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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Butt Buttje

Es war eine ärgerliche Sache, aber von Butt Buttje wollte niemand etwas wissen. Er war nun einmal zu klein geblieben für die Musikanten, die in den Hamburger Straßen aufspielen; die Gassenjungen trieben ihren Schabernack, statt ernsthaft der schönen Musik zuzuhören, und die Mädchen drehten sich nicht, sondern guckten Butt Buttje in die große Posaune.

Da war der Knirps sehr traurig, saß in seiner Kammer und wußte nicht, was er anfangen sollte.

Nun müssen aber die Unterirdischen von seinem Kummer erfahren haben. Eines Tages sind drei von ihnen mit Trompete und Klarinette bei Butt erschienen und haben ihn gefragt, ob er nicht ihr vierter Wann werden wollte. Sie hätten gehört, sagten sie, bei den reichen Hamburgern sei noch viel zu verdienen, und der kleine Schmuhl, der bisher immer mit den dreien Musik gemacht hatte, sei dem großen Wasserkerl in die Hände gefallen, ach, der arme Schmuhl!

Die Unterirdischen waren nur einen Kopf geringer als Butt Buttje, er war deshalb gar nicht abgeneigt, auf den Vorschlag einzugehen. Sie sagten ihm also, daß Uhl, Puhl und Muhl hießen, und begannen gleich aus Leibeskräften vorzuspielen, so daß Butt Buttje vergnügt wurde, seine Posaune hervorholte und mit den Gästen auf seiner Stube ein so wunderschönes Konzert anhub, daß die Hausleute an Decke und Tür klopften.

Die vier ließen es sich nicht verdrießen, sie gingen frohgemut auf die Straße. Und obschon eine Schar von Gassenjungen hinter ihnen her hustete und huckepack lief, stellten sie sich an die nächste Ecke und stimmten



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solch herrliches Lied an, daß sich bald alle Fenster öffneten, viel Kupferpfennige herunterrollten und wirklich die kleinen Mädchen nicht mehr in die Posaune guckten, sondern tanzen mußten, ob sie wollten oder nicht.

Nun ist's aber eine ärgerliche Sache, daß zur Straßenmusik außer der Freude und dem guten Willen auch die Erlaubnis der gestrengen Polizei gehört; daran hatten die vier Freunde noch nicht gedacht. Kommt auch bald ein Riesenkerl von Schutzmann, legt die Handschuhe ins Kreuz und wartet höflich, daß die sonderbaren Musikanten ihr Lied beenden, um sie auszufragen. Die viere merken ja Unrat, sie spielen weiter und fangen immer wieder von vorn an, weil sie hoffen, daß es dem Schutzmann langweilig wird. Der Riese wandert schmunzelnd auf und ab, er sieht sich die Knirpse von oben und von den Seiten an, er stemmt die Fäuste sogar auf die Knie und bückt sich, um ihnen unter die Mütze zu lugen. Auf einmal aber, als der Herr Schutzmann gerade freundlich zu den Fenstern hinaufblickt, weil sich dahinter die Dienstboten drehen, gibt Buttje den andern ein Zeichen, die vier Freunde nehmen Posaune, Klarinette und Trompete unter den Arm und laufen, was sie können. Und die ganze Straße vergnügt sich so sehr über die ausgerissenen Musikanten, der Schutzmann ist ein guter Kerl, er lacht auch aus vollem Hals.

Das soll ihnen nicht wieder zustoßen! Die vier stecken die Köpfe zusammen, sie beraten und beraten, und endlich sieht Puhl ein wunderschönen Loch unter einem Siel, da kann kein Schutzmann hinterdrein. Sie heben also den Deckel auf, klettern eins, zwei, drei hinunter und lassen den Rost wieder drüberfallen. Nun richten sie sich auf Treppe und Ziegelsteinkante ein und fangen von neuem ihr Konzert an. Das wird so schön, daß die Leute auf der Straße stehenbleiben und sich um das Wunder versammeln müssen. Viele haben ihr Taschentuch vor den Augen, andere singen mit, und bald fällt ein Pfennig nach dem andern zwischen die Sprossen nach unten.

Aber nach einer Weile kommt der Schutzmann und will wissen, was da für ein Auflauf ist. Alls die vier aufschauen, sehen sie sein großes rotes Gesicht gerade über sich. Da bekommen sie wieder Furcht, sie nehmen



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die Instrumente in den Arm, kriechen in ein dickes Rohr und laufen über Dreck und Drähte, bis Uhl einen Ausgang findet und sie mit der Dämmerung auf die Straße gelangen.

Die vier Freunde haben inzwischen ganz gut verdient, und weil sie so gern Musik machen, überlegen sie hin und her, wie's weiter anfangen sollen. Dabei geraten sie an den Alsterfluß und meinen, daß der Schutzmann gewiß nicht schwimmen könne. Sie binden also ein Boot ab und lassen sich recht weit auf das Wasser hinaustreiben, big dicht unter die großen Brückenbögen, unter denen doch — aber das ahnen die vier Leute ja nicht — gerade der Riesenwirt eingezogen war, der das wilde Volk aus Mudd und Kohlenschuten bei sich zu Gast hat.

Die vier wissen nichts von Langebart — so heißt der Unhold —, sie freuen sich ihres Lebens! Es sind auch noch andere Boote auf dem Wasser, so daß ein Spiel sich zu lohnen scheint; die Freunde blasen also die Backen auf und beginnen.

Das hat ein Aufsehen auf dem Alsterfluß gegeben! Alle Leute auf Brücken und Schiffen werfen einen Groschen nach dem andern zu den Musikanten hinüber. Big zur Dunkelheit dauert das Spiel, da hängen die vier ein paar Lampen auf, alle hübschen Mädchen in Kähnen und Faltbooten klatschen in die Hände und lachen und rufen, solch drollige Knirpse hätten sie noch nie erlebt.

Auf einmal ist aber mit lautem Puckern ein großes Fahrzeug durch die Schar der Zuhörer näher und näher gekommen. Das schaute so braun und grimmig drein, den vieren schoß ein schlimmer Schreck durch die Glieder. Und weil sie mit den Rudern nicht Bescheid wußten, haben sie Posaune und Trompete schief ins Wasser gesteckt und von oben hineingeblasen, so daß ihr Boot wie ein brodelnder Raddampfer ins Dunkel auf und davon gefahren ist.

Nun ist es den vier Freunden dabei sonderbar ergangen. Sie haben nicht darauf geachtet, daß sie in ihrer blinden Eile zum bösen Langebart gerieten, der unter den Brückenbögen seinen Krug hält. Sie haben nur einen Kerl wie einen dicken Bierzapfer gesehen, der ihnen winkte, in seine



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Schenke einzutreten, und weil sie sich freuten, wie gut sie der Polizei entkommen waren, haben sie zu viert ein Glas Bier bestellt und von allen Seiten zugleich die Bärte hineingesteckt. Im Augenblick aber, wo sie es antranken, hat der Bierzapfer sich verwandelt, und ein wilder Riese hat vor ihnen gestanden.

"Wisst ihr, wo ihr seid?" hat er gefragt.

"Nein", haben die vier geschrien, "aber tu uns nichts, liebes Ungetüm."

Der Riese hat grimmig gelacht: "Wißt ihr, wie ich heiße?

"Nein", antworteten sie wieder, und sie hätten doch nur Musik machen wollen.

Dann hab ich die Rechten", nickte der Große befriedigt, "auf Musikanten lauerte ich gerade.

Ich sagte bereits, vor dem Brückenkröger zwischen Binnen- und Butenalster hätten die vier sich in acht nehmen sollen. Viele Leute hatten schon versucht, ihn zu vertreiben, aber weil zu der Zeit noch niemand seinen Namen wußte, konnte ihm keiner etwas anhaben. Die armen Gefangenen haben auch später erzählt, daß es ein arger Aufenthalt bei Langebark gewesen sei; sie haben insgesamt nur eine winzige Kammer und blitzwenig Essen und Trinken gekriegt. Dafür haben sie jeden Tag ohne Lohn bis zum speien Abend vor seinen unholden Gästen aufspielen müssen; selten genug, daß einer der Leute einmal ein besonderes Lied haben wollte und ein paar Groschen oder eine ,Kunde hinaufgeschickt hat.

Nun waren die Musikanten aber nicht die einzigen, denen es so bös erging. Viele Vögel waren bei Langebart unter den Brückenbögen gefangen, und hundert kleine Wichte hatte er sich am Ufer ausgegraben, die mußten von früh bis spät für seine arge Wirtschaft fegen und feudeln, schrubben und schrapen, kochen und braten, und ich weiß nicht was. Ach, alle hätten gar zu gern gewußt, wie man aus diesem argen Dienst wieder von dannen käm, niemand hat indes einen Ausweg entdeckt. Weil aber einige Leute dem schlimmen Wirt sein Unrecht vorhielten, hatte er ausgelobt: wenn jemand seinen Namen erführe, wolle er allen Gästen die Rechnung erlassen und auch die Gefangenen freigeben. Er war aber so vorsichtig, jeden



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Monat einen anderen Namen anzunehmen, da konnte keiner den Zauber brechen.

Die vier Freunde haben bald allen Mut verloren. Wenn die braunen und grünen, die reichen und armen Gäste des Krögerg gegangen waren, haben die Musikanten mit hängenden Köpfen beisammengestanden, ihr Los beklagt und die Zähne aufeinandergeschlagen. Sie haben wohl auch hin und her beraten, wie sie davonkommen könnten, aber niemand hat geahnt, wie der Riese wohl hieße. Vielen anderen Unglücklichen war es schon ähnlich ergangen, und wenn wirklich einmal jemand dem Namen auf die Spur gekommen, war der Monat um, hat der Kröger alle Leute eingesperrt und sich einen neuen Namen gegeben, so daß die armen Gefangenen mit Raten von vorn haben anfangen müssen.

Endlich sind unsere Musikanten auf eine List verfallen. Sie hatten eine Kammer dicht am Wasser, die war nicht weit von der Lagerstätte, in der der Alte die Nacht verbrachte. Er saß ja meist halb angezogen auf einer Truhe neben seinem Bett, solche Angst hatte er um seine Schätze, und so vorsichtig war er, damit ihm niemand in der Nacht beikommen könnte.

Die vier sind trotzdem oftmals durch die eisernen Fenstergitter hereingeschlüpft und haben leise die Kisten und Kasten gerückt und durchsucht, um den Namen herauszubringen. Einmal ist der Alte dabei vorm ersten Hahnenschrei aufgewacht. Uhl und Puhl und Muhl sind gerade zur rechten Zeit durch das Gitter nach draußen gelangt. Buttje aber, der nun eben einen Kopf größer war, hat keine Zeit mehr gefunden. Da hat er sich, während der Riese sich reckte und laut hujahnte, stink hinter einem Kasten verborgen und zitternd und bebend abgewartet, was kommen würde. Er hat aber nur gesehen, wie der Alte die weiße Nachtmütze mit dem Zipfel, der ihm über die Nase hing, fluchend in die Ecke schleuderte. Dann hat Langebart die Tür aufgestoßen und ist ungewaschen und ungekämmt nach draußen gestolpert.

Die Schlafhaube hat Buttje sich eingehender besehen, er hat es auch nicht lassen können, dem Riesen einen Schabernack zu spielen und einen zinnernen



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Löffel, den er gerade in der Tasche hatte, in den baumelnden Mützenzipfel zu schieben. Dann hat er sich beeilt, den Freunden zu folgen.

In der nächsten Nacht sind die vier wieder bei dem Unhold in der Schlafkammer gewesen. Der hatte sich wie zuvor auf seine Geldkiste gesetzt, hat den Kopf an die Mauer gelehnt und geschnarcht, daß man sein eigenes Wort nicht verstehen konnte. Auf einmal aber hat Langebart im Schlaf gebrummt und geredet; da lag ihm der kalte Mützenzipfel gerade auf der Nase.

Die Knirpse haben guten Wind bekommen; sie sind mit viel Vorsicht einer auf des andern Schulter geklettert und haben die Spitze der Schlafhaube zu fassen gekriegt. Dann haben sie einen Faden darangebunden und den Zipfel ins Schwingen gebracht, gerade so, daß er die Riesennase eben streifte und der Alte immer unruhiger träumte und wie ein Hund knurrte. Jedesmal aber, wenn er beinah wach war, haben sie das Spiel eingestellt, so daß er sich nicht erlösen konnte.

So haben die vier es bis dicht vor Mitternacht getrieben; wohl hundertmal ist der Zipfel dem Brückenkröger über die Nase gefahren. Und der Böse hat einen seiner schlimmen Tage nach dem andern durchträumt und mitunter so schrecklich gebrummt, daß die Knirpse vor Angst kaum noch den Zwirnsfäden haben schwenken können.

Auf einmal aber, als sie ihn wieder fast wach genarrt hatten, schlug die Uhr zwölfmal. Da hat der Riese wohl gemeint, daß es Monatsende sei und daß er sich einen neuen Namen geben müsse. Er hat beide Fäuste hochgehoben und entsetzlich gestöhnt:

Billwater Meer ik,
Langebart beet ik,
Groote verfeer ik,
Lüttje de freet ik.

Im gleichen Augenblick nun, wo er es ausgesprochen hatte, haben die Musikanten sich an den Händen gefaßt und vor dem Wildemann gehüpft und gesprungen: "Billwater weerst du, Langebart beest du.



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416 H.F. Blunck Märchen -- Die klugen Ratsleute Flip arpa

Der ist wach geworden und hat sich erst gar nicht besinnen können. Als die vier Knirpse aber immer weiter tanzten und er merkte, daß er verraten war, hat er die Musikanten mit einer Hand zusammengerafft und hat sie — so kam es ihnen vor — durch Mudd und Mauer und Sand und Wasser wütend nach draußen geschleudert.

Die vier Freunde haben sich, das ist das Wunderbare bei meiner Geschichte, haben sich mitten in der Nacht auf dem Jungfernstieg heil und unversehrt wiedergefunden. Sogar ihre Instrumente sind bei ihnen gewesen und hatten ohne großen Schaden die Reise mitgemacht. Da haben sie sich wie Kinder über die Rettung gefreut, und obschon es eine böse, regnerische Nacht war, haben sie durch alle Gassen geblasen und sind endlich vergnügt und kreuzlustig zur alten, verlassenen Stube von Butt Buttje hinaufgetanzt.

Sie haben sich später auch mit der Polizei vertragen und haben noch lange in den Straßen von Hamburg Musik gemacht. Wie es danach geworden ist, weiß ich nicht; vielleicht sind sie bei den unterirdischen Schiffsbaumeistern oder beim Zwergalten in Harvestehude untergekommen. Wenn sie diese Geschichte einmal lesen, sollen mir nur Bescheid geben, damit ich's hinzufügen kann.


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