihr denn im Vergleich zu ihr etwas anderes als Hunde?' Dann rief er seine Diener herbei und befahl ihnen: ,Ihr Burschen. nehmt dem Galgenstrick da den Kopf!' Da griffen sie nach den Schwertern, zogen sie aus der Scheide und drangen auf Sâlih ein; der aber wandte sich von hinnen und suchte das Tor des Palastes zu gewinnen. Und wie er dort ankam, fand er seine Vettern und Verwandten, ja seine ganze Sippe und auch seine Sklaven. Das waren mehr als tausend Ritter, starrend



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von Stahl und engmaschigen Panzern zumal, die ließen mit ihren Händen die Lanzen und blitzenden Schwerter tanzen. Als sie Sâlih in dieser Verfassung erblickten, riefen sie ihm zu: ,Was gibt es?' und er berichtete ihnen, was geschehen war. Und als jene, die ihm von seiner Mutter zu Hilfe geschickt waren, seine Worte vernahmen, erkannten sie, daß der König ein Narr und ein Hitzkopf war; und sie stiegen von ihren Rossen, zückten ihre Schwerter und eilten zu König es-Samandal hinein. Den fanden sie noch auf seinem Throne sitzen, wie er in seinem heftigen Zorne gegen Sâlih gar nicht auf ihre Ankunft geachtet hatte, und auch seine Diener und Sklaven und Wachen fanden sie unvorbereitet. Wie aber nun der König sie mit gezückten Schwertern vor sich sah, schrie er seine Leute an mit den Worten: ,He, ihr da, holt den Hunden dort die Köpfe herunter!' Aber nach einer kurzen Weile war das Volk des Königs es-Samandal geschlagen und in die Flucht getrieben. Nun ergriffen Sâlih und die Seinen den König und fesselten ihn. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 748 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Sâlih und die Seinen den König es-Samandal fesselten. Und die Prinzessin Dschauhara erhielt, als sie aufwachte, die Kunde, daß ihr Vater gefangen war und seine Wachen den Tod gefunden hatten. Da verließ sie das Schloß und flüchtete sich nach einer Insel; dort eilte sie auf einen hohen Baum zu und verbarg sich in seinem Gipfel. Als die beiden Scharen miteinander gekämpft hatten, waren einige der Diener des Königs es-Samandal geflohen und davongelaufen; ihrer war Badr Bâsim gewahr geworden, und er hatte sie gefragt, was es mit ihnen wäre, und



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sie hatten ihm berichtet, was vorgefallen war. Wie er also vernahm, daß an König es-Samandal Hand gelegt war, wandte er sich zur Flucht, da er für sein Leben fürchtete; denn er sagte sich in seinem Herzen: ,Dieser ganze Aufruhr ist um meinetwillen entstanden, und man wird nur mich dafür verantwortlich machen wollen.' So floh er in Eil und suchte sein Heil; doch wußte er nicht, wohin er sich wenden sollte. Aber das von Ewigkeit her bestimmte Schicksal führte ihn zu ebenjener Insel, auf der sich Dschauhara befand, die Tochter des Königs es-Samandal. Und er kam zu jenem Baum und warf sich wie tot nieder und wollte ruhen, wie er dort lag. Allein er dachte nicht daran, daß kein Verfolgter Ruhe findet und daß niemand weiß, was im Schoße des Schicksals für ilm verborgen ist. Als er nun dalag, hob er seinen Blick zu dem Baum empor, und da traf sein Auge das Auge Dschauharas. Er sah sie an und erkannte, daß sie schön war wie der aufgehende Mond. Da sprach er: ,Preis sei dem Schöpfer dieser herrlichen Gestalt, Ihm, dem Schöpfer aller Dinge, Ihm, der über alle Dinge mächtig ist! Preis sei dem allmächtigen Gott, dem Schöpfer, dem Erschaffer und Bildner! Bei Allah wenn meine Ahnung richtig ist, so ist dies Dschauhara, die Tochter des Königs es-Samandal! Mich deucht, als sie vernahm, daß der Kampf zwischen den beiden Scharen entbrannt war, da ist sie geflohen und zu dieser Insel gekommen und hat sich im Gipfel dieses Baumes versteckt. Wenn sie aber nicht die Prinzessin Dschauhara ist, so ist diese Maid noch schöner als jene.' Darauf sann er über sie nach und sagte sich: ,Ich will mich erheben und sie festhalten und fragen, wer sie ist; und wenn sie wirklich die Prinzessin ist, so will ich bei ihr selber um sie werben; denn das ist ja mein Wunsch.' Da richtete er sich auf und sprach zu Dschauhara: ,O du Ziel aller Wünsche, wer bist du? Und wer hat dich hierher geführte'



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Nun blickte Dschauhara den jungen König an und erkannte, daß er dem Vollmond glich, der unter dem dunklen Gewölk hervorstrahlt, und sie sah seine schlanke Gestalt und seines Lächelns liebliche Gewalt. Dann sprach sie: ,O du Holdseliger, ich bin die Prinzessin Dschauhara, die Tochter des Königs es-Samandal, und ich habe mich an diese Stätte geflüchtet, weil Sâlih und seine Krieger wider meinen Vater stritten, seine Mannen töteten und ihn samt einigen seiner Leute gefangen nahmen. Deshalb floh ich, da ich um mein Leben besorgt war.' Und weiter sprach die Prinzessin Dschauhara zu König Badr Bâsim: ,Ja, ich bin nur deshalb an diese Stätte gekommen, weil ich auf der Flucht war und mich vor dem Tode fürchtete. Was aber das Schicksal mit meinem Vater getan hat, das weiß ich nicht.' Als König Badr Bâsim diese Worte von ihr vernommen hatte, wunderte er sich gar sehr über dies seltsame Zusammentreffen und sagte sich: ,Es ist kein Zweifel, ich habe mein Ziel erreicht dadurch, daß ihr Vater gefangen genommen ist.' Dann schaute er auf die Maid und sprach zu ihr: ,Komm herab, meine Gebieterin: denn die Liebe zu dir hat mich dem Tode nahe gebracht, und deine Augen haben mich zum Gefangenen gemacht. Um meinetwillen und um deinetwillen ist es zu diesem Aufruhr und zu diesen Kämpfen gekommen. Wisse denn, ich bin der König Badr Bâsim, der Herrscher der Perser, und Sâlih ist mein Oheim; er ist es, der zu deinem Vater ging und um dich bei ihm warb. Ich habe mein Reich um deinetwillen verlassen, und unser Zusammentreffen an dieser Stätte ist ein gar seltsamer Zufall. Nun wohlan, komm herab zu mir, auf daß ich mit dir zum Schlosse deines Vaters gehe und dort meinen Oheim Sâlih bitte, ihn freizulassen, und mich rechtmäßig mit dir vermähle!' Kaum hatte Dschauhara diese Worte von Badr Bâsim gehört, so sprach sie



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bei sich: ,üm dieses elenden Galgenstrickes willen ist dies alles geschehen, ist mein Vater gefangen genommen, sind seine Kammerherren und Diener getötet, habe ich mein Schloß verlassen müssen und bin als Verbannte zu dieser Insel hinausgezogen! Wenn ich nun aber keine List ersinne, um mich vor ihm zu schützen, so wird er mich in seine Gewalt bekommen und seinen Willen erreichen; denn er ist ein Liebender, und ein Liebender wird nie getadelt wegen dessen, was er tut.' Dann betörte sie ihn mit Worten, indem sie ihn sanft anredete, während er nicht ahnte, welche Ränke sie wider ihn schmiedete; denn sie sprach zu ihm: ,Hoher Herr, Licht meiner Augen, sag an, bist du wirklich der König Badr Bâsim, der Sohn der Königin Dschullanâr?' ,Jawohl, meine Gebieterin', gab er ihr zur Antwort. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 749. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dschauhara, die Tochter des Königs es-Samandal, zu dem Jüngling sprach: ,Bist du, hoher Herr, wirklich der König Badr Bâsim, der Sohn der Königin Dschullanâr?' ,Jawohl, meine Gebieterin', gab er ihr zur Antwort. Dann fuhr sie fort: ,Möge Allah meinen Vater vernichten und ihm sein Reich nehmen und ihm sein Herz nicht trösten, noch auch das Elend von ihm wenden. wenn er einen Schöneren verlangt als dich oder noch bessere als diese deine herrlichen Eigenschaften! Bei Allah, er hat doch wenig Verstand und Urteil.' Doch sie fügte noch hinzu: ,O größter König unserer Zeit, zürne meinem Vater nicht wegen dessen, was er getan hat; denn wenn du mich eine Spanne liebst, so liebe ich dich eine Elle. Ach, ich bin in das Netz der Liebe zu dir verstrickt, und ich bin eine derer, die du in den



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Tod geschickt! Die Liebe, die bei dir war, hat sich in mich ergossen, und bei dir bleibt nur noch ein Zehntel von der Liebeskraft, die in mir wohnt.' Darauf kam sie von dem Baume herab, trat auf ihn zu, ganz nahe, und umarmte ihn, zog ihn an ihre Brust und küßte ihn. Wie sie so mit Badr Bâsim tat, ward seine Liebe zu ihr noch heißer und sein Verlangen nach ihr noch stärker; er glaubte auch, daß sie ihn wirklich liebe, und vertraute ihr, und er liebkoste und küßte sie. Dann sprach er zu ihr: ,O Prinzessin, bei Allah, mein Oheim Sâlih hat mir nicht den vierzigsten Teil deiner Anmut geschildert, ja, nicht einmal ein viertel Karat von den vierundzwanzig!' Wie nun aber Dschauhara ihn an ihre Brust drückte, murmelte sie einige unverständliche Worte, spie ihm ins Gesicht und sprach: ,Verlaß diese deine menschliche Gestalt und nimm die Gestalt des schönsten Vogels an, mit weißem Gefieder und mit rotem Schnabel und roten Beinen!' Kaum hatte sie ihre Worte gesprochen, da verwandelte sich König Badr Bâsim auch schon in einen Vogel, den schönsten aller Vögel, und er schüttelte sich, blieb stehen und schaute sie an. Nun hatte Dschauhara unter ihren Sklavinnen eine des Namens Marsîna'; nach der schaute sie hin und sprach zu ihr: ,Bei Allah, wenn ich mich nicht ängstete, weil mein Vater als Gefangener in der Gewalt seines Oheims ist, so würde ich ihn töten! Allah lohne ihm nicht mit Gutem! Welches Unglück hat uns sein Kommen gebracht! Denn all diese Not ist nur um seinetwillen entstanden. Aber du, o Sklavin, nimm ihn und bringe ihn nach der Durstinsel und laß ihn dort, auf daß er vor Durst umkomme!' Da nahm die Sklavin ihn und brachte ihn auf jene Insel; schon wollte sie ihn dort verlassen, doch da sagte sie sich: ,Bei Allah, wer so schön und lieblich ist, verdient nicht, vor Durst zu



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sterben.' So nahm sie ihn denn von der Durstinsel fort und brachte ihn zu einer Insel, auf der viele Fruchtbäume sprossen und Bächlein flossen, setzte ilm dort nieder und kehrte zu ihrer Herrin zurück; zu der sprach sie: ,Ich habe ihn auf die Durstinsel gebracht.' So stand es nun um Badr Bâsim.

Sehen wir weiter, was Sâlih, der Oheim des Königs Badr Bâsim, inzwischen tat! Wie er den König es-Samandal in seine Gewalt gebracht und seine Wachen und Diener getötet hatte und jenen nun als Gefangenen bei sich behielt, suchte er nach der Prinzessin Dschauhara, konnte sie aber nicht finden. Da kehrte er in sein Schloß zurück zu seiner Mutter und fragte sie: ,Liebe Mutter, wo ist meiner Schwester Sohn, König Badr Bâsim?' ,Mein Sohn,' erwiderte sie, ,bei Allah, ich habe keine Kunde von ihm; ich weiß nicht, wohin er gegangen ist. Als ihm berichtet ward, du seiest mit dem König es-Samandal in Streit geraten und es werde zwischen euch gekämpft und gefochten, da erschrak er und eilte fort.' Durch diese Worte seiner Mutter ward er betrübt um den Sohn seiner Schwester und sprach: ,Liebe Mutter, bei Allah, wir sind fahrlässig gewesen gegen König Badr Bâsim. Ich fürchte, er wird umkommen, oder einer der Krieger des Königs es-Samandal oder die Prinzessin Dschauhara wird über ihn herfallen; dann würden wir vor seiner Mutter beschämt dastehen und nichts Gutes von ihr zu gewärtigen haben, da ich ihn ja ohne ihre Erlaubnis mitgenommen habe.' Und sogleich entsandte er die Wachen und die Späher nach allen Richtungen durch das Meer und anderswohin auf die Suche nach ihm; aber als sie keine Kunde von ihm vernahmen, kehrten sie zurück und meldeten es dem König Sâlih. Da wuchsen seine Sorge und Kummer, und die Brust ward ihm beklommen um des Königs Badr Bâsim willen.



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Wenden wir uns nun von Badr Bâsim und seinem Oheim Sâlih zu seiner Mutter Dschullanâr, der Meermaid! Als ihr Sohn mit seinem Oheim in die Tiefe gestiegen war, da wartete sie auf ihn; aber er kehrte nicht heim zu ihr, und keine Kunde von ihm kam ihr zu Ohren. So saß sie denn viele Tage da und harrte seiner. Dann aber machte sie sich auf, stieg ins Meer hinab und begab sich zu ihrer Mutter. Und als die sie erblickte, eilte sie ihr entgegen, küßte sie und umarmte sie; und ihre Basen taten desgleichen. Dann befragte sie ihre Mutter nach dem König Badr Bâsim, und die berichtete ihr: ,Liebe Tochter, er kam mit seinem Oheim hierher; dann holte sein Oheim Hyazinthe und Juwelen, brachte sie zusammen mit ihm dem König es-Samandal und warb um dessen Tochter; der aber versagte sie ihm und gebrauchte heftige Worte gegen deinen Bruder. Nun hatte ich deinem Bruder an die tausend Reiter zu Hilfe geschickt, und da kam es zwischen ihnen und König es-Samandal zum Kampfe. Doch Allah half deinem Bruder wider ihn, und so konnte er die Wachen und Krieger des Königs töten und ihn selbst gefangen nehmen. Diese Kunde ward deinem Sohne berichtet; und es scheint, er fürchtete für sein Leben, und verließ uns ohne unseren Willen, seither ist er nicht zu uns zurückgekehrt, und wir haben auch keine Kunde von ihm vernommen.' Darauf fragte Dschullanâr nach ihrem Bruder Sâlih; und ihre Mutter berichtete ihr: ,Er sitzt auf dem Throne der Herrschaft an Stelle des Königs es-Samandal, und er hat nach allen Richtungen ausgesandt, um deinen Sohn und die Prinzessin Dschauhara zu suchen.' Als Dschullanâr diese Worte von ihrer Mutter vernommen hatte, ward sie tief betrübt um ihren Sohn; aber gegen ihren Bruder Sâlih ergrimmte sie gewaltig, da er ja ihren Sohn ohne ihre Erlaubnis mitgenommen und ins Meer hinabgeführt hatte. Dann sprach sie:



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,Liebe Mutter, ich bin in Sorge um unser Reich, da ich zu euch gekommen bin, ohne jemandem von dem Volke des Landes etwas zu sagen; und ich fürchte, wenn ich zulange fortbleibe, so wird das Land in Aufruhr wider uns geraten, und die Herrschaft wird aus unseren Händen gleiten. Darum halte ich es für das Richtige, daß ich heimkehre und das Reich regiere, bis Allah die Sache meines Sohnes für uns zum besten lenkt. Nun vergeßt meinen Sohn nicht und verabsäumt nichts, was ihn angeht; denn wenn ihm ein Leids geschieht, so bin ich des Todes, das ist gewiß! Ich sehe ja die Welt nur in ihm, und ich habe keine Freude außer an seinem Leben.' ,Herzlich gern, liebe Tochter,' erwiderte ihr jene, ,frage nicht nach dem, was wir durch die Trennung von ihm und um seines Fernseins willen leiden!' Darauf schickte die Mutter von neuem Leute aus, um nach dem König zu suchen, während Dschullanâr betrübten Herzens und mit Tränen im Auge in ihr Land zurückkehrte; denn die Welt war ihr zu eng geworden. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 750 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Königin Dschullanâr, als sie von ihrer Mutter in ihr Land zurückkehrte, die Brust eng und die Sorge schwer ward. So stand es um sie. Sehen wir aber, wie es dem König Badr Bâsim weiter erging! Als die Prinzessin Dschauhara ihn verzaubert und ihn mit ihrer Sklavin zur Durstinsel geschickt hatte mit dem Befehl, sie solle ihn dort lassen, auf daß er vor Durst stürbe, da hatte ihn ja die Sklavin nicht dorthin, sondern zu einer grünen Insel gebracht, auf der Fruchtbäume sprossen und Bäche flossen. Und er begann vonden Früchten zu picken und sich am Wasser der Bäche zu erquicken. So lebte er Tage und Nächte in Vogelgestalt



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dahin, ohne zu wissen, wohin er sich wenden, noch auch wie er fliegen sollte. Während er nun so eines Tages auf jener Insel dasaß, kam plötzlich ein Vogelsteller dorthin, der sich etwas erjagen wollte, mit dem er sein Leben fristen könnte. Der sah den König Badr Bâsim in der Gestalt eines Vogels mit weißem Gefieder, mit rotem Schnabel und roten Beinen. so schön, daß er den Blick entzückte und die Sinne berückte. Wie jener Mann ihn anschaute, hatte er Gefallen an ihm, und er sprach bei sich selber: ,Das ist wirklich ein schöner Vogel, ich habe noch nie einen gesehen ihm gleich an Schönheit und Gestalt!' Dann warf er das Netz über ihn und fing ihn und trug ihn in die Stadt, indem er sich sagte: ,Ich will ihn verkaufen und Geld mit ihm verdienen.' Da begegnete ihm einer vom Volke der Stadt und fragte ihn: ,Wieviel kostet dieser Vogel, du Finkler?' Jener antwortete ihm: ,Wenn du ihn gekauft hast, was willst du dann mit ihm tun?' ,Ich will ihn schlachten und aufessen', sagte der Mann; doch der Vogelsteller entgegnete ihm: ,Wer hätte wohl das Herz, diesen Vogel zu töten und zu essen? Nein, ich will ilm dem König schenken; der wird mir mehr geben, als du mir für ihn geben würdest, und der wird ihn nicht schlachten, sondern er wird seine Freude an ihm haben, an seiner Schönheit und Anmut. In meinem ganzen Leben habe ich, solange ich Vogelsteller bin, weder unter den Vögeln des Meeres noch unter dem Getier des Feldes seinesgleichen gesehen. Wenn du ihn auch gern haben möchtest, so würdest du mir als höchsten Preis doch nur einen Dirhem geben. Ich will ihn, bei Allah dem Allmächtigen, nicht verkaufen.' So trug er denn den Vogel zum Palaste des Königs; und als der ihn sah, fand er Gefallen an seiner Schönheit und Anmut und an der roten Farbe seines Schnabels und seiner Beine. Deshalb schickte er einen Diener hin, um ihn dem Manne abzukaufen.



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Und als der Diener an den Vogelsteller herantrat, sprach er zu ihm: ,Willst du diesen Vogel verkaufen?' ,Nein,' antwortete jener, ,er ist ein Geschenk von mir an den König.' Da nahm der Diener den Vogel, begab sich mit ihm zum König und tat dem Herrscher kund, was der Mann gesagt hatte. Der König nahm das Geschenk an und ließ dem Vogelsteller zehn Dinare geben; nachdem der sie empfangen hatte, küßte er den Boden und ging von dannen. Der Diener aber brachte den Vogel ins Innere des Palastes, tat ihn in einen schönen Käfig und hängte ihn auf; auch setzte er ihm Speise und Trank hin. Als darauf der König aus dem Staatssaal herunterkam, sprach er zu dem Diener: ,Wo ist der Vogel? Bring ihn mir, auf daß ich ihn anschaue: denn bei Allah, er ist schön!' Da brachte der Diener den Käfig und stellte ihn vor den König hin. Wie der nun sah, daß der Vogel von dem Futter, das neben ihm stand, nicht gefressen hatte, rief er: ,Bei Allah, ich weiß nicht, was er frißt, auf daß ich ihn damit füttern könnte!' Darauf befahl er, die Speisen zu bringen; und als die Tische vor ihm gebreitet waren, aß er davon. Wie aber der Vogel das Fleisch und die anderen Speisen, die Süßigkeiten und Früchte erblickte, aß er von allem, was auf dem Tische vor dem König war; der König staunte über ihn und wunderte sich, daß er so aß, und desgleichen taten alle, die zugegen waren. Da sagte der König zu den Eunuchen und Mamluken, die um ihn standen: ,In meinem Leben habe ich noch keinen Vogel so essen sehen wie diesen hier.' Dann befahl er, seine Gemahlin zu rufen, damit auch sie den Vogel anschauen könnte; und der Diener ging, um sie zu rufen. Als er vor ihr stand, sprach er zu ihr: ,Hohe Herrin, der König verlangt nach dir, damit du den Vogel da anschauest, den er gekauft hat. Der ist nämlich, als wir das Essen auftrugen, aus dem Käfig geflogen und hat sich auf den Tisch gesetzt und von



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allem gegessen, was dort war. Drum erhebe dich, o Herrin, und schau den Vogel an; denn er ist schön anzusehen, ja, er ist eins von den Wundern der Zeit.' Als die Königin die Worte des Eunuchen vernommen hatte, kam sie eilends herbei; doch wie sie den Vogel erblickte und genauer betrachtete, verhüllte sie ihr Antlitz und wandte sich ab, um wieder zu gehen. Der König eilte ihr nach und sprach zu ihr: ,Weshalb verhüllst du dein Antlitz? Es ist doch niemand bei dir als die Kammerfrauen und die Eunuchen, die dir dienen, und dein Gemahl!' Da rief sie: ,O König, dieser ist kein richtiger Vogel, sondern ein Mann wie du!' Auf diese Worte seiner Gemahlin erwiderte der König: ,Du lügst! Du machst des Scherzens zuviel! Wie kann er etwas anderes als ein Vogel sein?' Allein sie gab ihm zur Antwort: ,Bei Allah, ich treibe keinen Scherz mit dir! Ich sage dir nur die Wahrheit. Dieser Vogel ist der König Badr Bâsim, der Sohn des Königs Schahrimân, der Herr des Landes der Perser; und seine Mutter ist Dschullanâr. die Meermaid.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 751. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß damals, als die Königin zu ihrem Gemahle sprach: ,Dies ist kein richtiger Vogel, sondern er ist ein Mann wie du; er istder König Badr Bâsim, der Sohn des Königs Schahrimân, und seine Mutter ist Dschullanâr, die Meermaid', der König sie fragte: ,Wie ist er zu dieser Gestalt gekommen?' Sie erwiderte ihm: ,Prinzessin Dschauhara, die Tochter des Königs es-Samandal, hat ihn verzaubert.' Und dann erzählte sie ihm alles, was geschehen war, von Anfang bis zu Ende: wie er um Dschauhara bei ihrem Vater geworben hatte, der Vater aber nicht damit einverstanden gewesen war; wie dann sein Oheim Sâlih gegen den König es-Samandal



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gekämpft und ihn besiegt und gefangen genommen hatte. Über die Worte seiner Gemahlin war der König aufs höchste erstaunt, und da sie, die Königin, seine Gemahlin, die größte Zauberin ihrer Zeit war, so sprach er zu ihr: ,Bei meinem Leben, befreie um von seinem Zauber, laß ihn nicht in dieser Qual! Allah der Erhabene möge Dschauharas Hand abschlagen! Wie gemein ist sie doch! Wie arm ist sie an Glauben, wie reich aber an List und Tücke!' Darauf sagte sie: ,Sprich zu ihm: O Badr Bâsim, begib dich in die Kammer dort!' Der König befahl ihm, sich in die Kammer zu begeben, und als der Vogel den Befehl des Königs vernommen hatte, eilte er dorthin. Die Königin aber verschleierte ihr Antlitz, nahm eine Schale Wassers in die Hand, begab sich auch in die Kammer, murmelte einige unverständliche Worte über dem Wasser und sprach dann zu dem Vogel: ,Bei diesen Namen, den mächtigen, und diesen Versen, den prächtigen! Bei Allah dem Erhabenen, dem Schöpfer des Himmels und der Erden, der die Toten lässet lebendig werden, dem Verteiler der Lebensgüter und der Lebenszeiten; verlaß diese Gestalt, in der du bist, und kehre zurück in die Gestalt, die dir von Allah bei deiner Erschaffung verliehen ist!' Kaum hatte sie ihre Worte zu Ende gesprochen, da ging ein Schütteln über den Vogel, und er kehrte in seine menschliche Gestalt zurück. Und nun sah der König vor sich einen schönen Jüngling, wie es auf dem Angesichte der Erde keinen schöneren gab. König Badr Bâsim aber, der seine frühere Gestalt wieder erschaute, rief: ,Es gibt keinen Gott außer Allah, Mohammed ist der Gesandte Allahs! Preis sei dem Schöpfer aller Kreatur, dem Bestimmer ihrer Lebensgüter und Lebenszeiten!' Dann küßte er dem König beide Hände und wünschte ihm langes Leben; und der König küßte ihm das Haupt und sprach zu ihm: ,O Badr Bâsim, erzähle mir



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deine Geschichte von Anfang bis zu Ende!' Da erzählte er dem König seine Erlebnisse und verschwieg ihm nichts. Der König verwunderte sich darüber und sprach zu ihm: ,O Badr Bâsim, jetzt hat Allah dich von dem Zauber befreit. Was aber hat dein Sinn beschlossen? Was gedenkst du zu tun?' ,O größter König unserer Zeit,' erwiderte er, ,ich bitte, daß du mir in deiner Güte ein Schiff ausrüstest mit einer Mannschaft von deinen Dienern und mit allem, dessen ich bedarf. Denn ich bin seit langer Zeit in der Fremde, und ich fürchte, das Reich könnte mir verloren gehen. Ich glaube auch, meine Mutter ist nicht mehr am Leben, weil ich ihr entrissen bin, ja, ich habe die schwere Besorgnis, daß sie aus Gram um mich gestorben ist; denn sie ahnt ja nicht, was aus mir geworden ist, und weiß nicht, ob ich noch am Leben oder tot bin. So bitte ich dich denn, o König, daß du deiner Güte die Krone aufsetzest, indem du meinen Wunsch erfüllst.' Wie nun der König seine Schönheit und Anmut betrachtete und seine beredten Worte vernommen hatte, sprach er: ,Ich höre und willfahre!' Dann rüstete er ein Schiff aus, ließ alles, dessen er bedurfte, dorthin schaffen und gab ihm eine Schar seiner Diener mit. Badr Bâsim aber ging alsbald an Bord, nachdem er von dem König Abschied genommen hatte. Nun fuhren sie auf dem Meere dahin, bei günstigem Winde, zehn Tage lang ununterbrochen. Als jedoch der elfte Tag kam, geriet das Meer in heftige Wallung, das Schiff hob sich und senkte sich, und die Seeleute konnten es nicht mehr in ihrer Gewalt behalten. So trieben sie dahin, während die Wogen mit ihnen spielten, bis sie sich einem Felsen mitten im Meere näherten. Und jener Fels stürzte plötzlich auf das Schiff nieder, so daß es zerbrach und alle, die auf ihm waren, ertranken, nur allein König Badr Bâsim konnte sich noch auf eine der Schiffsplanken schwingen, nachdem er bereits dem Tode ins Auge ge



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sehen hatte. Jene Planke trieb mit ihm auf dem Meer einher, ohne daß er wußte, wohin die Fahrt ging, und ohne d3ß er die Kraft hatte, das Brett zu lenken; ziellos ward es mit ihm von Wogen und Wind dahingetragen. Und das währte drei Tage lang; am vierten Tage erst landete das Brett mit ihm an der Meeresküste. Dort erblickte er eine Stadt, die so weiß war, daß sie einer schneeweißen Taube glich, und die war auf einer Landzunge erbaut, die sich ins Meer erstreckte. Das war ein wunderbarer Bau, seine Säulen strebten hoch ins Blau, und seine Mauern sah man ragen, von den Wellen des Meeres geschlagen. Wie nun König Badr Bâsim jene Landzunge, auf der sich eine solche Stadt befand, betrachtete, freute er sich gar sehr, zumal er schon vor Hunger und Durst dem Untergang nahe gewesen war. Er stieg von der Planke und wollte zur Stadt hinauf gehen, aber da kamen Maultiere und Esel und Pferde, zahlreich wie der Sand am Meere, auf ihn zu und begannen nach ihm zu schlagen und ihn zu hindern, daß er vom Meere zur Stadt hinaufstieg. Da schwamm er bis zur Rückseite der Stadt und stieg dort ans Land. Aber er fand keinen Menschen in der Stadt, und verwundert sprach er: ,Wem mag wohl diese Stadt gehören? In ihr ist kein König noch irgendein Bewohner? Woher mögen diese Maultiere und Esel und Pferde stammen, die mich an der Landung hinderten?' Und er begann, versunken in Gedanken über sein Los, weiterzuschreiten, ohne zu wissen. wohin er ging. Nach einer Weile aber sah er einen alten Mann, einen Krämer. Wie König Badr Bâsim seiner gewahr geworden war, grüßte er ihn, und jener gab ihm den Gruß zurück. Dann schaute der Alte ihn an, und wie er in ihm einen schönen Jüngling erkannte, fragte er ihn: ,Junger Mann, woher kommst du und was hat dich in diese Stadt geführt?' Da erzählte Badr Bâsim ihm seine ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende.



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Darüber staunte der Alte, und dann fragte er weiter: ,Mein Sohn, hast du niemanden auf deinem Wege gesehen?' ,Mein Vater,' antwortete er, ,ich habe immer nur über diese Stadt gestaunt, weil sie menschenleer war.' Nun bat ihn der Scheich: ,Mein Sohn, tritt in meinen Laden ein, damit du nicht umkommst.' Badr Bâsim trat ein und setzte sich im Laden nieder. Darauf ging der Alte hin und holte ihm ein wenig Speise und sagte nunmehr: ,Mein Sohn, geh noch weiter ins Innere des Ladens. Preis sei Ihm, der dich vor dieser Teufelin behütet hat!' Das erschreckte den König Badr Bâsim gewaltig; dennoch aß er von der Speise des Scheichs, bis er gesättigt war. Dann wusch er sich die Hände, blickte den Alten an und sprach zu ihm: ,Lieber Herr, warum sagtest du solche Worte? Du hast mich wahrlich mit Furcht erfüllt vor dieser Stadt und ihren Bewohnern!' Da hub der Scheich an: ,Mein Sohn, wisse, diese Stadt ist eine Stadt der Zauberer, und in ihr herrscht eine Königin, die eine Zauberin ist; die gleicht einer Teufelin, ja, sie ist eine Hexe voll Lug und Tücke und Trug. All die Pferde und Maultiere und Esel, die du gesehen hast, sind in Wirklichkeit Menschenkinder wie du und wie ich. Sie sind Fremdlinge; denn jeden, der in diese Stadt kommt und der ein Jüngling ist wie du, den nimmt diese ungläubige Hexe zu sich und bleibt vierzig Tage mit ihm zusammen. Nach den vierzig Tagen aber verhext sie ihn, und dann wird er ein Maultier oder ein Pferd oder ein Esel, eins von jenen Tieren, die du am Meeresstrande gesehen hast.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 752 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der alte Krämer seine Erzählung und seinen Bericht über die Hexenkönigin



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mit diesen Worten an Badr Bâsim schloß: ,Sie hat auch schon alle Bewohner der Stadt verzaubert; und jene haben, als du an Land steigen wolltest, gefürchtet, sie würde dich verzaubern gleich ihnen; und deshalb wollten sie dir durch ein Zeichen sagen: Lande nicht, damit die Hexe dich nicht sieht! Das taten sie aus Mitleid mit dir und aus Furcht, sie würde dir dasselbe antun wie ihnen.' Dann fuhr er fort: ,Sie hat diese Stadt ihren Bewohnern durch Zauberei entrissen, und ihr Name ist Königin Lâb -das heißt auf arabisch: Berechnung der Sonne."Als Badr Bâsim diese Worte von dem Scheich vernommen hatte. erschrak er über die Maßen und begann zu zittern wie ein Rohr im Winde; und er sprach: ,Kaum glaubte ich mich befreit von der Not, in die ich durch Zauberei geraten war, da wirft mich schon das Schicksal in eine noch schlimmere Bedrängnis !' Dann versank er in Gedanken über sein Los und seine Erlebnisse. Wie aber der Alte ihn anschaute und erkannte, welch arge Furcht ihn erfüllte, sprach er zu ihm: ,Mein Sohn, setze dich auf die Schwelle des Ladens und betrachte jene Geschöpfe, ihre Gewänder und Farben und die Gestalten, indie sie verzaubert sind. Doch fürchte dich nicht; denn die Königin und alle Bewohner der Stadt lieben und achten mich, sie würden nie mein Herz erregen noch mein Gemüt bekümmern.' Nachdem der Alte so gesprochen hatte, ging Badr Bâsim hinaus und setzte sich an der Tür des Ladens nieder, um sich alles anzuschauen. Da zogen die Leute an ihm vorüber, und er sah ein Volk, dessen Zahl unermeßlich war. Doch wie die Leute ihn erblickten, traten sie an den Alten heran und sprachen zu ihm: ,Scheich, ist dies dein Gefangener und deine Beute dieser Tage?' ,Er ist meines Bruders



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Sohn,' erwiderte jener; ,da ich hörte, daß sein Vater gestorben sei, sandte ich nach ihm und ließ ihn kommen, um meine heiße Sehnsucht nach ihm zu stillen.' Darauf sagten die andern: ,Fürwahr, dieser ist schön unter den Jünglingen; aber wir sind um ihn besorgt wegen der Königin Lâb und fürchten, sie wird ihre Tücke gegen dich wenden und ihn dir nehmen; denn sie liebt die schönen Jünglinge.' Doch der Alte versetzte: ,Die Königin wird sich meinem Wunsche nicht widersetzen, denn sie achtet und liebt mich; und wenn sie erfährt, daß er der Sohn meines Bruders ist, so wird sie ihm nichts anhaben, noch auch mich quälen oder mein Gemüt betrüben dadurch, daß sie sich an ihm vergreift.' Nun blieb der König Badr Bâsim einen Monat lang bei dem Alten, indem er dort aß und trank; und der Scheich gewann ihn sehr lieb. Als er dann aber eines Tages vor dem Laden des Alten saß, wie er es gewohnt war, kamen plötzlich tausend Eunuchen des Wegs; die trugen gezückte Schwerter in den Händen und waren in mancherlei Gewänder gekleidet, und die Gürtel um ihren Leib waren mit Edelsteinen besetzt; alle ritten sie auf arabischen Rossen, und die Schwerter in ihren Gehenken waren aus indischem Stahl. Wie sie zu dem Laden des Scheichs kamen, grüßten sie und zogen weiter. Nach ihnen kamen tausend Sklavinnen, Monden gleich; auch die trugen mancherlei Gewänder aus Seidenatlas, die mit Goldstickereien verziert und mit allerlei Edelsteinen besetzt waren, und alle waren mit Lanzen bewaffnet. In ihrer Mitte aber ritt eine Maid auf einer Araberstute in einem goldenen Sattel, der mit vielerlei Edelsteinen und Hyazinthen besetzt war. Die zogen dahin, bis sie den Laden des Alten erreichten, grüßten und ritten weiter. Doch dann kam auch die Königin Lâb in einem prächtigen Prunkzuge des Weges und ritt wie die anderen auf den Laden des Alten zu. Da fiel ihr Blick auf Badr Bâsim, der



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dort vor dem Laden saß, als wäre er der Mond in seiner Fülle. Und wie nun die Königin Lâb ihn anschaute, ward sie von seiner Schönheit und Anmut bezaubert und verwirrt, und heiße Liebe zu ihm erfüllte ihr Herz. Drum ritt sie an den Laden heran, stieg vom Rosse und setze sich neben König Badr Bâsim nieder; zum Scheich aber sprach sie: ,Woher hast du diesen Schönen?' Jener gab ihr zur Antwort: ,Er ist der Sohn meines Bruders; vor kurzem ist er zu mir gekommen.' Die Königin fuhr fort: ,Laß ihn heut abend bei mir sein, auf daß ich mit ihm plaudern kann!' Aber der Alte fragte sie: ,Willst du ihn von mir nehmen und ihn nicht verzaubern?' ,Jawohl', erwiderte sie; und er sagte darauf: ,Schwöre es mir!' Da schwor sie ihm, sie wolle ihm kein Leid antun und wolle ihn nicht verzaubern; dann befahl sie, ihm ein schönes Roß zu bringen, das gesattelt und mit goldenem Zaum geschirrt war und lauter goldenes und juwelenbesetztes Zeug trug. Dem Alten gab sie tausend Dinare mit den Worten: ,Laß sie dir zugute kommen!' Darauf nahm sie den König Badr Bâsim mit sich, und wie sie ihn dahinführte, glich erdem vollen Monde inder vierzehnten Nacht. Alles Volk aber, das ihn bei ihr sah, blickte traurig auf ihn und auf seine Schönheit. Denn alle sagten: ,Bei Allah, dieser Jüngling verdient es nicht, daß die Verfluchte da ihn verzaubert!' Wohl hörte König Badr Bâsim die Worte der Leute, aber er schwieg und stellte seine Sache Allah dem Erhabenen anheim. So zogen sie zum Schlosse weiter. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 753. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Badr Bâsim mit der Königin Lâb und ihrem Gefolge dahinzog, bis sie zum Tor des Schlosses kamen. Dort saßen die Emire und die Eunuchen



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und die Großen des Reiches ab, und sie ließ durch die Kammerherren allen Würdenträgern des Reiches befehlen, sich zurückzuziehen; jene küßten den Boden und kehrten um, während sie sich mit den Eunuchen und den Dienerinnen in das Schloß begab. Als nun König Badr Bâsim in das Schloß hineinschaute, erblickte er einen Palast, dessen gleichen er noch nie gesehen hatte; da waren die Mauern aus Gold erbaut, und in seiner Mitten war ein großes Becken, mit Wasser gefüllt und von einem weiten Blumengarten umgeben. Und weiter schaute König Badr Bâsim in den Garten hinein; dort erblickte er Vögel, die in allen Weisen und Stimmen sangen, solchen, die heiter, und solchen, die traurig klangen, und jene Vögel waren von mancherlei Gestalt und Art. Überall erblickte er große Pracht, und so rief er aus: ,Preis sei Allah, in seiner Güte und Milde leiht er auch denen seine Gaben, die andere Götter neben ihm haben!' Die Königin setzte sich an einem Fenster nieder, das auf den Garten schaute, auf ein Lager aus Elfenbein, das mit einem kostbaren Polster bedeckt war, und König Badr Bâsim setzte sich ihr zur Seite. Da küßte sie ihn und zog ihn an ihre Brust. Dann befahl sie den Dienerinnen, den Tisch zubringen; und sie brachten einen Tisch aus rotem Golde, der mit Perlen und Edelsteinen besetzt war und auf dem sich Speisen von jeglicher Art befanden. Davon aßen die beiden, bis sie gesättigt waren, und dann wuschen sie sich die Hände. Ferner brachten die Dienerinnen Schalen aus Gold und Silber und Kristall. dazu auch alle Arten von Blumen und Schüsseln voll getrockneter Früchte. Schließlich hieß die Königin die Sängerinnen kommen, und nun traten herein zehn Jungfrauen, wie Monde anzuschauen; die trugen in ihren Händen allerlei Musikinstrumente. Die Königin aber füllte einen Becher und trank ihn aus, und füllte einen zweiten und reichte ihn dem König



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Badr Bâsim; der nahm ihn und trank ihn aus. So tranken die beiden miteinander, bis sie genug getrunken hatten. Dann befahl sie den Sängerinnen, zu singen, und sie sangen allerlei Weisen, bis es den König Badr Bâsim deuchte, der ganze Palast tanze mit ihm vor Freuden. Da ward sein Verstand berückt, und seine Brust weitete sich, so daß er die Fremdlingsschaft vergaß und sprach: ,Wahrlich, diese Königin ist jung und schön; ich will sie nimmermehr verlassen. Denn ihr Reich ist größer als das meine, und sie ist schöner als die Prinzessin Dschauhara!' Und nun trank er weiter mit ihr, bis es Abend ward; auch als die Lampen und die Kerzen angezündet waren und die Weihrauch pfannen glühten, tranken die beiden immer weiter, bis sie trunken waren, während die Sängerinnen sangen. Wie aber die Königin Lâb berauscht war, erhob sie sich von der Stätte, da sie saß, legte sich auf ein Ruhelager und befahl den Dienerinnen, fortzugehen; dann hieß sie den König Badr Bâsim, sich an ihrer Seite niederzulegen. Und er ruhte an ihrer Seite in allen Wonnen des Lebens, bis es Tag ward. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 754. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Königin, als sie aus dem Schlafe erwachte, in das Bad ging, das sich im Schlosse befand, begleitet von König Badr Bâsim, und daß die beiden sich dort wuschen. Nachdem sie das Bad verlassen hatten, legte sie ihm die schönsten Gewänder an, und dann hieß sie das Weingerät bringen. Sobald die Dienerinnen es gebracht hatten, tranken die beiden. Danach erhob sich die Königin und führte den König Badr Bâsim an der Hand, und beide setzten sich auf die Sessel nieder. Darauf gebot sie, die Speisen zu bringen; und beide aßen und wuschen sich die Hände. Und wiederum



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brachten die Dienerinnen ihnen das Weingerät, die Früchte. die Blumen und das Naschwerk. So saßen sie da. essend und trinkend, während die Sängerinnen mancherlei Weisen sangen, bis es Abend ward. Vierzig Tage lang taten sie nichts als essen und trinken und fröhlich sein. Da fragte die Königin: ,Sag, Badr Bâsim, ist diese Stätte schöner oder der Laden deines Oheims, des Krämers?' ,Bei Allah, o Königin,' antwortete jener, ,hier ist es schöner! Mein Oheim ist doch nur ein Bettelmann, der Bohnen verkauft.' Sie lachte ob seiner Worte, und dann ruhten die beiden miteinander in allen Freuden bis zum Morgen. Doch als König Bâdr Bâsim aus dem Schlafe erwachte, fand er die Königin Lâb nicht mehr an seiner Seite. Da sprach er: ,Wüßte ich doch nur, wohin sie gegangen ist!' Und er ward beunruhigt durch ihr Fernsein und wußte nicht, was er selber tun sollte. Als sie aber eine lange Zeit fortblieb und nicht zurückkehrte, sagte er sich immer wieder: ,Wohin mag sie nur gegangen sein?' Dann legte er seine Gewänder an und begann nach ihr zu suchen; doch er fand sie nicht. Schließlich sprach er bei sich: ,Vielleicht ist sie in den Blumengarten gegangen', und er ging in den Garten; dort erblickte er einen fließenden Bach und nahe bei ihm einen weißen Vogel. Am Ufer jenes Baches tand auch ein Baum, und in dessen Krone waren Vögel von mancherlei Farben; er konnte die Vögel schauen, aber sie konnten ihn nicht sehen. Da flog plötzlich ein schwarzer Vogel zu jenem weißen Vogelweibchen hinab und begann mit ihm zu schnäbeln, wie die Tauben schnäbeln; dann besprang der schwarze Vogel jenes weiße Vogelweibchen dreimal. Nach einer Weile jedoch verwandelte das Weibchen sich in Menschengestalt, und als der König sie anschaute, war es die Königin Lâb. Daran erkannte er, daß auch der schwarze Vogel ein verzauberter Mensch war, und daß sie ihn liebte und sich selber



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in ein Vogelweibchen zu verzaubern pflegte, um seine Liebe zu genießen; und die Eifersucht packte ihn, und er ward zornig wider die Königin Lâb um des schwarzen Vogels willen. Darauf kehrte er an seine Stätte zurück und legte sich nieder auf sein Ruhelager. Nach einer Weile kam auch die Königin Lâb wieder zu ihm und begann ihn zu küssen und mit ihm zu scherzen, während er in seinem großen Zorne wider sie kein einziges Wort mit ihr redete. Sie erkannte, wie es mit ihm stand, und war überzeugt, daß er sie gesehen hatte, wie sie zum Vogel geworden war und wie jener andere Vogel sie besprungen hatte; aber sie sagte ihm nichts davon, sondern verbarg, was in ihr vorging. Als er ihr dann zu Willen gewesen war, sprach er zu ihr: ,O Königin, ich möchte, daß du mir erlaubtest, zum Laden meines Oheims zu gehen; denn ich sehne mich nach ihm, da ich ihn schon seit vierzig Tagen nicht mehr gesehen habe.' ,Geh zu ihm,' erwiderte sie, ,aber bleib mir nicht zulange aus! Denn ich kann mich nicht von dir trennen und vermag es nicht zu ertragen, auch nur eine einzige Stunde dir fern zu sein.' ,Ich höre und gehorche!' gab er zur Antwort; und er saß auf und begab sich zum Laden des alten Krämers. Der hieß ihn willkommen, trat auf ihn zu, umarmte ihn und fragte ihn: ,Wie ist es dir bei jener Ketzerin ergangen?' ,Bisher erging es mir wohl und gut,' antwortete Badr Bâsim, ,aber in der letzten Nacht, nachdem sie sich an meiner Seite zur Ruhe gelegt hatte, wachte ich auf und fand sie nicht. Da kleidete ich mich an und lief umher, um nach ihr zu suchen, bis ich inden Garten kam.' Und weiter berichtete er ihm alles, was er gesehen hatte an dem Flusse und bei den Vögeln auf dem Baume. Als der Scheich das von ihm vernommen hatte, sprach er: ,Hüte dich vor ihr! Denn wisse, die Vögel, die auf dem Baume waren, sind lauter fremde Jünglinge, die sie geliebt und durch ihren



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Zauber in Vögel verwandelt hat. Und jener schwarze Vogel, den du gesehen hast, war einer ihrer Mamluken; sie war in heißer Liebe zu ihm entbrannt, doch als er ein Auge auf eine ihrer Sklavinnen geworfen hatte, verzauberte sie ihn in die Gestalt eines schwarzen Vogels.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 755. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Badr Bâsim, als er dem alten Krämer die ganze Geschichte von der Königin Lâb und seine Erlebnisse mit ihr erzählt hatte, von dem Scheich erfuhr, daß die Vögel, die auf dem Baume waren, lauter fremde Jünglinge seien, die sie verzaubert hätte, und daß auch der schwarze Vogel, der einer ihrer Mamluken gewesen, von ihr in jene Gestalt verwandelt worden sei. ,Und', fuhr der Scheich fort, ,sooft es sie nach ihm gelüstet, verwandelt sie sich in ein Vogelweibchen, um seine Liebe zu genießen; denn sie liebt ihn immer noch gar sehr. Als sie aber bemerkte, daß du weißt, wie sie es treibt, plante sie insgeheim Böses wider dich, da sie dich nicht aufrichtig liebt. Aber dir soll nichts Arges durch sie widerfahren, solange ich dich schütze! Drum fürchte dich nicht; denn ich bin ein Muslim, und mein Name ist 'Abdallâh. Es gibt zu meiner Zeit keinen größeren Zauberer als mich; doch ich wende den Zauber nur an, wenn ich dazu gezwungen bin. Oftmals pflege ich den Zauber dieser Verruchten zunichte zu machen und die Menschen von ihr zu befreien; ich kümmere mich nicht um sie, denn sie hat keine Macht über mich. Ja, sie fürchtet sich vielmehr ganz gewaltig vor mir, und auch alle in der Stadt, die gleich ihr die Zauberei verstehen, leben in der gleichen Angst vor mir, sie alle, die gleich ihr das Feuer verehren statt des mächtigen Königs der Ehren. Wenn es wieder Morgen



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wird, so komm zu mir und laß mich wissen, was sie mit dir tut. Denn sie wird noch heute nacht auf dein Verderben sinnen: ich aber werde dir sagen, was du mit ihr tun sollst, um ihrer Tücke zu entgehen.' Darauf nahm der König Badr Bâsim Abschied von dem Alten und kehrte zur Königin zurück. Er traf sie, wie sie auf ihn wartete; und sobald sie ihn erblickte, eilte sie auf ihn zu, ließ ihn an ihrer Seite sitzen, hieß ihn willkommen und brachte ihm Speise und Trank. Beide aßen, bis sie gesättigt waren; dann wuschen sie sich die Hände. Schließlich befahl sie, den Wein zu bringen, und als der gebracht war, begannen sie zu trinken bis zur Mitte der Nacht. Da neigte sie sich ihm zu und reichte ihm Becher auf Becher, bis er trunken ward und Sinn und Verstand verlor. Als sie ihn in solchem Zustande sah, sprach sie zu ihm: ,Ich beschwöre dich bei Allah und bei dem, was du anbetest, willst du mir, wenn ich dich nach etwas frage, auf meine Frage antworten und mir die Wahrheit darüber sagen?' In seiner Trunkenheit erwiderte er ihr: ,Ja, meine Herrin.' ,Ach, mein Gebieter, du Licht meiner Augen,' fuhr sie fort, ,als du aus deinem Schlafe erwach test und mich nicht fandest, da suchtest du nach mir und kamst in den Garten und sahest mich in der Gestalt eines weißen Vogels und sahest auch den schwarzen Vogel, der mich besprang. Nun will ich dir über diesen Vogel die Wahrheit sagen: Er war einer meiner Mamluken, und ich war ihm in heißer Liebe zugetan; doch eines Tages warf er ein Auge auf eine meiner Sklavinnen, und da packte mich die Eifersucht, und ich verwandelte ihn in die Gestalt eines schwarzen Vogels, während ich die Sklavin töten ließ. Jetzt aber kann ich ohne ihn nicht eine einzige Stunde leben, und immer, wenn ich mich nach ihm sehne, verwandle ich mich in ein Vogelweibchen und eile zu ihm, damit er mich bespringen und mich besitzen kann, wie du es gesehen hast.



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Bist du deshalb nicht erzürnt auf mich, wiewohl ich -bei dem Feuer im Lichtgewand, beim Schatten und beider Hitze Brand! —dich mehr liebe als je und dich zu meinem Anteil an dieser Welt gemacht habe?' Trunken, wie er war, gab er ihr zur Antwort: ,Ja, wenn du meinst, daß ich zürne aus diesem Grunde, so ist das recht. Mein Zorn hat keinen anderen Grund als diesen.' Da umarmte und küßte sie ihn und täuschte ihm Liebe vor; und als sie sich zur Ruhe begab, legte er sich an ihrer Seite nieder. Bald nach Mitternacht aber erhob sie sich von ihrem Lager; König Badr Bâsirn war wach, doch er tat, als ob er schliefe, und blickte verstohlen, um zu sehen, was sie tat. So erkannte er, daß sie aus einem roten Beutel etwas Rotes herausnahm und es mitten im Zimmer einpflanzte; das wurde zu einem Bach, der wie ein Strom dahinfloß. Dann nahm sie eine Handvoll Gerste, streute die auf den Boden und bewässerte sie aus jenem Bache; nun wurden die Körner zu einem Ährenfelde, und die Königin pflückte davon und mahlte es zu Mehl. Das legte sie beiseite, und dann kehrte sie zurück und ruhte wieder neben Badr Bâsim bis zum Morgen. Sobald der neue Tag graute, erhob er sich und wusch sein Antlitz; dann bat er die Königin um Erlaubnis, zum Scheich zu gehen. Nachdem sie ihm dies gewährt hatte, begab er sich zu dem Alten und tat ihm kund, was sie vor seinen Augen getan hatte. Wie der Scheich diese Worte von ihm vernahm, lächelte er und sprach: ,Bei Allah, diese ketzerische Hexe plant Unheil wider dich; du aber kümmere dich gar nicht um sie!' Dann holte er für ihn etwa ein Pfund von zerstoßenem Röstkorn und sprach zu ihm: .Nimm dies mit dir! Wisse, wenn sie das sieht, wird sie dich fragen, was das sei und was du damit tun wollest. Dann sprich zu ihr: ,Überfluß an Gutem ist gut', und iß davon. Wenn sie aber ihr Röstkorn holt und zu dir sagt: ,Iß von diesem Korn!'



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so tu, als ob du davon äßest, doch iß nur von diesem hier. Hüte dich, von ihrem Röstkorn etwas zu essen, sei es auch nur ein einziges Körnchen. Denn wenn du auch nur ein einziges Korn davon issest, so wird ihr Zauber Macht über dich gewinnen, und sie wird dich verzaubern, indem sie zu dir spricht: ,Verlasse diese Menschengestalt!' und du wirst deine Gestalt verlieren und irgendeine andere annehmen, die sie wünscht. Wenn du aber nicht davon issest, so wird ihr Zauber zunichte und wird dir in keiner Weise schaden. Dann wird sie ganz beschämt zu dir sagen: ,Ich scherzte nur mit dir', und wird heiße Liebe zu dir bekennen; aber das ist alles nur Heuchelei und Tücke von ihr. Nun heuchle auch du Liebe zu ihr und sprich: ,Meine Gebieterin du Licht meiner Augen, iß von diesem Röstkorn und sieh, wie köstlich es ist!' Wenn sie auch nur ein Körnchen davon gegessen hat, so nimm Wasser in deine Hand, sprenge es ihr ins Antlitz und sprich zu ihr: ,Verlasse diese Menschengestalt und nimm die und die Gestalt an!' eine Gestalt, die du wünschest. Danach verlasse sie und komm zu mir, damit ich dich weiter beraten kann!' Darauf nahm Badi Bâsim Abschied von dem Alten und ging wieder fort, bis er zum Schlosse hinaufstieg und zur Königin eintrat. Als sie ihn erblickte, rief sie ihm zu: ,Willkommen, herzlich willkommen!' Und sie eilte auf ihn zu und küßte ihn und sprach: ,Du bist aber lange ausgeblieben, mein Gebieter!' Er gab ihr zur Antwort: ,Ich war bei meinem Oheim, und er hat mir von diesem Röstkorn zu essen gegeben.' ,Wir haben noch besseres Röstkorn als das', erwiderte sie und legte sein Korn in eine Schüssel, während sie ihr eigenes in eine andere Schüssel tat. Dann sagte sie zu ihm: ,III von diesem, denn es ist besser als dein Röstkorn!' Er also tat, als ob er davon äße, und als sie vermeinte. daß er das getan hätte, nahm sie Wasser in ihre Hand und besprengte



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ihn damit, indem sie sprach: ,Verlasse diese Gestalt, du Galgenvogel, du Elender, und nun sollst du in die eines Maultieres übergehen, einäugig und häßlich anzusehen!' Aber er verwandelte sich nicht; und als sie ihn unverändert dastehen sah, eilte sie auf ihn zu, küßte ihn auf die Stirn und rief: ,Ach, mein Liebling, ich scherzte ja nur mit dir! Zürne mir deshalb nicht!' ,Bei Allah, meine Gebieterin,' antwortete er ihr. ,ich zürne dir ganz und gar nicht, nein, ich glaube fest, daß du mich liebst. Und nun aß du von meinem Röstkorn!' Sie nahm einen Mundvoll davon und aß; doch kaum war das Korn in ihren Magen gedrungen, so fiel sie in Krämpfe. König Badr Bâsim aber nahm Wasser in seine Hand und sprengte es ihr ins Gesicht, indem er sprach: ,Verlasse diese Menschengestalt und werde zu einer grauen Mauleselin alsbald!' Und da sah sie sich sofort in ein solches Tier verwandelt. Nun begannen ihr die Tränen über die Wangen zu rinnen, und sie fing an, ihr Gesicht an seinen Füßen zu reiben. Da wollte er ihr die Zügel anlegen, aber sie wollte sich nicht zäumen lassen; so verließ er sie und begab sich zu dem Alten und tat ihm kund, was geschehen war. Der Scheich ging hin und holte ihm einen Zügel und sprach zu ihm: ,Nimm diesen Zaum und leg ihn ihr an!' Jener nahm ihn und ging zu der Königin zurück. Als sie ihn erblickte, kam sie auf ihn zu; und er legte ihr den Zaum ins Maul, bestieg sie und ritt aus dem Palaste hinaus zum Scheich 'Abdallâh. Wie der sie erblickte, lief er ihr entgegen und rief ihr zu: ,Dich mache Allah der Erhabene zuschanden. du Verruchte!' Dann sprach er zu Badr Bâsim: ,Mein Sohn, jetzt ist deines Bleibens nicht länger in dieser Stadt. Reite fort auf ihr, wohin du willst. Aber hüte dich, den Zügel irgend jemandem anzuvertrauen!' König Badr Bâsim dankte ihm, nahm Abschied von ihm und ritt fort, drei Tage lang ohne Aufenthalt. Als er sich dann einer



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Stadt näherte, begegnete ihm ein Greis von ehrwürdigem Aussehen und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, woher kommst du?' Dem gab er zur Antwort: ,Aus der Stadt dieser Zauberin hier.' Jener führ fort: ,Du bist heute nacht mein Gast.' Da willigte er ein und zog mit dem Alten des Weges dahin. Doch plötzlich kam ihnen eine alte Frau entgegen, und als sie die Mauleseln erblickte, weinte sie und rief: ,Es gibt keinen Gott außer Allah! Diese Mauleseln gleicht der Mauleseln meines Sohnes, die gestorben ist, und um die mein Herz betrübt ist. Um Allahs willen, lieber Herr, verkaufe sie mir!' Doch er entgegnete ihr: .Bei Allah, Mütterchen, ich kann sie nicht verkaufen.' Da fuhr sie fort: ,üm Allahs willen, schlag mir meine Bitte nicht ab! Mein Sohn wird, wenn ich ihm diese Mauleselin nicht kaufe, des Todes sein, das ist gewiß.' Und sie bestürmte ihn mit Bitten, bis er ausrief: ,Ich verkaufe sie nur um tausend Goldstücke!' Denn er sagte sich: ,Woher kann diese Alte tausend Goldstücke beschaffene' Aber sie zog alsbald tausend Dinare aus ihrem Gürtel; wie König Badr Bâsim das sah, sprach er zu ihr: ,Mütterchen, ich scherzte nur mit dir; ich kann sie nicht verkaufen.' Da blickte der Greis ihn an und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, in dieser Stadt darf niemand lügen; denn jeder, der hier lügt, wird hingerichtet.' Nun stieg der König Badr Bâsim von dem Maultier ab. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 755. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Alte, nachdem der König Badr Bâsim von dem Maultier abgestiegen war und es ihr übergeben hatte, sofort ihm den Zaum aus dem Maule zog. Dann nahm sie Wasser in ihre Hand, besprengte die Mauleseln damit und sprach: ,Meine Tochter, verlasse



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diese Gestalt und nimm deine einstige Gestalt wieder an.' Und auf der Stelle verwandelte sie sich und kehrte in ihre frühere Gestalt zurück; und die beiden Frauen eilten aufeinander zu und umarmten sich. Nun erkannte König Badr Bâsim, daß die Alte dort die Mutter der Königin Lâb war, und daß man ihn überlistet hatte. Er wollte fliehen; aber da ließ die Alte einen lauten Pfiff erschallen, und alsbald stand vor ihr ein Dämon. wie ein mächtiger Fels so groß. In seinem Schrecken blieb der König Badr Bâsim stehen; die Alte aber stieg auf den Rücken des Dämons, ließ ihre Tochter hinter sich reiten und nahm den König Badr Bâsim vor sich. Dann flog der Dämon mit ihnen davon; und kaum war eine kleine Weile vergangen, als sie schon bei dem Palaste der Königin Lâb ankamen. Nachdem die sich auf ihren Thron gesetzt hatte, wandte sie sich zu König Badr Bâsim und sprach zu ihm: ,Du Galgenvogel, jetzt bin ich wieder an diese Stätte gelangt und habe mein Ziel erreicht; und bald werde ich dir zeigen, was ich mit dir und mit dem alten Krämer dort tun werde. Wieviel Gutes habe ich ihm getan! Und nun handelt er so übel an mir; denn du hast deinen Willen nur durch ihn ausführen können.' Darauf nahm sie Wasser und besprengte ihn damit, indem sie sprach: ,Verlasse diese Gestalt, in der du bist, und gestalte dich zu einem Vogel, häßlich anzusehen, ja dem häßlichsten, den es an Vögeln gibt.' Auf der Stelle verwandelte er sich und ward zu einem Vogel, der häßlich anzusehen war; und sie sperrte ihn in einen Käfig und versagte ihm Speise und Trank. Eine Dienerin aber, die ihn sah, hatte Mitleid mit ihm, und sie begann ihm Futter und Wasser zu bringen, ohne daß die Königin es wußte. Und als nun diese Dienerin eines Tages bemerkte, daß ihre Herrin achtlos war, ging sie hinaus und eilte zu dem alten Krämer und tat ihm kund, was geschehen war. Und sie fügte hinzu: ,Die Königin



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Lâb ist entschlossen, den Sohn deines Bruders zu verderben.' Der Scheich dankte ihr und sprach zu ihr: ,Jetzt muß ich gewißlich diese Stadt von ihr nehmen und dich statt ihrer zur Königin machen.' Dann ließ er einen lauten Pfiff erschallen, und es erschien vor ihm ein Dämon mit vier Flügeln. Zu dem sprach er: ,Nimm diese Maid und trag sie zur Stadt Dschullanârs, der Meermaid, und ihrer Mutter Farâscha; denn die beiden sind die größten Zauberinnen auf dem Angesichte der Erde.' Zu der Dienerin aber sprach er: ,Wenn du dort angekommen bist, so sage den beiden, daß König Badr Bâsim der Gefangene der Königin Lâb ist.' Der Dämon nahm die Maid auf seinen Rücken und flog mit ihr davon. Kaum war eine kleine Weile vergangen, so stieg er schon mit ihr auf das Schloß der Königin Dschullanâr, der Meermaid, hernieder. Und die Dienerin schritt von der Dachterrasse des Schlosses hinab und begab sich zur Königin Dschullanâr, küßte den Boden vor ihr und tat ihr kund, was ihrem Sohne widerfahren war, von Anfang bis zu Ende. Da erhob Dschullanâr sich vor ihr, erwies ihr Ehren und dankte ihr. Dann ließ sie in der Stadt die Trommeln der Freudenbotschaft schlagen und allem Volk und den Großen ihres Reiches verkünden, daß der König Badr Bâsim gefunden sei. Danach versammelten Dschullanâr und ihre Mutter Farâscha und ihr Bruder Sâlih alle Stämme der Geister und der Krieger des Meeres; denn die Könige der Geister waren ihnen untertan geworden, seit König es-Samandal gefangen genommen war. Und alsbald flogen sie in die Lüfte empor, stürzten sich auf die Stadt der Zauberin hernieder, plünderten den Palast und töteten alle Ketzer, die dort waren, in einem Augenblick. Und Dschullanâr sprach zu der Dienerin: ,Wo ist mein Sohne' Da holte die Dienerin den Käfig und brachte ihn vor sie; und indem sie auf den Vogel wies, der darin war, sprach



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sie: ,Dies ist dein Sohn!' Sogleich befreite die Königin ihn aus dem Käfig; nahm Wasser in ihre Hand und besprengte ihn damit, indem sie sprach: ,Verlasse diese Gestalt und nimm wieder deine einstige Gestalt an!' Kaum hatte sie diese Worte beendet, da schüttelte er sich und ward wieder ein Mensch. wie er es zuvor gewesen war. Und als seine Mutter ihn nun in seiner ursprünglichen Gestalt erblickte, eilte sie auf ihn zu und umarmte ihn und weinte bitterlich. Desgleichen taten sein Oheim Sâlih und seine Großmutter Farâscha und seine Basen. und sie küßten ihm die Hände und die Füße. Darauf sandte seine Mutter nach dem Scheich 'Abdallâh und dankte ihm für alles, was er an ihrem Sohne getan hatte; ferner vermählte sie ihn mit der Dienerin, die er mit der Botschaft an sie geschickt hatte, und er ging zu ihr ein. Dann machte sie ihn zum König über jene Stadt und ließ die Überlebenden aus der Stadt, die Muslime waren, sich versammeln und dem Scheich 'Abdallâh huldigen, indem sie ihnen Eid und Schwur abnahm, daß sie ihm gehorchen und dienen wollten. ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten sie. Schließlich nahmen sie und die Ihren Abschied von Scheich 'Abdallâh und kehrten in ihre Hauptstadt zurück. Und als sie zu ihrem Palaste kamen, zogen ihnen die Einwohner in lautem Jubel entgegen; und drei Tage lang schmückten sie die Stadt in ihrer großen Freude über ihren König Badr Bâsim; ja, sie waren hochbeglückt über seine Heimkehr. Darauf sprach König Badr Bâsim zu seiner Mutter: ,Liebe Mutter, jetzt bleibt nichts mehr übrig, als daß ich mich vermähle: dann 'wollen wir alle immerdar miteinander vereinigt sein.' ,Mein Sohn,' erwiderte sie, ,der Plan, den du hast, ist trefflich. Warte aber, bis wir erforscht haben, welche unter den Töchtern der Könige für dich die rechte ist.' Und seine Großmutter Farâscha und seine Basen von Vaters und von



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Mutters Seite her sprachen: ,Wir alle, o Badr Bâsim, wollen dir sogleich zu deinem Wunsche verhelfen.' Dann machte sich eine jede von ihnen auf und ging fort, um in den Landen zu suchen; und Dschullanâr, die Meermaid, schickte ihre Kammerfrauen auf den Rücken von Dämonen aus, indem sie ihnen befahl, sie sollten keine Stadt und keine von den Schlössern der Könige auslassen, sondern überall nach den schönen Mädchen ausschauen, die dort wären. Wie nun König Badr Bâsim sah, daß sie große Mühe hierauf verwandten, sprach er zu seiner Mutter Dschullanâr: ,Liebe Mutter, laß ab davon; denn mir gefällt nur Dschauhara, die Tochter des Königs es-Samandal, da sie ein Juwel ist, wie ihr Name besagt.' Seine Mutter antwortete ihm: ,Jetzt weiß ich, was du suchst', und sie sandte Leute aus, die ihr den König es-Samandal bringen sollten. Die führten ihn auch alsbald vor sie; und dann schickte sie nach ihrem Sohne Badr Bâsim und ließ ihn, als er zu ihr kam, wissen. daß der König es-Samandal zugegen sei. So begab sich denn Badr Bâsim zu ihm, und als der ihn kommen sah, erhob er sich vor ihm, begrüßte ihn und hieß ihn willkommen. Darauf erbat König Badr Bâsim von ihm seine Tochter Dschauhara zur Gemahlin. Und jener sprach: ,Sie steht dir zu Diensten, sie ist deine Sklavin, die deines Befehls gewärtig ist.' Dann entsandte er einige seiner Freunde in sein Land und befahl ihnen, seine Tochter Dschauhara zu holen und ihr kundzutun, daß ihr Vater bei König Badr Bâsim sei, dem Sohne der Meermaid Dschullanâr. Sie flogen in die Luft empor und blieben eine Weile fort; dann kehrten sie mit der Prinzessin Dschauhara zurück. Und als sie ihren Vater erblickte, eilte sie auf ihn zu und umarmte ihn. Er aber schaute sie an und sprach zu ihr: ,Meine Tochter, wisse, ich habe dich zur Gemahlin bestimmt für diesen König an Edelmut reich, diesen Helden, dem Löwen



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gleich, den König Badr Bâsim, den Sohn der Königin Dschullanâr. Denn er ist der schönste unter den Männern seiner Zeit. der anmutigste, der höchste nach seinem Range und der adeligste nach seiner Abkunft. Er allein ist deiner wert, und nur du bist seiner wert.' ,Lieber Vater,' erwiderte sie ihm, ,ich kann dir nicht widersprechen; handle nach deinem Sinn, Sorge und Kummer sind nun dahin, und ich bin ihm jetzt eine Dienerin!' Da holte man die Kadis und die Zeugen, und man schrieb den Ehevertrag zwischen dem König Badr Bâsim, dem Sohne der Königin Dschullanâr, der Meermaid, und der Prinzessin Dschauhara. Und die Bürger schmückten ihre Stadt, die Freudentrommeln wurden geschlagen, und alle, die in den Gefängnissen waren, wurden freigelassen. Ferner kleidete der König die Witwen und Waisen und verlieh Ehrengewänder an die Großen des Reiches, die Emire und die Vornehmen. Ein großes Fest ward gefeiert, Hochzeitsmahle wurden gerüstet, und zehn Tage lang waren alle Menschen guter Dinge früh und spät. Die Braut aber ward in neun Festgewändern vor König Badr Bâsim zur Schau gestellt; und er verlieh dem König es-Samandal ein Ehrengewand und entließ ihn in seine Heimat, zu seinem Volk und zu den Seinen. Und nun lebten sie herrlich und in Freuden, sie aßen und tranken und genossen alle Wonnen, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und der die Freundesbande zerreißt. Und dies ist das Ende von ihrer Geschichte; Allahs Barmherzigkeit werde ihnen allen zuteil!

Ferner wird erzählt


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