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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Wie Eulenspiegel und der alte Hinkepot die Herzogin von Plön gerettet haben

Als Eulenspiegel eines Tages so seines Weges ging, sahen ihn zwei hohe Herren von den Überirdischen und erkannten den lustigen Gesellen. Und weil der eine ihn für einen unnützen Spaßmacher, der andere für einen wackeren Burschen hielt, beschlossen sie, den Wanderer auf die Probe zu stellen, um zu erfahren, was der Schelm mit einer besonderen Gunst anfangen würde. Die beiden schenkten ihm also — das vermochten sie ja —, daß Eulenspiegel sich für den Rest des Tages bis Mitternacht sowohl alt wie jung wünschen dürfe. Und sie ließen ihn wissen, was sie ihm gegeben hatten, und wollten nun sehen, was er mit seinem Recht begänne.

Morläufig ging der Bursch aus Mölln seines Weges und kümmerte sich nicht viel um sein Geschenk; vielleicht glaubte er überhaupt, daß die hohen Herren sich nur einen Spaß mit ihm erlaubt hatten. Nach einiger Zeit aber sah er von weitem den Bettelmann Hinkepot mit seinem Hund



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Kobe; das war ein sonderbares Paar, dem der Narr früher einmal einen Schabernack angetan hatte und von dem er sich nicht gern anhalten lassen wollte. Er wünschte sich also flugs, daß er als ein eisgrauer Müllermeister den beiden begegnete, und es geschah nach seinem Begehren.

Nun ist bekannt, wer der alte Hinkepot war. Er hat in seinen jungen Tagen einmal der Espe einen der goldenen Tanzschuhe gestohlen und ihn selbst angezogen. Seitdem hat er keine Ruhe; immer treibt ihn der Schuh zum Tanzen, und wo er nicht tanzen kann, muß er wie ein Hinkender seinen Weg suchen. Ein kleiner verlaufener Unterirdischer, Kobe mit Namen, hatte am Ende Mitleid mit Hinkepot. Er begleitete ihn in der Gestalt eines Hündleins und warnte ihn oder bettelte für seinen Herrn.

Als Eulenspiegel aber wie ein Müllermeister vorüberging, wich der andere ihm aus, ohne ein Bettelwort.

Das erstaunte den Spaßmacher; er hatte sich gefreut über die Verwandlung, und nun half sie ihm nicht einmal. Er lief deshalb im Bogen zurück, wünschte sich, ein kostbar gekleideter Junker zu sein, und richtete es ein, daß er den beiden von neuem begegnete. Wieder gingen Hinkepot und Kobe vorüber und grüßten, aber sie baten nicht um Almosen. Da hielt Eulenspiegel den Alten an und fragte, ob er zu stolz sei, etwas von ihm zu nehmen.

Nein seufzte der Bettler, das sei es nicht. Aber sein Hund Kobe habe ihn zweimal gewarnt, es käme ihnen ein Verkleideter entgegen; da habe er es gelassen. Ob der Herr vielleicht verraten wolle, wer er in Wahrheit sei? Eulenspiegel nickte, er wünschte sich in seine wirkliche Gestalt zurück, lobte den mitleidigen Unterirdischen und begleitete die beiden eine Weile; ihm schien gut, einmal zu erfahren, wie viele der Begegnenden ehrlich oder unehrlich in ihrer Haut waren.

Manche Menschen trafen sie auf ihrem Weg, gute und freundliche und unfreundliche. Mach einiger Zeit —sie waren schon dicht vorm Schloß von Plön —kam auch eine prächtige Kutsche vorüber, in der saß ein vornehmer Herr mit zwei Begleitern, und der Hund Kobe warnte die Männer leise.

"Warum sollen wir nicht grüßen?" fragten sie ihn.



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"Weil ein Betrüger darin sitzt", sagte Kode, "er will die Schloßfrau fangen.

"Wer ist es?

"Ein alter Drullkönig ist es, der hat es auf die arme Herzogin abgesehen."

Da meinte Eulenspiegel, daß sie wohl auf das Schloß gehen müßten, um zu erfahren, was die Bösen planten. Denn der Schloßherr, den sie alle gern gehabt hatten, war in einem großen Krieg gefallen, sein Bruder verschollen, es tat den dreien leid um die einsame Frau, die er hinterlassen hatte. Sie stiegen also den steilen Burgweg hinauf, Eulenspiegel, Hinkepot und der kleine Kobe, und baten am Tor um ein Stück Brot.

Als nun in die Küche gewiesen wurden, da verbeugten sie sich vor allen Leuten sehr höflich, wie es sich für Bittende geziemt. Aber der Hund Kobe sah den Koch nicht an.

"Was hast du gegen ihn?"fragte Eulenspiegel leise.

"Er ist einer der beiden, die den Drull begleiteten, und gibt sich für den neuen Küchenmeister aus.

Kann der sich vermummen, kann ich's auch, dachte Eulenspiegel, bat die Freunde, in der Küche zu bleiben, und wünschte sich in die Gestalt eines Dieners. Und weil gerade viel zu tun war und hohe Gäste eingetroffen waren, nahm man ihn eilig an und ließ ihn beim Auftragen helfen.

Es gefiel Eulenspiegel, er kam gleich den andern in den großen Rittersaal und sah dabei auch, wie der Drullkönig, dem er in der Kutsche begegnet war, schon neben der schönen Schloßfrau saß. Ja, als er es darauf anlegte, gerade die beiden zu bedienen, vernahm er, daß der Fremde sich wohl für des alten Herzogs verschollenen Bruder ausgab. Ach, der Unhold wußte so viel Abenteuerliches von seinem Leben und so viel Ehrenvolles von dem Gefallenen zu erzählen, daß der einsamen Frau die Tränen über die Wangen liefen.

Da hörte sie auf einmal, wie ihr jemand zuflüsterte:

"De echte Broder liggt al in't Graff,
Riet dissem dat falsche Angesicht af!



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Als das große Wahl nun vorüber war und Eulenspiegel mit den anderen Dienern in der Küche heißhungrig ass, was übriggelassen war, blieb der Küchenmeister des Drullkönigg vor ihm stehen und sprach ihn an. Du bist auch nicht echt", sagte er. "Warum bist du hier? Am Ende suchst du gar nach des Herzogs Schatz?" Er hatte nur einen Scherz machen wollen, aber Eulenspiegel war ihm über, er tat listig, als hätte der Küchenmeister ihn ertappt, stotterte und schien fliehen zu wollen. Da wurde der andere wißbegierig, und obwohl er doch dabei war, seinem Herrn bei einem Abenteuer zu helfen, wollte er sich auch den eigenen Gewinn nicht entgehen lassen. Er hielt also den verkleideten Diener an und flüsterte, er werde ihn in den untersten Keller sperren, wenn er ihm nicht zeigte, wo das Geld verborgen sei.

Eulenspiegel tat, als füge er sich drein, und stand zitternd auf. Dabei gab er ungesehen Hinkepot und Kobe, dem Hund, einen Wink, so daß sie ihm folgen konnten. Dann führte er den Gierhals von Küchenmeister kreuz und quer über den Schloßhang, bis sie zu dritt mit ihm fertig werden konnten. Weil sie aber nicht viel Zeit hatten, banden sie ihn nur und nahmen ihm ab; was er bei sich trug — es war nichts Besonderes außer einem Fläschchen, das Eulenspiegel zu sich steckte. Dann bat der Hund Kobe einige unterirdische Nachbarn, den Gefangenen zu bewachen, es sei um der Herzogin willen. Und die Kleinen taten es gern.

Im Schloßgarten ging inzwischen das Fest weiter. Es wurde zur Feier des Heimgekehrten viel Kurzweil getrieben, auch der Bettelmann und sein Tier mußten ihre Tanzkünste zeigen. Und Eulenspiegel hielt sich in ihrer Nähe. So kamen sie bei einem Hauptmann vorüber, und der Hund Kobe blieb stehen, blinzelte den Freunden zu und bedeutete ihnen, daß dies der dritte Unhold sei, den sie im Wagen des Drullkönigg gesehen hatten. Und sie merkten sich ihn.

Nun machten sich ja noch andere Leute daran, die Gäste zu unterhalten, aber keiner konnte so sonderbar tanzen wie der Bettler Hinkepot mit seinem Zauberschuh. Wieder und wieder mußte er seine Künste und Schrullen zeigen und war allen über. Er tanzte und tanzte, bis endlich seine Stiefel



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mürbe wurden und an seinem rechten Fuß ein kleiner goldner Absatz sichtbar wurde. Gleich hatte es der falsche Hauptmann bemerkt, und weil er in ihm die Kraft des Gauklers vermutete, wurde er begierig darauf, drohte Hinkepot und verlangte, daß er ihm den Schuh liehe. Er kam ja von weit her und wußte nicht, wie es damit beschaffen war. Der Alte möchte ihn wohl warnen, aber der Gast wurde nur um so heftiger, er hoffte, bei schönen Frauen zu gewinnen, wenn er auch einmal solchen Tang h besäße. So geschah es ihm, wie es allen geschieht, die dem Zauber der Espe verfallen: Kaum hatte Hinkepot dem Hauptmann seinen Wunsch erfüllt, da mußte der sich drehen und um sich wirbeln. Wild und bunt ging es zu; am Ende mußte er gar mit einem Hui zum Schloßgarten hinaus, dem Tänzer schien die Melt schier zu klein für seine Lust.

Der Drull, der, als hoher Schwager verkleidet, noch immer die schöne Herzogin geleitete, sah, daß sein Hauptmann wie unter einer Hexerei davonzog, und machte sich Sorgen um seinen Gesellen, auf den er sich verlassen hatte. Unruhig wurde er und verlangte, daß Hinkepot ihn zurückholte. Aber wie sollte der es wohl anfangen? Auch war der Bettelmann heilfroh, daß er auf seine alten Tage den Tanzschuh losgeworden war, er lief auf einmal aufrecht, ohne Hinkebein, und staunte, daß er es vermochte. Da begann der Gast zu drohen; die arme Schloßfrau hatte Mühe, ihn zu beschwichtigen und ihm zu erklären, daß Hinkepot und sein Hund oft Einkehr hielten und immer Leute guten Willens gewesen seien. Der Schlimme knurrte, er witterte Unrat und sah sich nach dem anderen Helfer um.

Gerade da lief der Hund Kobe vorüber und verriet Eulenspiegel und Hinkepot, daß unterm Schloß der Wagen des Entführers schon zur Abfahrt bereitstünde. Die drei Freunde wurden sehr besorgt, und als den Dienern befohlen wurde, den Gästen wegen des heißen Tages einen Trunk zu bieten, ersah Eulenspiegel die Gelegenheit. Während der Drullkönig mit der Herzogin noch schöne Reden wechselte, schüttete er dem Unhold rasch ins Glas, was sein Küchenmeister wohl anderen zugedacht hatte; alles, was er in der Flasche hatte, gab er dem Gast in den Wein, ohne daß der sich färbte.



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Dann trank der Drullkönig, und der Trank schien ihm zu munden. Bald danach aber wurde er sehr müde und setzte sich unter einen hohen Baum. Und einige lachten, sie meinten, er hätte sich übernommen; die Herzogin aber winkte den Dienern, es schien ihr unschicklich, den Schwager weiter beim Fest zu lassen.

Eulenspiegel hatte sich unter die Leute gemengt, die den Drullkönig in die Gästekammer brachten, um ihn auszukleiden. Der Schelm hatte seinen Spaß an dem Abenteuer und überlegte, wie er den Unhold aus dem Schloß bringen könnte. Als die Helfer gegangen waren, wünschte er sich rasch zu einer Jungfer der Herzogin, besorgte sich einen Frauenmantel, kam wieder und tat ihn dem schnarchenden Drullen an. Sich selbst aber wünschte er, wie der Gast auszusehen, dann trug er den Schlafenden im Abendlicht zu seinem Wagen. Und wahrhaftig wurden er und der in Weibskleidern von allerhand Volk empfangen, das wohl zum Raub bestellt war. Bald peitschte der Kutscher die Pferde, ohne Anhalten fuhren sie durch das Land, viele Reiter folgten, und der Drull im Frauenmantel schnarchte, daß die Diener unmutig den Kopf schüttelten; Eulenspiegel aber, den die Leute für ihren König ansahen, wurden hohe Ehren erwiesen.

Kurz vor Mitternacht befahl der Schelm, den Wagen anzuhalten; er tat, als müsse er Luft schöpfen und sich ein wenig die Füße vertreten. Und die Herren folgten seinem Befehl und machten es wie er. Weil Eulenspiegel aber wußte, daß seine Mermummung nur noch bis zum Ende des Tages dauerte, hielt der Schlingel die Vorsicht für den besseren Teil, verwandelte sich zum letztenmal und ging als Wandersmann seines Weges. Er beeilte sich, ihm schien es notwendig, Wagen und Reitern für immer außer Sicht

Auf dem Schloß von Plön war währenddes noch allerhand Wer wirrung, die kein Ende finden wollte. Der Küchenmeister war den unter irdischen Wächtern entschlüpft, er lief scheltend treppauf, treppab und rief nach seinen Freunden. Aber niemand konnte ihm antworten. Auch der Hauptmann kam auf seinem Tanzschuh des Weges und schrie, man würde es den Plönern gewiß nicht vergessen, sie hätten seinen Herrn in Weibskleidern



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fortfahren lassen. Mehr konnte er nicht sagen, er mußte ja weiter tanzen und wußte noch nicht warum.

Endlich hieß die Herzogin den Bettelmann holen und drang in ihn, was denn eigentlich geschehen sei. Da erzählte er ihr alle Begebnisse. Und weil die Frau nun doch sehr erschrak und sich vor jenem Fremden fürchtete, bat sie den Alten, mit seinem Hund für immer auf dem Schloß von Plön zu bleiben. Hinkepot nahm an, er vermochte es ja, weil er keinen Tanzschuh mehr trug. Und er hat es bis ans Ende seines Lebens gut gehabt.

Um Eulenspiegel haben er und sein Hund Kobe sich noch viel Sorge gemacht. Der Schelm ist jedoch eines Tages munter und gesund vorübergekommen, die Herzogin hat ihm sogar ein Gastmahl herrichten lassen, sie wollte ihm für seine Mühe danken, und hat ihn gefragt, ob nicht auch er bleibe. Aber Eulenspiegel hat Angst vor großen Schlössern, er läuft lieber allein durchs Land.


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