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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Mär vom Trauermantel

Da war einmal ein kühner Seefahrer in unserm Land, der hatte eine Königin liebgewonnen, in deren Diensten er fuhr. Aber die Frau hielt ihrem Gatten die Treue, die sie ihm geschworen hatte.

Eines Tages starb nun der Herrscher. Da durfte die Witwe dem starken Schiffer sagen, daß es um ihr Herz nicht anders stünde als um das seine, und sie hofften beide aufeinander nach der Trauerzeit. Der hohe Rat des Volkes beschloß jedoch, daß die Königin des Verstorbenen Bruder nähme, obwohl der bejahrt und krank war, und trug dem Seefahrer eine Reise auf, weit übers Meer.

Nun hatte die Frau dem Bruder des Toten ihr Wort noch nicht gegeben, und auch der Seefahrer wollte sich nicht fügen. Er zögerte einige Zeit, bis die Ratsleute des Landes unruhig wurden und ihn in den Kerker warfen. —Die Königin hörte davon. Sie sorgte dafür, daß der Gefangene heimlich befreit wurde, bat ihn zu fliehen und versprach, zu folgen. Aber ihr Plan wurde verraten, und wenn der Mann entkommen konnte, so hat man die Frau angehalten, als sie auf ihr Schiff steigen wollte, um ihrem Liebsten nachzueilen. Und der hohe Rat befahl ihren Tod, weil sie den Gehorsam gebrochen hatte.

Der Bruder des Königs, der milden Herzens war, vernahm es und bat für die Verurteilte, denn er hatte sie gern. Die .Herren jedoch bestanden darauf, daß das Recht erfüllt würde.

Die Königin hatte indes jenen Seefahrer so liebgehabt, daß nach dem Tode ihre Seele als Möwe dem Schiff ihres Vertrauten folgte. Und der Mann erkannte sie und wurde betrübt bis zum Sterben. Er hielt die Möwe in seiner Kammer, sprach mit ihr und hoffte, daß sie sich bald zu der verwandeln würde, die sie einst gewesen war. Aber nichts veränderte sich. Still saß der weiße Vogel auf der Stuhlkante, half dem Schiffer,



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wo er zu helfen vermochte, und sah ihn immer wieder traurig mit seinen perlschwarzen Augen an. Er ließ sich auch streicheln und flog dem Mann auf die Schulter, um seinen Kopf und Schnabel an ihn zu legen. Kein Wort und kein Wunsch verwandelten jedoch die Armseele in ihre Gestalt zurück.

Einmal nur, als der Seefahrer von des Königs Leuten, die ihm folgten, verwundet wurde, trank die Möwe einen Tropfen von seinem Blut; von da an vermochte sie mit ihm zu reden, und es machte sie glücklich. Die beiden erzählten einander nun Tag und Nacht, wie es ihnen ergangen war, und verloren einiges von ihrem Leid. Auch rief die Möwe manche ihrer Schwestern nahe, das Schiff schien oft wie in eine weiße Molke gehüllt, so freundlich standen sich die Vögel mit den Leuten an Bord.

Aber die weiße Wolke wies zugleich den Feinden den Weg und führte sie dem Flüchtigen nach. An einem Sturmtag, als die Freunde fern waren, erjagten sie das Schiff des Seefahrers, stiegen in der Frühe an Deck und



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erschlugen den glücklosen Freier. Er folgte ihnen jedoch in Gestalt einer Möwe, als sie die Beute in den Hafen brachten — nein, zwei Möwen folgten ihnen jetzt. Und die Leute sagten, daß es die Liebenden seien, die voneinander nicht lassen könnten.

Die Vögel blieben von da an immer beisammen. Die Schiffer auf den Kajen kannten sie bald; sie lobten die Treue der beiden und meinten, der Richtspruch über die Königin sei wohl zu hart und arg gewesen, wie wäre es sonst möglich, daß Gott den Zweien so glückvoll ein neues Zusammensein auf Erden erlaube.

Die Ratsherren, die einst das Urteil gesprochen hatten, machten sich Sorge über das Gerede und befahlen einem guten Bogenschützen, die Möwen zu erlegen; sie wollten nicht, daß die Leute die Tiere lobten und streichelten, und fürchteten sich vor der Meinung der wandelbaren Menge. Der Schütze ging also hin, spannte den Bogen, und der erste Pfeil verletzte die Möwe, in der die Königin wohnte; der zweite verfehlte sein Ziel. Der Seefahrer entkam, er vermochte sogar seiner Liebsten zu helfen und sich mit ihr unter den Bäumen des großen Wasserschlosses zu verstecken.

Nun lebten die beiden auf dem Teich und im Garten, in dem die Königin einst als Herrin sich mit ihren Mägden ergangen war. Aber sie hatten wieder viel Leid, denn die Frau siechte und konnte von dem Pfeilschuß nicht genesen. So traurig wurde der Mann im Möwenkleid, daß er Vorübergehende fragte, ob sie nicht helfen könnten; von des neuen Königs Knappen bis zu den Schmetterlingen bat er alle Fremden um Rat.

Der Knappe verstand seine Sprache nicht, wohl aber meldete er seinem Herrn, daß er die zwei Möwen wiedergesehen habe. Ob er sie verfolgen solle? Der König wollte es nicht; er war selbst krank und müde und mochte vom Leid anderer nicht mehr hören. Auch gedachte er der Königin voll Trauer, er hatte sie gern gehabt.

Einer von den Schmetterlingen, den der Seefahrer im Möwenrock an gesprochen hatte, wußte indes Kat. Er sagte, daß er von einem Knaben wisse, der sei als Maler in Frau Holles Dienst und komme zuweilen vor über. Den solle man nur fragen, er habe manchem geholfen, Tieren und



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Menschen. Die drei warteten lange, schon verlor der Falter den Mut und wollte auffliegen, den Fremden zu suchen. Da huschte auf Fußspitzen ein Bursch vorbei, der erkannte die beiden Möwen und sprach sie an. "Warum verbergt ihr euch", fragte er, "wer verfolgt euch?"

"Niemand verfolgt uns hier", erklärte der Seefahrer im Mogelkleid. "Aber mein Genoß ist verwundet und leidet. Könntest du ihm nicht helfen?" Der junge Maler in Frau Holles Dienst sah den Möwenmann an, und es rührte ihn, wie sehr der seinen Gesell liebhatte. "Ich will deine Trauer auf zwei Flügel eines Falters malen", sagte er, "und sie meiner Herrin zeigen. Vielleicht kann die deiner Liebsten helfen." Er machte sich wirklich an sein Werk und schuf es so einfach wie schön, daß Frau Holle ihn fragte, was ihn dazu getrieben habe. Da erzählte er ihr von der armen verwundeten Möwe und bat sie, die in den bunten Flügelleib des Trauermantels schlüpfen zu lassen — ja, Trauermantel nannte er, was er da gezeichnet hatte. Frau Holle folgte seiner Bitte, und der Möwenmann schützte den Trauermantel, der keine Schmerzen mehr hatte, und sorgte, daß sich ihm kein Feind näherte.

Nun war der König inzwischen kränker als vorher geworden und ging betrübt durch seinen Garten. Dabei sah er einen Falter, den er nicht kannte, sah er den Trauermantel, der auf seinen Blumen saß und aus ihrem Kelch trank. Ihm schien aber, daß er noch nie einen so herrlichen Schmetterling erblickt hätte, und da er seine Stunden der Arbeit hinter sich hatte und nur seinen Blüten lebte, folgte er dem Tier, betrachtete seine Zeichnung und war ganz versunken in seine Pracht. Ja, obwohl es auch für ihn an der Zeit war, an den Tod zu denken, faßte ihn noch einmal eine Liebe ohnegleichen zur Schönheit dieses Schmetterlings. Er kümmerte sich nicht mehr um seine Gesetze noch um sein Land; drei Tage hindurch freute er sich an dem Falter in seinem Garten. Dabei sah er oftmals auch die Möwe, die das Tier schützte und Tag und Nacht behütete; vielleicht ahnte er, wer sich unter den Flügeln des Trauermantels verborgen hielt?

Nun ist es ja so, daß die Menschen einmal im Leben drei Wünsche und vorm Tod noch einen letzten frei haben. Wir wissen nicht, wann die



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Stunde eintritt, und das ist gut; wir wissen nur, daß uns ein gütiges Schicksal noch einmal segnen will. Als der alte König in seinem Herzen fühlte, daß seine letzte Stunde nahe kam und daß er nie etwas so gern gehabt hatte wie den fremden Schmetterling in seinem Garten, da wünschte er mit leisen Worten, daß, wer den Falter Trauermantel am meisten liebhabe, ihn zukünftig begleiten möge. Er glaubte ja, daß er selbst es sei, und wartete auf die Erfüllung.

Aber als er den Wunsch ausgesprochen hatte, sah er mit seinen Augen, daß die Möwe schrumpfte und daß ihre Flügel kleiner und bunt wurden, bis schließlich die eines Falters daraus wuchsen. Und der König erkannte, daß nicht er, sondern daß ein anderer die größere Liebe gehabt hatte und nun zum Schmetterling geworden war. Ihm fiel zugleich ein, was man sich von der Königin und dem Seefahrer erzählte, er begriff, daß die Lieben den erst zu Möwen und daß sie sich jetzt nach seinem Wunsch als Falter vereinigt hatten. Er lächelte, es schien ihm gerecht, was er getan hatte; es schien gerecht, wie alles geschah. Er wartete auf den Tod.

Im österlichen Garten aber flatterten zwei Trauermantel und umspielten einander.


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