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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Wie der arme Dachs zu Schaden kam

Eine gewaltige Brücke bauen die Menschen über den Strom; viele fleißige Hände schaffen daran, bis spät in den Abend sprühen die Niethämmer, und die großen Bogenlampen überleuchten das Werk. Wenn dann zwischen Mitternacht und Morgenfrühe Stille eintritt, gehen die guten heimlichen Helfer an die Arbeit und prüfen nach, was die Hand der Männer gerichtet hat, und festigen und stützen, was noch kahl wie Winter: geäst in die Luft ragt, damit kein Unheil geschieht. Und wer seine übersichtige Stunde hat oder dem Kulenkröger einen Groschen bezahlt, kann einschauen, wie die Roller und Rucker, wie die winzigen Schachtmeister und Rohrleger im blassen Licht ihrer Werkkästen schaffen und tun, als sei alles Mühen der Menschen nicht genug, wenn sie's nicht genau nach- rechneten und sorgten und immer noch einen Fehler fänden.

Daß der Schelm, der Kulenkröger, sich einen Verdienst aus dem Neubau macht, ist ja nun eigentlich nicht recht. Das kleine Volk läßt's zu, weil er sie vor der Frühschicht warnt, sie wollen sich nicht gern von den Menschen überraschen lassen. Dennoch ist es ärgerlich, daß der Unhold, der seine unterirdische Schenke in der Nähe des großen Uferpfeilers gebaut und immer nur auf seinen Erwerb aus ist, sich die Neugier zunutze macht. Während sein Weib die Leute bedient, steht er am Eingang zur Brücke, den Hut tief in der Stirn, bläst auf der Blockflöte, wenn er nichts zu tun hat, oder verlangt von den Wißbegierigen ein Schaugeld. Gegen Morgen gibt er dann den kleinen Werkleuten Bescheid und kehrt in seinen unholden Krug zurück, um zu sehen, ob da vielleicht noch späte Gäste sitzen, die er hinauswerfen muß, oder ob dieser oder jener, der bei ihm vorbeikommt einen Morgentrunk braucht.



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Nun gerieten einmal auch die beiden Landstreicher Pusback und Knorrjohann in die Nähe der Brücke — zwei rechte Herumtreiber sind's. Sie wandern jetzt nur in der Nacht, weil man im Land alle Faulpelze aufgegriffen und zur Arbeit geführt hat und weil sie sich so sehr davor fürchten.

Als erster kommt Pusback vorbei; sein Freund Knorrjohann hat am Kulenkrug nicht vorüber können, ohne noch einmal Einschau zu halten. Und Pusback sieht den Kulenkröger, er bezahlt seinen Groschen und betritt das gewaltige Brückenwerk. Was für Gerüste, überlegt er, nun wollen die Menschen wohl bald in den Himmel bauen! Und was ist noch alles zu sehen! Winzige Lichter schillern und sprühen — auch das kleine Volk hat von uns gelernt —, zwerggroße Wagen mit Kies und Sand fahren



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lautlos hin und her, überall wimmelt's von Mörteljacken und grauen Mauerleuten, von Kesselweiblein und Wichten, die in den Aufzügen hocken und alles doppelt sichern für die Menschen, um die sie sich sorgen.

Danach tappt auch Knorrjohann beim Kulenkröger vorüber und möchte die Gerüste besehen. Aber er gibt statt des Groschen einen falschen Schilling und will noch etwas heraushaben; er hofft ja, der Unhold wisse mit unserm Geld nicht so recht Bescheid.

Knorrjohann hat sich indes schlimm getäuscht! Kaum ist der Dicke die schlechte Münze gewahr geworden, da hat er Macht über den Betrüger; mit einem wütenden Griff packt er den Landstreicher beim Genick, fährt mit ihm am hohen Ufer entlang und dann in seine Kule hinab —so einen Arbeitsmann, der ihm umsonst dienen muß, hat er sich schon lange gewünscht.

Pusback wartet und wartet währenddes und begreift nicht, wo sein Freund Knorrjohann bleibt. Endlich steigt er vom Gerüst herab und will nachsehen; da erfährt er von dem kleinen Volk, was alles sich ereignet hat.

Nun, Pusback wird seinen Freund nicht im Stich lassen. Er tut fürerst, als wisse er von nichts, zieht seine Geige und siedelt sich den Weg entlang. Dabei trifft er den Kulenwirt; der hat Knorrjohann zunächst einmal in der Küche angestellt zum Kartoffelschälen und will wieder auf seinen Platz, um Groschen zu vereinnahmen. Er bläst seine Blockflöte, und als die zwei sich begegnen, Pusback und Kulenkröger, bleiben sie stehen, geben sich, als hätten sie mit Knorrjohann nichts zu tun, und fragen einander nach ihrer Musik; daran haben sie beide viel Freude.

"Wir könnten's einmal zusammen versuchen sagt schließlich der Unhold. Er ruft einen Wicht, daß er ihn beim Einsammeln vertrete, und schlürft mit dem Geiger in seinen Krug zurück und die Treppe hinab. Bald mühen sie sich gemeinsam, die Gäste horchen auf, und der Sulen- kröger muß Freibier geben, so schön ist die Musik und so sehr rührt es ihn selbst, daß er einen guten Gesellen gefunden hat.

Nun schaut Pusback sich ja auch im Kulenkrug um. Er ist freund mit diesem und jenem. Er kann den armen Knorrjohann sogar in der Küche



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beim Kartoffelschälen sehen, aber er weiß nicht, wie er ihm helfen soll. Schon geht es auf die erste Frühe, da sind die guten Stunden im Krug vorbei.

"Was hast du denn da für einen?"fragt Pusback endlich und weiss auf den Gefangenen.

"Wenn du seinetwegen gekommen bist, dann pack deine Geige nur rasch wieder ein", knurrt der Kulenkröger, und alle Gäste lachen schadenfroh. Der Fuchs sitzt da, der Igel trinkt sein Schnäpslein, und der Ziegenbock jammert mit dem Schachtmeister, daß die Welt nicht besser werden wolle. Aber daß Knorrjohann arbeiten muß, bringt jedermann Freude; da keine Hand, die sich für ihn rührt.

Pusback zuckt die Achseln, als hätte er die unfreundlichen Worte gar nicht gehört. "Eigentlich könnten wir öfter Musik miteinander machen", sagt er obenhin. "Wie wär's, Kulenkröger, wenn ich bei dir in Dienst träte?"

Der Dicke möchte auch Pusback gern in seiner Gewalt haben, aber er mißtraut ihm. "Wo willst du denn schlafen? Ich habe keinen Platz für dich.

"Was das betrifft, so hast du doch Reineke Fuchs und den Schachtmeister hier. Die bauen dir gegen eine Flasche Kümmel eine schöne Kammer hinzu.

"Gern", sagen die beiden und stehen gleich auf, sie haben selten Geld in der Tasche und möchten sich verbessern. Lange werden sie nicht damit zu tun haben.

"Wenn du noch eine Flasche ausgibs, dann bauen sie sogar eine Kammer für zwei", rät der listige Pusback, da kanns du einen neuen Kartoffelschäler bei mir unterbringen.

Auch der Vorschlag ist nicht schlecht, er gefällt dem Kulenkröger, und die beiden Gäste machen sich gleich ans Werk. Aber der Alte ist doch mißtrauisch. "Du könntest deine Geige zum Pfand dafür geben, daß der Betrüger mir nicht ausreißt", sagt er zu Pusback und zeigt mit dem Daumen zur Küche.

Gern, wenn du mir solange die Blockflöte leihst!



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Mit der Antwort hat der Dicke nicht gerechnet; er sieht ein, daß er die Geige nicht verlangen kann, macht sich wichtig und redet, wo die Kammer liegen und wie tief sie sein müsse. Auch will er wissen, wieviel Lohn Pusback fordert und noch manches mehr. Während der ganzen Zeit gehen die unholden und die willkommenen Gäste ein und aus Und die einen erzählen den anderen, wer der arme Kartoffelschäler sei. Aber die meisten meinen, es schade dem Faulpelz Knorrjohann durchaus nicht.

Nach einigen Stunden sind Fuchs uns Schachtmeister mit der neuen Stube fertig, der eine hat gegraben, der zweite hat den Lehm nach draußen getragen. Sie haben etwas wie eine Schlafkammer eingerichtet, gleich neben der Küche, nun sollen Pusback und Kulenkröger die Arbeit abnehmen,, damit die Bauleute ihren Verdienst erhalten.

Kaum sieht Pusback den Raum, fängt er mordsmäßig schelten an. "Wie, darin soll ich unterkommen? Und noch ein anderer dazu?" Und er macht einen Heidenlärm, daß ein reicher Herr wie der Kulenkröger nicht besser für seine Leute sorge. Der Wirt kriegt einen roten Kopf, das mag er vor den Gästen nicht hören. Er ruft also Knorrjohann und fragt ihn, ob er mit der Kammer zufrieden sei, und auch der fängt an zu seufzen, sei viel zu klein und muffig, und die Arbeiter an der Brücke, bei denen er gerade Dienst hätte nehmen wollen, hätten es viel luftiger.

In dem Augenblick kommt Grimbart, der Dachs, in die Tür. Er war über Nacht auf Vogelnester und Schnecken aus gewesen und weiß nichts von Knorrjohanns Gefangenschaft noch von Pusbacks Übermut. Er hat sich den Wanst gut gefüllt und will ein Schnäpslein darauf trinken, das ist alles. Als er Vetter Reineke im Kulenkrug gewahrt, ärgert er sich; die Herren mögen einander nicht.

Pusback merkt sein verdrossenes Gesicht und ruft ihn hinzu. "Sieh dir bloß einmal an, was der Fuchs eine Schlafstube nennt", schreit der Schlaue. "Und dafür will er eine Flasche Kümmel haben!"

Der Dachs prüft alles, und auch er findet die Kammer erbärmlich, ihm gefällt nur, was er sich selbst ausräumt. "Ich bin ein alter Mann und weiß mit Wohnungsbau Bescheid", sagt er mit einem Seitenblick



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auf den Fuchs. "Wenn du mir eine Flasche spendest, Kulenkröger, will ich die Kammer so ausbauen, daß jeder damit zufrieden sein muß. Ich meine aber, daß Pusback und Knorrjohann mir helfen sollten, mit den andern Pfuschern und Großsprechern kann ich nichts anfangen.

Der Fuchs antwortet nicht, er nimmt sich vor, dem Dachs sein Urteil heimzuzahlen; aber er hat's etwas eilig vollendet, das läßt sich nicht bestreiten.

Grimbart macht sich also mit den beiden Männern ans Merk.

"Vor allem müßte man einmal Luft schaffen", beginnt Pusback.

"Daran denken diese stinkigen Füchse nie", murrt der Dachs. "Ich will jetzt erst mal eine schöne breite Röhre hochführen. Vielleicht kann dein Freund mir von draußen helfen?

"Er geht nicht gern beim Kulenkröger vorüber", entschuldigt Pusback, warte, bis du die Röhre angelegt hast, dann schieben wir ihn hinaus.

Das leuchtet dem Dachs ein; er weiß ja nicht, daß Knorrjohann nachher wieder Kartoffeln schälen soll. Er will nur alles besser machen als Reineke, arbeitet aus Leibeskräften, und wirklich kommt bald die erste frische Luft von draußen. Dann heben sie Knorrjohann an und helfen dem armen Gefangenen mit aller Kraft durch den Gang nach oben.

"Das wäre geschafft!" sagt Grimbart und wischt sich den Schweiß ab.

"Es geht doch nichts über einen erfahrenen Werkmeister", lobt der listige Pusback. "Wie wär's, wenn ich mir jetzt einen Eimer ausbäte und die Erde durch die Röhre nach draußen zöge? Knorrjohann kann sie ja auseinanderwerfen, damit es vor der Tür sauber aussieht!

"Das ist ein guter Vorschlag", antwortet der Dachs, "du hast Verstand, das merke ich!" Und Grimbart geht selbst mit zur Tonband, läßt sich vom Kulenkröger einen Eimer geben und schickt Pusback damit los.

Der macht sich ja davon, so rasch er nur kann. Der Wirt merkt es und traut der Sache nicht recht. "Daß du mir den anderen nicht vor die Tür läßt!" warnt er Grimbart.

"J wo", lacht der treuherzig, den hab ich schon durch die Röhre geschoben."



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"Was hast du getan?" fragt der Kulenkröger und versteht ihn nicht und schaut in die neue Kammer. Da findet er niemanden und sieht das Loch in der Decke. "Was hast du getan?" brüllt er den Dachs an, dreht sich um, nimmt die Flasche, die er schon bereitgestellt hat, und schlägt sie Grimbart über den Kopf, daß ihm Hören und Sehen vergeht.

"Hab ich's mir nicht gedacht", sagt der Fuchs, hopst vor Vergnügen und tritt den armen Vetter von hinten, daß er gleich ins Freie taumelt. Hab ich s mir nicht gedacht, Kulenkröger? Was mußt du dich auch mit solchem Prahlhans einlassen?" Und er will nach seinem Schnaps langen und zur Tür hinaus. Aber der Wirt ist rascher; der Fuchs muß schon einen gewaltigen Satz tun, sonst hat er die andere Flasche am Kopf. —

An der Brücke gehen Knorrjohann und Pusback vorbei. Sie lassen sich vor niemandem sehen. Auch führen sie einen armen Dachs zwischen sich, der hat ein nasses Tuch um die Stirn und klagt und jammert erbärmlich. Es tut ihnen leid um ihn, er hat es gut gemeint, und sie versprechen ihm Schnecken und junge Igel und ich weiß nicht was alles zum Lohn. Aber dann raten sie ihm auch, sich nie wieder mit Fuchs und Kulenkröger abzugeben Sie selbst würden sich zukünftig hüten, sagen sie, so wie sich alle guten Leute vor den beiden schlimmen Gesellen in acht nehmen sollten.


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