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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Feindschaft zwischen den Vögeln

Ein alter Freund von mir, Knorrjohann mit Namen, hatte ein schlimmes, zanksüchtiges Weib. Er ist deshalb eines Tages zu den Krähen gegangen und hat gebeten, sie möchten ihn für eine Weile in ihr Volk aufnehmen, er sei des Lebens bei den Menschen leid. Die Krähen haben ihn denn auch nach allerhand Beratungen zu sich gerufen, haben ihm ein Federkleid geschenkt, zwei Flügel genäht und für ein Jahr zu einem der Ihren erklärt. Knorrjohann ist aber mitunter heimlich zurückgekommen und hat mir von den Tieren erzählt. Dabei habe ich ihn auch nach dem Streit zwischen Krähen und Eulen gefragt, dessen Grund ich gern erfahren hätte.

Es war einmal ein alter Uhu, sagt Knorrjohann, der hauste den halben Winter in einer hohlen Eiche, zu der nur er den Eingang wußte. Da saß er, solange es draußen fror und schneite, in tiefem Schlaf, träumte von vergangenen Tagen und wartete auf den Frühling.

In seinem Wald wohnte nun auch ein großes Volk Krähen, unter denen war eine Uralte, die als die klügste von allen galt. Sie wurde aber immer noch weiser, so daß ihr schließlich auf Erden nichts unbekannt blieb und sie sogar vom lieben Gott mehr wußte als Menschen und Tiere zusammen.

Das Volk der Krähen war sehr stolz auf ihre Klugheit, sorgte gut für sie und versammelte sich jeden Morgen auf einer riesigen Eiche, nur um zu lauschen, was die Uralte über Nacht geträumt hatte. Und die Vögel hörten und erfuhren so viel von ihrer Ahnin, daß sie nahe daran waren, Herrscher auf Erden zu werden.

Endlich, in einem Frühling, schwante auch jener Ältermutter gleich allen Irdischen, daß ihr Ende nicht fern sei. Sie erzählte den jungen Gelehrten ihres Stammes deshalb noch einmal alles, was sie wußte vom Diesseits und Jenseits, und die weisen Herren horchten auf. Aber was nach dem



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Sterben mit ihr und den Ihren würde, wußte die Krähe nicht, soviel Mühe sie sich auch gab.

Sie sagte also zu den Jungen: "Ich fühle, daß ich jetzt nur noch drei Nächte zu leben habe, und will versuchen, mich so weit wie möglich zu träumen. Gestern bin ich am Ende der Erde gewesen, heute nacht will ich zum Mond in meinen Gedanken hinauf. Gebt acht, vielleicht weiß ich morgen mehr von dem, was jenseits des Lebens liegt.

Da verneigten sich die Krähengelehrten, sträubten die Federn und vertrieben alle Tiere aus der Nähe, damit niemand die Ahne beim Einschlafen störe. Und die Alte tat die Brille über die Augen und dachte sich wirklich bis auf den silbernen Mond hinauf. Aber was immer sie sah, war sonderbar kalt und blaß und riesig; sie strich hin und her, hielt nach hohlen Bäumen Ausschau und wollte einen der Schatten fragen, die unter ihr wie eines Flügels Dunkel dahinglitten.

In dem Augenblick flogen Graugänse hoch über dem irdischen Krähenwald dahin, die hatten tagsüber auf vielen Äckern geäst, waren wild und



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laut vom Frühling und zogen schreiend, an die hundert zugleich, über die Wipfel.

Die Uralte wachte erschrocken auf, seufzte und rief noch vor Morgengrauen alle Krähen zusammen.

"Ach, ich kam nicht weit", erzählte sie ihnen. "Auf dem Mond bin ich gewesen und habe einen Schatten gesehen, der mir Antwort hätte geben können. Da lärmten Fremde und weckten mich aus meinem Traum.

Die Krähengelehrten waren traurig. Sie verloren indes ihre Zuversicht nicht, sie hatten ja immer noch Hoffnung, etwas vom Allergeheimsten zu ergründen. Es waren aber auch nur zwei Nächte, nicht mehr, und sie wußten, daß ihr Volk niemals wieder eine so weise Uralte wie diese haben würde.

Sie machten sich also auf, vertrieben bis zum Abend alle Vögel und Tiere, setzten Posten gegen vorüberziehende Wildgänse aus und warteten auf den neuen Traum der Krähenmutter.

"Heut nacht will ich mich zu den Sternen begeben", sagte die Ahne und schloß die Augen. Da flog sie in ihren Gedanken blitzschnell zu den höchsten Höhen. Und die Sterne wurden wie Monde und Sonnen groß und dünkten lauter dampfende Gesichter. Und sie wuchsen und glommen, standen in Rauch und Nebeln und kreisten und brausten. In jener Nacht aber sprang auf Erden ein junger Westwind auf, der klopfte an alle Wälder an. Er wiegte auch den Baum der Schläferin recht nach Herzenslust.

Da erblaßte das Bild der Sterne, die Uralte wachte auf, schlug die Brille zurück und lächelte traurig. Die Krähen aber, die um ihr Wissen betrogen waren, fielen wie rasend über den singenden Wind her, so daß er auf und davon flüchten mußte, so lang und groß er war.

Alls nun der letzte Abend kam, baten die Vögel noch einmal alle Wesen im weiten Rund um Schweigen. Und die Tiere und Dinge versprachen es auch und stellten Wachen aus gegen Holden und Unholden. Der Wald, in dem die Krähen lebten, schien wie erstorben; nichts war da, was den Schlaf der Ältermütter hätte stören können,



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"Heute abend will ich mich zum lieben Gott aufträumen", sagte sie zu den aufhorchenden Weisen ihres Stammes.

Da schlugen alle Leute ehrfürchtig mit den Flügeln, beschatteten den Waid schon vor der letzten Sonne und fließen keinen einzigen Laut mehr aus, so schwer es dem geschwätzigen Volk auch fiel.

Und die Krähenalte schloß die ingen und versuchte sich um lieben Gott zu denken, um sein Geheimstes auszukünden.

Nun weiß ich nicht, hat der Ewige Vater die Hoffart der Tiere vielleicht strafen wollen oder ist es der Lenz gewesen, der auch in den Bäumen des Krähenwaldes seinen Einzug hielt.

Als die Uralte wieder auf ihren Traumweg machte, kam es hohl wie aus dem Innern der Erde herauf: "Schuhu!

Die Schlummernde wurde unruhig, hundert junge Krähenkrieger wirbelten lautlos durch den Hagen und forschten nach dem Rufer. Aber sie fanden ihn nicht. Es blieb auch eine ganze Meile still, die Ältermütter hatte bereits einen weiten Weg hinter sich; längst, meinte sie, war sie über Mond und Sterne hinaus.

"Schuhu!"dröhnte es da wieder dumpf wie aus der Erde in den Wald mein.

Die Schläferin wäre um ein Haar aufgewacht, sie seufzte im raum. Das Krähenvolk schoß von der Höhe zur Tiefe und von der Tiefe zur Höhe; hätte es den ärmer gefaßt, es hätte ihn in einem Augenblick umgebracht, so furchtbar war sein Zorn.

Die Ahne glitt währenddeg auf einer ganz dünnen Brücke aus Licht, die immer schmaler und schmaler wurde. In der Ferne blinkte es wie ein gewaltiger Tisch oder wie ein Tor aus neun noch unbekannten Farben; verzweifelt mühte sie sich, dem näher zu kommen.

Im Krähenwald aber war die Luft warm und schwül; der alte Uhu in der Eichhöhle spürte halbwach, daß es einem gewirternden Frühlingstag entgegenging. Er übte die Lichter und Fänge im Dunkeln und erwog, ob er bei solchem Lenz vor den jungen Wettbewerbern nicht noch einmal bestehen könnte.



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"Schuhu! "röhrte er drohend, und "schuhu, schuhu! "Fast lotrecht unter der schlafenden Krähenalten dröhnte der Ruf wie aus der Erde auf. —Und er weckte die Schlummernde aus ihrem Traum, die Urahne öffnete die Augen ein wenig und sah die Weisen mit Tafeln und Stiften bereitstehen, um ihre Worte aufzuzeichnen. Es war nichts", seufzte sie traurig und ließ die Lider wieder sinken. "Ach", sagte sie und dachte an die neun unbekannten Farben, "es macht nur bang, nach Gottes Rätseln zu fliegen." Dann ließ sie den Kopf fallen, schlief ein und verschied.

Die Krähen haben getobt und außer sich nach dem gesucht, der ihr Volk um die tiefste Weisheit betrogen hatte. Sie haben den ganzen Tag an der Eiche gehackt, um den Störenfried herauszufordern. Aber der Uhu kam nicht, er mag die hellen Stunden nicht. Er ist erst am folgenden Abend aufgebrochen und hat im Dunkeln furchtbar mit den Krähen gekämpft, sie sind ihm in der Nacht nicht übergekommen.

Dafür rächen die Schwarzröcke sich noch heutigentags, so schließt Knorrjohann die Geschichte. Wenn sie einen Uhu sehen, fallen sie über ihn her und sind ihm Todfeind unter den Vögeln; sie meinen ja, daß er ihnen die letzten Geheimnisse und damit die Herrschaft über die Erde gestohlen hat.

Aber ich glaube, sie hätten's ohnehin nicht gewonnen.


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