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Die Kormorane von Ut-Röst


Norwegische Märchen


Übersetzt von Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART


Der Grüne Ritter

Es war einmal ein König, der war Witwer und hatte eine einzige Tochter. Es gibt ein altes Sprichwort: »Witwerleid ist wie Ellenbogenstöße, es tut weh, aber es geht bald vorüber.« Und so verheiratete er sich mit einer Königin, die zwei Töchter hatte.

Auch diese Stiefmutter war nicht besser als alle Stiefmütter, schlimm und boshaft war sie gegen die Stieftochter.

Nach einiger Zeit, als die Prinzessinnen erwachsen waren, brach ein Krieg aus, und der König mußte ausziehen, für Land und Reich zu kämpfen. Die drei Töchter durften sich etwas wünschen, was der König mit heimbringen würde, sobald er die Feinde besiegt hätte. Die Stieftöchter durften zuerst sagen, was sie sich wünschten. Ja, die erste bat um ein goldenes Spinnrädchen, so groß, daß es auf einem silbernen Achtschillingstück stehen könne. Die andere bat um ein Goldapfelbäumchen, so groß, daß es auf einem silbernen Achtschillingstück stehen könne. Das wollten sie haben. Diese Dinge waren nun weder zum Spinnen noch zum Ernten zu gebrauchen, zu gar nichts. Aber seine



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eigene Tochter, die wollte nichts anderes haben, als daß er den grünen Ritter grüßen solle.

Der König zog in den Krieg und gewann ihn, und dann kaufte er das, was er den Stieftöchtern versprochen hatte. Das, worum ihn seine eigene Tochter gebeten hatte, war vollkommen vergessen. - Weil er den Krieg gewonnen hatte, gab er ein Gastmahl. Dabei sah er auf einmal den grünen Ritter und dadurch erinnerte er sich an den Wunsch, und so richtete er ihm die Grüße seiner Tochter aus. Der Ritter dankte ihm für die Grüße und gab ihm ein Buch, das wie ein Gesangbuch aussah mit Buchdeckeln zum Zuschnallen und Verschließen. Das sollte der König mitnehmen und ihr geben. Aber aufschließen dürfe er es nicht, und auch sie dürfe es nur aufschließen, wenn sie allein wäre.

Als der König mit Krieg und Gastmählern fertig war, kam er wieder nach Hause. Kaum war er zur Tür hereingetreten, umringten ihn die Stieftöchter schon und fragten nach dem, was er ihnen mitgebracht hätte. Ja, er hatte beides mitgebracht. Aber seine eigene Tochter hielt sich zurück und fragte nicht. Und der König hatte es auch vergessen. Aber einmal, als er ausgehen wollte, trug er wieder denselben Rock, den er zu dem Gastmahl getragen hatte. Und als er in die Tasche griff, um sein Taschentuch herauszuziehen, kam ihm das Buch in die Hände. Jetzt gab er es ihr und sagte, er solle grüßen, das schicke ihr der grüne Ritter und sie solle es nur aufschließen, wenn sie allein wäre.

Am Abend, als sie allein in ihrer Schlafkammer war, schloß sie das Buch auf und da hörte sie eine Melodie, die so schön war, wie sie noch keine gehört hatte, und dann kam der grüne Ritter. Er sagte, daß dies Buch so beschaffen sei: sobald sie es aufschlösse, käme er zu ihr, wo sie auch sei, und wenn sie es wieder zuschlösse, sei er im selben Augenblick verschwunden.

Ja, am Abend, wenn sie allein und in Ruhe war, öffnete sie das Buch manchmal, und der Ritter kam stets zu ihr. Sie sahen sich sehr oft. - Aber die Stiefmutter steckte ihre Nase in alles, ihr schien es, daß da jemand drinnen bei ihr sei, und sie sagte es sofort dem König. Der wollte es aber nicht glauben, das müsse er erst selbst sehen, und sie solle es ihm zeigen. Eines Abends standen sie außen vor der Tür und lauschten, und da schien es zuerst, als ob jemand drinnen spräche. Als sie aber hineinkamen, war niemand da. »Mit wem hast du gesprochen?« fragte die Stiefmutter hart und rauh. »Es war niemand hier«, sagte die Königstochter. »Ich habe es aber ganz deutlich gehört«, beharrte die Königin. »Ich las noch in einem Gebetbuche.«»Zeige es mir«, sagte die Königin. »Ja, das ist aber doch wirklich nichts anderes als ein Gebet-



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buch und das muß sie doch lesen dürfen«, sagte der König. Doch die Stiefmutter glaubte dasselbe wie vorher. Sie bohrte ein Loch in die Wand und lauerte. Eines Abends hörte sie, daß der Ritter da war. Sie riß die Tür auf und fuhr wie ein Wind zur Stieftochter hinein. Aber diese hatte das Buch schnell geschlossen, und fort war er in aller Eile. Aber so schnell es auch ging, so hatte doch die Stiefmutter einen Hauch von ihm gesehen, und sie war gewiß, daß jemand da gewesen war.

Nun geschah es, daß der König auf eine lange Reise gehen mußte. Sofort ließ die Stiefmutter ein tiefes Loch in die Erde graben und dahinein ein Haus mauern. Aber in die Mauern ließ sie Rattenpulver legen und andere starke Gifte, damit nicht einmal eine Maus hereinkommen könne. Den Mauerermeister bezahlte sie gut und er mußte versprechen, aus dem Lande zu reisen. Aber das tat er nicht. Er blieb, wo er war. Die Königstochter wurde hinuntergeführt mit ihrer Dienstmagd, und der Gang wurde so weit zugemauert, daß nur ein kleines Loch offen blieb, um ihnen Speise durchzureichen. Hier unten saß sie nun und trauerte und die Zeit wurde ihr lang und länger. Da erinnerte sie sich, daß sie ja das Buch mit hinuntergenommen hatte. Sie nahm es zur Hand und schloß es auf. Zuerst hörte sie dieselbe schöne Melodie, welche sie immer gehört hatte, danach aber einen unglücklichen Jammerlaut, und dann erschien der grüne Ritter. »Ich werde in der nächsten Zeit sterben müssen«, sagte er, und dann erzählte er, daß die Stiefmutter starkes Gift in die Wände gemischt hätte, und er wüßte nicht, ob er lebend wieder herauskäme. Als sie das Buch wieder schließen mußte, hörte sie denselben unglücklichen jammernden Laut.

Aber die Dienstmagd, die sie bei sich hatte, besaß einen Liebsten. Der bekam Botschaft zugesendet, er solle zum Maurermeister gehen und ihn bitten, das Loch so groß zu machen, daß sie wieder hinaufkriechen könnten, die Königstochter würde ihn so gut bezahlen, daß er sein Lebtag genug haben würde. Und er tat es auch wirklich. Sie schlüpften heraus und reisten weit weg in fremde Länder, und wohin sie auch kamen, die Königstochter und die Dienerin, überall fragten sie nach dem grünen Ritter.

Nach langer Zeit kamen sie zu einem Schloß, das war ganz schwarz verkleidet. Und als sie dahinaufgehen wollten, kam ein Regenguß über sie, sodaß die Königstochter Schutz suchte unter dem überdachten Umgang der Kirche. Dort wollte sie den ärgsten Regen abwarten. Als sie dort stand, kam ein alter Mann und ein junger Mann, die auch vor dem Regen Schutz suchten. Aber die Prinzessin zog sich in den Winkel zurück, sodaß sie nicht gesehen wurde.



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»Wie kommt es, daß dies Königsschloß schwarz verhangen ist«, fragte der Junge. »Weißt du das nicht«, sagte der alte Mann, »der Prinz dort oben ist todkrank, früher nannten sie ihn den ,grünen Ritter'». Und dann erzählte er, wie das zugegangen war. Als der Junge das gehört hatte, fragte er, ob denn niemand da sei, der ihn wieder gesund machen könne. »Nein, da gibt es nur noch den einen Weg, daß die Jungfrau, welche in dem Haus unter der Erde sitzt, kommt und heilkräftige Kräuter auf den Feldern pflückt, sie in süßer Milch kocht, und ihn dreimal damit wäscht.«Und dann zählte er all die Kräuter auf, die ihn gesund machen würden. Das hörte die Prinzessin und merkte sie sich gut. Als sie nach Haus kam, ging sie gleich hinaus in Feld und Wald und sammelte die Kräuter. Auch die Dienstmagd pflückte und sammelte früh und spät all die Kräuter, die sie zum Kochen brauchten. Dann kaufte sich die Königstochter einen Doktorhut und ein Doktorgewand, ging hinauf zum König und erbot sich, den Prinzen gesund zu machen.

Nein, das könne alles nichts nützen, sagte der König, so viele hätten das schon versucht, aber es sei nur schlechter statt besser geworden. Sie gab sich nicht damit zufrieden, sondern versprach, daß es ganz sicher besser werden würde und sogar sehr bald. Also gut, sie bekam schließlich die Erlaubnis, es auszuprobieren. Sie kam herein zum grünen Ritter und wusch ihn das erste Mal. Als sie den andern Tag wieder kam, ging es ihm schon so viel besser, daß er im Bett sitzen konnte. Da wusch sie ihn das zweite Mal, und am nächsten Tag konnte er schon in der Stube umhergehen. Da wusch sie ihn das dritte Mal, und am folgenden Tage war er frisch und gesund wie ein Fisch im Wasser. Er könne hinaus auf die Jagd gehen, sagte der Doktor. Da war der König so glücklich wie ein Vogel an sonnenlichten Tagen und dankte dem Doktor. Aber der »Doktor« wollte heim. Dort warf sie Hut und Gewand von sich, schmückte sich und bereitete eine Mahlzeit.

Sie schlug das Buch auf, da ertönte dieselbe schöne, frohe Melodie wie ehedem, und mit einem Male kam der grüne Ritter. Er wunderte sich, wie sie hierhergekommen sei, und da erzählte sie, was sich alles zugetragen hatte. Als sie nun beide gegessen und getrunken hatten, nahm er sie mit hinauf zum Schloß und erzählte dem König die ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende.

Nun wurde Hochzeit gehalten und ein großes Fest gefeiert, und als sie damit fertig waren, reisten sie heim. Das war eine große Freude für ihren Vater. Aber die Stiefmutter nahm man und sperrte sie in eine Nageltonne und rollte sie den Berg hinab.


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