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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Vom Rostocker Kröger und vom falschen Silbergeld

Von einem alten Rostocker habe ich auch eine Geschichte gehört, die will ich versuchen zu erzählen.

Mein Vater hatte auf dem Altonaer Markt einmal wieder den Wintervorrat an Äpfeln und Birnen gekauft. Es waren immer gleich einige Säcke, die er den Bauern vom Altenlande jenseits der Elbe vom Kahn herab abnahm und die dann unter meiner Aufsicht heimgebracht werden mußten. Das geschah, indem Vater nach längerer Verhandlung einen der Allten, die mit ihren schottischen Karren auf der Lauer standen, auswählte, selbst noch das Aufladen der Wundersäcke mit Äpfeln überwachte und dann dem Karrenmann auftrug, wohin er die Last zu schaffen hatte. Weil diese Art aber nicht zuverlässig wie echte Fuhrleute ist, erteilte er seinem Ältesten den Rat, achtzugeben, daß Äpfel und Birnen nun wirklich in das rechte Haus kamen und sanft und kunstgerecht über den Boden ausgerollt wurden, ehe der wackere Helfer den Fuhrlohn ausgezahlt kriegte. Auch hatte ich Mutter zu bestellen, wieviel Rollgeld abgemacht sei, sie hatte ein allzu gutes Herz und viel Mitleid mit den Karrenleuten.

Meist habe ich den Auftrag gut erfüllt. Aber einmal bin ich mit meiner Fracht so spät angekommen, daß die Eltern schon in heller Sorge waren; ach, der Alte, den Vater gewählt, wußte ja zu viele und zu bunte Geschichten.



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Bei jeder Straßenecke — und es ging arg bergauf —hat er angehalten, hat sein Schweißtuch gezogen und Nacken und Haar getrocknet. Und jedesmal hat mir der Mann — noch sehe ich seinen stoppeligen Bart und die hochgezogene Stirn — ein Stück jener wunderlichen Erlebnisse erzählt, die ich hier, soweit ich mich noch erinnere, wiedergeben muß.

Er war Wirt in Rostock gewesen in seinen guten Tagen — das heißt, vorher war er, wie es sich für einen Rostocker gehört, auf See gegangen und hatte es sogar big zum Kapitän auf kleiner Fahrt gebracht, so sagte er wenigstens. Dann war da etwas gewesen — einerlei, er hatte sich an Land zur Ruhe gesetzt. In seiner Vaterstadt natürlich. In der Schenke aber, die er übernahm, hatte die Galionsfigur der "Dunkan Hill" gehangen, eines Schiffes, das einst an der Mecklenburger Küste gescheitert war. —Ja, und damit begann eigentlich die Geschichte, die er mir hatte erzählen wollen, und wir hatten auch erst den halben Weg hinter uns. Weil der arme Mann indes doch einmal Kapitän gewesen war und es so schwer mit der Karre hatte, schob ich nach Leibeskräften mit und rief sogar einen Schulfreund an, der vorüberschlenderte, er solle helfen. Aber der gab's schon nach einigen Schritten hochmütig auf und ging seines Weges. Das beschämte mich.

Ich will auf das Geheimnis der Galionsfigur zurückkommen. Es war mit ihr so, wie es immer wieder aus der Sehnsucht seefahrenden Volkes erzählt wird. Ach, die Frau, die da aus Holz in der Schenke hing, war nicht tot, sie war durchaus nicht ohne Leben, wie gewöhnliche Menschen es sich vorstellten. Sie atmete, wenn auch unmerklich für uns; und es gab Stunden, da konnte sie reden und sich verständlich machen. Mehr noch: der Klabautermann des Schiffes, zu dem sie einst gehört hatte, wußte um Bescheid; er war nahe und besuchte sie zuweilen, um über vergangene Tage mit ihr zu sprechen. Das war meist nach Mitternacht, wenn Peter Böge — so hieß mein Vertrauensmann — ohne Kundschaft in seiner Wirtschaft saß. Sehr vorsichtig trat dann der Alte in die Tür und war willkommen, weil ein rechter Kröger, gleichgültig zu welcher Stunde, mit erlauchten Gästen immer gern einige Betrachtungen über den Weltlauf anstellt,



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Es ist hier einerlei, wie und warum die Galionsfigur der "Dunkan Hill" gerade in die Rostocker Schenke geraten war und warum der getreue Klabautermann ihr noch anhing und auf kein anderes Schiff gehen wollte. Auch das war eine lange Geschichte; während wir an der Karre standen und ich sie anhörte, schrammte uns ein Wagen, es tat mir leid um die Äpfel, die einen Unfall erlitten. Aber für alle Fälle war die Erzählung vom Untergang der "Dunkan Hill" wichtiger, und wenn ich sie hier nicht wiedergebe, so ist's nur, um bald zu berichten, wie Peter Böge nach dem Kongo fuhr. Es gehört zu meinen buntesten Jugendträumen. Lange habe ich heimlich gehofft, daß auch vor mir einmal ein solches Wasserweib Leben gewinnen und daß es mir eines Tages so ähnlich ergehen würde wie dem Rostocker. Aber ich nahm mir doch vor, alles in großer Redlichkeit zu betreiben, den Handel wie auch den Besuch der Wunderinsel.

Also in der Stunde nach Mitternacht, so erzählte mein Gewährsmann, sei der Klabauter der "Dunkan Hill" in seine Schenke gekommen. Und die Frau konnte sich, wenn der Knirps sie rief, wie lebendig und wirklich zu den beiden an den Tisch setzen. Dann haben die drei lange miteinander geredet, und schließlich haben die Fremden dem Wirt den Vorschlag gemacht, er solle einen Schoner kaufen und noch einmal ausfahren. Und die Galionsfigur solle unterm Steven hängen. Um alles andere brauche er sich nicht zu mühen, außer um die Leute und um den rechten

Ich weiß nicht mehr, was die sonderbaren Gäste meinem Freund an Gewinn versprochen haben, das ist auch einerlei. Die betrübliche Tatsache ist, daß er sein Haus, das er sich doch auf Lebenszeit erstanden hatte, nach langem Zureden verkaufte und daß er eines Tages einen schmucken kleinen Schoner sein eigen nannte. Und die Galionsfigur hing unterm Steven.

Mit vier Rostocker Leuten ist Peter Böge zu jener sagenhaften Fahrt ausgelaufen, die, wenn's nicht soviel Nüchternheit auf der Welt gäbe, längst hätte aufgezeichnet werden müssen. Gut getakelt war das Schiff, ist rasch um Skagen herumgekommen, um in Schottland noch einmal



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sechs Leute an Bord zu nehmen; so hat der Klabauter es haben wollen. Dann ist der Schoner mit unbekanntem Ziel ausgesegelt.

Und der Knirps hat hinter dem Rudersmann gestanden und hat eine sonderbare Fahrt durch viel Nebel und Regen befohlen, so als sei er selbst der Reeder. Eines Tages haben sie einen Hafen angelaufen, der ist auf keiner Karte verzeichnet, und doch wissen viele Schiffer um ihn. Silbern ist der Strand, sagte Peter Böge, aus Edelgestein sind die Fenster der Straßen. Was es indes dort an Schätzen gibt, hält in unserer Welt nicht lange vor, nicht länger, als die Geister nahe sind, die ihnen folgen. Ein redlicher Mann soll darum keinen Handel von dort nach hierher betreiben.

Das sah ich ein und nickte.

Wie die Insel .ß? habe später einmal gehört, daß sie Utwunder genannt wird, aber wie der Alte sie bezeichnete, kann ich nicht sagen. Sogar der Mme der Stadt ist mir entfallen, es wird ein sehr schweres Wort gewesen sein.

Nun, die Hauptsache ist, daß der Schoner auf Utwunder viel Ladung genommen hat, Silber und Münzen und Ketten und Perlen, und ich weiß nicht was alles. Und die Schotten hätten mit dem Betrug genau Bescheid gewußt, sagte Peter Böge, nur er selbst hätte damals noch geglaubt, es ginge wohl mit rechten Dingen zu. Auch seien da drüben der Klabauter und die Stevenfrau wie lebendige Wesen und respektierliche Personen jedem sichtbarlich am Kai auf und ab gelaufen; das hätte er sich durch den Kopf gehen lassen. Und es war alles wie geträumt, erklärte mir der Rostocker, und doch echt und unverfälscht. Das habe man an den schönen Mädchen gesehen, kicherte er, und ich nickte und tat, als begriffe ich.

Sie hätten auf jener Insel auch keine Papiere nötig gehabt, sagte mir Peter Böge, und einfach eingeladen, was der Schottlandmann und seine Frau verlangten. Dann seien wieder in See gestochen, hätten einen Bogen um die Schiffswege geschlagen, als wollten sie niemandem begegnen, und hätten viel Zeit gebraucht, so daß ihr Trinkwasser faulig wurde.



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Es ging auf Afrika zu; die Schotten haben bald von dem großen Strom geredet, zu dem der Alte wollte; sie waren wohl schon früher einmal bei ihm an Bord gewesen.

Eines Tages sind sie wirklich in die Mündung des Kongo eingelaufen. Der Klabauter hat das Ruder in die Hand genommen, er kannte das Fahrwasser wie ein Lotse, gleichwie andere den Weg durch die Schären nach Stockholm wissen.

Was sie dort dann an Handel trieben, ist mir nicht ganz verständlich geworden. Sie haben, so scheint es, allerhand von der vergänglichen Mare, die sie in Utwunder geladen hatten, gegen Elfenbein ausgetauscht, haben sich aber immer rasch wieder aus dem Staub gemacht. Gewiß ist, daß sie an den Leuten da unten Unrecht taten — der vom Apfelkarren erzählte es mit erhobener und warnender Stimme, so daß es mir durch und durch ging. Auch haben die Matrosen viel Streit mit den Schwarzen gehabt, die Schotten sind ja ein rauhes Volk und haben ein anderes Herz als die Rostocker.

Nun, das Schiff war am Ende mit teuren Gewürzen und mit Elfenbein angefüllt, es war kein Handel mehr nötig. Die Besitzer sind deshalb wieder ausgelaufen, haben gute Fahrt gemacht und haben in London abgeladen. Und alle Leute haben ein tüchtiges Stück Geld ausgezahlt erhalten.

Als sie die Hände noch voll hatten, sind unser Rostocker und einige von den Schotten gierig nach mehr geworden. Sie haben ohne den Klabautermann noch einmal nach der Insel Utwunder ausfahren wollen.

Aber sie haben sie nicht wiedergefunden.

Vielleicht kam es davon, daß sie schuldig geworden und das Silber von Utwunder in Afrika für bare Münze verkauft hatten. Vielleicht auch weiß eben nur solch ein Klabauter den Weg dahin. Nein für unseren Freund und sein schottisches Schiffsvolk hat sich das Glück bald in Unglück gewandelt. Als sie nach langem vergeblichem Kreuzen heimführen, sind sie in die großen Herbststürme gekommen, sind im Kanal gescheitert und haben alles verloren.



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Dem Mann, der mir die Apfelsäcke nach Hause brachte, war es um sein Schiff leid; er verwünschte die Schotten, die ihn zur zweiten Ausreise verlockt hatten, er verwünschte, daß er seine gute Wirtschaft in Rostock verkauft hatte.

Aber dann hatte der Alte plötzlich funkelnde Augen und redete von dem sonderbaren Hafen, wo der Strand aus Silber sei und Mädchen so schön und freundlich wären, wie man es bei uns gar nicht kennt. Und vom Elfenbein, das man eingetauscht, und von dem geheimnisvollen Klabauter — oh, ich hätte noch stundenlang lauschen können. Aber es war dunkel geworden, ich hörte auf einmal meinen Vater rufen, was denn los sei und



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wo ich so lange mit der schottischen Fuhre gesteckt hätte. Da hatten wir beide, der Alte und ich, ein jämmerlich schlechtes Gewissen und schoben und schoben den Karren, bis das Rad über die Kantsteine rollte und alle Äpfel und Apfelsäcke kopfüber auf den Damm purzelten.


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