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Kapitel 

Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Ängstliche Leute

Der Zaunkönig hat, das wißt ihr wohl, mit dem Hasen einen alten Vertrag. Er warnt ihn, sobald Gefahr in der Nähe ist. Aber die Zaunkönige sind selbst ein ängstliches Völkchen. Ich habe von vielen gehört, die wagten sich all ihr Leben nicht aus dem Knick heraus, in dem sie geboren waren. Ja, wenn die jungen Hähne keine Frau fanden, dann bauten sie sich ihr Heim allein, statt daß sie suchen gingen. Sie spielten "verheiratet", putzten das Nest, kamen mit Motten oder Würmern an, als wenn da richtig Weib und Kinder warteten. Und dann fraßen sie selbst, was sie brachten, vielleicht freuten sie sich sogar, daß sie nichts abzugeben brauchten.



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Einmal sah Meister Lampe wieder, wie der kleine Zaunkönig, der zu ihm gehörte, ohne eine Frau zu haben, Nestbauen spielte. Und er fand es doch recht verrückt, den ganzen Tag nichts zu tun, als mit seinen Einbildungen im Knick auf und ab zu huschen und höchstens einmal zu warnen, wenn ein fremdes Tier in die Nähe kam. Der Hase meinte also, der Knirps sei nur eine halbe Hilfe. Er ging deshalb lieber zu dem schönen blauschwarzen Birkhahn mit dein roten Feuerzeichen über den Augen und fragte den, ob sie nicht Freundschaft schließen könnten.

Der Birkhahn sah den Hasen von der Seite an, nickte hochmütig und sagte: "Meinetwegen.

Im nächsten Augenblick duckte er sich schon, blies den Hals auf, hob das Spiel zum Fächer und trommelte mit hängenden Flügeln über den Boden. Meister Lampe verstand ihn falsch; er meinte, da käme ein furchtbarer Feind, und sauste voll Entsetzen in den dürren Ginster. Aber der Birkhahn balzte nur, er wollte einer Frau zeigen, welch schönes Gefieder er hätte; die zwei ästen auch gleich darauf nebeneinander Knospen und Kätzchen ab und vergaßen den armen Hasen.

Da ging der zur Brombeerfrau und fragte die, ob sie nicht das Warnen für ihn übernehmen wollte; ach, klagte Meister Lampe, er hätte schlechte Augen und hätte ja auch so viele Feinde wie überhaupt kein Tier im Wald.

Das tat der guten Beerenmutter herzlich leid. "Komm nur tief unter meine Dornen", sagte sie, "dort wird dich niemand verfolgen."

Aber man kann nicht in einem fort unter Dornen sitzen, es war immer noch nicht das richtige. Als er sich einen Tag gelangweilt hatte, nahm der Hase wieder Abschied und hoppelte zu seinem Knick zurück. Da sah ihn der Zaunkönig. "Na", fragte er, "von der Reise zurück? Hast du jetzt große Herren zu Freunden bekommen?

Der Hase antwortete nicht und war recht mutlos.

Das tat dem kleinen Nachbarn leid, er dachte nach, wie er dem armen Lampe helfen könnte. "Weist du eine Frau für mich? Dann sind wir doch zwei zum Aufpassen." Und er freute sich über seinen guten Gedanken.



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Der Rat leuchtete dem andern ein. "Ich will mich mal für ,dich umsehen", versprach er.

Nun wußte der Hase wohl von einer Zaunkönigin über drei Felder hinweg, aber es war nahe am Wald, der Fuchs hatte dort seine Jagd. Auch ging es dem Fräulein gerade wie dem Zaunkönig selbst, es wagte sich nicht aus den Büschen hervor und piepte den ganzen Knick entlang, wenn Reineke nur einmal über die Felder schnürte.

Ich muß doch mal sehen", sagte der Hase, "ob ich ihr nicht Bescheid bringen kann." Er hatte selbst heillos viel Angst vor Räubern, nicht viel weniger als der Nachbar auch, aber er war ja nun einmal der größere von beiden, und es schien ihm das beste für seine Sicherheit, wenn der Zaunkönig heiratete. —

Meister Lampe denkt sich also eine List aus er setzt einen richtigen Hut auf, den hat im letzten Herbst ein kleiner Junge beim Haselsuchen im Knick verloren. Der Hase meint, wenn er so, beinah wie ein großer Mensch, über die Felder läuft, hält es keinen Fuchs in der Nähe. Auf halbem Weg geht jedoch der Wind mit seinem Hut davon, und Lampe rennt all, was er kann, in den Knick zurück.

Wieder vergeht einige Zeit. Aber der Zaunkönig hat nun Lust zum Heiraten bekommen und fragt den Hasen jeden Tag, ob er nicht der kleinen Königin da drüben Bescheid sagen könne; er hülfe ihm doch auch für nichts und wieder nichts.

Nun liegt da ein altes Fuchsfell am Rain, das zeigt der Zaunkönig dem Nachbarn, und der kriegt Mut, er meint ja, darin würde Meister Reineke ihm nichts antun. Er hängt sich also den Pelz über und will ausziehen und der Zaunkönigin Bescheid geben. Auf halbem Weg ist ihm aber, als warte drüben am Waldrand ein anderer auf ihn, er fährt wie der Blitz aus dem Fuchsfell und auf und davon und in den sicheren Knick zurück. Der Zaunkönig sieht ihn allein heimkommen, sie sind beide sehr traurig über ihre Angst, aber sie können's nicht helfen.

Der letzte Weg von Meister Lampe hat indessen sein Gutes gehabt. Wie da nämlich mitten auf dem Feld ein leeres Fuchsfell liegt, werden



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manche arme Verfolgte aufmerksam und freuen sich, und es geht das Gerücht, der böse Räuber sei tot. Einige Tiere laufen im Bogen vorbei — nahe wagen sie sich ja noch nicht und hüpfen und springen vor Vergnügen. Und weil auch viele Vögel hin und her fliegen und ausrufen, mit allen Plagen sei es nun für immer zu Ende, werden sogar der kleine Zaunkönig und drüben die Frau Zaunkönigin neugierig, sie flattern eben einmal aus ihrem Knick hervor, um nachzuschauen. Dabei bekommen sie einander zu sehen und haben sich auch gleich gern. Und der Mann möchte eine
Rede halten und erklären, wie hübsch er die Nachbarin fände. Aber er hat wieder solche Furcht, er sagt in Hast nur eben, das Nest hätte er schon fertig und sie solle sich beeilen. Dann hört man den Hasen warnen: Fuchs aus dem och, Fuchs aus dem Loch!

Und das ist auch wahr gewesen; alles Volk stob auseinander, und die kleine Zaunkönigin fürchtete sich so entsetzlich, sie flog und flatterte und folgte gerade in den richtigen Knick hinein.

So ist denn doch noch alles zurechtgekommen. Die beiden Zaunkönige sind, obschon es hoch im Sommer war, miteinander sehr glücklich geworden und haben bald ein ganzes Nest Kinderchen gehabt. Und auch der Hase hatte sein Gutes davon, da waren zwei Augen mehr, die auf Fuchs und Jäger achtgaben.


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