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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Liebschwestern

Einmal, es war schon sehr lange her, haben Frau Holle und der Südwind einander liebgehabt. Der unstete Geselle hat die schöne Holdin indes wieder verlassen und ist über die Wälder von dannen gefahren, gerade, als die Mutter unter Wundern wohl dreißig kleine Mädchen, groß wie Elfinnen, gebar und im Korb wiegte. Die Kindlein waren jedoch so zart und fein, daß einige bald fiechten und schwanden und die arme Frau Holle erkennen mußte, daß aus Wind und Berg kein bleibendes Leben wird. Traurig war sie um die flatternden Wesen, die so lieblich und klug und schwesterlich miteinander taten, viel Mühe gab sie sich um die Kleinen.

Alle Liebe half indes nicht, eines nach dem andern verließ sie. Aber weil die Kinder so fröhlich waren und so lustig erzählten, was sie in ihrem jungen Leben noch beginnen wollten, hatte Frau Holle Mitleid mit ihnen; sie schickte sie, wie sie da waren, noch einmal auf einen Tag in die Welt hinaus, um ein Abenteuer zu bestehen.

Da lief die eine mit einem Hasenbengel um die Wette, eine andere geriet in den traurigen Himmel der Hagestolze und wurde sehr mürrisch angesehen. Die Jüngstgeborene aber, die ,Meinige' hieß, verirrte sich zu den Menschen.

Es war so um die Mittagszeit, als unter viele, viele Blumen in einen großen Gutsgarten eintrat. Es hatte schon geläutet, und die Arbeiter waren zum Essen gegangen. Ein junger Gärtner nur hatte so emsig geschafft, er hatte die Glocke nicht gehört, hockte in einem Beet Hyazinthen und suchte die heraus, die nicht hatten wachsen wollen.

Als der Bursche nun aufschaute, stand auf einmal ein schönes Mädchen vor ihm und sah ihm aufmerksam zu. Er wurde verlegen vor solch lieblichem Ding, zog höflich den Strohhut und fragte, nur um etwas zu sagen, ob er die Blumen so recht gesetzt hätte.



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"Wie heißen die denn?" forschte Meinige; dergleichen wuchs nicht in ihrer Mutter Wald. Und eh der andere geantwortet hatte, fuhr sie fort: "Duften sie auch?

Die Hyazinthen dufteten damals noch nicht. Der Gärtner schüttelte den Kopf, es tat ihm leid, daß er nein sagen mußte. "Wer bist du denn", fragte er, "daß du's nicht weißt? Gehörst du zu unserem Hof, oder bist du eine aus dem Wald?

Nun, Meinige wußte nicht, was ein Hof war, sie wies mit der Hand in den Wind, der sie hergetragen hatte. Den Kopf wandte sie nicht; sie mußte den Gärtner ansehen. Er hatte solch frisches braunes Gesicht und lachte so freundlich, am liebsten wäre sie selbst in seiner Hand gewesen, so wie die Blume, die er gerade zart und behutsam wiegte, und die doch gewiß sehr glücklich bei ihm sein mußte.

"Warum duften sie nicht? wollte Meinige hören. Bei ihrer Mutter war alles Wohlgeruch und Klingen. "Warum pflanzt du sie denn überhaupt?

"Weil sie so lieblich aussehen. Schau sie nur an!

Der Junge lachte wieder und reichte ihr eine Blüte hinüber, Aber Meinige wagte sie nicht anzunehmen. Sie mochte die Freude der Blühenden nicht stören, es mußte wunderschön sein, von diesem Burschen lieblich genannt und sorgsam getragen zu werden.

"Hast du Blumen so gern?" fragte sie näher tretend. Jetzt wollte sie nachsehen, woher das Blinken kam, das dem Jungen hinter den Augen saß. "Hast sie so gern?" verlangte sie zu wissen.

Da flog die Freude über des Gärtners Gesicht, er griff flink nach des Mädchens Hand. "Aber dich könnt' man noch lieber haben, solch feines Ding wie du bist!

Meinige hat sich sehr erschrocken; hätte man glauben sollen, daß ein Mensch so keck sein konnte? Mit einem leisen Schrei wich sie zurück. Aber sie floh nicht, einen Augenblick wollte sie noch warten.

Da klang vom Herrenhaus die Mittagsglocke zum zweitenmal, zornig über die Nachzügler. Der Gärtner horchte: "Nun komme ich gewiß zu spät", rief er, "der Bag wird schön schelten. Aber hör, Wädchen, schau



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heut abend ein, da hab ich Zeit! Wirst du's auch gewiß tun?" fragte er und bettelte von Herzen.

"Ich weiß noch nicht! Meinige nickte verlegen, nein wagte sie nicht zu sagen.

"Du kommst doch, ja?" bat der Bursche lachend und lief in langen Sprüngen zum Haus hinüber.

Das kleine Mädchen aber schwang sich flugs in den Wind und fuhr wie ein Vogel zu Frau Holle heim. Herzklopfen hatte es von all dem Erleben und von seinem halben Mersprechen.

Bei der Mutter fanden sich auch bald die andern Schwestern ein. Alle hatten etwas Seltsames gesehen und babbelten aufgeregt von Himmel und Tiefe und von Busch und See. Aber keine hatte solch wunderliches Abenteuer wie Meinige hinter sich. Nein als die zu Ende erzählt hatte, sagten alle zwanzig mit feinen Stimmen, das müßten sie auch erfahren, und wollten zum Abend bestimmt den Gärtnerbursch kennenlernen. Dann sanken ihnen bald die Köpfe auf die Brust, so müde waren sie von dem weiten Flug.

Frau Holle aber spürte, wie die Kräfte der Zarten von der Ausfahrt verzehrt waren; sie wußte kaum, wie viele noch bis zu dem großen Garten



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fliegen, geschweige denn den nächsten Morgen erleben würden. Meil sie ihr indes so bitter leid taten in ihrem Magdtum, sann sie nach, wie sie ihnen ein Glück zu erhalten vermöchte. Und sie schuf eine Blume, die sah aus wie die Hyazinthe, die der Gärtner gepflegt hatte, gab ihr vom Duft aus dem Berg, rief ihre schlafmüden Kindlein zusammen und bettete ein jedes in eine der Glocken hinein, zualleroberst aber die kleine Meinige. Dann eilte sie mit den Blüten zum Herrenhausgarten, wo der Gärtner die Tochter entdeckt hatte. Vorsichtig pflanzte sie die Blume mitten ins Beet — es war die schönste von allen. Und als der erstaunte Bursch zum Abend auf das Wundermädchen wartete, sah er die neuen Blüten und vernahm ihren Duft. Da vergaß er, was er vorhatte, beugte sich zu den Schlummernden, streichelte sie und freute sich wie ein König an seiner Königin.

So sind jene Frauhollentöchter dazu gekommen, bei dem Gärtner zu bleiben, und es sind viele neue Blumen aus ihnen gewachsen. Liebschwestern wollen wir sie nennen und Frau Holle dankbar sein, daß sie ihre Schönheit und ihren Duft den Menschen schenkte.


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