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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Vertauschte Gäste

Fein gedeckt war der Tisch bei Peter Sott, und feine Leute wurden erwartet Ein Bote aus der Stadt hatte Bescheid gegeben, ein vornehmer Landauer werde zum Abendessen vorfahren, sehr hohe fremdländische Herrschaften seien es, die hier draußen für einen ihrer Freunde Kindertier feiern wollten. Ja, Kindelbier bei Peter Sott, der sommers im Grünen Wirtschaft hielt und berühmt wegen seiner guten Küche war.

Eilfertig jagten die Kellner hin und her, klapperten mit dem Geschirr, falteten die Wundtücher, strichen alles noch einmal glatt und standen wieder und horchten, die Ohren gespitzt, auf die Landstraße hinaus, ob der Wagen käme.

Nun war aber um die gleiche Zeit etwas weiter längs beim Kulenkröger Kindtaufe der Unterirdischen — ihr wißt, der Kulenkröger ist der



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unholde Wirt in der Sandkule unterm Heidberg. Der Zwergalte hatte nämlich in seinen grauen Tagen Nachwuchs bekommen; da hatte er seinen Hochmut überwunden und mit allerhand Freundschaft Kindelbier angesagt. Und so sehr haben die kleinen Wichte dabei gefeiert, daß dem dicken Wirt das Getränk knapp wurde — auf Kindelbier war er ja nicht eingerichtet. Aber die Gäste haben noch nicht nach Haus wollen; sie zogen den alten verlumpten Wagen des Kulenkrögers aus dem Schuppen, wünschten sich einen lustigen Gaul davor und fuhren singend und laubumkränzt übers Land, um noch irgendwo einzukehren.

Als sie nun so kneipesuchend bei Peter Sott im Grünen entlang kamen, war es beinah, als hätte der vom Kindertier beim Kulenkröger und von den Plänen der Herren gewußt. Der Hausknecht stand schon der Straße und hielt gleich das Pferd an, alle Kellner dienerten, und der Wirt, der sich zuerst sehr an den alten



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Karren und an die kleinen, fremdartig gekleideten Gäste gewöhnen mußte, kam schließlich selbst an den Schlag und glückwünschte der Mutter zum Nachwuchs. Ja, er tätschelte dem Zwergknirps eigenhändig über die Backen und hieß alle ente herzlich willkommen. Was er in Haus und Keller habe, solle den Gästen gehören, sagte er feierlich.

Der Zwergkönig vom Heidberg hatte solch freundliche Aufnahme kaum erwartet. Er hatte früher keine hohe Meinung von den Irdischen gehabt, jetzt zeigten sie sich von der besseren Seite. Das eilte und dienerte und trug Suppe und Fleisch und Karpfen auf den Tisch —oh, das kleine, feiernde Volk wußte sich kaum zu lassen vor Vergnügen und vergnügtem Bewundern. Am Ende stand der Alte vom Heidberg selbst auf, strich sich dreimal durch den Eisbart und ermahnte in seiner etwas älterlichen Sprache die Freunde, nie zu vergessen, wie ihr König zum Kindelbier von den Menschlichen aufgenommen sei. Da tranken alle noch einmal, sprangen auf den Tisch und hoben ihr Glas auch dem Wirt entgegen, der sich etwas verblüfft verneigte und nach einem Trunk schickte, um dem Herrn König Bescheid zu tun — ja, König hatte er deutlich gehört.

Peter Sott war sich nämlich durchaus nicht im reinen über die Fremden. Der Landauer gefiel ihm nicht, niemals hatte er solch uraltes, gebrechliches Ding gesehen; es war, als habe es hundert Jahre im Schuppen gestanden. Und die Gäste — einmal hielt er den Kellner an und fragte ihn sanft, was das wohl eigentlich für Volk sei. Aber der zuckte die Schultern. "Vom Amerika vielleicht, oder Asien", flüsterte er. Damit mußte Peter Sott sich bescheiden. Aber er hatte wirklich noch nie solchen absonderlichen kleinen Besuch gehabt.

Es sollte ja auch bald Licht in die Geschichte kommen. Alla die Knirpse nämlich im besten Schmausen sind, rollt es wieder auf der Straße an. Ein wunderschöner, nagelneuer andauer fährt vor, noch einmal steigen sieben Herren aus, dazu Mutter mit Kind, und fragen, wo die bestellten Tische seien.

Es hatte draußen zu regnen begonnen, das bedeutet an sich für einen Wirt im Grünen keine gute Laune. Es hatte sich auch ergeben, daß die



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bisherigen Gäste, so klein sie waren, mehr zu essen vermochten, als Peter Sotts Küche vermutet hatte. Jetzt trank gerad einer der Knirpse vor dem Kröger, tanzte von einem Bein aufs andere, rühmte, daß er noch nie so freigebig geladen gewesen sei, bedankte sich, und ich weiss nicht was alles.

Peter Sott sah mit gefurchten Brauen dem Zwerg zu, er horchte mit vorgeschobenen Ohren auf die Unterhandlung des Oberkellners mit den neuen Gästen, er schielte linkgseits zu den beiden Landauern hinüber, zu dem alten knickerigen der Unterirdischen, der überhaupt eine Schande für sein Haus war, und zum andern, über den sein Herz lachte. Und er trat grollend, mit jedem Schritt würdiger und gefestigter, auf den Tisch des glückseligen Volkes zu, räusperte sich seine böse Laune hoch und fragte rauh, wer die Herren eigentlich seien und woher sie kämen.

Es klang aber so entsetzlich drohend, und Peter Sott, der an das ungeheure Gelächter und an die Schande in Stadt und Dorf dachte, sah so gefährlich aus: Im nächsten Augenblick hatten alle Unterirdischen die schlimme Lage erkannt und sich im Nu ihre Nebelkappen aufgesetzt.

Der Tisch war wie leergezaubert, nur der Säugling schrie, eine Weile sah man noch rätselhaft ein letztes Stück Fleisch vom Teller verschwinden, oder Peter Sotts gute Zigarre im Rauch auf und ab wippen. Dann war die andere Welt wie eingeschluckt.

Einen Herzschlag lang rieb der Kröger sich Leber und Stirn und klappte die Augenlider zu. Er hatte das Gefühl, als schwämme in ihm etwas von unten nach oben und von vorn nach hinten. Dann faßte er sich, wie ein guter Wirt allem gewachsen sein muß. Ein Wink, ein kurzer Ruf, die Teller flogen, die Tischtücher blähten sich, und das Geschirr wechselte.

Peter Sott atmete erleichtert auf. Er ordnete die Plätze, entschuldigte sich sehr feierlich bei den neuen Gästen und log ihnen etwas vor — oh — zur Nacht wollte er über alles nachdenken, jetzt galt es nichts, denn Fassung zu bewahren. Und Mut gegen das unsichtbare Drohen und Murren und Rauchen und Pruschen, das sich noch immer rund um den Tisch bewegte.



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Das Schlimmste sollte indes erst kommen. Kaum hatte nämlich Peter Sott den Feiernden den Rücken gekehrt, in der Küche einem Mädchen gekündigt und alles zur höchsten Leistung angespornt, gerad trat er wieder in d Gaststube, da hörte er deutlich einen Befehl: "Sett sum de Kappen op!"

Mit dem nächsten Atemzug sind die eben eingefahrenen neuen Herren weggeblasen, sitzen die Unterirdischen wie vordem sichtbar am Tisch und grinsen und blähen sich und trinken die frisch gefüllten Gläser. Zwischen ihnen aber hebt ein verdutztes Schreien und Jammern und Zetern aus der Unsichtbarkeit an, ein Verwünschen und Hilferufen, so daß jedes Men-; schenherz sich erbarmen muß.

Peter Sott ist die Geschichte unheimlich big zum Grausen. Er tastet nach Herz und Leber und ist froh, daß er sich selbst noch leibhaftig fühlt. Einen Augenblick meint er auch, er müsse die Unterirdischen versöhnen und um Hilfe für seine Gäste bitten. Aber die Wichtgesichter sehen ihn so schadenfroh an, so frech und spitzbübisch aus ihrer gekränkten Kindelbierfreude, Peter Sott kann den Mund nicht auftun und den Fuß nicht heben.

Endlich fällt ihm irgendeine alte Geschichte ein. Der Pastor, denkt er. "Der Pastor!" stottert er vernehmlich. Er wendet sich also, setzt mit zitternden Knien ein Bein ums andere und wundert sich nur, daß sie noch sichtbarlich erscheinen. Bis zur Tür murmelt er ein Gebet, stolpert über die Schwelle und macht sich stöhnend auf: noch nie, seit er eine vornehme Wirtschaft im Grünen hat, ist Peter Sott so rasch zur Kirche gelaufen.

In der Gaststube bleibt währenddessen eine heillose Aufregung. Die Unterirdischen sind jetzt obenauf. Sie tanzen mit den Absätzen auf dem blütenweißen Tischtuch, sie haben die junge Mutter eingehakt und drehen sie, bis sie kaum Atem holen kann. Und als einer von den mutigen unsichtbaren Gästen mit Gabeln nach ihnen zu stechen beginnt, schlagen sie wie Füllen hintenaus, klettern zu Peter Sotts wunderschönen gläsernen Leuchtern hinauf, werfen Apfelschalen und Süsse nach unten in die neu aufgetragene Suppenschüssel und wissen sich kaum zu bergen vor Ausgelassenheit Ein Lied singen sie dazu, es ist gut, daß bei dem Durcheinander kein Mensch es verstanden hat.



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Plötzlich aber kommt ein durchdringendes Pfeifen von dem Alten, der im obersten Leuchter sitzt. Er horcht nach der Straße und pfeift wieder. Da kribbelt und krabbelt auch schon das Ganze blitzschnell von Schapp und Schrank und Leuchter nieder. Mit ein paar Sätzen sind die Knirpse mitten auf dem Tisch, greifen in die kreischende Unsichtbarkeit und kratzen und rühren sich. Und auf einmal haben sie allen neuen Gästen die Nebelkappen wieder abgenommen und sich selbst aufgesetzt und haspeln und sputen sich zum Ausgang, drängen und drücken — und kein Unterirdischer ist mehr zu sehen. Nur die Herren aus dem feinen Landauer schreien sich an und reiben sich die Augen, und einer von ihnen will sich vor Lachen ausschütten. So etwas sei ihm noch nie zugestoßen, sagt er.

Die Unterirdischen sind nur eben vor Ankunft des heiligen Mannes ins Freie gelangt. Aber ihr Schaden und Schabernack war nicht zu Ende. Plötzlich gehen nämlich auf dem schönen Wagen der Gäste aus der Stadt die Lichter an, jemand singt und knallt mit der Peitsche. Und noch ehe der geistliche Herr wieder nach draußen stolpert, gerät das feine Gefährt in Bewegung. Ja, es war wohl so, daß die Lümmel selbst den beiden Gäulen noch Nebelmützen aufgesetzt hatten. Die Deichseln stachen leer in die Luft voraus, die Zügel knatterten, aber der Wagen lief ohne Tiere wie ein leibhaftiger Gottseibeiuns auf der Landstraße davon.

Was soll ich noch erzählen ? Mit dem alten Landauer des Kulenkerls, den die Unterirdischen zurückgelassen hatten, war nicht viel anzufangen. Als Peter Sott hineinkroch, um ihn seinen Gästen anzubieten, brach er durch und stand gleich mit den Füßen auf der Straße. Er hat den Herren schon mit vielem Winden und Verwünschen einen andern Wagen verschaffen müssen, nur damit die Geschichte nicht ruchbar würde.

Auch wir wollen sie für uns behalten, Peter Sott könnte ja sonst Schaden davon haben.


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