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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Vom unhöflichen Schuster

Es war einst ein Schustergeselle, ein geschickter Bursch, der die schönsten Schuhe zu nähen und zu klopfen wußte. Aber was half das alles? Da war nicht genug Arbeit in seiner Stadt, und als er heiraten wollte, konnte und konnte er sich nicht einmal einen Hochzeitsschmaus ersparen. Er ging deshalb trübsinnig vorm Tor spazieren, hatte wenig Leder und wenig Nägel und wußte nicht, was er mit seiner Zeit anfangen sollte. "Wenn ihr einmal Schuhe zu beschlagen habt", sagte er schließlich zu den raschelnden kleinen Unwesen im Graben unter den Farren, "wenn ihr einmal etwas zu besohlen habt, bringt es mir getrost, ich habe doch nichts zu tun.

Nun weiß ich nicht, ob es gleich so ernst gemeint war. Das Völkchen aber hat ihn beim Wort genommen. Abends, als der Schustergeselle gerade einschlafen will, knistert es vor seinem Fenster; zimperklein und fidel



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lustig kommt eines nach dem andern von draußen hereingehüpft, Männchen und Weibchen, und will, daß er sie begleite, um Schuhe zu nähen. Hu, der Schuster kriegt solche Angst vor dem Spuk, er zieht die Bettdecke über den Kopf und gibt keinen aut von sich, soviel die Knirpse auch am üch zerren und zupfen.

In der nächsten Nacht hat das Völkchen es leiser begonnen; die halbe Kammer stand schon voll, als der Schuster zu seinem Schrecken erwachte. Viele Stimmen piepsten, ihr Bruder Schuhmacher sei krank, und jede der kleinen Frauen habe daheim etwas zu klopfen und zu nähen und jeder der Herren etwas zu putzen und zu pechen, zu säumen und zu sohlen. Rasch solle er mitkommen, und gut verdienen würde er. Aber der Geselle bekam wieder solche Angst, er hat über eine Ausflucht nachgesonnen. Und weil es gerade der Sonnabend vor Ostern war und er Hose, Rock und Weste seinem Freund Schneider zum Bürsten und Bügeln gegeben hatte, konnte er erklären, wieso er vor der Frühe nicht aufstehen durfte. Im Hemd kann mari vor so viel Jungfern doch keine Schuhe nähen.

Das hat das kleine Volk denn auch eingesehen und ist, rischerasche und hickehacke, wieder übers Fensterbrett hinausgezogen. Aber morgen würden sie ihn mitnehmen, wie er wäre, haben sie gesagt.

Anderntags hat der Schustergeselle das Geschehene mit seiner Braut besprochen, und weil sie nun beide zum schönen Osterfest nicht einen Groschen in der Tasche, geschweige denn ihr Heiratsgut fanden, hat der Bursch allen Mut zusammengerafft und in der ersten Feiernacht selbst das Fenster aufgetan. Wenn das kleine Volk kam, wollte er ihm folgen Aber es sollte auch gut bezahlen, hat er sich vorgenommen.

Was meint ihr: gegen Mitternacht sind sie, kaum zu sehen woher, auf einmal wieder über das Fensterbrett geklommen, hübsche Elfen und Unterirdische die schwere Menge. Sogar ein dicker Hagemann ist dabei gewesen. Haben diesmal auch gleich Rock und Mantel und Hose für den Schuster mitgebracht. Und als das Zeug ihm zu klein schien und er nach seinen eigenen Sachen greifen wollte, da haben sie ihm blitzschnell alles übergestreift es paßte wie angegossen. Dann mußte er, hass du nicht gesehen,



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mit ihnen in die schönste österliche Nacht hinaus und weit in den Wald mein.

Das war aber ein buntes Leben da draußen; wie sollte es auch anders sein! Viele Tiere warteten schon auf den Schuster; kleine Katzen wollten neue Pfötchen haben, der Pudel weisse Stiefel, die Wichte blanke Langschäfter, und die Elfen wünschten blitzenden Silberbeschlag auf den



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Schuhen. Was hatte der Bursch für seltsame Kunden, und wie eilte er sich, alle zufriedenzustellen!

Selbst ein schlimmer Verlocker kam vorbei und hielt ihm hochmütig seinen Huf hin, er sollte ihn mit Leder umklopfen. "Hüt dich aber, ein einziges Mal daneben zu hauen", drohte der Böse und kicherte in sich hinein — es war wohl zu merken, was er erhoffte.

Der Schuster hatte indes seine Furcht vergessen, er beschlug den Huf mit dreidoppelten Hacken. Bis er jedoch die Rechnung ausgeschrieben hatte, war der feine hohe Herr zum Tanz, Und alle Tiere und kleinen Unholden waren auch von dannen, sie mochten den letzten Kunden nicht, und noch keiner hatte dem Wann etwas zum Sohn in die Mütze gelegt.

Da kam, es wird wohl gegen Mitternacht gewesen sein, eine schöne Hollentochter des Wegs. Auf die hatte der Wald gewartet; es klang und sang und flötete und trillerte ihr aus allen Zweigen entgegen, und viele Leute drängten sich schon von weitem und wollten mit ihr tanzen. Als die Frau aber den Fremden am Rand der Wiese sah, ging sie zuerst auf ihn zu; mit einem jungen Menschgesellen hatte sie lange nicht mehr getanzt, der schien ihr besser als alle wartenden holden und unholden Herren.

Der Schuster schaute gerade noch griesgrämig in die leere Mütze, er horchte kaum auf, als die Hollin zu ihm trat.

Ob er mit seinem Geschäft nicht zufrieden sei, begann Der Mann schüttelte ärgerlich den Kopf; die Hälfte des Leders, das er bei sich hatte, war schon daraufgegangen. Er nahm denn auch kein Blatt vor den Mund und beklagte sich bitter über die Leute, die nicht bezahlt hatten.

"Wollen doch einmal sehen, ob die nicht bezahlen können", lachte die Hollentochter. Und sie faßte den Schuster am Arm und tanzte mit ihm rund um die Wiese, immer von Schatten zu Schatten, wo kein Mond noch doppeltes Licht einscheinen konnte. Und alle Herren, die auf einen Reigen mit ihr gewartet hatten, und viele kleine Jungfern folgten eifersüchtig hinterdrein. Aber als auch der böse Verlocker mit seinen mannslangen Armen durchs Dunkel griff und beinahe die Tanzenden erreichte —krickkrack, sagte es, und er saß mit dem Huf in einem Fuchseisen. Und



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niemand durfte ihm helfen, ehe er nicht den Beutel gezogen und die halbe Mütze des Schustergesellen gefüllt hatte.

Als der Böse nun humpelnd und schimpfend von dannen gegangen war und die Musik wieder einsetzte —auf einmal hingen viele Spinnweben im dunkeln Gras der Waldwiese. Und alle Elfen, die den Tanzenden folgten, zerrissen sich die Schuhe daran. Als sie jetzt aber zum andernmal nach dem Gesellen riefen, da besannen sie sich auch und hatten kleine silberne Geldstückchen zum Lohn bereit — hätte ich nur den großen Schlapphut mitgebracht, dachte der Bursche schon. Sogar der Pudel sprang herbei, er hatte sich beizende Wolfsmilch über die juchtenen Stiefel gegossen, und die Katze hatte die Krallen durch die Schuhe gebohrt, als der Kater kam, und ich weiß nicht, was weiter den Leuten an kostspieligen Unfällen im Nu zugestoßen war.

Jetzt hatte der Schuhmacher zu tun! Gut, daß ihm alles windschnell von der Hand ging, das gehörte wohl auch zu solcher Zauberstunde. Und lustig war es, wie sich seine Mütze füllte! Bis an den Rand war sie schon gehäuft; was noch hinzukam, rollte schier ins Gras zurück. Aber am schönsten war es doch, als der Mann der Hollentochter die herrlichsten Perlen auf Spange und Lasche nähen mußte, so reich, wie er noch nie ein Paar Schuhe besetzt hatte. Es gelang ihm so gut, das Leder gleißte und flimmerte, es mußte eine Lust sein, die Hollin über die Wiesen zu führen. Nun dürfe er noch einmal mit ihr tanzen, sagte sie fröhlich —das schien ihr der höchste Lohn —, und dann müsse er eilig heim, ehe es hell werde.

"Hm", der Geselle blickte prüfend auf seine Arbeit und überlegte, wieviel sie wohl wert sei und was er dafür verlangen könne; ein rechter Gierhahn war er geworden.

"Gleich bin ich soweit", sagte der Schuster mürrisch und holte seine Mütze. Ihm ging durch den Kopf, daß er auch drüben jemand zum Tanzen hatte und daß ein Jahr länger war als eine Osternacht. Er hielt also der Hollentochter zuerst die Mütze hin, und alle Leute fingen an zu lachen.

Die hübsche Eitelkeit hatte wohl gemeint, ein Tanz mit ihr sei der schönste Lohn auf Erden. Sie war so erbost über den unhöflichen Schuster, sie



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gab ihm keinen Gulden, sie brach ihm keine Perle vom Schuh. Sie berührte ihn nur eben mit einem zornigen Wort. Da ist der arme Geselle wie ein altes Wagenrad in die Stadt zurückgepoltert, so als ginge es mit ihm geradeswegs in die Hölle hinein. Gottlob ist er nur bis in seine Kammer und mit dem letzten Satz genau unter die Bettdecke gefahren.

Aber die Mütze hatte er bei aller Angst gegen die Brust gedrückt, kopfüber wie kopfunter. Und die Leute sagen, der Schuster habe die ganze Nacht nicht mehr schlafen können, so eifrig habe er die Münzen zu zählen begonnen.

Es war reichlich genug Geld für Heiratsgut und Häuschen zusammengekommen. Viele meinen allerdings, ein wenig freundlicher wäre doppelt so lohnend für den Schuster gewesen, und ein Segen der Hollentochter hätte mehr als eine Perle vom Schuh gegolten, auf die es der Geselle in seiner Gier abgesehen hatte.


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