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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Die Hollentochter in der Heide

Auf einmal, ohne daß ein Wetter in der Nähe wäre, fährt ein Staubwirbel die frühlingshelle Dorfstraße entlang. Es ist der Hagemann aus dem Bauernwald; er ist sehr eilig, er hörte nämlich, daß die schöne Hollentochter heimkehrte, die ihre Burg draußen in der Heide hat.

Zu gleicher Zeit sitzt Knorrjohann, der alte Gespensterseher, vor seiner Kate. Ihm ist zumute, als ob etwas sehr Feines bevorstünde; die Sonnenluft zittert, und die Mittagskatzen laufen durch das Gras. Da tritt der kleine Rodebücks, der über Nacht hinter seinem Herd wohnt, zu ihm; der Knirps will sich für die Gastfreundschaft bedanken und sagt zu Knorrjohann, wenn er ihn Huckepack nähme, wolle er ihn den Weg zur Hollentochter führen, die auf einen neuen Liebsten warte. Oho, das läßt der Knorrjohann sich nicht entgehen!

Um die Stunde sitzt aber auch der Spielmann Hein Iwer in der Wirtschaft da kommt der Hochzeitsreiter in rotem Mantel vorbei und erzählt, es werde bald ein großes Fest um die Hollentochter geben. Und er schenkt dem Spielmann eine kleine Wurzel, mit der er über das Land der Menschen hinaus den Weg zum Schloß findet.

So eilen drei Herren denn ungefähr zur gleichen Zeit zur schönen Frau. Die ist sehr erstaunt über die vielen Freier und weiß nicht, wen sie wählen soll. Sie lädt sie wohl in ihre Burg ein, aber sie wird nur einen von ihnen nehmen und sagt endlich: wer ihr am besten die Langeweile zu vertreiben wüßte, den wolle sie zum Liebsten haben.

Nun hat Knorrjohann seine eigene Meinung von der Langenweile. geht zu Bett und schläft sich aus, wenn sie über ihn kommt; er möchte der Frau den gleichen Rat geben, rollt sich wie ein Igel zusammen und spricht beständig sieben Worte vor sich hin, von denen er träumen will.



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Die Hollentochter lacht jedoch nur über den alten Knorrjohann, und der Hagemann lacht auch, zieht seine Flöte und pfeift eins drauf, er meint, das sei herrlicher als irgend etwas in der Welt.

Der Tag ist indes zu heiß zum Tanz, der Braune findet heute keinen Beifall. Da fängt Hein Iwer kleine Sonnenstrahlen ein, beugt sie zu goldenen Buchstaben, wirft sie durcheinander und will daraus wahrsagen.

Aber die schöne Hollentochter ist gegen alle drei Herren freundlich, — mehr geschieht nicht.

Wer denn am höchsten singen könne, will sie wissen.

Da richtet sich Knorrjohann als erster auf; er hat damals noch nicht die tiefe Stimme vom vielen Trinken gehabt und singt, so gut er kann, der Frau etwas vor. Der Hagemann aber ruft eine kleine Nachtigall, versteckt sie in seinem Bart und läßt sie am hellen Tag trillern, daß wohl kaum einer es besser vermag. Darüber gerät sogar Hein Iwer in Bedrängnis, gegen solches Lied weiß er so leicht nichts Schöneres zu setzen. Schließlich aber fängt er sich eine Lerche, bläst ihr die Brust mit seinem Altem voll, läßt sie aufflattern, und als sie oben im Blau über der Heide zu schmettern beginnt, sagt er zu der Hollentochter: "Ich singe am höchsten, hörst du nicht? Gib zu, daß ich gewonnen habe.

Die Frau lacht, aber sie schüttelt den Kopf, obschon zu merken ist, daß dieser Spielmann ihr gut gefällt. Die Herren müßten sich erst noch einmal bewähren, meint sie. Und wer sie am besten wiederzufinden vermöge, der werde sie wohl auch am liebsten haben, den wolle sie wählen. Da müssen die drei Brautwerber die Köpfe zusammenstecken und dürfen nicht aufschauen. Die schöne Frau aber flieht treppauf, treppab, durch Busch und Zaun. Und so sehr die Herren horchen, auf einmal hören sie ihre Schritte nicht mehr. Da erheben sie sich, und jeder hofft, daß er diesmal gewiß gewinnen werde.

Moran rennt der Hagemann; er hat der Hollentochter heimlich eine Rose angesteckt, nun läuft er mit witternder Nase durchs Haus und tappt in den Garten hinaus. Aber auf der letzten Stufe liegt seine Rose, die Frau war wohl klüger als er.



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Knorrjohann stolpert ihm nach. Er klettert dreimal durch alle Gebüsche, und weil er niemand findet, bricht er in den Keller ein; er meint, daß man sich nirgends dunkler und kühler verstecken könne als dort. Er ist sehr traurig, als er auch da keinem Wesen begegnet, und labt sich, ehe er Weiter-

Hein Iwer läuft nicht gleich wie ein Blinder drauflos; er weiß zu gut, daß er all seine Klugheit zusammennehmen muß und daß die Frau es ihm nicht leicht machen wird. Als die andern zwei schon aus der Tür sind, sitzt er noch da und tut, als warte er auf eine Eingebung. In Wirklichkeit hat er ein kleines goldenes Haar der Hollentochter am Boden gesehen. Ja, kaum ist er allein, hebt er es auf, streichelt darüber hin und sagt zu ihm, wie leid es ihm sei, daß es seine Geschwister verloren habe. Ach, antwortet das Ding, wenn er es wieder zu den Seinen bringen wolle, würde es ihm sicher vergolten werden.

Da fragt der Spielmann, wo die anderen seien, und das Haar verrät ihm, der Weg wäre gar nicht weit. Er brauche nur durch das Fenster zu steigen, draußen stünde ein großer Apfelbaum, der seine Äste bis ans Haus strecke. Und das Haar will, daß der Bursch mit ihm ins dichteste Laub kriecht, da findet es all seine Geschwister.

Und Hein Iwer die schöne Hollentochter.

Die beiden haben sich noch eine Weile anhören müssen, wie der alte Knorrjohann unten im Keller um die Bierbottiche



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tappte, und auch, wie der wilde Hagemann mit gräßlichen Verwünschungen alle Wege und Lauben des Gartens auf und ab tobte bis in den späten Abend.

Dann sind sie allein geblieben.

Und es ist gewiß, daß Hein Iwer, der Schelm, die dritte Aufgabe gelöst und damit den Sommer gewonnen hat, nur weil er das kleine goldene Haar der Hollentochter zu seinen Schwestern brachte.


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