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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Silberpelz

Da war einmal ein Maulwurfkönig, der hatte ein großes Reich und mußte viel reisen. Er nahm meist nur wenige Knechte mit sich, ja, oft fuhr er ganz allein, um unauffällig nach dem Rechten zu sehen.

Das war gewiß nicht ungefährlich. Er hatte aber auch Gutes davon und hörte und schaute vielerlei, was andere nicht erfuhren. So ist es König Silberpelz zugestoßen — Silberpelz hieß der Knirps —, daß er sich eines Tages in einem Garten hochgrub, in dem, von einer fünffachen Schildwacht umstellt, gefangen eine Tochter der schönen Frau Holle wohnte. Die wilden Männer sahen den Kleinen nicht. Die Jungfer aber wurde seiner gewahr; sie sagte ihm ihr Leid an und bat flehentlich, er möge ihr einen tapferen Burschen schicken, der ihr hülfe.

Wie soll ein armer Maulwurf das wohl bewerkstelligen? Siberpelz versprach, sein Bestes zu tun; es war ein hübsches junges Ding, das da in seiner grausamen Einsamkeit lebte, und er hatte Mitleid. Wann aber ist seinesgleichen mit einem von den Menschen vertraut?

Eines Tages ist unser Freund dennoch mit ihnen zusammengeraten; dabei hat er keine guten Erfahrungen gemacht, hat indes einiges gewonnen.

Einmal nämlich, als er es sehr eilig hatte und weit, weit von seiner Hauptstadt über Land reiste, hat ihn ein junger hungriger Bursch erwischt, der war auf Kleinfang aus. Blitzschnell hat er den armen Überraschten auf den Rücken geworfen und wollte ihn schon erschlagen, da sah er, daß dieser sonderbare Maulwurf einen silberweißen Pelz hatte; er nahm ihn auf und wunderte sich.

"Halt mich nicht an", schalt der König böse, "ich hab keine Zeit!

Der Junge war sehr erstaunt, daß ein Tier in seiner Sprache zu reden vermochte; er wußte ja nicht, wen er vor sich hatte. "Halt mich nicht auf", sagte Silberpelz noch einmal, "ich helf dir auch weiter!



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Nun gehörte der Bursch, der Silberpelz gegriffen hatte, einer Bande schlimmer Gesellen an, die den Wald unsicher machten; er war aber wider Willen unter ihnen und suchte seit langem nach einer Gelegenheit, ihnen zu entkommen. Wie ein Maulwurf ihm dabei helfen sollte, konnte er sich allerdings nicht vorstellen; er knotete ihn also in ein Tuch und steckte ihn in die tiefste Tasche, um zu überlegen, was er beginnen sollte.

Am Abend, als die Spießgenossen in ihrer Schenke saßen, merkte nun der Räuberhauptmann, daß sich in des jüngsten Gesellen Tasche etwas bewegte; er hielt ihn darauf an und ließ sich den Fang zeigen. Als er dabei hörte, daß dieser Maulwurf wie ein Mensch zu reden verstand, nahm er ihn dem jungen Burschen weg, rief seine Leute um den Tisch, damit das Wunder nicht entkommen könnte, setzte den armen Silberpelz in die Mitte und sprach ihn an:

"Wer bist du?" schrie er mit tiefer Stimme. "Ein Hexenknirps wahrscheinlich, den man am Spieß rösten sollte.

Der Gefangene schwieg, er war zu stolz, auf solche Anrede zu antworten, und sah sich um, ob er wohl irgendwo über den Tischrand entwischen könnte. Aber was er auch versuchte, die bösen Kerle hielten ihn fest und machten sich noch einen Spaß aus seiner Not. Nur dem Jüngsten, der ihn erbeutet hatte, tat er leid. Und das alte Weib, das die Räuber bediente, warnte die Herren, dieser Gefangene sei ihnen über, sie sollten sich vorsehen!

"Wir werden ihn auf den Jahrmarkt bringen und teuer verkaufen", schrie der Hauptmann, "aber vorher wollen wir selbst unseren Jux an ihm haben.

"Fragt ihn doch, wer er ist", mahnte der junge Bursch, "vielleicht kann er euch im guten besser dienen, als wenn ihr ihn verkauft.

"Ach, ach", spottete der Alte, "wir sind unser ja auch nur sechs und brauchen einen siebenten Spießgesellen. Vielleicht wird uns der Kleine gegen die Soldaten helfen, wenn sie uns fangen, oder er wird den Henker in die Zehe beißen, wenn wir unterm Galgen stehen?

"Frag ihn, ob er sich nicht auslösen kann", bat der jüngste Räuber; er hatte jetzt ein rechtes Grauen vor den andern und wäre am liebsten mit



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seinem Fang auf und von dannen gegangen. Alls Silberpelz merkte, daß seine Feinde uneins waren, dachte er an die fünf wilden Kerle, die vorm Garten der armen Hollentochter Schildwacht hielten. Er nahm sich vor, den Schelmen die richtige Antwort zu geben.

"Hör", sagte er zu dem Jungen, "ich weiß nicht, wer der Grobsack ist, der da auf mich einspricht. Er könnte ja erst einmal seinen Namen nennen; ich bin nämlich der Maulwurfkönig.

Als sie ihn so reden hörten, fielen die einen in ein gräßliches Gelächter, die anderen aber verlangten, man solle solch feinen Herrn ordentlich behandeln.

"Wenn ihr mich freigebt", fuhr Silberpelz fort, "so will ich euch eine Burg verraten, in der sah ich so viele Schätze, daß keines ,Menschen Auge die Pracht aushält. Ihr müßtet nur mit den Wächtern fertig werden, da: bei kann ich euch nicht helfen.

Die Räuber wurden neugierig. Wie viele es denn seien, fragten sie.

Oh, fünf baumlange Unholde.

Ob sie auch Pistolen hätten?



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Nein Pistolen hätten sie nicht, aber riesige Arme und dicke Knäste zum Schlagen. Und in fünf alten Eichen wohnten sie, nur die Kräftigsten könnten ihnen überkommen.

Das wollten sie wohl einmal versuchen, sagten die Räuber und hießen sich weiter von den Schätzen erzählen, die Silberpelz im Garten der Hollentochter gesehen hatte, von goldenen Blättern und Reisern, kupfernen Dächern, mit Edelsteinen besetzt, — was gab es da alles! Je mehr sie davon hörten, um so gieriger wurden die Ungesellen, knirschten schon mit den Zähnen, schlugen ihre Messer in den Tisch und verlangten am Ende, daß der Maulwurf sich gleich und sofort auf den Weg mache und sie führe.

"Ihr seid schön dumm", riet die Räuberalte. "Merkt ihr denn nicht, daß er alles nur erfunden hat, um euch ausreißen zu können? Glaubt ihm doch nicht, laßt euch lieber jeden Tag hundert aus seinem Volk versprechen! Da habt ihr was davon!

Aber der Räuberhauptmann hatte sich schon seinen Plan gemacht. Er hieß die Gesellen sich bis an die Zähne bewaffnen, befahl, alle Pistolen zu laden, und ließ den jüngsten und schwächsten — das war der Bursch, der den Maulwurf gefangen hatte — in der Mitte gehen und den Herrn König in seiner Tasche halten. Die Tasche nähte er zur Vorsicht so weit zu, daß nur das rote Schnäuzchen von Silberpelz herausschaute. So mußte der Kleine den Räubern den Weg weisen.

Als sie nun die ganze Nacht marschiert waren — das Reich eines Maulwurfkönigs ist ja viel größer, als unsereins denkt — und schon sieben Wälder durchwandert hatten, kamen sie wirklich über drei Zauberstufen zu einem unbekannten Hagen, den hatten sie alle noch nie gesehen. Silberpelz aber, der den Weg genau wußte, zeigte ohne viel Umstände einen Pfad, der wie ein Irrgarten kreuz und quer durch Felsen und Dornen lief. Kein Mensch hätte sich darin zurechtgefunden. Und er hörte mit seinen feinen Ohren, daß der ganze Wald sich über die fremden Eindringlinge erstaunte, daß sogar die Hollin in ihrem Garten aufwachte, und daß sich die riesigen Schildwächter vorm Tor zum Kampf rüsteten. Es waren



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aber Unholde, die selbst gern unter die Menschen gegangen wären und dazu nichts brauchten, als einem Vorübergehenden das Gesicht zu rauben.

Silberpelz war deshalb besorgt um den jungen Räuber, der ihn in der Tasche trug und dem er Dank schuldete. "Hör, Freund", flüsterte er ihm zu. "Rund um den Hollergarten ist noch ein großer Graben. Du mußt nun achtgeben. Sobald deine Gesellen schießen, mußt du mit aller Kraft voranrennen und die Zugbrücke gewinnen. Wenn sie sich erst geschlossen hat, gelangt ihr niemals in den Garten.

"Das ist ein guter Rat", antwortete der Hauptmann, der mißtrauisch war und immer abhorchte, was der Kleine sagte.

Gerade da sahen sie eine Lichtung vor sich, hinter der lagen wirklich ein Graben und ein Gartentor mit einer hohen Brücke. Silberne Bäume, bis in die Wolken gewachsen, schimmerten darüber. Die Räuber waren erst noch sehr vorsichtig; als sich indes nicht das geringste zeigte und nur die fünf hohlen Eichen vor der Zugbrücke aufragten, verteilten sie sich, hoben auf einen Befehl ihre Pistolen und rannten mit großem Geschrei jeder auf einen der Feinde zu, den der Hauptmann ihnen bezeichnet hatte. Der Jüngste aber nahm allen Mut zusammen und lief quer über die freie Bahn zum Gartentor.

Nun, den Räubern ists nicht gelungen. Die Pistolen, die sie abbrannten, taten den Unholden in den Eichen nichts an. Dafür wurde jeder von ihnen, als er kaum in Reichweite der Bäume war, von einem Riesenwächter umschlungen und wie eine Fliege im Spinnennetz gefressen. Nur die Köpfe sind übriggeblieben, die haben die Schlimmen sich selbst aufgetan.

Der sechste Räuber aber ist nach dem Rat von Silberpelz mit dem Kleinen in der Tasche bis über die große Zugbrücke gelangt. Kaum war er im Schloßgarten, da hat es, als er nur eben den Fuß hineingesetzt hatte, einen fürchterlichen Lärm gegeben; die Erde ist geborsten, aus dem Boden sind Soldaten aufgestanden, haben den Fremden gegrüßt und ihren Herrn genannt. Diener meldeten sich, alle Wege sind lebendig geworden, und auf einem ist ihm auch mit lustigem Gefolge ein hübsches Mädchen entgegengekommen und hat ihn als seinen Befreier geküßt.



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Der Bursch hatte nicht gleich Zeit für diese Dinge, die solch junge Dirn für wichtig hält; er wollte sich erst noch um seine Gesellen kümmern. Aber von Räubern und Kiesen war schon nichts mehr zu erspähen, rein gar nichts. Da ist der Sechste im Zaubergarten geblieben und hat es schließlich auf sich genommen, ihn für immer mit dem Fräulein zu hüten.

Am besten hat die ganze Geschichte dem listigen Maulwurfkönig gefrommt Zwar hatte er erst viel Angst, weil er alles von einer Tasche aus ansehen mußte, ohne seine Beine zu gebrauchen; danach aber erwies sein Freund ihm an Gutem, was er nur erdenken konnte. Einen großen Wald und viele Felder hat er ihm geschenkt. Wenn ich mitunter eine Wiese sehe, die schwarz ist von Maulwurfhügeln, dann überlege ich, ob sie vielleicht einmal zum Reich der verwunschenen Hollentochter gehörte und dem wackeren Silberpelz zugesprochen wurde für den Dienst, den er dem jüngsten Räubergesellen geleistet hat.


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