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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Des lieben Gottes Schmetterlinsmaler

Da war einst ein Knabe, Ilf mit Namen, der war so verlassen, daß er nicht einmal von Vater und Mutter wußte. Eine Windische, eine der schönen Wolkenfrauen, hatte ihn in der Heide geboren; es schien ihr aber, daß er mehr zu den Menschen als zu ihresgleichen gehörte, darum hat sie ihn den Leuten im Dorf zugeführt.

Nun waren die Bauern verdrossen, daß sie Ilf mit aufziehen sollten, sie mochten indes der hohen Fremden den Wunsch nicht abschlagen; vielleicht glaubte der Dorfschulze auch, es würde ihm einmal vergolten, daß er den Findling aufgenommen hatte. Als jedoch nichts Besonderes geschah, verloren die meisten die Geduld. Der Knabe wurde umhergestoßen und mußte schon früh hier helfen und da helfen und wurde doch von jedermann so unfreundlich behandelt, daß er schließlich in den Wald lief.

Am großen See zwischen den Eichen aber wohnte damals ein Wassermann, der war berühmt wegen seiner Bilder, die er von Himmel und Erde und Baum und Schilf malte. Der Knabe hatte ihm oftmals zugesehen, nun bat er den Grünen, ob er nicht bei ihm in Dienst treten könne. Er wolle gewiß alles tun, was man von ihm verlange, wenn er nur das Malen lerne wie ein Wassermann.

Nun, der Alte war gutmütig, und sein Weib sorgte für den Jungen und gab ihm zu essen, wenn sie ihn auch nicht in ihrem Haus dulden wollte. Und der Gast mühte sich sehr, aber er lernte doch nicht so viel wie ein Wassermann. Er hörte zu oft die Glocken der Menschen in seinen Ohren, die schienen ihm fast noch schöner als alle frommen und unfrommen Vilder



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des Alten. Ach, und die Nächte wurden kalt, er fror, wenn er sich abends zum Schlafen legte.

Nach einiger Zeit kam ein Maler aus der Stadt vorüber, der sah einen Knaben, der sich an Bildern versuchte, und war sehr erstaunt. Ihm fiel aber ein, daß er beim Farbmischen und beim Abmalen solchen Helfer brauchen könne; er hatte gerade viel zu tun. So gelangte der Junge in die große Stadt und hatte es gut bei seinem Meister. Aber die Frau des Mannes war geizig und argwöhnisch. "Siehst du nicht", flüsterte sie ihm zu, "daß dein Lehrling deine Kunst bald besser versteht als du? Ich rate dir, schicke ihn weit fort, hier wird er dir dein Brot nehmen!

Der Maler wollte erst nicht auf sie hören, dann wurde er wirklich besorgt sandte Ilf zu einem Freund und sagte ihm, dort werde er mehr lernen als bei ibm. Aber der Freund war nicht daheim, und den Knaben hungerte.

Als er nun durch den grünen Wald zurückkehrte und über eine Wiese schritt, fand der Junge einen toten Falter mitten auf dem Pfad. Der schien ihm so herrlich, daß er sich bei ihm niederlassen und ihn lange betrachten mußte. Noch nie hatte er etwas so Schönes gesehen. Vielleicht, meinte er, war es ein Schmetterling aus einem anderen Reich, oder aber eine Frau Windische war aus ihrem Kleid geschlüpft? Bald suchte Ilf wieder Kräuter und Rinden, aus denen er Farben zog — das hatte er ja beim Wassermann gelernt —, nahm Blätter von Ahorn und Akelei und bemalte sie, so daß sie dem Falter ähnlich wurden. Weil er indes noch Farben hatte, suchte er auch andere Blätter, dachte sich immer schönere Flügel aus und warf sie gegen den Wind, so daß sie hoch durch die Luft flatterten.

Nun war damals Frau Holle in der Nähe, die sah die sonderbaren Schmetterlinge, die sie nicht kannte, fing einige und merkte, daß sie nur gemalt und ohne Leben waren. Sie wollte wissen, wer die wohl geschaffen hätte, und fand den Knaben bei seinen Farbennäpfen.

"Du kannst in meinen Dienst treten", sagte sie und fragte nicht weiter. Sie meinte ja, daß es niemanden gäbe, der nicht von Herzen gern bei ihr



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unterschlüpfte. "Du kannst mir Schmetterlinge malen, ein ganzes Kleid voll.

Der Junge war einverstanden, er tat willig, was man ihm aufgab, und hatte gewiß auch noch keinen so schönen Dienst gehabt. Frau Holle ließ sich bald ein Gewand um das andere machen, eines immer herrlicher als das letzte, und auf allen waren Flügel gezeichnet, so lieblich, daß es war, als schritte sie durch einen Wirbel von Faltern dahin. Und Ilf war froh über das Lob und die warmen Kammern.

Nun kain eines Tages auch der liebe Gott bei des Künstlers Werkstatt vorüber und schaute ihm zu. Er merkte, daß der Maler in seinem Eifer sogar Nchtschmetterlinge mit Farben zierte, damit sie schön aussähen, und daß er viele lose Blätter über und über betupfte. Das gefiel dem Betrachter
von Herzen, er half dem Jungen, blies die Dinge an, so daß sie lebten und weiterschwebten, und kam öfter vorbei.

Als der liebe Gott und der Knabe einmal wieder so recht eifrig an der Arbeit waren, Kerfen und Faltern, einem nach dem anderen, Buntheit zu geben



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und sie auffliegen zu heißen, trat Frau Holle hinzu. Sie schaute dem Werk eine Weile zu und lächelte wie ein Schelm. "Ach", seufzte sie, "wie seid ihr doch vergeßlich!

"Was haben wir denn vergessen?" fragte der liebe Gott.

"Sieh doch, wie bunt meine Tiere durch die Luft flattern", verteidigte sich der Knabe.

Die schöne Holle antwortete nicht. Sie nahm immer zwei der Falter, die ähnlich geworden waren, hieß sie sich liebhaben und gab ihnen ein, daß sie aufeinander zuflogen, damit in den nächsten Jahren neue Schmetterlinge aus ihnen wüchsen.

Der Ewige Vater nickte ihr lächelnd zu, und weil es ihm schien, daß er noch nie so lieblichen Tieren Leben geschenkt hatte, sagte er zu Ilf, er könne von nun an für ibn arbeiten.

Und er hieß ihn auf Frau Holles Wiese nach Herzenslust schaffen. Ja, der Knabe, den einst niemand hatte haben wollen, durfte Schmetterlinge fliegen und Blumen blühen lassen und immer neue bunte Blätter und Flügel erfinden. Mon Zeit zu Zeit kam dann der liebe Gott vorbei, besah was er fertiggebracht hatte, freute sich daran, suchte einige Dinge aus, die ihm besonders schön schienen, und blies ihnen Leben ein.

Das dauerte, bis eines Tages die Windische vorüberging, die den Schmetterlingsmaler einst zu den Menschen gebracht hatte. Und sie erkannte Ilf, sah ihn lange an, weinte und erzählte dem Schöpfer reuevoll, wie alles gekommen war und daß sie ihr Kind gern zu sich nehmen und an ihm gutmachen möchte, was sie versäumt hatte.

Und dem lieben Gott, der alle Wesen und ihre Gedanken kennt, schien es recht, daß der Knabe wieder eine Mutter hatte. Er dachte eine Weile nach. "Ich will deinen Wunsch erfüllen", sagte er, "aber gib ihm viel zu tun, damit er nichts verlernt. Ich werde ihn eines Tages brauchen.

Seitdem haben wir keine neuen Schmetterlinge mehr. Dafür malt in den Wolken einer so herrlich, als suche er immer noch Falter und Blumen.


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