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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Schneiders Höllenfahrt

Nun dem reichgewordenen Snied Snitters, der den Uhu um die goldenen Eier betrog, erzählte ich gerade eben. Er hat mit seinem Geld eine heile Weile in Saus und Braus leben können, aber alles Gut erschöpft sich, und auch Snied Snitters hat eines Tages wieder zu schneidern anfangen müssen.

Es ist bei ihm indes nicht mit rechten Dingen zugegangen. Was immer ihm die Leute brachten, nichts ist ihm heilig gewesen, aus allem hat er sich erst einmal seinen Vorteil abgeschnitten, ehe er das Werk begann. Ja, wenn es heißt, daß Müller und Krämer ihr eigenes Zunfthaus in der Hölle haben, so war für Snied Snitters gewiß noch ein besonderer Schacht tief unter den andern gebaut.

Über jedermann kommt indes eines Tages die Einkehr. Als Snied Snitters älter und seine Sauf- und Diebsgesellen fromm geworden waren, ging auch er an einem Sonntag in den Wald, um über sein Leben nachzudenken.

Als er nun so seines Weges schritt, trat einer im Jägerrock zu ihm, grüßte höflich und fragte, ob Snied Snitters ihn begleiten wolle, es sei wohl an der Zeit. Der Schneider erschrak; er war ja ein kundiger Mann und sah an Bart und spitzem Hut, daß der Fremde einer von des Bösen



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schlimmem Gesinde war. "Hör", sagte er deshalb, "wir wollen erst eina trinken, ich weiß einen Bierzapfen, der von morgens bis abends läuft."

"Hab nicht viel Zeit", bekam er zur Antwort, "und ich denke, daß du gutwillig mit mir gehst.

"Tut mir leid", flehte Snied Snitters und zitterte wie Espenlaub, "mein Weg führt just anderswohin. Da sind zwei schöne Fräulein beim Vier: zapfen, die eine sucht einen Schatz. Was meinst du, Jäger?

"Hab keine Zeit, Freund, deine Stunde ist gekommen!

Ach, Dullhorn", bat der Schneider noch einmal und ließ merken, daß er wußte, wer der andere war, "was ist dir doch an mir gelegen? Ich bringe dir gewiß mehr arme Sünder zu, als du an meiner mageren Seele hast.

Schneider könnten sie unten gut gebrauchen, meinte der Jäger hartnäckig und winkte.

"Gib mir noch ein Jahr, Dullhorn."Und dabei fiel ihm ein, wie andere den Bösen bekehrt hatten: "Ich bring dir dann auch mit, was mir heut zuerst aus der Tür entgegenkommt.

Snied Snitters war nicht so schlecht, wie man jetzt vielleicht meint. Er hatte zu der Zeit nicht Weib, nicht Kind daheim, er dachte nur an seine böse Wirtschafterin und war heilfroh, als Dullhorn sich nach einigem Hin und Her mit dem Vorschlag einverstanden erklärte.

Um die gleiche Stunde war aber daheim in Snied Snitters Haus ein großer Streit ausgebrochen. Tute Puk, das ist der Kindgroße mit der Zipfelmütze, der hinter des Schneiders Herd wohnt, hatte sich nämlich mit dem Hofhund verbunden, um den alten Kater zu jagen, — der trank dem Kleinen jeden Abend die Milch weg. Gerade als Snied Snitters heim kam, hatten die Feinde einander gepackt und fuhren mit fürchterlichem Hohau, Wau und Miau zu dritt aus dem Hause heraus: der Kater auf dem Hunderücken und Tute Puk hoch oben auf des Katers Genick.

Snied Snitters sprang sofort zur Seite, er wollte sehen, wer zuerst über die Schwelle ginge. Weil Tute Puk und sein Feind aber grade Über gewicht hatten, bekam der Schneider alle drei Nasen zugleich; es tat ihm leid um die Freunde, er konnte jedoch nichts daran ändern,



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Als nun das Jahr vorüber war — viel rascher als man es glauben sollte —, da machten sich die vier eines Tages zähneklappernd auf und gingen in den Wald, um Dullhorn aufzusuchen.

Kam auch bald eine Ratte, die setzte sich hoch, winkte und lief vor ihnen her zu einer schmalen Höhle. Da öffnete der Böse die Tür und nahm sie grinsend auf, so wie sie eintrafen: Der Hund mit höflichem Gesicht auf Snied Snitters Schulter, der Kater auf dem Hunderücken und oben drauf, die Mütze in der Hand, Tute Puk, der den Teufel feindselig ansah und vielleicht schon einen schlimmen Plan hinter den Augen hatte.

Daß der Kleine mitkam, gefiel Dullhorn nicht, er wäre den Knirps gern wieder losgeworden. Er knipste deshalb mit zwei Fingern nach ihm. Aber Tute Puk bückte sich rasch, da ging's über ihn weg. Der Dunkle wurde ärgerlich, er stieß, um den Feind zu Fall zu bringen, mit dem Daumen nach dem Kater; aber der hatte gerade noch einmal Milch getrunken, legte sie ihm über sen Arm, und der Köter, der meinte, daß es ihm gelte, schnappte nach Dullhorns Pulsader. Da fletschte der böse Knecht alle sechzig Zähne und kündete eine besondere Feier für den andern Tag an. Bis dahin sperrte er die Gesellschaft in die Viehküche — sie könnten ihm helfen, Milch und Treber zum Füttern zu kochen, sagte er, er werde die neuen Herrschaften ohnehin bei den Schweinen anstellen.

Es war aber schon eine verwünschte Hitze in Dullhorns Viehküche; Snied Snitters und Tute Puk zogen bald alles aus, was sie am Leibe hatten. Die vier mußten auch gleich mit Winde und Hebebaum einen riesigen Milchtopf vom Feuer holen, er wäre sonst übergelaufen und hätte sie verbrannt. Dann setzten sie sich traurig zusammen, besahen die schwitzenden Wände und dampfenden Kessel und überlegten, ob ein vernünftiges Wesen bei solcher Hitze die Nacht überdauern könnte.

Wie sie da nun so hocken und trübsinnen, hebt sich der Kater auf einmal lautlos. Ein Sprung, und er hat eine Maus in den Pfoten. Es bekommt ihm nicht gut. Die Maus wächst wie ein Teig, der aufgeht, und bevor der verdutzte Kater ihr den Garaus gemacht hat, steht da eine alte Frau, die



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ihm zu Leibe will. Weil sie aber Snied Snitters und seine Gesellschaft sieht, lacht sie und bläst in die Flammen, daß der Schneider sich den Ziegenbart rauft, um es ein wenig kühler zu haben. Dann ist sie fort.

Bald danach regt es sich in einer andern Ecke; der Hund, der darauflos will, fährt heulend zurück. Da steht nämlich Dullhorns Küchenknecht mit Löffel und roter Schürze und will wissen, was die Herrschaften hier suchen. Aber ehe sie antworten, fragt er flink, ob ein Fräulein durchgekommen sei.

Gewiß, lügt Snied Snitters rasch, damit der Kerl nicht auch noch ins Feuer bläst, und es sei ein feiner Herr dagewesen und habe sie abgeholt. Da wünscht der Knecht Himmel und Hölle in einen Topf und fährt auf seinem Löffel eifersüchtig hinterdrein.

In der Viehküche wird es währenddessen gewitterheiß und brutwarm. Die armen Gefangenen versuchen sich Luft zu machen, aber sie finden keine Tür außer den Mauselöchern. Der Schneider wird schier trübsinnig, und um wenigstens etwas zu beginnen, zieht Snied Snitters die dicke Milchhaut vom Topf ab. Daraus schneidet er — was soll ein gelernter Hand: werker Besseres tun —, daraus schneidet er einen dünnen weißen Anzug, weil er meint, darin würde ihm kühler sein. Weil er aber etwas Haut übrig hat, legt er auch Tute Puk ein Stück um und näht die Lappen zusammen. Selbst Kater und Köter kriegen noch einen weißen Hut und ein paar Flecke auf Bauch und Rücken.

Das sieht lustig und gespenstisch aus, und der Morgen ist darüber gekommen. Man hört, wie Leute in Nähe und Ferne geweckt werden; auf einmal öffnet sich auch eine Wand der Viehküche und Dullhorn ruft nach seinem Knecht. Als der nicht antwortet, springt er mitten in dan Raum, erblickt die vier weißen Gestalten und fährt erschrocken in die Mauer zurück.

Dann hat er sich wohl besonnen; er kommt als feiner Herr wieder und tut, als sei er's eben gar nicht gewesen. Und er lobt Snied Snitters mit rollenden Augen und fragt ihn, woher er das schöne Tuch habe, und ob es ihm in der Küche zu kühl sei.



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Der Schneider, der ein schlechtes Gewissen hat, erfindet rasch eine Erklärung. Das habe er fürs Schweinefüttern angelegt, sagt er, die Tiere gediehen besser, wenn die Knechte sich mit Milch einrieben, es sei eine alte

Was er sich da wieder ausgedacht habe, knurrt der Dunkle wütend. Und ein Diebsschneider wisse sicher nicht mehr vom Füttern als er.

Mit Verlaub, erwidert Snied Snitters höflich und ist froh, daß er noch ein Gespräch findet, er hätte gewiß ein schlechtes Leben geführt, aber doch immer das beste Vieh weithin gehabt.

Das sei eine unverschämte Lüge, schreit der Böse, er hätte überhaupt nie Viehzeug besessen.

Mit Verlaub, sagt der Schneider — da packt Dullhorn, jähzornig wie er ist, die vier Gesellen und springt mit ihnen in einem einzigen Schwung über den Herd hinweg und durch die Wand hindurch in seinen riesigen Schweinestall. Ob er je solche Borster gesehen hätte, wie sie hier stünden, brüllt er Snied Snitters an.

Der ist noch halb betäubt von dem Flug, aber er merkt, daß es jetzt aufpassen gilt, und winkt auch dem Puk, achtzugeben. "Wenn der Herr mich einmal aufheben will", sagt er und reckt sich vergeblich, um in die hohen Koben zu schauen, — "wenn der Herr mich einmal aufheben will, werde ich gleich antworten. An den Trögen kann ich's nicht abzählen.

Da setzt Dullhorn den Schneider in seinem weißen Rock oben auf die Mauer des Schweinekobens, so daß dem Armen alle Knochen weh tun. Im gleichen Augenblick aber ist auch Tute Puk ins Trogloch und einem Schwein ins Ohr geschlüpft. "Heut ist Schlachtfest", bläst er ihm zu und hüpft zum nächsten, und die Säue und Borche fangen an, ängstlich zu quietschen und zu grunzen, und möchten um's Himmels willen zum Koben hinaus.

Ob er je solche Pracht gesehen hätte, brüllt der Dunkle inzwischen noch einmal.

Es seien gewiß schöne Säue dabei, sagt Snied Snitters, man solle sie doch wiegen, dann könne man genau vergleichen.



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Dullhorn gerät außer sich. "Wie willst du Milchschneider meine Tiere überhaupt auf die Waage treiben?" heult er ihn an.

Snied Snitters bleibt immer noch sehr ruhig. Eine Waage sei gar nicht nötig, meint er, bis zu zehn Zentner habe er das Gewicht in den Armen. Wenn der Herr mir Gelegenheit geben will, kann ich's versuchen."Er hat den kleinen Tute Puk aus einem Schweinsohr winken gesehen und hat viel Mut.

Dullhorn weiß nicht mehr, ob er fluchen oder lachen soll über solch freches Flunkern; er zieht den Schneider von der Brüstung herab, reißt mit einem Ruck die Kobentür auf und will eine Sau zum Wiegen holen.

Darauf haben die armen Tiere aber gerade gewartet. Sie meinen, es ginge jetzt wirklich zum Schlachten, grunzen und quieken und sausen in ihrer Not allesamt zwischen Dullhorns Beinen hindurch und zur Koben: tür hinaus. Und Tute Puk, Kater und Köter hinterdrein.

Er hätte sich ja gleich gedacht, daß der Herr die Tiere nicht behandeln könne, sagt Snied Snitters trocken, während der andere sich den Mist von den Hosen klopft. Dann tut er, als wolle er auf dem Hof helfen und die Ausreisser zurückpfeifen.

Der Böse läßt es geschehen, er glaubt wirklich, Snied Snitters sei ihm über. Er kommt auch gar nicht viel zum Nachdenken, da ist eine Jagd und ein Lärm im Gange, als sei die Hölle los. Über den Hof saust es hin und her, kreuz und quer; der Köter hat zwei Schweine zugleich am Ohr, und Tute Puk reitet einem auf dem Nacken, daß es eine Lust ist.

Es wird noch ärger. Kaum treten Dullhorn und Snied Snitters vor die Tür, da geht die Jagd aus Dreck und Trebern gerade auf sie zu. Der Teufel drückt sich gegen die Wand. Der Schneider aber muß auf einem der Tiere reiten lernen, der Kater springt auf ein anderes, und Tute Puk braust allen voran. Während Dullhorn jedoch hofft, die Wildheit nun in den Koben zurückfahren würde, sieht Tute Puk die Höhle, durch die sie in dies Land hereingekommen sind. Er kriegt sein Tier am Ohr, daß es quietscht, duckt sich, und alle Leute legen sich platt auf die Schweins:



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rücken. Dann sind sie mit einem Hui hupp ins Loch eingeritten, durchs Dunkel geht's und dann hinaus in den kühlen Wald.

So ist Snied Snitters auf die Erde zurückgekehrt, und viele Menschen sind zusammengelaufen und haben die herrlichen Schweine bewundert, mit denen er heimkam. Der böse Knecht aber hat lange keine rechte Lust bezeigt, es noch einmal mit ihm aufzunehmen. Er hatte das erstemal zuviel Umstände gehabt und hat wohl auch Angst bekommen, solche Ärgerlichkeiten könnten sich unter den Menschen herumsprechen.


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