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Die Kormorane von Ut-Röst


Norwegische Märchen


Übersetzt von Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART


Östlich der Sonne und westlich des Mondes

Es war einmal ein armer Häusler, der hatte die Stube voller Kinder, aber weder genug zu essen noch genügend Kleidung für sie. Schön waren sie alle, aber am schönsten war die jüngste Tochter, ihre Schönheit war unvergleichlich.

Es war an einem Donnerstag Abend, spät im Herbst, draußen war häßliches Wetter, unheimliches Dunkel, Regen und Sturm tobten, daß es in den Wänden knackte. Sie saßen um die Feuerstelle herum und alle hatten eine Arbeit vor sich.

Da wurde plötzlich dreimal ans Fenster geklopft. Der Mann ging hinaus, um zu sehen, was los war, und als er hinaustrat stand da ein großer Eisbär.

»Guten Abend, du!«sagte der Eisbär.

»Guten Abend!«sagte der Mann.

»Willst du mir deine jüngste Tochter geben, so will ich dich so reich machen, wie du jetzt arm bist«, sagte der Bär. Der Mann meinte, das wäre herrlich, daß er so reich werden sollte, aber er glaubte doch erst mit der Tochter reden zu müssen. Er ging also ins Haus und sagte, daß da ein großer Eisbär draußen sei, welcher ihn so reich zu machen versprach, wenn er nur die jüngste Tochter haben könne. Diese aber sagte nein, sie wolle nicht. Und so ging der Mann wieder hinaus und vereinbarte mit dem Eisbären, daß er am nächsten Donnerstagabend wiederkommen und Antwort holen sollte.

Indessen gab er der Tochter nicht Rast noch Ruhe, sprach mit ihr, stellte ihr alle Reichtümer vor, die zu ihnen kommen würden, und wie gut sie es selbst haben würde, und schließlich gab sie sich darein. Sie wusch ihre ärmlichen Kleider und setzte sie instand, schmückte sich



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so gut sie konnte und machte sich reisefertig. Viel hatte sie nicht mitzunehmen.

Am nächsten Donnerstag Abend kam der Eisbär und wollte die Braut holen. Sie nahm ihr Bündel, setzte sich auf seinen Rücken und er trug sie davon.

Als sie ein gutes Stück auf dem Wege vorangekommen waren, fragte der Eisbär: »Hast du Angst?«. - Nein, die hätte sie nicht. - »Nun, so halte dich gut fest an meinem Fell, so ist auch keine Gefahr, daß du hinunterfällst«, sagte er.

Sie ritt und sie ritt, und endlich kamen sie zu einem großen Felsen. Da klopfte der Eisbär an, eine Pforte sprang auf und sie kamen in ein Schloß. Da war Licht in allen Räumen und es schimmerte von Gold und Silber. Dann kamen sie in einen großen Saal mit einem gedeckten Tisch, so prächtig, daß es kaum zu glauben war, wie prächtig. Der Eisbär gab ihr eine Silberglocke und sagte, wenn sie etwas haben wolle, so solle sie nur danach läuten, so würde sie es sogleich bekommen. Als sie nun gespeist hatte und der Abend sich neigte, wurde sie müde nach der Reise und bekam Lust, sich schlafen zu legen. Sie läutete mit der Glocke und kam in eine Kammer mit einem bereiteten Bett, so reizend, um sich gerade nur hineinzulegen, mit seidenen Daunenkissen und Vorhängen mit Goldfransen. Und alles strahlte von Gold und Silber. Aber als sie sich niedergelegt und das Licht gelöscht hatte, kam ein Mensch herein und legte sich neben sie, und das war der Eisbär, welcher sein Fell abgeworfen hatte zur Nacht. Doch niemals bekam sie ihn zu sehen, denn er kam erst, wenn sie das Licht gelöscht hatte, und bevor der Morgen graute, war er wieder fort.

Das ging eine ganze Weile gut, aber dann wurde sie still und traurig, denn sie war alle Tage so allein und verlangte heim zu den Eltern und Geschwistern. Als der Eisbär sie fragte, was ihr fehle, sagte sie, daß sie hier so einsam sei und sich sehne nach Eltern und Geschwistern und glaube niemals wieder heimkommen zu können, so sehr sie sich auch danach sehne.

»Da weiß ich wohl Rat«, sagte der Eisbär, »aber du mußt mir versprechen, daß du mit deiner Mutter nie allein reden willst, nur wenn die anderen zuhören. Denn sie wird dich bei der Hand nehmen, dich beiseite in eine Kammer führen und allein mit dir sprechen wollen. Aber das darfst du nicht tun, oder du machst uns beide unglücklich.«

Eines Sonntags kam der Eisbär und sagte, nun könnten sie zu den Eltern reisen. Gut also, sie setzte sich auf seinen Rücken und ritt lang und länger und schließlich kamen sie zu einem großen weißen Guts-



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haus, da sprangen die Geschwister draußen herum und spielten, daß es eine Lust war anzusehen. »Da wohnen deine Eltern«, sagte der Eisbär, »aber vergiß nicht, was ich dir gesagt habe, sonst bringst du Unglück über dich und mich.« - »Nein, beim Himmel, das will ich nicht vergessen«, antwortete sie, und als sie hingekommen waren, drehte der Eisbär wieder um. Da war große Freude, als sie zu den Eltern reinkam, und sie konnten ihr nicht genug danken, was sie Gutes ihnen getan hätte. Und alle fragten sie die Tochter, wie es ihr nun dort ginge, wo sie war. Es ginge ihr gut und sie hätte alles, was sie sich nur wünschen könne, sagte sie. Was sie weiter antwortete, kann ich nicht sagen, aber ich glaube nicht, daß sie ihnen alles genau mitteilte. Doch so am Nachmittag, als sie zu Mittag gespeist hatten, ging es genau so wie der Eisbär gesagt hatte. Die Mutter wollte mit ihr allein in einer Kammer sprechen, aber sie erinnerte sich, was der Eisbär gesagt hatte und wollte das auf keinen Fall, »Was wir uns zu erzählen haben, das können wir ebensogut hier sagen«, meinte sie. Aber wie das oft so geht, zum Schluß überredete sie die Mutter doch, und nun mußte sie ihr allein erzählen, was sie erlebt hatte.

Sie sagte, daß immer am Abend, wenn sie das Licht gelöscht hätte, ein Mensch sich neben sie legte, den sie nie zu sehen bekam, denn wenn der Morgen graute, sei er fort. Das mache ihr Sorgen, denn sie wolle ihn so gerne sehen. Und am Tage sei sie ganz allein, das sei so langweilig.

»Huh, das kann vielleicht ein Troll sein, mit dem du im Bett liegst«, sagte die Mutter. »Aber ich werde dir einen Rat geben, wie du ihn sehen kannst. Du wirst einen Lichtstumpf von mir bekommen, welchen du in deinem Busen versteckt mit dir nehmen kannst. Beleuchte ihn, wenn er schläft, aber gib fein acht, daß kein Talgtropfen der Kerze auf ihn fällt.« Ja, sie nahm das Licht und verbarg es in ihrem Busen. Und am Abend kam der Eisbär und holte sie.

Als sie ein Stück Weg zurückgelegt hatten, fragte der Eisbär, ob es nicht so gegangen sei, wie er vorausgesagt hatte. Ja, das könne sie nicht leugnen.

»Ja, wenn du nach deiner Mutter Rat handeln wirst, so machst du uns beide unglücklich und es ist aus zwischen uns«, sagte er. - Nein, das wolle sie nun nicht.

Als sie heimkam und sich niedergelegt hatte, ging das wie üblich: da kam ein Mensch und legte sich neben sie. Doch als es auf Mitternacht zuging und sie ihn schlafen hörte, stand sie auf, schlug Feuer, entzündete das Licht und beleuchtete ihn: da sah sie, es war der schönste Prinz,



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der ihr jemals vor Augen kam, und sie war so verliebt in ihn, daß sie glaubte, nicht mehr leben zu können, wenn sie ihm keinen Kuß geben würde, jetzt gleich, im Augenblick. Und das tat sie auch. Aber dabei fielen drei heiße Talgtropfen auf sein Hemd, und er erwachte.

»0, was hast du getan!« rief er. »Nun hast du uns beide unglücklich gemacht. Hättest du noch ein Jahr ausharren können, so wäre ich erlöst gewesen. Denn ich habe eine Stiefmutter, die mich verzaubert hat, am Tage ein Eisbär zu sein und nur in der Nacht ein Mensch. Aber nun ist alles aus zwischen uns. Nun muß ich mich von dir trennen und zu ihr gehen. Sie wohnt in einem Schloß, das liegt östlich der Sonne und westlich des Mondes. Dort wartet auch eine Prinzessin mit einer drei Ellen langen Nase, die muß ich nun heiraten.«

Sie weinte und jammerte, aber da war nichts zu machen, er mußte fort. Sie fragte, ob sie mit ihm gehen könne. Nein, niemals könne das geschehen.

»Kannst du mir den Weg sagen, so werde ich dich dort aufsuchen. Das kannst du mir doch erlauben«, flehte sie.

Ja, das könne sie, aber dahin führe kein Weg. Das Schloß läge östlich der Sonne und westlich des Mondes, und dahin würde sie niemals finden.

Am Morgen, als sie erwachte, war beides fort, Prinz und Schloß. Sie lag auf einem kleinen grünen Fleck mitten im dunklen, dichten Wald, nur dasselbe kleine Bündel mit ärmlicher Kleidung, welches sie von zu Haus mitgenommen hatte, lag bei ihr.

Als sie nun den Schlaf aus den Augen gewischt und sich müde geweint hatte, machte sie sich auf den Weg, und so ging sie viele, viele Tage, bis sie zu einem großen Felsen kam. Davor saß eine alte Frau und spielte mit einem goldenen Apfel. Das Mädchen fragte, ob sie den Weg zum Prinzen wüßte, zum Prinzen, der nun bei seiner Stiefmutter sei, in einem Schloß, welches östlich der Sonne und westlich des Mondes läge. Der Prinz solle eine Prinzessin heiraten mit einer drei Ellen langen Nase.

»Woher kennst du ihn«, fragte die alte Frau, »vielleicht sollst du ihn haben.«

Ja, so war es wohl auch.

»Ja so, du bist es also«, sagte die Alte. »Ja, ich weiß auch nicht mehr von ihm, als daß er in dem Schloß wohnt, welches östlich der Sonne und westlich des Mondes liegt, und dahin kommst du spät oder nie. Doch mein Pferd sollst du geliehen bekommen zur Nachbarin, vielleicht kann sie es dir sagen. Und wenn du hingekommen bist, so



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brauchst du nur das Pferd leicht unter das linke Ohr zu schlagen, und sogleich wird es heimwärts traben. Auch den Goldapfel kannst du mit dir nehmen.«

Sie setzte sich auf das Roß und ritt lange, lange Zeit, und so kam sie schließlich zu einem Felsen, davor eine alte Frau mit einer goldenen Haspel saß. Diese fragte sie, ob sie den Weg wüßte zu einem Schloß, welches östlich der Sonne und westlich des Mondes läge. Sie sagte genau wie die andere alte Frau, daß sie nichts anderes wüßte, als daß es östlich der Sonne und westlich des Mondes läge, "und dahin kommst du spät oder nie. Aber du sollst mein Pferd geliehen bekommen, auf dem kannst du reiten bis zu meiner Nachbarin, vielleicht kann sie es dir sagen. Und wenn du hingekommen bist, so brauchst du nur dem Pferd leicht unters linke Ohr zu schlagen und sogleich wird es heimwärts traben.« Und so gab sie dem Mädchen das goldene Haspelchen, »denn es kann sein, daß du es einmal brauchst«, sagte sie.

Das Mädchen setzte sich aufs Pferd und ritt wieder ein lang langes Stück Weges und kam zu einem großen Felsen, davor eine alte Frau saß, die an einem goldenen Spinnrade spann. Auch diese fragte sie, ob sie den Weg zum Prinzen wüßte und wo das Schloß sei, das östlich der Sonne und westlich des Mondes läge. Es ging genau wie vorher.

»Vielleicht bist du es, die den Prinzen haben soll«, sagte die Alte.

Ja, so wird es wohl sein. Aber sie wußte keinen besseren Weg als die anderen beiden auch. Östlich der Sonne und westlich des Mondes war es, das wisse sie, »und dahin kommst du spät oder nie«, sagte sie, »aber ich will dir mein Pferd leihen, so meine ich, du sollst zum Ostwind reiten und ihn fragen, vielleicht kennt er sich dort aus und kann dich hinblasen. Wenn du hingekommen bist, so brauchst du nur das Pferd unters linke Ohr zu schlagen, so geht es wieder heim.«Und so gab sie ihr das Goldspinnrad, »vielleicht wirst du es einmal brauchen«, sagte die Alte.

Sie ritt viele Tage und eine lange Zeit, bis sie zum Ostwind kam, und so fragte sie ihn, ob er ihr den Weg zum Prinzen sagen könne, welcher östlich der Sonne und westlich des Mondes wohne.

Ja, vom Prinzen hätte er erzählen hören, sagte der Ostwind, und auch von seinem Schloß, aber den Weg wisse er nicht, so weit hätte er niemals geblasen. »Aber wenn du willst, so bringe ich dich zu meinem Bruder, dem Westwind. Kann sein, er weiß es, denn er ist stärker. Du kannst dich auf meinen Rücken setzen, so werde ich dich hintragen.«

Ja, so machte sie es, und das ging ziemlich frisch weg. Als sie ankamen, gingen sie hinein, und der Ostwind sagte, er bringe eine mit und



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das sei diejenige, welche den Prinzen haben solle, in dem Schloß, welches östlich der Sonne und westlich des Mondes läge. Sie wolle gerne hören, ob der Westwind wisse, wo das Schloß läge.

»Nein, so weit habe ich nie geblasen«, sagte der Westwind, »aber wenn du willst, so begleite ich dich zum Sonnenwind, er ist viel stärker als irgend einer von uns, und er ist weit und breit umhergestreift, vielleicht kann er dir das sagen. Wenn du dich auf meinen Rücken setzest, so werde ich dich hintragen.«

Ja, so machte sie es, sie reiste zum Sonnenwind, und sie war nicht lang unterwegs, glaube ich. Als sie dort waren, fragte der Westwind, ob er dem Mädchen den Weg sagen könne, der zum Schloß führt, welches östlich der Sonne und westlich des Mondes läge. Das sei jene, die den Prinzen haben solle.

»Ja so«, sagte der Sonnenwind, »sie ist es! Ich bin wohl viel gewandert, an manche Stätte in dieser Zeit, aber soweit habe ich nie geblasen. Aber wenn du willst, so bringe ich dich zu meinem Bruder, dem Nordwind, er ist der älteste und stärkste von uns allen zusammen, und wenn er nicht weiß, wo das Schloß liegt, so brauchst du niemanden in der Welt mehr darum zu fragen. Du kannst dich auf meinen Rücken setzen, so trage ich dich hin.«

Ja, sie setzte sich auf seinen Rücken und er brauste von dannen, daß es nur so seine Art hatte. Da wurde der Weg nicht lang.

Als sie in die Gegend kamen, wo der Nordwind wohnte, war er so wild und außer sich, daß sie von eiskalten Windstößen empfangen wurden. »Was wollt ihr!« schrie er von weitem, daß ihnen das Blut in den Adern erstarrte. »Sei mal lieber nicht so streng«, sagte der Sonnenwind, »denn ich bin es ja nur, und sie ist diejenige, welche den Prinzen haben muß, der in dem Schloß wohnt östlich der Sonne und westlich des Mondes. Und nun will sie dich fragen, ob du dort warst und ob du ihr den Weg sagen kannst, denn sie will ihn gerne wieder finden.«

»Ja, ich weiß noch gut, wo das war«, sagte der Nordwind. »Ich habe ein einziges Mal Espenlaub dorthin geblasen, aber da war ich dann so müde, daß ich ein paar Tage lang nicht mehr zu blasen vermochte. Aber wenn es so ist, daß du endlich hinkommen willst und du keine Angst hast, mit mir zu gehen, werde ich dich auf meinen Rücken nehmen und versuchen, ob ich dich dahin bringen kann.«Ja, sie wolle und sie müsse dorthin, falls der Weg irgendwie möglich und wenn er auch noch so schwierig sei. Und Angst hätte sie keine.

»Gut«, sagte der Nordwind, »so mußt du hier übernachten, denn wir müssen den Tag vor uns haben, wenn wir das Ziel erreichen wollen.«



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Zeitig am anderen Morgen weckte sie der Nordwind, blies sich auf und machte sich so groß und stark, daß er zum Fürchten aussah. Und so trug er sie davon, hoch hinauf und weit weg durch die Lüfte, als ob sie zum Weltende fahren sollten. Über dem Land tobte ein Sturm, der alles niederriß, Häuser und ganze Waldstücke, und als sie über die weite See hinauskamen, erlitten die Segler hunderteweis Schiffbruch. So fuhren sie dann dahin, so lang so lang, daß niemand glauben konnte, wie lang. Und immer noch gings über See, und der Nordwind wurde müder und müder, sodaß er fast nicht mehr imstande war zu blasen. Und tiefer und tiefer sank sie nieder, daß die Wellenkämme ihre Fersen streiften. »Hast du Furcht«, sagte der Nordwind. »Nein«, sagte sie, »ich fürchte mich nicht.«Und es war auch nicht mehr weit bis zum Land. Der Nordwind hatte gerade noch so viel Kraft, daß er sie an den Strand werfen konnte, unter das Fenster vom Schloß, das östlich der Sonne und westlich des Mondes lag. Aber dann war er so müde und entkräftet, daß er sich erst ein paar Tage ausruhen mußte, um wieder zu sich zu kommen.

Am Morgen also setzte sie sich vors Fenster und spielte mit dem Goldapfel, und das erste, was sie zu sehen bekam, war die Prinzessin mit der langen Nase, welche den Prinzen heiraten sollte.

»Was willst du für den Goldapfel haben, du da draußen«, sagte sie, indem sie das Fenster einen kleinen Spalt öffnete.

»Der ist weder für Geld noch Gold zu haben«, sagte das Mädchen.

»Nun, wenn er nicht für Gold noch Geld zu haben ist, was willst du denn dafür? Du kannst haben, was du willst«, sagte die Prinzessin.

»Wenn ich hinaufkommen könnte zu dem Prinzen, der hier wohnt, und bei ihm bleiben könnte eine Nacht lang, so kannst du den Goldapfel haben«, sagte jene, die mit dem Nordwind gekommen war.

Ja, das könne sie, dafür wolle sie sorgen.

Die Prinzessin bekam den Goldapfel. Doch als das Mädchen am Abend zu dem Prinzen ins Zimmer kam, schlief er. Sie rief ihn und schüttelte ihn und dabei weinte sie und klagte, aber sie konnte ihn nicht wach bekommen, denn die andere hatte ihm einen Schlaftrunk am Abend gereicht. Am Morgen, als der Tag zu leuchten begann, kam die langnasige Prinzessin und jagte sie wieder hinaus.

Einige Tage darauf setzte sie sich vor das Schloßfenster, um mit der Goldhaspel zu haspeln, und da ging es genau so. Die Prinzessin fragte sie, was sie für die Goldhaspel haben wolle, und sie sagte, daß sie weder für Geld noch Gold feil sei. Aber wenn sie Erlaubnis bekäme, hinauf zum Prinzen zu gehen, und nachts bei ihm sein dürfe, so solle sie die



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Haspel haben. Aber als sie hinaufkam, schlief er wieder, und obgleich sie rief und schrie und ihn schüttelte, und obgleich sie herzzerbrechend weinte, schlief er doch so fest, daß er nicht aufzuwecken war. Und als der Tag graute, kam die Prinzessin mit der langen Nase und jagte sie zur Tür hinaus.

Am nächsten Tage setzte sich das Mädchen vors Schloßfenster und spann mit dem Goldrocken, und den wollte die Prinzessin mit der langen Nase auch haben. Sie öffnete das Fenster und fragte, was sie dafür haben wolle. Das Mädchen sagte wie das letzte Mal, daß er weder für Geld noch Gold feil sei, aber wenn sie hinauf zum Prinzen dürfe, so solle sie den Goldrocken haben. -Ja, das könne sie gerne.

Aber da waren einige Christenleute, die in der Kammer gefangen gehalten wurden, gerade neben dem Prinzen. Die hatten gehört, daß da ein weibliches Wesen geweint und ihn gerufen hatte, zwei Nächte lang, und das sagten sie dem Prinzen. Am Abend, als die Prinzessin mit dem Nachttrunk kam, tat er so, als ob er trinken würde, goß ihn aber hinter sich, denn er ahnte, daß es ein Schlaftrunk war.

Als jetzt das Mädchen hereinkam, war der Prinz wach, und so mußte sie erzählen, wie sie das Schloß gefunden hatte.

»Du kommst gerade recht«, sagte der Prinz, »denn morgen sollte ich Hochzeit halten. Aber ich will das Nasenungetüm gar nicht haben, und du bist die einzige, die mich retten kann. Ich werde sagen, daß ich zuerst sehen will, wozu meine Braut taugt. Ich werde sie bitten, das Hemd zu waschen mit den drei Talgflecken drin. Darauf wird sie eingehen, denn sie weiß nicht, daß du sie gemacht hast. So werde ich sagen, daß ich nur eine Braut haben möchte, welche die Flecken herauswaschen kann. Und du kannst das, ich weiß es. Aber solch ein Trollpack kann das nicht.«

Da war natürlich große Freude und Wonne bei ihm in der Nacht. Aber am Tage danach, da die Hochzeit sein sollte, sagte der Prinz: »Zuerst will ich sehen, was meine Braut taugt.« - Ja, das könne er, sagte die Stiefmutter.

»Ich habe ein feines Hemd, welches ich als Bräutigamshemd tragen will. Aber da sind drei Talgflecken drauf gekommen, die will ich herausgewaschen haben. Das habe ich gelobt, daß ich keine andere haben will, als eine, die das kann. Kann sie es nicht, so ist sie nicht wert, meine Braut zu sein.«

Das wäre gar keine Sache, meinten die und gingen darauf ein. Und die mit der langen Nase begann zu waschen aus Leibeskräften, aber je mehr sie wusch und rieb, desto größer wurden die Flecken. »Ach, du kannst nicht waschen«, sagte ihre Mutter, das alte Troll



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weib, »laß mich nur waschen.«Aber kaum hatte sie das Hemd ergriffen, so wurde es nur noch häßlicher, und je mehr sie rieb und wusch, desto größer und schwärzer wurden die Flecken. Dann sollten die anderen Trolle helfen waschen, aber je länger es dauerte, umso häßlicher und grauslicher wurde es, und schließlich sah das Hemd aus, als sei es durch den Kamin gezogen worden.

»Ach, von euch taugt niemand etwas«, sagte der Prinz, »aber da sitzt ein armes Mädchen draußen vorm Fenster, ich bin sicher, die kann besser waschen als ihr alle zusammen. Komm herein, Mädchen!«rief er.

Ja, sie kam herein.

»Kannst du das Hemd rein waschen«, sagte er.

»Ach, ich weiß es nicht«, sagte sie, »ich will es versuchen.«Kaum hatte sie das Hemd ergriffen und in Wasser getaucht, so wurde es blendend weiß wie frisch gefallener Schnee, ja noch weißer.

»Ja, dich will ich haben«, sagte der Prinz.

Da wurde das alte Trollweib so bös-wütend, daß es zerbarst. Und die Prinzessin mit der langen Nase und das andere Trollgesindel zerbarst wohl auch, denn ich habe seither nie wieder etwas von ihnen gehört.

Der Prinz und seine Braut befreiten die Christenleute, die dort gefangen waren, und sie packten so viel Gold und Silber zusammen, als sie nur tragen konnten. Und sie flohen weit weg vom Schloß, das östlich der Sonne und westlich des Mondes lag.


Copyright: arpa, 2015.

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