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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Das Mädchen aus Utwunder

Da war einmal ein armes Mädchen, das hatte sieben Brautwerber. Aber es war nur einem von allen gut, und gerade der hatte kein Heiratsgeld. Weil die beiden indes nicht voneinander lassen wollten, überlegten sie hin und her, wie sie wohl Glück und Habe gewinnen könnten.

"Ich werde nach Utwunder ausfahren", sagte der Bursch. Er hatte oftmals von der Insel gehört; sie liegt noch vor Hilgenö in der See nach Westen, aber nur wenige vermögen sie zu finden.

Sein Mädchen ängstigte sehr, redete ihm den Gedanken aus und nahm sich heimlich vor, lieber selbst zu reisen; sie fürchtete, ihr Vertrauter würde nie wiederkommen, wenn er erst drüben wäre. Nur eine Nacht will ich hinüber, beschloß sie, dann weiß ich vielleicht genug, um uns beiden zu helfen.

Als sie nun an diesem Abend traurig zu Bett ging und den Sandmann rief, um ihm ihren Wunsch zu klagen und auch um ihn zu bitten, ihre Lider schlafmüde zu streuen, war ihr auf einmal, als sei etwas anderes mit dem Alten in die Kammer gedrungen.

Das Mädchen sah, ein Garnknäuel lief über die Bettdecke hin und her. Neugierig nahm sie es auf, um zu erfahren, wo es herkäme. Im gleichen



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Augenblick fuhr sie selbst auch schon auf einem Faden in die Ferne und über ein großes Wasser zum Zwischenreich.

Die Jungfer hat sich sehr erschrocken. Und sie hatte Grund genug für ihre Furcht. Kaum nämlich war sie drüben, da sprang ihr eine Nachtmahr entgegen, die hatte der getreue Eckard gerade von schlafenden Menschen verwiesen. Die Wahrte wußte, daß die Fremde aus unserem Reich kam, sie riß ihr das Garn aus den Fingern und fuhr blitzschnell daran zurück, um die Träumenden von neuem zu plagen.

Das Mädchen hatte nun nichts in der Hand, um heimzukehren, es mußte über Nacht im anderen Land bleiben. Da wurden bald allerhand Leute auf den neuen Gast aufmerksam, und manche sahen, daß ein hübsches Gesicht eingezogen war. Schon tappten zwei riesige Nebel herzu, die meinten schon, sie könnten das Mädchen in Dienst nehmen. Sie fragten gar nicht erst, ob es auch Luft dazu hätte oder dergleichen, sie sagten gerade- heraus, sie wünschten eine Haushälterin. Ob ihnen das Fräulein nicht, wenn sie nachts auf Reisen seien, die Suppe kochen und die Betten machen würde?

Die Dirn wollte sich nicht gleich dem ersten besten verdingen, sie hatte ja auch einen Liebsten daheim, der, ach, so viel schöner war als diese plumpen grauen Gesellen. Sie schüttelte also den Kopf und gedachte weiterzugehen.

Ob das Fräulein sich's nicht big morgen überlegen wolle, baten die Risen, sie könnten ihm viel herrliches Gespinst zum Lohn geben.

Die Gefragte wurde neugierig. "Das möchte ich einmal sehen", sagte sie listig, und die beiden Grauen zeigten ihr einen ganzen Fluß voll Linnen; das ballte und rollte sich wunderschön! Die Alten schnitten sogar ein kleines Stück ab und schenkten es ihr.

asie Dirn fühlte, was sie in den Fingern hatte, war allerfeinste Leinwand, sie merkte auch, der Zipfel wuchs und wurde in ihrer Hand mehr und mehr, wie es oft bei den Geschenken derer von Utwunder ist.

Aber sie konnte sich doch nicht entschließen, gleich den ersten Dienst anzunehmen.

Als sie nun weiterging, stand am Weg ein riesiger Föhrenknecht, der



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sah vertraubar aus. Das Mädchen wollte sich deshalb bei ihm erkundigen, auf welcher Straße es sei, sprach ihn an und fragte, wie man wohl wieder zu den Menschen heimkäme — ach, es hätte das Zaubergarn verloren. Da hob sich der bucklige Mann auf, und sie sah, es lag ein Reh auf dem Tannenboden des Waldes, das hatte der Alte mit seinem grünen Kleid geschützt. Warum sie eigentlich zum Land der Irdischen zurückwolle, forschte er, es sei doch viel schöner auf Utwunder. Und er hätte ein krankes Kindlein, das würde gewiß wieder leben, wenn es nur die rechte Pflege hätte; ob sie ihm nicht helfen wolle, es werde ihr Schaden nicht sein.

"Ich habe aber einen Liebsten", sagte das Mädchen, "und ich möchte so rasch wie möglich zu ihm heim.

Der Alte schüttelte den Kopf. Das sei gewiß irgendein junger Bursch, meinte er, der nichts zu beißen und zu brechen habe. Solch schön eingerichtetes Haus wie seines könne wohl kaum einer seinem Weibe bieten. Und er reichte der Jungfer einen Föhrenast, der wuchs in ihrer Hand, wie sie es nur wünschte, wuchs zu einer Hütte, wuchs zu einem Tisch, zu einem Stuhl, und immer, wenn er mit dem Gerät fertig war, lag er wieder als gehorsames Reis in ihren Fingern.

Der greise Föhrenknecht sah, wie sehr die andere sich darüber freute und was für Augen sie machte. Oho, lachte er, davon hätte er noch mehr! Und nicht nur hölzerne Zweiglein, soviel er wolle, sondern auch eins von Silber und sogar eins von Gold. Sie solle es sich nur überlegen, und morgen könne sie ihm Bescheid bringen, ob sie seine Hausfrau werden möchte.

Da ging die Jungfer eilig weiter, Linnen und Zweig in der Hand. Sie wollte rasch jemand finden, der ihr den Weg zu den Menschen heimwiese. Aber sie kam nur bis zu einer großen Waldlichtung, da spielte ein alter buckliger Drull mit seinen Kindern. Er spielte mit goldenen Kegeln und Kegelkugeln und warf silberne Teller durch die Luft. Kaum sah er die Dirn, da tappte er gierig auf sie zu und fragte, wie sie in dies Land geraten sei. Und er fragte sie auch, ob sie nicht als Magd bei ihm in Dienst treten wolle, und sagte, daß sie ihm gefalle.



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"Das kann ich heute nicht gleich versprechen", antwortete das Mädchen schlau, "ich muß euer Reich doch erst einmal kennenlernen." Und es nahm eine goldene Kugel auf und besah sie von allen Seiten.

Die dürfe sie behalten, lockte der Drull. Und wenn sie ein Jahr bei ihm in Dienst gewesen sei, könne sie so viele Kugeln mitnehmen, wie sie nur wünsche.

Aber die Dirn merkte, was der Arge von ihr wollte, und in ihrer Angst bat sie rasch: "Da zeig mir erst einmal deine Kleinen!

Auf die Kinder war der Drull sehr stolz, obwohl es haarige Wesen mit Klumpfüßen waren. Sie schienen auch recht ungezogen zu sein; als der Vater sie rief, meinten sie, es sei Bettzeit, und liefen in alle Winde; der Alte mußte sich Mühe geben, sie einzufangen. Dabei kroch er durch einen Busch, um eines der Kleinen bei den Ohren zu kriegen, und verlor das Mädchen aus den Augen. Das floh, so rasch es vermochte, mit der geschenkten Kugel von dannen.

Über all solch Reden und Laufen war es nun beinahe Morgen geworden, nämlich die Zeit, wo die Mahrfrau, die am Knäuel zu den schlafenden Menschen gefahren war, heimkommen mußte; vor dem ersten Sonnenstrahl hat sie sich zu hüten. Auch der alte Föhrenknecht steckte schon bis zu den Schultern in seinem Baum, und die Nebelrnänner waren so müde und schwach, sie erkannten kaum noch, wer vorbeilief.

Gerade da erreichte das Mädchen wieder das Ufer und sah, wie jemand von fern über das Wasser fuhr; es sah auch das Garnknäuel und den Flügelschlag, der darüber hinflog. Und es paßte in seiner Furcht genau auf, wo der Unhold, der von der Helle schon halb geblendet war, an Land wollte. Im Augenblick, als die Mahrte auf dem Boden niederging, entriß sie ihr das Garn, wendete es und glitt selbst blitzschnell darauf heim, noch ehe der erste Morgenstrahl über die Menschheit kam.

Und auf einmal lag die Dirn wieder in ihrem Bett, rieb sich die Augen, weil schon die Sonne darüber hinfuhr, und meinte, alles geträumt zu haben. Dann aber sah sie, daß sie den Arm voll guter Dinge hatte, das herrlichste Linnen wuchs und wuchs immer noch unter ihren Händen, das



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Reislein zimmerte einen wunderschönen Stuhl vor ihr Bett und einen Tisch in die leere Kammer. Und die goldene Kugel, die sie auf der Insel Utwunder aufgehoben hatte, war genau so blank wie drüben.

Da sprang sie auf, denn das Linnen auf ihren Knien wurde schwerer und schwerer. Und sie kleidete sich an und eilte vor die Tür, um ihrem Liebsten Bescheid zu geben. Der tappte gerade auf dem Weg zur Arbeit am Haus entlang und war recht verdrossen, weil er immer noch nicht wußte, wie er Hütte und Acker für die Heirat kaufen sollte. Das Mädchen hat ihn aber nur eben zu warten geheißen, hat Reis, Linnen und Kugel geholt, eines nach dem anderen, hat ihm alle Dinge gezeigt, und die beiden sind einander am frühen Morgen vor allen Leuten um den Hals gefallen.

Und weil ich gerade vorüberkam, habe ich die ganze Geschichte von ihnen selbst erfahren.


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