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Die Kormorane von Ut-Röst


Norwegische Märchen


Übersetzt von Käthe Wolf-Feurer

J. CH. MELLINGER-VERLAG STUTTGART


Die zwölf Wildenten

Es war einmal eine Königin, die fuhr zur Winterszeit im Schlitten durch den frisch gefallenen Schnee.

Als sie ein gutes Stück ihres Weges zurückgelegt hatte, bekam sie Nasenbluten und sie mußte aussteigen. Als sie nun so stand, geneigt, und sich das rote Blut betrachtete, wie es in den frisch gefallenen Schnee tropfte, ging ihr durch den Sinn, daß sie zwar zwölf Söhne hatte, aber keine Tochter, und sie sagte zu sich selbst: »Hätte ich eine Tochter so weiß wie Schnee und so rot wie Blut, so würde mir an meinen zwölf Söhnen nicht mehr so viel liegen«. Das war noch nicht fertig ausgesprochen, so kam auch schon eine alte Frau zu ihr und sagte: »Eine Tochter sollst du bekommen und die soll so weiß wie Schnee und so rot wie Blut sein, und deine Söhne sollen mir gehören, doch wirst du sie bei dir behalten können, bis die Kinder getauft sind.«



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Als die Zeit erfüllt war, bekam die Königin eine Tochter. Sie war so weiß wie Schnee und so rot wie Blut, wie die Alte ihr versprochen hatte, und deswegen nannte sie die Tochter auch »Schneeweiß und Rosenrot«. Da war eitel Freude am Königshof und die Königin war so glücklich über ihr Töchterlein, daß man es gar nicht sagen konnte, wie glücklich sie war. Aber als ihr wieder in den Sinn kam, was ihr die Alte noch versprochen hatte, ließ sie zwölf silberne Löffel von einem Silberschmied machen, einen für jeden Prinzen, und noch einen ließ sie dazu machen, den gab sie Schneeweiß Rosenrot.

Sobald die Prinzen getauft waren, wurden sie in zwölf Wildenten verwandelt, flogen davon und wurden nirgends mehr gesehen. Sie waren verschwunden und blieben verschwunden. - Die Prinzessin wuchs auf und wurde groß und schön, aber sie war oft so seltsam traurig, und kein Mensch konnte verstehen, was ihr fehlte.

Aber eines Abends, als die Königin auch so traurig war, - denn sie hatte manch seltsame Gedanken, wenn sie an ihre Söhne dachte -, da sagte sie zu Schneeweiß Rosenrot: »Mein Kind, warum bist du so traurig, sage mir frei heraus, wenn dir irgend etwas fehlt, wenn du etwas begehrst, so sollst du es haben.«

»0, ich bin so einsam«, sagte Schneeweiß Rosenrot, »alle anderen haben Geschwister, nur ich bin so allein, darüber bin ich so betrübt.«

»Du hast auch Geschwister gehabt«, sagte die Königin, »ich hatte einst zwölf Söhne, die deine Brüder waren, aber alle die zwölf gab ich dahin, um dich zu bekommen«, und nun erzählte sie alles, was sich begeben hatte.

Als die Prinzessin das hörte, hatte sie keine Ruhe mehr zu Haus. Soviel die Königin auch bat und weinte, so half das gar nichts, sie wollte hinaus, denn sie glaubte, sie sei Schuld an allem. Und so verließ sie schließlich das Königsschloß. Sie lief und lief so weit fort in die weite Welt, daß man gar nicht glauben konnte, wie weit und wie lang so eine zarte Jungfrau gehen konnte.

Durch einen großen, dichten Wald ging sie lange Zeit, und davon wurde sie eines Tages so müde, daß sie sich auf einen Hügel setzte und einschlief. Da träumte sie, daß sie tiefer in den Wald hineinginge bis zu einem kleinen Blockhaus, und da waren ihre Brüder. In demselben Augenblick erwachte sie und gerade vor sich sah sie einen Pfad, der tiefer in den Wald hineinführte, dem folgte sie, und nach langer Zeit kam sie tatsächlich zu einem kleinen Blockhaus, genau wie sie es geträumt hatte.

Als sie in die Stube kam, war niemand darinnen, aber da standen



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zwölf Betten und zwölf Stühle und zwölf silberne Löffel lagen auf dem Tisch, und von allen Dingen waren es zwölf. Da sie das entdeckte, wurde sie froh, so froh wie sie seit Jahren nicht mehr gewesen war, denn sie wußte nun, daß die Brüder hier wohnten, und ihnen gehörten die Betten, die Stühle und die Löffel. Sie legte Holz aufs Feuer, schüttelte die Betten auf, kochte Essen, versorgte alles und schmückte das Haus so gut sie konnte. Und als sie für alle gekocht hatte, speiste sie selbst, und ihren Silberlöffel ließ sie auf dem Tisch liegen, sie vergaß ihn, und dann kroch sie unter das Bett ihres jüngsten Bruders.

Kaum hatte sie sich niedergelegt, so hörte sie es sausen und brausen in den Lüften und da kamen zwölf Wildenten hereingeflogen. Aber in demselben Augenblick, als sie über die Türschwelle flogen, wurden sie zu Prinzen.

»0, wie gut und warm es hier ist«, sagten sie, »Gott segne den, der nach dem Feuer gesehen hat und so gutes Essen für uns gekocht hat.« Nun nahm jeder seinen Silberlöffel und wollte essen, aber als jeder seinen Löffel genommen hatte, blieb dennoch einer auf dem Tisch liegen, und der war genau so wie die anderen auch, daß sie ihn nicht unterscheiden konnten. - Darüber wunderten sie sich und sagten zueinander: »Das kann nur der Löffel unserer Schwester sein, und ist der Löffel hier, so kann sie selbst auch nicht weit sein.«

»Wenn das der Löffel unserer Schwester ist und wir sie hier finden, so werden wir sie töten, denn sie ist schuld an allem Schlimmen, was wir erleiden müssen«, sagte der älteste der Prinzen. Und sie lag unter dem Bett und hörte das.

»Nein«, sagte der Jüngste, »das wäre unrecht, sie zu töten, sie kann nichts dafür, daß wir Unglück leiden. Wenn jemand schuld daran ist, so wäre das unsere eigene Mutter.«

Da begannen sie nach ihr zu suchen, oben und unten, und zum Schluß suchten sie auch unter allen Betten. Und als sie zum Bett des jüngsten Bruders kamen, fanden sie die Schwester und zogen sie hervor.

Der älteste Prinz wollte sie immer noch töten, aber sie weinte und bat so schön um ihr Leben. »Ach, lieber Gott, töte mich nicht«, sagte sie, »seit vielen Jahren suche ich nach euch, und wenn ich euch erlösen könnte, würde ich gern mein Leben für euch lassen.«

»Ja, willst du uns erlösen, so sollst du dein Leben behalten. Wenn du nur willst, so kannst du uns auch erlösen.« Da antwortete die Schwester: »Sagt mir nur, wie das geschehen kann, so will ich alles tun, was ihr sagt.«

»Du mußt Wollgras sammeln«, sagten die Prinzen, »und das sollst



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du karden und spinnen und Tuch daraus weben. Und wenn du das getan hast, sollst du zwölf Mützen, zwölf Hemden und zwölf Gewänder daraus zuschneiden und nähen, eins für jeden von uns, und während du das tust, darfst du weder sprechen, noch lachen, noch weinen. Kannst du das, so sind wir erlöst.«

»Aber wo werde ich das Wollgras finden zu so vielen Mützen, Hemden und Tüchern«, sagte Schneeweiß Rosenrot.

»Das werden wir dir noch zeigen«, sagten die Brüder, und sie nahmen sie mit hinaus zu einem großen, großen Sumpf, der stand voller Wollgras, das im Winde wogte und in der Sonne glänzte, sodaß es aussah, als ob Schnee weit und breit darauf gefallen sei. Niemals vorher hatte die Prinzessin so viel Wollgras gesehen. Und sie begann beizeiten gleich zu pflücken und zu sammeln, so schnell und so gut sie nur irgend konnte. Und wenn sie abends nach Hause kam, kardete sie das Wollgras und spann Garn daraus. Das ging gut und flink, sie sammelte und spann Wollgras und zwischendrein versorgte sie die Prinzen, sie kochte und machte ihre Betten. Am Abend kamen sie brausend hereingeflogen als Wildenten, in der Nacht waren sie Prinzen, aber am Morgen flogen sie wieder davon und waren den ganzen Tag lang Wildenten.

Aber eines Tages geschah es, als sie gerade im Sumpf Wollgras sammelte - und wenn ich nicht irre, war es das letzte Mal, daß sie sammeln wollte -, daß der junge König, der das Reich regierte, draußen auf der Jagd war. Er ritt am Sumpf vorbei und sah das Mädchen. Da hielt er sein Roß an und wunderte sich, wer wohl die schöne Jungfrau sein könne, die in den Sumpf ging und Wollgras sammelte. Er fragte sie auch darum, aber er bekam keine Antwort auf seine Frage. Das wunderte ihn noch mehr. Und doch gefiel sie ihm so gut, daß er sie mit sich nehmen wollte auf sein Schloß, wo er sie zu seiner Königin machen wollte. Deshalb sagte er zu seinen Dienern, sie sollten das Mädchen nehmen und hinten auf sein Roß setzen. Schneeweiß Rosenrot rang die Hände und gab Zeichen zu ihren Wollgrassäcken hin und zu den Säcken mit den fertigen Arbeiten. Der König verstand, daß sie die mithaben wollte.

Da sagte er zu den Dienern, sie sollten die Säcke auch aufladen und mitnehmen. Als sie dies getan hatten, ergab sich die Prinzessin in ihr Schicksal, denn der König war sowohl ein guter als auch ein schöner Mann, und er war so sanft und freundlich zu ihr wie ein Bruder. So ritten sie heim zum Königsschloß. Als aber seine Stiefmutter, die alte Königin, Schneeweiß Rosenrot erblickte und sah, wie schön und herr.



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lich das Mädchen war, wurde sie böse und eifersüchtig auf sie, darum sagte sie zum König: »Kannst du nicht begreifen, daß diejenige welche du mitgenommen hast, die du heiraten willst, eine Hexe ist? Sie kann ja weder sprechen, noch lachen, noch weinen.«

Der König achtete nicht darauf, was sie sagte, sondern er hielt Hochzeit mit Schneeweiß Rosenrot und sie lebten glücklich und froh miteinander. Und doch vergaß sie nicht, an den Hemden für ihre Brüder zu nähen.

Kaum war ein Jahr vergangen, so bekam Schneeweiß Rosenrot einen kleinen Prinzen, und da wurde die alte Königin noch böser und eifersüchtiger auf sie. Sie hielt Ausschau bei der Nacht und schlich sich hinein zu Schneeweiß Rosenrot, während sie schlief. Sie nahm das Kind und warf es in den Schlangengraben. Danach stach sie die junge Königin in den Finger und schmierte Blut um ihren Mund. Dann ging sie zum König: »Komm nur und sieh, was das für eine ist, die du zur Königin genommen hast«, sagte sie, »nun hat sie ihr eigenes Kind aufgegessen.«

Da wurde der König sehr traurig, er war nahe daran zu weinen und er sagte: »Ja, das muß wohl wahr sein, da ich es mit meinen eigenen Augen sehe, aber sie tut es gewiß nicht öfter. Für diesmal will ich ihr das Leben lassen.«

Bevor ein Jahr vergangen war, bekam die junge Königin wieder einen Sohn, und mit dem ging es genauso wie mit dem ersten. Die Stiefmutter des Königs wurde nur noch böser und eifersüchtiger. Während die junge Königin schlief, schlich sie sich zu ihr hinein in der Nacht, nahm das Kind und warf es in den Schlangengraben. Dann stach sie die junge Königin in den Finger, schmierte Blut um ihren Mund und sagte zum König, daß sie dieses Kind auch aufgegessen hätte. Da wurde der König so betrübt, wie du es gar nicht glauben kannst und sagte: »Ja, das muß wohl wahr sein, weil ich es mit meinen eigenen Augen gesehen habe. Aber sie wird es gewiß nicht öfter tun, so will ich ihr diesmal das Leben lassen.«

Bevor ein Jahr vergangen war, gebar Schneeweiß Rosenrot eine Tochter. Auch die nahm die alte Königin und warf sie in den Schlangengraben. Während die junge Königin schlief, stach sie diese in den Finger, schmierte das Blut um ihren Mund, ging zum König und sagte: »Nun kannst du kommen und selbst sehen, ob das wahr ist, was ich immer sage, daß sie eine Hexe ist. Sie hat ihr drittes Kind auch aufgegessen. «

Da befiel den König eine so große Trauer, die man gar nicht beschreiben kann, denn nun konnte er sie nicht mehr länger schonen, sondem



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er mußte befehlen, daß sie auf einem Holzstoß lebend verbrannt werden sollte. Als der Holzstoß in Brand stand und sie darauf gestellt werden sollte, machte sie durch Zeichen verständlich, daß sie zwölf Bretter rund um den Holzstoß legen sollten, und darauf tat sie die Gewänder, die Mützen und die Hemden für ihre Brüder. Aber an dem Hemd für ihren jüngsten Bruder fehlte der linke Arme!, den hatte sie nicht mehr fertig bekommen. Kaum war das getan, so hörte man es sausen und brausen in den Lüften, und vom Wald her flogen zwölf Wildenten herbei und jede der Enten nahm ihre Kleidung mit dem Schnabel auf und flog damit von dannen.

»Siehst du nun«, sagte die schlimme, alte Königin zum König, nun kannst du richtig sehen, daß sie eine Hexe ist. Eil dich nun und verbrenne sie, bevor alle Holzscheite verbrannt sind.

»Ach«, sagte der König, »Holz haben wir genug, wir können den ganzen Wald abhacken. Ich will ein wenig hier warten, denn ich möchte doch wissen, was eigentlich nun daraus wird.«

Im selben Augenblick kommen zwölf Prinzen dahergeritten, so schön und prächtig gewachsen, wie man es sich nur wünschen kann. Aber der jüngste Prinz hatte einen Entenflügel anstatt des linken Armes.

»Was geht hier vor«, sagten die Prinzen.

»Meine Königin soll verbrannt werden, denn sie ist eine Hexe und hat ihre Kinder aufgegessen«, antwortete der König.

»Sie hat ihre Kinder nicht aufgegessen«, sagten die Prinzen. »Sprich nun, Schwester, du hast uns befreit, nun befreie dich selbst.«

So erzählte Schneeweiß Rosenrot, wie alles zugegangen war. Jedesmal, wenn sie im Kindbett lag, hatte die alte Königin, die Stiefmutter des Königs, sich zu ihr hineingeschlichen zur Nacht, hatte die Kinder ihr weggenommen, sie in den Finger gestochen und ihr das Blut um den Mund gestrichen. Die Prinzen führten den König nun zum Schlangengraben. Da lagen die drei Kinder und spielten mit den Schlangen und Kröten, und reizendere Kinder hatte man nie gesehen.

Die nahm der König mit sich, trug sie zur Stiefmutter und fragte sie, welche Strafe sie demjenigen auferlegen würde, welcher das Herz hätte, eine unschuldige Königin zu verraten und drei so gesegnete Kinder. »Derjenige müßte dazu verdammt sein, zwischen zwölf ungezähmte Pferde gespannt zu werden, sodaß jeder sein Stück davon abrisse«, sagte die alte Königin.

»Du hast selbst dein Urteil gesprochen und du selbst sollst es erleiden«, sagte der König, und so wurde die alte schlimme Königin zwischen zwölf ungezähmte Pferde gespannt und in Stücke gerissen. Aber



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Schneeweiß Rosenrot nahm der König wieder zu sich und seine drei Kinder. Mit den zwölf Prinzen reisten sie heim zu den Eltern der Prinzen und der jungen Königin und erzählten dort, was sich begeben hatte. Da war eitel Freude und Glück im ganzen Königreich, daß die Prinzessin befreit war und daß sie ihre zwölf Brüder auch erlöst hatte.


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