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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Die drei Jungfern

Es war einmal ein armes fleißiges Mädchen, das war sehr schön, hatte aber nicht Vater, nicht Sutter, die ihm Rat geben und es schützen konnten, so daß es schließlich bei einer bösen dreiköpfigen Zauberin in Dienst geriet Die wohnte in einem Schloß auf sieben dünnen Stäben hoch in der Luft.

Eines Abends nun, als die Herrin ihr so um die Tagscheide befohlen hatte, Kräuter zu suchen, hörte die Dirn vom Wald her jemand um Hilfe rufen. Sie ging wacker darauf zu. Da traf sie zwei schwarze Störche, deren Junge waren aus dem Nest gefallen, und es wollte den beiden nicht gelingen, sie wieder hinaufzuheben. Das Mädchen breitete seine Schürze aus, tat die armen Storchenkinder hinein, kletterte die hohe Tanne big zum Nest empor und bettete sie sorgfältig in ihr Lager. Und die Alten waren so dankbar; sie versprachen, ihr übers Jahr drei Söhne zugleich zu bringen, einen prächtiger als den andern.

Sie hielten auch wirklich Wort. Als der Herbst wieder einzog, hatte die Einsame auf einmal drei Knaben, so fein und schön, daß die Unhodin,



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bei der sie in Dienst stand, vor Neid schier zerplatzen wollte. Tag und Nacht sann die Zauberin, wie sie die Mutter um die Kindlein betrügen könnte. Endlich, als die Knaben sechs Monate alt und schon stattlich und wohl anzusehen waren, wußte sie sich in ihrer Bosheit keinen andern Rat, als das arme Ding zu Tode zu bringen. Sie schickte es eines Tages in eine Höhle unter ihrem Zauberschloß. Drei goldene Kleidchen würde sie in der Tiefe finden, sagte die Hexe. Kaum hatte das Mädchen die Höhle betreten, da warf die schlimme Alte die Tür für immer hinter ihr zu. Die Kindlein aber verwandelte sie in drei Raben und schaffte sie oben auf ihr Schloß, damit sie niemals mit Menschen in Berührung kämen und ihr allein dienten.

Die Mutter hat ihre Söhne jedoch so liebgehabt, der Tod hat ihr nicht recht etwas anhaben können, sie ist nahegeblieben und hat sich mitunter aus ihrem Schlaf erhoben und den Verzauberten seufzend helfen und sie gute Worte lehren wollen.

Die Zeit verging. Die Knaben kamen in die Jahre, wo andere erwachsen sind und in die Welt hinausziehen. Aber die Raben blieben, wo sie waren; sie kannten ja nichts als das Schloß der Zauberin im Wind und den wilden Wald darunter und das arme Mütterlein, das zuweilen heimlich mit einem Kraut oder einem Sprüchlein zu ihnen ging. —

Nun wohnte in der nächsten Stadt — die war natürlich weit, weit weg — ein Bürgermeister, der hakte mehrere Töchter. Sie waren klug, hurtig und schön von Angesicht. Aber das herrlichste an ihnen war doch ihr goldenes Haar, das ihnen bis zu den Füßen reichte und um deswillen viele Freier von nah und fern kamen. Die Schwestern wiesen indes alle ab; es gab nämlich Nächte, da träumten sie wie auf einen Schlag, daß eine alte Frau zu ihnen trat und ihnen ein Schloß zeigte, in dem drei Jünglinge wohnten. Ach, und in diese Unbekannten hatten sich die Jungfrauen verliebt, da konnte niemand helfen!

Ein Jahr verging und noch eins. alls der Frühling wieder ins Land zog, hai etwas Drolliges in jener Stadt zugetragen. Ein Knecht wollte den Wasserhahn im Bürgermeistergarten andrehen. Es hatte sich



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aber im Winter ein ganzes Schock kleiner Wichte in der Leitung angesiedelt; die schrien fürchterlich, als das böse Wasser kam. Ja, als man den Hahn weiter aufmachte, ging es platscheputschepatsche; noch ehe der Strahl hervorsprang, purzelte einer nach dem andern von dem kleinen Volk kopfüber aus dem Kran heraus und suchte sich gleich ein Mauseloch oder eine Asthöhle. Und die Leute lachten so sehr, daß sie gap nicht dazu kamen, sich einige von den Knirpsen einzufangen. Nur die drei flinken Töchter des Bürgermeisters hielten die Augen offen, und es machte sich so, daß jede von ihnen gerade einen der Kleinen zwischen den Fingern erwischte.

Nun hieß es für die Gefangenen, sich auszulösen, und die Schwestern, die gut zusammenhielten, wünschten sich von jedem etwas für alle.

Da mußte der erste Knirps dreimal ein Paar Tanzschuhe schenken. Wenn man die anhatte, konnte man jedem Tänzer ansehen, was er wirklich dachte und wirklich war. Der nächste Kleine bot drei dunkle Federn, damit konnte man rabenschwarz durch die Welt fliegen, — aber nur über Nacht, wohlverstanden! Der dritte endlich zog drei winzige goldene Spindeln aus der Tasche. Und er zwinkerte mit den Augen: Die würden die Jungfern gewiß noch einmal gut brauchen können. Die Spindeln wollten nämlich kein Spielzeug bleiben; sie wuchsen groß oder klein, so wie man sie haben wollte.

Nun hatte ja niemand gemerkt, daß die Bürgermeistergtöchter ein Besonderes gewonnen hatten, und die Wädchen hüteten sich wohl, etwas zu verraten. Sie verteilten aber ihre Geschenke flink untereinander und konnten kaum erwarten, daß die Leute in der Stadt zu Bett gingen, sie wollten ihre Zauberdinge ausproben.

Was taten solch neugierige Dinger zuerst? Natürlich die Tanzschuhe anziehen! Aber es war ja kein Tänzer da, dem man ins Herz schauen konnte. Sie steckten sich also die Rabenfedern ins Haar, um suchen zu gehen. Das war schon etwas anderes! Flugs hüpften sie wie Vögel auf die Fensterbank, bliesen noch rasch das Licht aus und schwirrten in die weite Welt.



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Gegen Mitternacht trafen sie auf ein Schloß hoch über einem dunklen Wald, das gefiel ihnen herrlich. Sie schlüpften eben einmal ins Fenster, um sich umzusehen. Da saßen drei Raben am Tisch und aßen und tranken. Und als Rabenjungfern, die sie nun einmal waren, mochten sie die Vögel gern. Sie flatterten lustig zu ihnen, nannten sich drei arme verflogene Fräulein und neckten die erstaunten Herren sehr. Ain Ende wurden sie alle fröhlich und ausgelassen, — solcherlei Volk war ja unseren weltfernen Burschen noch nicht zu Gesicht gekommen. Ja, die eitlen Jungfern wollten die Jungen durchaus tanzen lehren. Die Schuhe dazu hatten sie schon an.

Aber wer beschreibt ihr Erstaunen: Kaum hatten sie die erste Runde versucht, da konnten sie erkennen, daß die Raben verzauberte Jünglinge waren. Und als sie wieder um den Tisch tanzten, sahen sie noch deutlicher: Grade diese drei waren es, die ihnen zur Nacht erschienen waren. Als sie sich aber fröhlich-verstört untereinander zuwinkten und die dritte Runde versuchten, wurden sie auch das blasse Mütterchen aus ihrem Traum gewahr. Es hob warnend die Hand, und gleich danach kain von draußen ein fürchterliches Pfeifen und Rauschen. Da merkten die Fräulein, daß Gefahr im Annahen war, sie ließen die Raben stehen und flohen Hunig von dannen.

In der nächsten Nacht konnten sie nicht anders, als die drei sonderbaren Brüder im Mogelkleid wieder aufzusuchen. Sie flogen aufs Schloß, verabredeten sich und taten die Flugfedern ab. Dann setzten sie sich als wunderschöne Fräulein an den Tisch. Und die Raben waren so glücklich; sie aßen und tranken kaum und sahen immer nur voll Verlangen die herrlichen Jungfern an, fast schienen sie zu ahnen, daß auch sie Menschen gleich diesen waren.

Auf einmal kain das blasse Mütterlein, warnte, und die ,Mädchen griffen rasch nach den Federn. Als sie schon im Anflug waren, hielt die Alte die eine der Schwestern am Flügel fest. "Die Spindeln", bettelte sie, "vergeßt die Spindeln nicht!

"Was sollen uns die?" fragte das Fräulein,



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"Ach, wenn ihr die Jungen einzuspinnen vermöchtet!" seufzte die Arme und sah zu ihren Söhnen hinüber. In dem Augenblick kam schon die Zauberin mit den drei Köpfen herangebraust.

"Was willst hier?" schrie sie die Frau an. "Flink unter die Erde! Sie schlug dabei arg nach ihr und traf das dritte Mädchen beim Ausflug an der Schwinge, so daß es eine ganze Weile brauchte, bis es die andern eingeholt hatte. Aber es brachte ja auch ein Wort des Mütterleins mit; bald berieten die Schwestern eifrig, wie sie wohl ihre Burschen einzuspinnen vermöchten. Sie weinten um die verzauberten Jünglinge und verrieten einander, daß sie alles tun wollten, was nur erdenkbar sei, um ihnen zu helfen.

Am nächsten Abend flogen sie schon im Augenblick, wo die Sonne unterging, zum Schloß ihrer Liebsten und mochten nicht tanzen noch essen. Die erste schnitt vielmehr von ihrem Haar ab, spann und spann davon und knüpfte ein lebendiges Kleid. Und die zweite und dritte machten es ihr nach, fingen ihre Raben ein und schlangen das goldene Gewirke immer stink rund um sie. Die Vögel aber haben ihr Blut und ihren Leib wachsen gespürt, die armen Mädchen mußten noch emsiger das Rad drehen, so groß und stattlich wurden die Herren. Ihr ganzes Haar haben sie schließlich drangegeben und wären doch nicht fertig geworden, hätten die Spindeln nicht selbst mitgeholfen, so flink es nur irgend ging.

Da um Mitternacht auch das Mütterchen gekommen, hat bebend und erwartend zugeschaut und gute Sprüche über die fleißigen Mädchen gemurmelt. Aber die eine Dirn, nach der die Zauberin am Abend vorher geschlagen, hatte einen Büschel Haar zuwenig, das war bald zu sehen. Da hat die Mutter von ihrem eigenen grauen dazugegeben und hat zu Gott gebetet, daß es helfen möchte wie das der Jungfer. Und die drei Burschen sind in ihren Röcken prächtig groß und schön gewachsen, allen zur Freude.

Im Augenblick aber, als die Schwestern fertig geworden waren, hat sich von fern ein furchtbares Geschrei erhoben. Die Zauberin ist näher gekommen, und die Mädchen haben Furcht gehabt, als wollte das Schloß



178 H.F. Blunck Märchen -- Das Kindlein findet zu den Menschen zurück Flip arpa

einstürzen. Die Burschen aber haben sich im Saal umgeblickt und haben blinkende Messer vom Tisch gerafft. Und sie haben sie zur Hand genommen, gerade als die Hexe mit drei Häuptern am Fenster war.

Sie hatte vielleicht Schlimmes gewittert und schob zuerst nur einen der Drachenköpfe ins Schloß, um Umschau zu halten. Da lief der jüngste, der von seiner wirklichen Mutter das Haar bekommen hatte, voll Zorn hinzu und trennte ein Haupt vom Hals. Die Hexe zischte vor Wut und ließ ihren andern Kopf als wilden Hund in den Saal springen. Aber die Jungen schwangen die Messer und erschlugen ihn. Da fuhr die Alte mit greulichen Klauen selbst ins Schloß, um ihre Köpfe wiederzuholen. Die Rabenbrüder ließen die langen Messer spielen und trafen die Arge zum drittenmal. Und die Jungfern hinter ihnen schleiften die Drachenhäupter zur Seite und warfen sie ins große Feuer im Kamin. Da haben sie geheult und geheult, big sie zu Asche geworden waren; die Alte aber ist tot vom Schloß niedergestürzt. Und sie hat in das Grab fahren müssen, das sie einst ihrer Magd bereitet hatte.

Die Burschen haben voll Glück über die Entzauberung noch eine lange Weile in jenem Wald gelebt. Dann sind sie mit ihren jungen Frauen ins Bürgermeisteramt eingezogen; es sei so bequem, sagten sie mir, ihre Kinderchen gleich in der nächsten Tür anzumelden.


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