Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Die Tiere bestellen einen Briefboten

Da war einmal ein Hase, der hatte sich mit einem alten Bauern angefreundet. Er hatte versprochen, den Feldern des andern keinen Schaden zu tun, kam dafür jeden Abend in die sichere Schlafstube und verbarg sich dort über Nacht vor den wilden Tieren des Waldes.

Als der Mann nun gestorben war, stellte es heraus, daß neben Kindern und Kindeskindern auch der Hase ein Erbteil erhalten sollte. Aber als er aufgeboten wurde und mit den andern am Tisch saß, rechneten die Leute so lange hin und her, bis alles in allem nur noch drei Groschen — genau drei Groschen —für ihn übrigblieben. Und sie gaben ihm alte Geldstücke und sagten, er sei nun abgefunden und er solle sich nie wieder in ihrer Nähe sehen lassen.

Der arme Betrogene ging traurig und einsam seines Weges. Gegen Abend traf er auf der Landstraße einen Bettler, der bat ihn um eine milde Gabe; er habe keine Herberge zur Nacht, klagte er. Hab ich auch nicht,



248 H.F. Blunck Märchen -- Die Tiere bestellen einen Briefbogen Flip arpa

dachte der Hase, aber ihm fiel zugleich ein: Was soll ich mit meinem Geld anfangen, ich darf ja nicht wieder zu den Menschen gehen. Er gab dem Alten also einen Groschen, das war ein Drittel seines Erbes.

Nun war der Bettler aber niemand anders als der Bauer selbst, der von drüben heimgekehrt war, um zu sehen, ob man auch alles nach seinem Willen bestellt hätte. Als der erfuhr, daß man den Hasen so schmählich ausgetrieben hatte, wollte er ihm etwas Gutes antun. "Dank für den Groschen", sagte der Wiedergänger laut. Und weil er von seiner Verwandlung abzugeben vermochte, fügte er hinzu: "Zum Vergelt, Freund, schenke ich dir, daß du einmal und wann du willst eine andere Gestalt annehmen kannst.

Dem Hasen schien, daß er für den armseligen Groschen reichlich belohnt war. Er grüßte also sehr höflich und suchte seinen Weg.

Als er nun weiterhoppelte, traf er einen Freund, einen kleinen Unterirdischen, Braddel mit Namen, der hatte beim Einholen sein Geld verloren; jetzt wagte er sich nicht zu seiner Frau nach Haus. Was soll ich mit meinen Groschen anfangen, dachte der Hase und gab ihm den zweiten.

Da freute sich der Wicht und reichte ihm einen Pfennig zurück. Brauchst ihn nur rollen zu lassen, wenn du in Not bist", sagte er, "er führt dich unter allen Steinen hindurch zu mir.

"Ich werd dich winters einmal besuchen", antwortete Meister Lampe und war fröhlich, daß der Knirps so dankbar war.

Nach abermals einer Weile saß eine kleine Holunderfrau am Weg, die weinte sehr. Ach, klagte sie, als der Hase sie nach dem Grund fragte, ach, vorhin sei ein Unhold vorübergekommen, habe sie fangen wollen und ihr einen Flügel zerrissen. Nun könne sie nicht heimkehren, sie hätte nicht genug Geld bei sich, um ein wenig Wachs zum Heilen zu kaufen.

Da ging der Hase noch einmal zu den Menschen zurück, er wußte ja, wo der Krämer wohnte, und holte für einen Groschen Wachs.

Und die Kleine war so vergnügt: "Du brauchst mich nur zu rufen sagte sie, "wenn du mich nötig hast. Ich kann dir jeden Rat geben, den du willst.

Alles gute Worte, dachte der Hase, aber er wollte gar keinen Lohn haben. —



249 H.F. Blunck Märchen -- Die Tiere bestellen einen Briefbogen Flip arpa

Nun hatten sich gerade um jene Zeit viele Tiere zusammengetan, um untereinander eine bessere Ordnung zu schaffen, neue Ratsleute und Richter zu wählen, die Handwerke zu verteilen und sogar eine Post einzurichten. Sie konnten sich aber nicht einigen, wer Briefbote werden sollte. Viele Leute bewarben sich schon darum, denn es war beschworen, daß solch ein
Bote, solange er Briefe austrug, von niemandem verfolgt werden durfte. Endlich schlug der Dachs vor, man solle erproben, wer von den Bewerbern allerorts am raschesten sei; und wer gewänne, solle das Amt erhalten. Aber alle List sei erlaubt.

Der kleine Hase hörte von der Auslobung der Tiere. Und weil er seinen Freund, den alten Bauern, verloren hatte und nach einem neuen Brot suchte, hätte er das Amt wohl gern übernommen. Er hätte damit ja auch Ruhe vor seinen Verfolgern gehabt. So meldete er sich also. Und der



250 H.F. Blunck Märchen -- Die Tiere bestellen einen Briefbogen Flip arpa

Dachs maß eine Rennbahn aus, die führte rund um einen großen Wald und dann durch einen steilen Hügel hindurch. Wer Bahn und Anhöhe am raschesten nähme, sagte er, der habe gewonnen; er meinte wohl, daß niemand außer ihm recht verstünde, den Berg zu durchwühlen.

Alls der Hase nun die vielen Tiere sah, Reh, Otter, Marder, Fuchs und Fledermaus, die sich alle zum Wettlauf bereitstellten, da hätte er seinen Plan beinahe wieder aufgegeben. Glücklicherweise fiel ihm der Wunsch ein, den ihm der Bettelmann geschenkt hatte. Und weil er so herzlich gern das Amt bekommen hätte, verlangte er heimlich, daß sich seine Läufe in die eines Hirsches wandelten. Und das Wettrennen über alle Felder und Gräben dauerte einen halben Tag, und die Kraft der Verzauberung dauerte auch, bis der Hase die Bahn durchmessen hatte.

Vorm Berg aber, den er danach durchkriechen sollte, verließ den armen Lampe der Mut; er rief kläglich nach seinem Vetter und hoffte, daß ihm Sputter, das Kaninchen, ein Loch bis zur andern Seite graben würde. Als er nun von Höhle zu Höhle lief, kam zufällig ein Wichtelmann aus einem alten Fuchsbau hoch. Da fiel dem Hasen ein, daß der Knirps Braddel ihm ja einen Pfennig gegeben hatte; er holte ihn eilig aus der Tasche, warf ihn vor sich hin und kroch bald, weil Braddel just jenseits des Berges mit seiner Frau spazierenging, durch Schlüpfe und Bauten und zur andern Seite hinaus. Weit vor allen Wettbewerbern war er am Ziel.

Da kamen die Tiere sehr erstaunt zusammen; der Dachs, der bisher das große Wort geführt hatte, war recht kleinlaut geworden. Aber die Vögel verlangten, daß sich nun noch erweisen müsse, ob der neue Bote schnell in alle Nester gelange, damit er auch bei ihnen die Briese bestellen könne. Und jeder meinte, Meister Lampe werde sich nun nicht wieder melden; denn wer hat je einen seiner Art stiegen sehen?

Es waren unter den Läufern und Grabenden nicht viele, die sich jetzt noch zu bewerben wagten. Der Fuchs hoffte, durch seine Geschicklichkeit zu gewinnen, er hatte sich Gänseflügel an die Füße gebunden. Der kleine Marder erwartete den Preis, er kann blitzschnell klettern und durch die Luft von Baum zu Baum springen. Er tat auch, als sei er schon gewählt, lief



251 H.F. Blunck Märchen -- Die Tiere bestellen einen Briefbogen Flip arpa

zierig vor den Leuten auf und ab und lachte hämisch, als die Fledermaus sich meldete und sogar der Hase wieder antrat und fliegen wollte.

Nun bekamen die Tiere, die sich um das Amt bewarben, jeder einen großen Brief, den sollten sie in ein Elsternest mitten im Wald bringen. Wer den seinen als erster bestellte, sagten alle, der solle endgültig und gewiß Briefbote werden. Und der Dachs gab wiederum das Zeichen.

Aber als die Bewerber abliefen, schlüpfte der Hase nur bis in den nächsten Himbeerbusch, rief listig die kleine Hollerfrau, erzählte, um was es ging, und ließ sich von ihr auf die Flügel nehmen. Schon bald war er, hui, den andern Rennern weit voraus. Denn die Fledermaus, die gewiß gute Aussicht hatte, weiß sich im Wald nur schlecht zurechtzufinden und zappelte sich in einen falschen Baum; der Marder kam rasch voran, aber das Springen allein genügt nicht. Und der Fuchs hatte sich das Fliegen mit den Gänsefedern leichter vorgestellt. Die Zuschauer lachten laut, als er nur eben über den Boden hüpfte; er verkroch sich bald in seinen Bau, so beschämt war er.

Nein als erster von allen gelangte der kleine Hase zum Elsternest, und weil er das Kennen nun doppelt gewonnen hatte, wurde er feierlich zum Briefträger im Reich der Tiere ernannt. Und er hat eine Mütze bekommen, und die Leute haben beschworen, ihm nichts anzutun, solange er im

Ich weiß nicht, ob alle ihr Wort erfüllt haben. Vielleicht hat der Fuchs, der in seinen Bau gekrochen war, nichts mehr von der Abmachung gehört; die Eule war auch schon zu Bett gegangen, und der Mensch weiß überhaupt noch nicht, wie es bei den Tieren gehalten wird. Aber voreinander schämen sich die meisten doch, dem Kleinen etwas anzutun, solange er mit Briefen unterwegs ist. Ich war neulich einmal beim unterirdischen Kulenkröger, da kam er mit Mütze und großer Tasche herein. Und der Luchs und der Dachs und der alte Unhold selbst, der sich doch gern einen Braten verschafft, haben einander spitz auf das Maul gesehen, aber keiner hat ein Wort über den Hasen verloren, sie haben weiter ihre Karten ausgespielt. Der Luchs hat sogar eine Handvoll Trümpfe auf den Tisch gelegt, nicht einmal Wind hat er aufgenommen.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt