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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Von Wietje und Gottje

Ich bin auf einmal wach —wenigstens meine ich, hellwach zu sein. Die Ofentür hat geknarrt, und mein Hund hat den Kopf gehoben. Aber er bellt nicht, obschon vor meinen Blicken ein kleiner rußiger Zwerg, so ein Schlotpucker, in der Ofentür sitzt, ein Bein überm Rand, wie in einer Kasperbude. Was will er? Er winkt, ich soll mit ihm kommen?

Ich reibe mir die Augen. Es geht genau so zu wie in der Geschichte, die mir der alte Schornsteinfeger Jespersen erzählt hat. Da lebt also wirklich ein kleiner Kerl mit seinen Kindern in meinem Ofen! Hätt's nicht geglaubt Aber man müsse höflich mit ihm sein, sagte Jespersen, und gute Nchbarschaft mit dieser Art Wichten halten. Und der in meinem Ofen hieße Sottje.

Also Sottje winkt mir, ich solle ihm folgen. Wie kann ich das um's Himmels willen anstellen? So schlank ist unsereins nicht! Ich hebe mich trotzdem neugierig aus meinem Mittagsschlaf, um mit dem Schlotpucker zu verhandeln. Dabei merke ich, daß ich nicht größer noch kleiner bin als der Knirps. Und während ich mich noch darüber wundere, fällt mir ein, warum das so ist. Heute morgen, als ich den Papierkorb umschütten wollte, um ein Gedicht zu suchen, das mir vom Tisch geflattert war —hui, sprang auf einmal ein Ding heraus, ein buntes Kerlchen, das im nächsten Augen: blick wie Glas verging und nicht mehr zu fassen war. Aber mit zwei Fingern hatte ich ein Stück von Rock und Hosenbund erwischt und hab's wohl noch in der Tasche oder habe darauf geschlafen. Da wächst einem von selbst solch ein Knirpsenrock, sagen die Leute, — ja, denkt euch, wenn man nur einen Fetzen erhaschte! Und man kann ihn immer wieder an ziehen, wenn man zum Zwergenvolk will.

Also, ich reibe mir zum andernmal die Augen, ob das alles Wirklichkeit ist. Ich bin indes nicht größer als Sottje, es wird mir auch gar nicht



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schwer, mich eben zu ihm in die Ofentür zu schwingen. Dabei sehe ich, daß ich keine Strümpfe und Schuhe habe, nur von Rock und Hose hatte ich ja etwas erwischt. Man wird es im Ruß nicht merken, tröste ich mich, während ich schon Sottje in den Ofen nachsteige.

Eigentlich müßte ich mich über alles wundern, was ich jetzt gewahr werde. Aber mir ist, als sei das gar nichts Neues; ich kenne, scheint mir, die kleinen Stuben, durch die man mich führt, ich sehe die Kinder und
zähle zur Vorsicht noch einmal nach — richtig, es sind sieben, und sie sind genau so ungezogen, wie man mir sagte; eing streckt mir sogar die Zunge heraus.

Darüber habe ich beinah vergessen, dem guten Sottje zuzuhören. Lieber Himmel, wie böse er es gellt mir in den Ohren! Da haben sich nämlich die Wichtelleute, die stck schon seit langem unter meinem Haus ansiedelten, Zugluft verschaffen wollen und haben ihren Schornstein gerade in meinen hineingebaut. Warum sollen sie es nicht tun? Aber Sottje ist



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außer sich, er fühlt sich für die Dinge verantwortlich; ich bin gerührt, daß ich so gute Knechte habe, die ihre Augen offen halten. "Ganz recht", seufze ich also, "wir müssen den Lümmeln einmal Bescheid sagen. Sie hätten ja wenigstens um Erlaubnis bitten können!" Der Schlotpucker nickt und schilt immer noch.

Dabei merke ich indes auch den Grund des Ingrimms. Sottje kann die Küchendämpfe der Kleinen nicht vertragen, er hat den ganzen Tag Hunger von ihren Bratendüften. Nun, wir wollen sehen! Ich folge ihm tiefer, wie weit sind wir schon? Da, bauz, poltern wir den Unterirdischen gerade in die Küche und von da, weil wir noch den rechten Schwung haben, über die Diele in die Wohnstube hinein.

Den Wichtelalten haben wir aus seinem Mittaggschlaf geweckt, er macht ein blödes Gesicht. Und auch Frau und Kinder und allerhand Nachbarn rennen herzu, drängen sich in der Tür und horchen, — wenn ich nur heil davonkomme!

Denn der Alte scheint mich auf einmal zu erkennen. Er richtet sich auf — er hat übrigens keinen Bart, wie die Leute immer meinen — und mustert mich von oben bis unten, ohne mich zu grüßen. "Na"fragt er endlich. Und dann: "Da bist du ja, hast du mir nicht heut früh den Rock zerrissen?"

Daß ich daran nicht gedacht habe! Ich lasse mich lieber gar nicht auf seine Frage ein. "Sag mal, Nachbar", murre ich und mache ein böses Gesicht, wie es einem Hausherrn ansteht. "Hast du wirklich so mir nichts, dir nichts deinen Schlot in meinen gebaut? Das ist doch wohl nicht die Art von Untermietern?

Jetzt habe ich ihn! Ich merke deutlich, daß auch er ein schlechtes Gewissen kriegt. Aber er faßt sich gleich und beginnt zu grinsen, weil er meine rußigen Beine ohne Strümpfe entdeckt hat. "Nun seht doch mal an", er zeigt nach mir, "Mutter, hast du ein Paar Socken für den Besuch? Was sollen unsere Töchter sagen?

Was seine Töchter sagen, ist mir gleich, es sind genau solch schrumpelige Dinger wie die Alten. Nur eins der Mädchen ist hübscher und lacht mich



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an, so daß ich ebenfalls ins Lachen gerate. "Und der Rock und die Hosen, die der Herr anhat, gehören ihm wohl auch?"droht der Knirps.

"Darf ich vielleicht fragen, was du in meinem Papierkorb zu suchen hattest?" verteidige ich mich. "Was soll ich von Nachbarn halten, die mir meine Gedichte stehlen und meinen Kamin anbohren?" Und weil ich sonst keinen Freund habe, rufe ich den Schlotpucker. "He, Sottje", lärme ich, "wie würdest du solche Nchbarschaft nennen?"

Sottje ist hier unten indes gar nicht so großmäulig wie oben in unserer Welt, ich merke, hier muß ich alles allein austragen. "Deine Gedichte kenne ich nicht", flüstert er, "aber das mit dem Essensgeruch in meiner Wohnung ist gewiß nicht, wie es sein soll.

"Hörst du's, Wietje", trumpfe ich auf —jemand hat mir Verraten, daß der Knirps unter meinem Haus Wietje heißt. Es schmeichelt dem Alten, daß ich ihn beim Namen nenne. "Hörst du's, Wietje?

"Was stört's dich eigentlich", meint er etwas gnädiger, "was stört's dich, wenn ich meinen Küchenrauch bei dir abziehen lasse? Nachbarn sollten einander beistehen!

"Aber meine Gedichte mache ich allein, da brauche ich dich nicht!"Ich sehe auf die Leute in der Tür, ob mir nicht jemand zu Hilfe kommt. Ha, da ist doch mein Freund, der schwarzstoppelige Igel Stickelpickel. "Was sagst du dazu?" frage ich und zeige mit dem Finger auf ihn.

Der will es auch mit den Unterirdischen nicht verderben. Er fängt lang und breit an zu reden. "Wenn man bedenkt —", höre ich, "und wenn man es so und so ansieht." Dann hat Stickelpickel einen guten Einfall. "Ich meine, daß ihr beiden freundlich gegeneinander sein solltet", schlägt er wie ein Richter vor und wendet sich an mich. "Laß den Kamin stehen, wie er steht, und behalte dafür Jacke und Hose.

Das ist eigentlich kein schlechter Rat, da kann ich jederzeit zu den unterirdischen auf Nachbarsbesuch gehen und — nun ja, Sottje muß sich eben an den Bratenduft gewöhnen. Auch weiß ich nicht, wie ich hier ohne Vergleich wieder aus dem Haus kommen soll. "Topp", sage ich, das ist ein vernünftiger Vorschlag.



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Nun tut der alte Wietje lang und breit, als müsse er sich bedenken, sicherlich möchte er noch einiges herausholen. Stickelpickel nickt indes so ermunternd, und der Unterirdische schlägt ein. Sottje will ein Wort bemerken wir hören nur alle nicht mehr auf den Streitmacher.

"Willst du nicht etwas bleiben?"fragt Wietje. Ich habe indes für diesmal genug von der Sache. "Heut muß ich nach Haus, aber ich komme wieder!"Ich werde wirklich wiederkommen, habe ich doch jetzt Jacke und Hose, die mir zum Besuch bei den Unterirdischen verhelfen. Was werde ich alles schauen und bereden können!

"Da kann ich ja gleich mitgehen", sagt das hübsche Mädchen, und ich merke, daß es auch nur als Gast da war. Der Alte nickt; sieht sehr drollig aus, wie er auf dem Rand seines Sofas sitzt und mit den Beinen schlenkert. "Also auf gute Nchbarschaft!" Er reicht mir die Hand.

"Ja, auf gute Nchbarschaft!

Dann kriechen wir auf einer Leiter wieder durch den Kamin und Sottjes Wohnung, und das hübsche Mädchen kommt mit. Aber als wir in mein Zimmer gelangen, ist es auf einmal eine Eule, die streicht, ehe ich sie einladen kann, mit einem "Huhu" aus meinem Fenster und in die Esche vorm Haus Auch ist Sottje furchtbar böse auf mich, das tut mir leid. Und schließlich möchte ich in meine rechten Kleider kommen, mir ist es doch etwas unheimlich über den sonderbaren Weg, den ich hinter mir habe. Da merke ich, daß ich schon wieder ausgewachsen und genau der alte bin. Vor meinen Füßen liegen eine winzige Joppe und Hose, die hebe ich sorgfältig auf.

"Ja", sage ich zu Sottje, "an den Küchendampf wirst du dich gewöhnen müssen, man kann den Nachbarn nicht alles verbieten.

Er knurrt noch und wartet und will wohl sehen, wo ich Jacke und Hose verberge. Aber die werde ich verstecken, wenn er aus der Tür ist, davon wird kein Sterbensmensch erfahren.

"Schade", murre ich, "schade um das hübsche Fräulein!"

"Na", meint er, "die werden alle mal dick und alt. Besser wär's, wir Männer hielten zusammen!



221 H.F. Blunck Märchen -- Die Geschichte vom Ahlbeerbusch Flip arpa

"Das werden wir tun, Sottje! Besuch mich nur einmal wieder, vielleicht kann ich dir das nächste Wal helfen."

"Will sehen", sagt er kurz, hebt das Bein in den Ofen zurück und ist plötzlich fort. Mein Hund knurrt ihm nach, obschon die beiden einander doch kennen.


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