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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Die Hexenjacke

Da liegt eine alte Jacke am Weg, dicht vorm Hexenhaus. Kommt ein Dieb daher, versucht sich den Plunder umzutun — weg er! Nur die Jacke liegt wieder, wo sie eben gelegen hat. Kommt ein unredlicher Ratsschreiber des Wegs, besieht sich das Ding, zieht es sich über — weg ist er! Kommt der böse Verlocker selbst vorbei, ein rechter Junker Hahnenstolz, grinst, weil er weiß, was es mit dem Zeug für eine Bewandtnis hat, denkt, ihm könne nichts zustoßen, und hängt es sich über die Schulter. Hui, auch er im Hexenkeller!

Endlich schnürt ein Fuchs vom Acker herüber, sieht die Jacke liegen, umwittert sie und steckt nur eben einmal den Kopf drunter — weg ist er!

Nun haben sich schon viele Leute im Hexenhaus eingefunden, die alle das verwunschene Ding nur eben hatten anproben wollen. Da fährt als letzter Reineke unter sie. Er sieht sich verdutzt im Keller um, stellt sich unter das Licht, um zu erfahren, wen es sonst noch betroffen hat, und fängt an zu grinsen, als er den Teufel gewahr wird. "Guter Freund", sagt er, "wenn ich schon bei den Dummen bin, so bin ich doch nicht in schlechter Gesellschaft!

Der Verlocker ist ärgerlich, daß man ihn erkennt, und noch ärgerlicher, daß man über ihn lacht. Was soll er indes machen? Er hat hundert böse Sprüche hergebetet, aber noch hat ihm keiner aus dem Keller hinausgeholfen Vielleicht weiß der Fuchs einen Rat?

Gerade da kommt die Hexe selbst vorbei, stellt sich ans Fenster und zählt, ob alle Leute, die sie sich eingeholt hat, beieinander sind.

"Hör mal, junge Frau", poltert der Böse, "das sind aber schlechte Sitten, bei mir hast du dich gewiß geirrt.

"Gefangen ist gefangen", antwortet die Alte, sie hat nicht viel Mitleid mit dem Verlocker.



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Der wird recht kleinlaut. "Nachbarin", sagt er, das kann doch gewiß nicht Euer Wille sein." Und er murmelt etwas von Erkenntlichkeit und dergleichen.

Der Hexe ist das heute gleichgültig. "Gefangen ist gefangen", wiederholt sie und zählt die Leute ab.

Kommt der Fuchs ans Gitter. "Schöne Jungfer", scherzt er, "was will Sie mit meinem armen Balg ?

An seinem Balg läge ihr nicht viel, sagt die Alte, aber an seinem Pelz. Und dann geht sie weiter.

Nun, die Herren im Keller schelten schlimm hinterdrein, das hilft indes gar nichts. Niemand weiß sich Rat, und die Stunden verstreichen eine um die andere. Schließlich langweilen sie sich, es kommt ja kein neuer Gast hinzu, und die Gefangenen beginnen, sich die Zeit zu vertreiben. Zuerst erzählen sie sich allerlei Lügen und unwahre Dinge, das reicht bis zum Abend. Danach spielen sie im Scherz Gericht miteinander, der Verlocker kennt ja jedermanns Sünden. Gerade haben die Herren Reineke beim Kragen, halten ihm alle Untaten vor und sprechen ihm wegen seiner schlimmen Räubereien und Diebessachen das liebe Leben ab. Da kommt die Hexe wieder vorbei. "Was ist hier denn los?"fragt sie neugierig.

"Ach", lacht der Böse, "wir haben eben den Fuchs zum Hängen verurteilt und haben keinen Strick und keinen Galgen in deinem Keller. Willst du uns nicht helfen?" Er sagt es Bauhin im Spaß, aber der Hexe wäre es nicht unlieb, wenn ein anderer den Fuchs henkte. Sie will nur das Fell haben und hat Furcht vor seinem Fang.

Zu einem Galgen könnte sie den Herren wohl verhelfen, meint sie deshalb. In ihrem Garten stände eine schöne alte Eibe, daran könnte man so viele Leute aufhängen, wie man nur wolle. Aber sie müsse erst einen Kreis von Mahrenfüßen darumhin legen, damit keiner von den Gefangenen entwische

Die Herren sind einverstanden, jeder hofft vielleicht, daß er der Alten doch ein Schnippchen schlagen wird. Sie spielen ihren bösen Scherz also weiter, nehmen den Fuchs wie einen armen Sünder in die Mitte, und als



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die Hexe die Tür aufmacht und einen Strick hereinwirft, binden sie Reineke die Läufe und ziehen mit ihm in den Garten hinaus. So gern aber ein jeder über den Hexenkreis hinaus möchte, es gelingt keinem von ihnen.

"Nun macht rasch", sagt die Alte, "bei mir steht ein Topf auf dem Feuer, ich will das Fuchsfell gerben.

Meister Reineke lacht mit, aber die Sache wird ihm unheimlich, er weiß nicht recht, wo der Spaß aufhört und der Ernst beginnt.

Der Strick sei morsch und tauge nicht, knurrt er deshalb. Wenn er hänge, wolle er richtig hängen und nicht an einem Tau, das reißen könne.

Er solle es nur darauf ankommen lassen, rät die Hexe.

Die Leiter sei auch nichts Rechtes, schilt er weiter, man solle es ihm erst einmal vormachen, da hinaufzuklettern.

Aber die Alte grinst und hütet sich, ihm etwas vorzumachen.

Und ein letztes Vaterunser stehe ihm frei, murrt Reineke und will ein Gebetbuch haben.

Die Hexe hat indes kein Gebetbuch, sie meint, es ginge auch ohnedem.

Da legen sich nun einige Herren ins Mittel. Ein Gebet, erklären sie, sei das Recht eines jeden Verurteilten, und sie seien für den ordentlichen Hingang des armen Sünders verantwortlich. Aber von diesen Gefangenen hat wirklich niemand ein Büchlein zur Hand.

Wenn es kein Gebetbuch gäbe, sagt der Fuchs schließlich, so hätte er doch ein Recht auf die Beichte. Wüßte er nur einen würdigen Herrn, dem er beichten könne!

Die Richter erheben ein lautes Murren, keiner will schlechter als Meister Reineke sein.

Gerade da kommt der verwunschene Küster des Wegs. Er sieht nicht gleich die Versammlung im Garten, er sieht nur die Hexenjacke, nimmt sie auf, dreht sie um und schiebt einen Ärmel über —bauz, sitzt auch er im Keller und kriecht bald scheltend durch das Loch in den Garten hinaus, Und das schlimme Weib lacht aus ihren alten Zähnen, daß just dieser als letzter in ihre Jacke hat fahren müssen.

Nun könne er beichten, sagt sie zu Reineke, es träfe sich prächtig,



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Gewiß habe es der Himmel so gewollt, antwortet der Fuchs scheinheilig, daß er nicht ohne Vergebung das Leben verlasse.

Nun hätte die Hexe achtgeben sollen, denn Fuchs, Küster und Teufel sind ein starkes Dreieck, das sogar ihre Kunst nicht so leicht überwinden kann. Ihr schwant nichts Gutes, sie hält sich sorgsam hinterm Zauberkreis.

Aber sie will auch ihren Spaß an den Dingen haben.

Der Fuchs hat nämlich schon begonnen, mit reuigem Gesicht dem unholden Küster etwas ins Ohr zu flüstern. Und der hört ihn an, aber er macht dabei solch spitzes Gesicht, daß manch einer lauscht und gern ebenfalls davon erfahren hätte. Reineke sieht auch immer zerknirschter aus, während er beichtet, die Hälse der Zuhörer werden lang und länger, und



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der Teufel selbst neigt sich hinzu und tut, als sei es mindestens etwas von einem ungeheuren Schatz, was er da vernimmt.

Und alle Leute drängen und nicken und horchen und schlagen die Hände zusammen und seufzen und ziehen die Stirnen kraus. Und am Ende kann das Hexenweib seine Neugier nicht ganz lassen, es beugt sich weit über, um etwas von dem zu erfahren, was der Fuchs verrät. Wenn sie ihn schon gefangen hat, denkt sie, will sie auch gewinnen, was er noch an Geheimnissen weiß.

Gerade darauf haben die Herren aber gewartet. Kaum hat die Frau in ihrer Gier den Kopf in den Zauberkreis gereckt, schnappt Reineke wie unversehens nach ihrem Halstuch, so daß sie noch einen Schritt nach vorn tun muß. Und im gleichen Augenblick fahren Teufel und Küster über sie her, die Hexe fällt mitten ins allerschlimmste Dreieck, kein Vaterunser kann sie mehr sprechen.

Das hat sie nun von ihrem argen Leben und von ihrer dummen Neugier. Aug ist es mit der Freude über die Gefangenen und über die Zauberjacke, schon mühen sich die Herren zugleich um ihre ausfahrende arme Seele.

Über die Beute ist es beinahe noch zum Streit gekommen; der Böse und der Küster sind einander ja noch immer widrig gesonnen. Es ist schließlich so ausgegangen, daß der Teufel sich hat zufrieden geben müssen, die Zauberjacke zu erben. Der Küster hat die Seele bekommen — er hofft, daß sie ihm einmal wird angerechnet werden —, und der Fuchs hat sich den Keller einrichten dürfen. haust er noch heute mit Kind und Kindeskindern; er und seinesgleichen haben sich seitdem dran gewöhnt, unter der Erde zu wohnen.


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