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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Streit zwischen Elster und Amsel

Einmal gerieten Elster und Amsel in Streit miteinander, wer von ihnen wohl am besten singen könnte. Sie zankten sich laut und lang, es war weithin im Wald zu hören, und alle Tiere mahnten sie, den arin zu enden und doch wieder Frieden zu halten. Da beschlossen die beiden, dem ersten, der vorüberkäme, vorzusingen und ihn als Richter über ihre Kunst einzusetzen.

Nach einiger Zeit schlich die Katze Minnemau wie von ungefähr vorbei; sie hatte schon lange auf einem Ast gelauert und die zwei zankenden Leute belauscht, aber der Sprung war ihr zu weit gewesen.

Nun, Elster und Amsel erschraken zuerst, dann mußten sie sich bei ihrer Ehre damit einverstanden erklären, daß die Nachbarin zwischen ihnen entscheide, sie hatten es nun einmal so miteinander abgemacht. Die Elster begann also laut zu schrattern und zu krächzen, das hielt für Singen. Und Minnemau kroch näher und näher und spitzte die Ohren. Alls die Elster gerade enden wollte, sprang die Katze mit einem Satz über sie, der arme Vogel konnte ihr gerade noch mit einem lahmen Fuß aus den Krallen fahren.

Das war nun kein ehrliches Gericht gewesen, der Streit ging weiter und störte den Wald auf allen Wegen. Endlich kam wieder jemand vorbei, es war ein Mädchen, das jenseits ihres Dorfes Dienst suchen wollte. Und weil Elster und Amsel einsahen, daß ihr Schelten ein Ende haben mußte, flogen sie auf die Dirn zu und verlangten, sie solle ihnen sagen, wer von beiden das schönste Lied vermöchte.

Diesmal sang die Amsel als erste, sie sang so herrlich, daß die Horcherin Tränen in die Augen bekam. Dann wandte das Mädchen sich zum Nest der Elster, und die begann. Aber sie hat eine arme Kehle, es wurde nicht viel damit.



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Während die Richterin nun zuhörte, sah sie unterm Nest der Elster einen goldenen Ring liegen, den hatte die Hehlerin einmal am Weg gefunden, hatte ihn aufgehoben und jetzt beim Zanken und Aufplustern aus
dem Nest verloren. Ist der Ring bereit, ist die Hochzeit nicht weit, dachte das Mädchen flink, nahm das glitzernde Ding an sich und sagte dann, wie es in Wahrheit stand, daß nämlich die Amsel die schönste Stimme im ganzen Wald habe.



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Aber die Elster hatte gesehen, wie die Dirn sich ihren Lohn sicherte. Kaum hatte sie das Urteil vernommen, schrie sie auch schon dazwischen, dieser Richtspruch gelte erst recht nicht, eine Diebin hätte ihn gefällt. Und jetzt stünde ein schlechtes Urteil gegen das andere, man müsse einen dritten Vorüberkommenden anhören, der solle für immer zwischen ihnen entscheiden.

Als die vier noch miteinander zankten, Elster und Amsel, Mädchen und Katze, kam gerade der getreue Eckard des Weges; alle Leute meinten, der sei gewiß der beste Schiedsmann, den sie finden könnten. Herr Eckard aber hatte es eilig, er wollte zu einem Bauern, um ihn vor Räubern zu warnen und zu schützen. Und weil er keine Zeit hatte, den Gesang von Amsel und Elster abzuwarten oder in Muße über das zu richten, was er gehört hatte, nahm er kurzerhand alle vier Leute mit sich auf den Hof, den er suchte Er sagte, am besten sei es überhaupt, wenn der Bauer entscheide, zu dessen Lust seien die Vögel doch geschaffen. Dann legte er sich bei dem Freund in Quartier, um ihm zu helfen, wenn Not am Mann wäre, und hieß auch die Gäste dableiben, die mit ihm gekommen waren.

Aber der Bauer, der nun Richter sein sollte, verschob den Spruch von Tag zu Tag und von Woche zu Woche. Er sagte einmal dies, einmal das, etwa, er hätte noch keine rechte Ruhe, oder ich weiß nicht was. Es war aber an dem, daß er sich nur ungern zu einem Urteil herbeiließ. Die Gäste gefielen ihm gut; die Katze fing ihm die Mäuse weg, das Mädchen hatte gleich einen Ring mitgebracht, und die Amsel, die immer noch übte, sang so wunderschön, er hatte Furcht, sie würde ihn wieder verlassen, hätte er erst zwischen den zwei Mogeln entschieden.

Endlich aber wollte Herr Eckard weiter, die Räuber hatten sich verzogen, und er hatte Besseres zu tun, als auf dem Hof zu liegen und auf sie zu warten. Dabei fiel ihm ein, warum er so viele Gäste mitgebracht hatte; er drängte und sagte dem Bauern, es würde jetzt Zeit zum Spruch.

So mußten alle vier Leute, die verfeindeten Vögel und die früheren Richter, noch einmal zusammenkommen. Und die Amsel sang, und die Elster schrie, und der Mann mußte der Wahrheit die Ehre geben und



247 H.F. Blunck Märchen -- Die Tiere bestellen einen Briefbogen Flip arpa

erklären, daß der Amsel Lied weitaus am schönsten war. Da wußte man endlich Bescheid!

Es machte indes gar nicht mehr so viel aus, wie der Bauer jetzt entschied. Die Amsel hatte sich nämlich daran gewöhnt, so nahe wie möglich bei den Menschen zu weilen, es war ihr einerlei, was die Tiere noch von ihrem Singen hielten. Und die Katze und das Mädchen mit dem Ring hatten sich auch eingelebt, sie sind einfach beim Bauern geblieben. Sogar die Elster, die, kaum daß sie den Spruch gehört hatte, im Zorn von dannen gefahren war, hat ihr Nest nicht weit vom Hof gebaut. Aber sie hat es von da an unten und oben fest zugeschlossen. Damit ihr von den diebischen Menschen nicht wieder ihr Eigentum gestohlen würde, sagt sie. Nur ein kleines Schlupfloch hat sie gelassen; wenn der Bauer vorübergeht, kann er grade ihren Stoß zum Loch hinauswippen sehen, so sehr verachtet sie ihn.


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