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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Der Kulenkröger soll seefahren lernen

Einmal hat es um das Roggenfeld am Rand des großen Oholzes schlecht gestanden. Das kam davon, daß die gütige Frau, die für die Saat sorgt und den Halmen Kraft gibt, daß die Roggenmuhme beim Kulenwirt gefangengehalten wurde.

Wie das geschehen konnte? Nun, der Arge hatte ihr eines Tages einen alten Fuchsbau gezeigt und ihr gesagt, wenn sie sich klein machen und eben hineinschlüpfen wollte, würde sie erfahren, warum das Land in diesem Sommer so trocken bliebe. Die Roggenfrau, die viel Sorgen um ihre Ernte hatte, folgte dem bösen Rat. Und sie fand, daß unter ihrem Acker der dicke unholde Wirt alle Quellen in seinen Krug abgeleitet hatte. Aber dann, als er es ihr gezeigt hatte, verschloß der Saufaus die Tür, hielt die Arme als Gefangene in seiner lehmigen Tiefe und verbot ihr, je wieder zum hellen Tageslicht aufzusteigen. Nun durfte sie mit Seufzen zusehen, wie das Quellwasser zum Bierbrauen gebraucht wurde und wie all das schöne Mss, das sie für den Acker nötig hatte, unnütz vergeudet wurde. Vergeblich hob die Frau die Hände, vergeblich flehte sie des Kulenwirts Gäste an, sie zu befreien, damit sie für ihr Roggenfeld und ihre vieltausend Ähren sorgen könnte. Die Lümmel lachten, wenn das arme Weib die Bitten aussprach, und taten, als gäbe es nichts Besseres auf der Welt, als unholden Gesellen tief unten im Kulenkrug zuzuhören.

Nun vernahm auch der Fuchs, der bei dem dicken Wirt zuweilen zum Kartenspielen kam, einmal die Klage der Roggenmuhme. Und der Schelm, der selbst so vielen anderen Schabernack zufügt, hatte vielleicht Mitleid mit der schönen sanften Frau. Mehr noch ärgerte ihn, daß der junge Roggen



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nicht wuchs. Seine Welpen tummelten sich schon vorm Bau, und sein Weib wollte die Kinder ausführen. Er versuchte deshalb, als er einmal wieder bei den Karten saß, vernünftig mit dem Kröger zu reden. Aber der tat, als sei er auf beiden Ohren taub.

Da war noch ein anderer Gast, dem die Sache nicht gefiel. Der kleine Igel hatte das Gespräch angehört und dachte sich sein Teil. Obwohl er den Fuchs sonst nicht ausstehen konnte, stieß er ihn diesmal an und nickte ihm zu, während er gerade eine Karte auf den Tisch warf. Ich werde dir helfen, sollte das heißen. Dann brachten die beiden ihr Spiel zu Ende und standen auf, um sich, wie sie sagten, die Füße zu vertreten. Mor der Tür aber berieten sie, wie es mit der Gefangenen und mit dem Wasser fürs Roggenfeld werden sollte, und sie verabredeten miteinander, daß sie sich wieder begegnen wollten.

Nun ist der Kulenwirt, wenn es ihm auf dem eignen Hof langweilig wurde, zuweilen beim Nachbar Sandkerl zu Besuch gekommen. Er hat dann jedesmal die arme Roggenfrau in der Hinterstube eingesperrt, hat alle Zapfen fest zugedreht und ist seines Weges gegangen. Fuchs und Igel hörten eines Tages, wie er aufbrach, sie schlichen sich in die Tür des Krugs, und weil die Luft rein schien, machten sich die beiden daran — Reineke ist ein guter Baumeister —, das Wasser aufzufangen und es den alten Sickerweg zu sen



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den, den es früher unterm Acker entlang gefunden hatte. Und die Roggenfrau dankte ihnen, und die Ähren auf dem Feld hoben sich auf. Als der Kulenkröger mit schwerem Kopf von seinem Nachbar zurückkam, ließen sie rasch den Quell wieder in seine Fässer rinnen.

Der Alte hatte indes Unrat gewittert, er blieb einige Tage zu Haus und gab auf seinen Kram acht. Und draußen brannte die Sonne, und der Boden war so dürr, daß er zu Rissen aufsprang und die Halme nichts mehr galten.

Die zwei Bundesgenossen erdachten sich also einen neuen Plan. Eines Tages kam der Igel Stickelpickel im dunklen Rock, tat wie ein Prediger, pflanzte sich vor dem Kulenwirt auf und begann ihm ins Gewissen zu reden, er solle eine Pilgerfahrt machen. Wirklich hatte der Alte schon lange ein kohlschwarzes Gewissen und ließ sich die Sache durch den Kopf gehen. Aber als er das Grinsen der Gäste sah, schämte er sich seiner Reue, wollte von Umkehr nichts wissen und lachte den armen Stickelpickel aus. Auch kam gerade der Sandkerl in die Tür und lud den Kröger in sein Haus. Da sperrte der Unhold die schöne gefangene Roggenfrau wieder in seine Hinterstube, zog den Schlüssel ab und polterte zu seinem Freunde nach drüben. Und keiner konnte helfen; die Tür, die der Kulenkröger zuschloß, hielt dicht.

Währenddessen wurde es draußen auf dem Felde immer ärger, Fuchs und Igel hatten wirklich Sorge um Korn und Meh und auch um ihren eignen Winter. Was sollte nur werden, wenn die Mäuse ausstarben, wenn die Bauern die Hähne schlachteten und kein warmer Kuhstall dem kleinen Stickelpickel Quartier gab? Sie überlegten also wieder hin und her, und diesmal versuchte sich der Fuchs. Er kam eines Tages wie ein Gast von weiter Reise und trat mit ernstem Gesicht vor den bösen Kulenkröger. Ach und ach, jammerte er, und dem armen Bruder des Herrn Wirt zehntausend Schritt stromab ginge es so schlecht, schier zum Sterben. Zufällig sei er vorbeigekommen, da habe ihn der Kranke gleich als Boten gedungen. Es sei ja wegen des Erbes, das der Kulenkröger zu erwarten



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Nun, diesmal spitzte der Alte die Ohren und wäre wohl gern der Einladung gefolgt. Zehntausend Schritt sind indes zu viel für einen so dicken Kerl, wie es der Kulenkröger ist, und Eisenbahnen sind in seinem Reich noch nicht erfunden. Er mußte Reineke also um Rat fragen.

"Mein Freund Stickelpickel und ich sind in der Seefahrt beschlagen", meinte der Fuchs. "Wie wär's, wenn wir den Fluß hinabführen?"

Es war nicht recht, den armen Igel zu nennen, der schon das Grauen kriegt, wenn die Leute nur vom Wasser reden. Vielleicht hatte der Fuchs auch schlimmere Pläne, als ich zu denken wage.

Stickelpickel war indes ein Held, weil er mit der schönen gefangenen Frau Roggenmuhme solch Mitleid hatte; er nickte zu allem, was Reineke vorbrachte.

"Wer soll uns aber ein Schiff leihen", stöhnte der Kulenkröger, "wo es doch so eilig ist und unsereins so wenig von Seefahrt versteht?

)er Fuchs schien zu überlegen. "Ich weiß einen alten Bottich", sagte er, "so ein halbes Faß, das trägt uns zu dritt. Wir wollen deine Matrosen sein und dich zu deinem Bruder fahren, Kulenwirt; du hast uns oft genug eingeladen, wenn unsere Taschen leer waren.

)er Kröger traute dem Fuchs — das soll kein kluger .Mann tun — und freute sich über die Dankbarkeit der Gäste. Er rechnete also nach, wie lange er wohl ausbleiben würde, sperrte die arme Roggenmuhme wieder in seine Hinterstube und gab ihr für eine Woche zu essen und zu trinken. Dann zog er seinen schwarzen Rock an und ging mit viel Seufzen und Stöhnen zu Fuß zum Schiff hinab. Es dauerte sehr lange; er und seine Art sind nicht gut auf den Beinen, und es war sicherlich richtig, daß der Fuchs vorgeschlagen hatte, statt weite Wege zu machen, in einem alten Faß zu fahren.

Nun war jener Bottich, der, wie Reineke wußte, in einer Bucht des Stroms angetrieben war, nicht gerade ein bequemes Schiff. Als der Fuchs die beiden Herren hinführte, sahen sie es sich mit viel Bedenken an. "Geht ihr zuerst hinein", sagte der Igel, "ich muß obenauf bleiben!"Gegen den Rat konnte niemand etwas einwenden; sollte der arme Kulenkröger



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sich vielleicht auf Borsten und Stacheln setzen? Der Alte war trotzdem mißtrauisch. "Ich will wohl einsteigen", bemerkte er, "aber Reineke soll gleich mitkommen, sonst schwimme ich am Ende allein im Faß davon. Ich verstehe nun einmal nichts von der Seefahrt, auch wenn ich allerhand darüber gelesen habe.

"Kann geschehen sagte Reineke und sprang ihm auf die Schulter. Und als der Kulenkröger sich mit viel Stöhnen ins Faß wälzte, setzte er auf seine Knie. Anders konnte er es nicht machen, das sonderbare Schiff war gerade so groß, daß der Unhold mit seinem Sitz drin stak, Schuhe und Waden baumelten im Fluß; es war sehr drollig anzusehen.

"Bißchen Wasser gehört zu einer Seereise", tröstete der Fuchs. "Jetzt will ich dem Igel herüberhelfen!

Aber dem Kulenkröger war nicht wohl in dem halben Faß, er rutschte mit seinem Sitz tiefer und tiefer. Und weil er mißtrauisch war, wie es die Dicken leicht an sich haben, und ihm bei der Haltung der Atem knapp wurde, griff er nach Reineckes Rute. "Das möchtest du", schrie er. "Ich kann mich hier nicht rühren, und du haust ab!

Der Fuchs hatte schon an Land setzen und den Kulenwirt seinem Schicksal überlassen wollen. Jetzt hatte der Alte ihn in der Gewalt, das verdroß ihn. "Laß mich los", verlangte Reineke, "wie soll ich unser Schiff abstoßen, wenn du mich festhältst? Du darfst den Igel hereinholen, wenn du uns mißtraust!"

Dem armen .Kulenkröger wurde indes immer elender zumut; er konnte sich weder drehen noch wenden. "Was der Igel Stickelpickel macht, ist mir einerlei", sagte er, du hast mir versprochen, mich zu meinem Bruder fahren, und du sollst es zu Ende führen." Und er packte Reinekes rote Rute mit beiden Händen. "Du kannst mit den Vorderläufen abstoßen", riet er dem Fuchs. "Wenn ich dich festhalte, brauchst du dich nicht fürchten.

Nun, Reineke mußte gute Miene zum bösen Spiel machen. "Ich will's versuchen", sagte er. Und der Igel schaute grinsend vom Land aus zu, und eine alte Ziege, die sich die Sache ansah, meckerte vor Erstaunen.



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"Beeil dich doch", jammerte der Kröger. Das Wasser schülpte über den Sonnenrand unter seinen Sitz, und das Wasser war kalt. Auch war der Igel frech, höhnte, ob er den Herren nicht fein genug sei, daß sie ihn nicht mitnehmen wollten, und dergleichen mehr.

Reineke tat wirklich, als gäbe er sein Letztes her. Er kratzte und blies und machte sich gewaltig zu schaffen. "Menu du mich nicht besser festhältst", rief er, "krieg ich das Boot nicht los; spei doch in die Hände, wenn du anders keine Kraft hast!

"Wart eben", sagte der Kulenkröger; ihm wurde immer erbärmlicher zumut, "wart, ich will sehen, ob es hilft." Und er tat, so rasch es ging, nach dem Rat, spitzte die Lippen und öffnete die Hände.

Im Augenblick aber, wo Reineke spürte, daß seine Rute frei wurde, war er schon an Land. Es war auch gerade so weit, das Faß löste sich, schaukelnd und drehend strudelte es mit der Strömung von dannen. )er Dicke erschrak sehr, er schrie und winkte; aber der Fuchs stand sicher am Ufer und hielt sich den Leib vor Schadenfreude, und der Igel Stickelpickel schlug sich auf die Knie und kriegte keine Luft vor Lachen. Nur die Ziege hatte Sorgen um den fremden Mann und meckerte.

Ich weiß nicht, wie der Kulenkröger bei seinem Bruder empfangen wurde. Ich vermute beinahe, daß mitleidige Leute sich seiner noch vorher angenommen und ihm heimgeholfen haben.

Es hat aber doch bis zum Herbst gedauert, big er seinen Krug wieder erreichte. Da sah es ja trostlos aus. Alle Quellen hatten über Sommer die Felder gespeist, und die Menschen hatten sich gefreut über die gute Ernte, Die Roggenmuhme war längst frei, der Unhold wagte gar nicht zu fragen, wer das wohl verschuldet hatte. Und seine Gäste hatten geglaubt, der Nachbar sei verstorben, und hatten Küche und Keller geleert. Wie sollte er da nicht traurig werden!

Der Kulenwirt hat indes den Mut nicht verloren. Er hat seinen Krug wieder aufgetan —ich bin jüngst aus Versehen beinahe hineingeraten. Ich meine aber, gute Hute sollten lieber bei der schönen Roggenmuhme zu Gast kommen als in dem schlimmen Keller unter der Erde.


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