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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Ekenborg

Da wohnte bis vor kurzem ein Gutsbesitzer Ekenborg nicht weit von uns, das war ein gelassener, kluger Herr, der sich nicht nur mit Stroh und Hafer abgab, sondern auch an anderen Dingen seine Freude hatte.

Einmal kaufte er in der Stadt das Gemälde einer schönen Frau, das wollte der Händler, von dem er es erstand, gern loswerden. Es ging nämlich ein Spuk von dem Bild aus; die Leute konnten den Blick jener Frau nicht ertragen, die in der Mitte stand und jeden Reschauer so traurig ansah, daß er sie für lebend halten mußte.

Ekenborg bekam das Bild billig, obwohl es eine gute Arbeit schien; er brachte es in sein Haus und ließ es mitten in der großen Halle, nur einen Fuß über dem Boden, aufhängen. Und er setzte sich zum Abend davor und wartete, was sich nach den Worten des Händlers an Spuk wohl begeben würde.

Als nun die Sonne untergegangen war, begann die Leinwand wirklich sich zu bewegen und leise zu rufen. Der Mann antwortete und fragte die Frau im Bild, wer sie darein verzaubert habe. Da erzählte sie ihm, was geschehen war. Der Ekenborger hörte von einem Maler, der sollte einst für das Rathaus seiner Stadt ein Gemälde anfertigen und war so träge, daß er, obschon die Zeit der Ablieferung herannahte, immer noch nichts daran getan hatte. Es war aber in jenen Tagen eine Hagefrau aus ihrem Wald ins Tor gekommen; der Maler, der mit allerhand Zaubern Bescheid wußte, hat sie unter den Menschen erkannt und, weil er dadurch Nacht über sie gewonnen hatte, in die Leinwand verwünschen. So war er seiner Arbeit quitt.

Das alles hörte Ekenborg an den Abenden, an denen er mit dem Bild sprach. Und er hatte Mitleid mit der Frau, die, übermenschlich groß, ein schönes, braunes Gesicht, sich vor ihm bewegte und zu ihm beugte.

"Wer hat dich aber aus dem Rathaus fortgeschafft?"fragte der Mann



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Da erzählte die Arme, daß sie keine Ruhe gegeben habe, und daß die Wächter sich so sehr vor ihr gefürchtet und doch kein Wort von ihr verstanden hätten, big der hohe Rat das Hexenbild schließlich habe verkaufen müssen. Er sei der erste, der wieder von ihr wisse, sagte die Frau und bat Ekenborg von Herzen, sie zu erlösen. Aber wie ihm das gelingen könnte, vermochte ihm nicht zu verraten.

Viel Mühe gab er sich, er hatte Mitleid und wollte das Unrecht der Menschen an dem fremden Weib wiedergutmachen. Ein Hufeisen holte er noch am späten Abend und legte es unter den Fuß der Frau, er glaubte ja, das müsse ihr helfen. Sie vermochte auch den Schuh darauf zu setzen, aber weiter ist sie nicht gekommen. Zum Weiß- und Schwarzdorn ging der Mann in der Frühe; er hatte die beiden bösen Brüder nebeneinandergepflanzt und erfuhr vielerlei aus ihrem Zank. Er brachte sie auch dazu, über die Verzauberte zu sprechen, die im Bild wohnte, und sie stritten sich wieder, aber sie wußten nicht, wie ihr zu helfen sei.

So lief der Sommer vorbei; oft, wenn er von der Arbeit heimkam, saß der Ekenborger vor dem Gemälde und erzählte der Fremden von seinem Werk und Alltag und von seiner vergeblichen Mühe, ihr die Freiheit zu bringen. Sie war ihm dankbar dafür, sie ist mitunter sogar big vor die Leinwand geschritten. Weiter vermochte der Mann sie nicht zu rufen.

Nun suchten zum Herbst, als das Getreide reif wurde, wandernde Mäher das Gut auf und verdungen sich. Auch der Landstreicher Pusback und der riesige Drescher waren unter ihnen. Die beiden sind ja ein Freundespaar, das auf allen Höfen. bekannt ist und gern in Dienst genommen wird; der Große tut nämlich Arbeit für vier, Pusback liegt während der Zeit in der Sonne und hat Gesichte und erzählt den Leuten abends davon. Aber so gern jeder den Faulpelz zum Henker jagen möchte, der Riese verdingt sich nur, wo man auch Pusback aufnimmt. Die beiden hätten ein Geheimnis miteinander, hieß es; einige sagten, daß der Dicke dem Drescher seine Kraft leihe, solange er träume, noch andere wollten wissen, daß der Große einen Kummer hege oder nach einem Schatz auf der Suche sei. Gerade darüber schwieg Pusback sich allerdings aus soviel er sonst vorm



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Einschlafen zu Schwätzen pflegte. Vielleicht gefiel ihm das Leben, so wie er es führte, am besten, und er tat nur so, als wolle er seinem Macker helfen.

Nun hörte Pusback eines Tages auch von dem großen Bild, das Ekenborg gekauft hatte und mit dem er des Abends, wie das Gesinde sagte, halblaut zu reden verstünde. Die Leute lachten darüber, wieviel Geld der Mann für dies Zeug ausgab, aber Pusback erklärte, der Herr hätte wohl seine Gründe, und etwas hinge an jedem Antlitz, man müßte nur das rechte Wort dazu wissen. Er ließ sich also heimlich von dem Mädchen den großen Saal zeigen, in dein der Ekenborger seine Bilder aufgehängt hatte. Aber vor diesem Gemälde ist auch ihm die Sprache verschlagen. Er ist ganz dumm und bedrückt den Tag über hinter den Treibhäusern entlang geschlichen und hat niemandem die Sache recht zu deuten vermocht. Ja, so klug Pusback sein möchte, die Herrschaften sind ihm mitunter über; er hätte sich einen schönen Lohn verdienen können und ist über sein Glück hinweggelaufen.

Denn Ekenborg hatte sich inzwischen weiter überlegt, wie dem Weib zu helfen sei, und er hat endlich zu warten beschlossen, big Frau Holle ihr Pferd für den Umritt zaumte. Jeden Herbst ist nämlich aus dem Wald, der zum Gut gehörte, eine große Schimmelstute aufgestanden; niemand hat gewußt, woher sie kam, noch wer sie aufschirrte. Sie ist einfach mitternachts dagewesen, hat sich nicht fangen lassen und mit Schellengeläut vom Wald über das Gut nach Westen gelaufen. Aber schon gleich hinter dem Gehöft muß sie sich aufgehoben haben, jedes Jahr ist sie zwischen Garten und Dorf verschwunden.

Diesen Schimmel, so nahm der Mann sich vor, wollte er anhalten, um ihn zu fragen, ob er vielleicht die Frau im Bild ins andere Reich mitführen könne. Es war ihm mit viel Eindringlichkeit gelungen, die Verzauberte bis zu seinem Stuhl zu locken, ja, einmal, in einer Neumondsnacht, hat er die Arme bis vor das Tor zu bannen vermocht; weiter hat seine Kraft nicht gereicht, sie hat traurig in ihr Bild heimkehren müssen.

Nun hat Ekenborg sich aber nicht getraut, das Pferd allein anzuhalten,



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er hatte es oft genug vergeblich versucht. Da ist ihm der starke Drescher eingefallen, der im Leutehaus wohnte. Und er hat ihn am Abend rufen lassen und hat ihm gesagt, er habe zur Mitternacht noch für ihn zu tun. Auch Pusback, der Michtigtuer, ist wachgeblieben, er mußte ja bei allen Geheimnissen dabeisein.

Als nun das Hollenpferd gleichwie jedes Jahr silbergrau wie ein Nebel aus dem Wald näher gekommen und über den Hof gelaufen ist, hat der Ekenborger den Drescher gerufen, das Tier einzufangen. Der hat es mit seinen riesigen Armen an der Mähne gepackt, hat mit ihm gekämpft, und es ist wirklich nach vielem Stampfen und Steigen müde geworden. Als Ekenborg das sah, ist er flugs zum Zauberbild hinübergeeilt, hat die Frau gelockt und noch einmal alle beste Kraft zusammengenommen, um sie aus der Wand heraus auf den Flur und vom Flur die Treppe hinab bis vor das Tor zu wünschen. Und er hat sie, während er vor Erschöpfung fast atemlos war, beschworen, ihre Augen auf das Tier zu richten und auf den riesigen Drescher, der es an der Wähne festhielt.

Als sie das nun tat, hat es sich wie ein Sunder begeben: der Schritt der Frau ist auf einmal leichter geworden, der große Drescher hat einen Namen gerufen und den Schimmel beinah fahren lassen, so unbändig hat er der Fremden entgegengewartet. Und der Ekenborger Herr und Pusback aus seinem Versteck haben gesehen, wie die zwei einander gegrüßt haben; das Weib ist federleicht aufs Pferd gesprungen, und der Wann hat das trabende Tier vom Hof herabgeführt. Danach haben die Horcher die Stimmen der beiden wie die von Kindern bis fernhin jauchzen hören.

Und es ist wohl an dem gewesen, daß der Drescher sich bei den Menschen verdungen hatte, um sein Weib wiederzufinden, und daß der kluge Ekenborger zuletzt den richtigen Weg entdeckt hat, um die arme Frau im Bild zu erlösen. )er Segen ist seitdem auch nicht mehr von seiner Arbeit gewichen, das war wohl zum Dank für sein gerechtes Erbarmen. Pusback aber, der so viel Weisheit haben will wie das halbe Land zusammen und mit jedem Unirdischen Freund zu sein prahlt, hat eine gute Gelegenheit vorbeigehen lassen. Er hat äch zwar bald aufgemacht und in der Heide den



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beiden Fremdem nachgeforscht. Er hat indes nichts als einen alten Löffel vor seinen Füßen gefunden, der war immer voll von großen Bohnen, die Pusback am liebsten ißt. Schade, daß er sich bei seiner Unmäßigkeit schon bis zum Winter daran übergegessen hat.


Copyright: arpa, 2015.

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