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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Abenteuer im Vordämmern

Nahe bei meinem Haus stand ein hohler Baum, in den legten früher die Leute aus dem Dorf zerbrochenes Zeug, Pflüge, Stühle, Siebe, Schuhe, des Abends hinein und schrieben auf einen Zettel, was daran zu flicken und auszubessern sei. Am nächsten Morgen fanden sie ihre Sachen dann heil und ganz wieder vor; eine billige Rechnung der kleinen unterirdischen Handwerker lag dabei, die sie eines Abends mit einigen Pfennigen bezahlten.

Nun wollte eines Tages ein Bauer beim ersten Tau Kräuter für seine kranke Frau sammeln. Und weil er gerade an jenem Baum vorüberkam, sah er nach, ob seine Pflugschar, an der die Unterirdischen die Schneide hatten schärfen sollen, schon zur Stelle war. Sein Gerät fand er nicht, wohl aber lagen da allerlei andere Sachen zum Abholen bereit, darunter ein wunderbarer Besen, der hatte ein rotes und grünes Licht auf dem Querholz.

Das ging kaum mit rechten Dingen zu; der Bauer, der ein gesetzter Mann war, wollte nicht, daß die Hexen ihr Gerät zusammen mit dem ordentlicher Leute ausbessern ließen. Er nahm deshalb den Besen mit den beiden Lichtem und warf ihn in hohem Bogen in die Au.

Der Arme hat ihm aber im gleichen Augenblick kopfüber nachfolgen müssen, und als er sich recht besann, saß er nicht auf dem Besen, sondern in einem schönen Boot, das rechts und links eine bunte Laterne führte. Und das Boot glitt, obwohl er es zu stoppen versuchte, schnell und immer



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schneller mit ihm den Fluß hinab, ich weiß nicht wie lange, und hielt schließlich vor einem großen Wirtshaus. Es kamen auch allerhand andere Fahrzeuge ähnlich dem verzauberten Besen hinzu, und Leute, von denen er keinen kannte, stiegen aus, banden ihre Kähne an und gingen zur Tür hinein.

Der Bauer nahm sich vor, nie wieder einen Hexenbesen ins Wasser zu werfen; aber er meinte auch, es könne nichts schaden, wenn er sich einmal umsähe und ein Gläschen gegen die Schwäche in den Knien kaufte. Er trat deshalb ein und setzte sich, weil kein anderer Platz frei war, zu fremden Leuten.

Sonderbar genug deuchten sie ihn. Da prahlte einer, wie er hier gerad vor vierhundert Jahren zum erstenmal Erbswurst gegessen hätte; ihm gegenüber saß ein anderer, der fuhr immer mit der Hand hin und her über den Tisch, und man hörte, während er es tat, wie daheim auf seinem Feld die Sense durchs Korn schnitt. Am buntesten wurde es, als auf einmal der Verlocker selbst dazwischenbrauste und alle Leute aufsprangen, weil jeder ihm als erster etwas erzählen wollte.

Der Böse merkte aber gleich, daß ein Fremder unter den Gästen war; er ging geradeswegs auf den Bauern zu und fragte ihn, wie er herübergekommen sei. Da stotterte der in seiner Angst, daß sein Weib krank geworden sei, daß er nichts als einige Kräuter für sie habe suchen wollen und so weiter.

Der Verlocker grinste; er erkundigte sich, was der Frau fehle, und weil er seinen guten Tag hatte, schenkte er dem Gast eine schwarze Salbbüchse. Daraus solle er der Kranken über die Stirn streichen, sagte er. Dann gab er ein Zeichen, und gleich rannte alles Volk hinter ihm drein und drängte zur Tür hinaus.

Der Bauer wollte aber nichts weniger als mit des Teufels Leuten fahren. Er lief einige Schritte mit, tat, als habe er noch auf dem Boot zu schaffen, legte die Taue zurecht, holte das Wrickruder ein und wechselte, um die Zeit hinzuziehen, die rote und grüne Laterne miteinander aus. Im Augenblick aber, wo das geschehen war, begann das Boot zu seinem Er



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staunen den Fluß wieder hinaufzulaufen, den es eben heruntergekommen war.

Da hatte er also gerade das Rechte getan; der Mann, der sich schon Sorgen wegen der Rückkehr gemacht hatte, freute sich, bald auf dem Hof zu sein. — Aber die Frühdämmerung war inzwischen aufgestiegen, es ging mit dem Boot nicht mehr so rasch wie talabwärts. Schon nach kurzer Zeit gab es einen Halt, und als der Bauer aufblickte, war quer über den Fluß eine kleine Brücke geschlagen, über die fuhr ein langer Hochzeitszug von Unterirdischen. Sie waren aber vergnügt und außer Rand und Band, so daß einer von ihnen ins Wasser rutschte und nicht wieder nach oben kam. Gleich hielt der Hochzeitszug an, und die Leute begannen zu schreien: "Rohmann is doot, Rohmann is doot, nu sünd wi all in grote Noot!

Dem Bauern tat es leid um Rohmann, er warf den Rock ab, sprang tapfer in den Fluß, und es gelang ihm wirklich, den Knirps halbtot heraufzuziehen. Und weil er gerade die Dose mit Salbe in der Tasche fühlte, versuchte er sie an ihm, ehe ihn jemand daran hindern konnte. Sobald er den Kleinen damit berührte, schlug der die Lider auf.

Aber er hatte im gleichen Augenblick auch Schwanz und Pferdefuß, das kam wohl von der bösen Herkunft des Zaubermittels.

Die Unterirdischen erschraken und machten sich Sorge über Rohmanns Huf, aber schließlich war es ihnen mehr wert, daß sie ihren Freund wieder bei sich hatten. So dankten sie dem Bauern, und der Älteste, ein Knirps mit einem Bart, der ihm über beide Schultern nach hinten fiel, ließ sich die Büchse zeigen und erzählen, wie der Helfer sie erworben hatte.

Solche Art Salbe, riet er indes, solle der Nachbar bei seiner Frau lieber nicht versuchen, es könne ihr wie Rohmann ergehen. Als er dabei die Enttäuschung des Bauern sah, fügte er hinzu, er habe ein besseres Mittel. Und er schenkte ihm, wohl zum Dank für die Rettung eines der Seinen, wieder ein Schächtelchen. Die Salbe, die darin sei, werde der Kranken bestimmt helfen, erklärte er. Dann brach das kleine Volk die Brücke ab, und der Mann konnte weiterfahren.



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Kaum war er eine Weile unterwegs, da wurde sein Schiff von einem Wasserkerl angehalten. Nein, sagte der, hier käme kein Mensch mehr lebendig vorüber, es sei denn, daß er ein Mittel wisse, seinen Vater Brunnemann vom Zahnweh zu heilen.

Der Bauer wollte seine Arznei nicht hergeben, er wollte sie ja für seine Frau verwahren. Als indes alles Verhandeln nichts half, zeigte er die
winzige Dose dem Wasserkern; da nahm der ihn und sein ,Mittel kurzerhand mit in die Tiefe, und der Kranke bekant die Salbe auf seine dicke Backe geschmiert. — Was glaubt ihr wohl? Das Zahnweh war im vorüber. Aber Vater Bunnemann hatte im Umsehen auch den langen weißen Bart und die Krähenfüße des Zwergvolkes. Und alle Weibsbilder überschlugen sich vor Lachen, und alle Meergreise hielten sich die Bäuche. Bunnemann war indes so froh, daß er kein Zahnweh mehr hatte; er dankte dem Bauern herzlich und gab ihm, als er seine Geschichte erfahren hatte, gern ein anderes Mittel mit. Dus sei endlich das richtige, sagte er, und es werde seine Frau wieder gesund machen.



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Nun ließen die Wasserleute das Hexenschiff weiterfahren, aber der Bauer sollte die Kranke immer noch nicht erreichen. Wo nämlich der Fluß durch die großen Wiesen geht, waren viele kleine Elfen beieinander, die mit einer Hollentochter in der Vorfrühe getanzt hatten. — Ach, und die eine von ihnen weinte bitterlich; ein alter Unterirdischer hatte sie in den Fuß gebisse.. D schöne Hollentochter hielt deshalb wieder das Schiff an und fragte den Mann im Zauberboot, ob er nicht eine gute Salbe wüßte gegen den Biß eines Unterirdischen hatte sie nichts bei sich. Sie besah auch das Boot von allen Seiten und meinte, das sei ein schlimmer Hexenbesen, und der Herr solle sich schämen, damit zu fahren.

Da kriegte der Bauer Furcht; es war ja richtig, was die Hollentochter sagte. Er zog deshalb die grüne Salbenbüchse, die Vater Bunnemann ihm mitgegeben hatte, aus der Tasche und erbot sich, dem Elfenkind den Fuß zu heilen. Und er bestrich die böse Stelle, und die Schmerzen vergingen im Nu — aber im nächsten Augenblick plantschte die kleine Elfin wie eine Otter im Wasser und wollte gar nicht wieder heraus, die Salbe war wohl für ein anderes Volk bestimmt gewesen.

Der Mann bekam ein rabenschwarzes Gewissen, als er sah, was er angerichtet hatte, und freute sich nur, daß er das Mittel nicht seiner Frau gegeben hatte. Aber die Hollentochter war gar nicht böse; sie hatte sich längst eine Nixe als Nachbarin gewünscht. Und als der Bauer ihr seine Geschichte anvertraute, lachte sie, sammelte kleine rote Kräuter, verrieb sie zwischen den Fingern und füllte ihm das Töpfchen von neuem. Er bekam sogar noch ein Goldstück dazu, so zufrieden war die Schöne mit ihm.

Dann konnte er endlich heimfahren, fand seinen Hof wieder, hielt am Steg und ließ das Schiff gemach weiterreisen, ich weiß nicht wohin. Die Magd begegnete ihm; er eilte in die Kammer, in der seine arme Frau auf ihn wartete, und legte ihr die Kräuter der Hollentochter auf die Stirn. Was glaubt ihr? Gleich fühlte sich die Kranke gesund und war dazu jung und schön, wie es nur die Hollenkinder sind. Schon konnte sie laufen und springen, tanzte mit ihrem Mann über die Diele, durch den Garten, küßte ihn, und die beiden waren vergnügt wie nie.



155 H.F. Blunck Märchen -- Vom Rostocker Kröger und vom falschen Silbergeld Flip arpa

Als sie dabei zur Straße gelangten, stand ein altes Weib an der Tür, jammerte und sagte, es habe seinen Besen verloren und könne ihn nicht wiederfinden. der Bauer ihn nicht gesehen hätte. Da kriegte der Mann ein schlechtes Gewissen, ging zum Krämer und erwarb einen neuen, er wollte sich ja nicht an fremdem Eigentum vergreifen. Aber die Hexe wurde grün vor Wut, als er ihr seinen Kauf brachte, schlug den Stiel am Hofpfosten entzwei und fuhr mit einer bösen Verwünschung von dannen.

Auf den Besen vom Krämer kam es ihr ja nicht an.


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