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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Osterfeuer

Mitten in der Stadt Hamburg liegt wie ein großer See der Unterlauf der Alster. Viele Vögel, die vorm allzu strengen Frost flüchten, besuchen ihn winters, Scharen von Möwen und Enten, wilden Gänsen und scheuen Schwänen. Die hausen dann an den grauen Eisrändern der Fährrinnen, und niemand vertreibt sie. Nicht einmal in den Hungerjahren tat man ihnen etwas an, obschon die kleinen Dampfer dicht genug bei ihnen vorüberführen.

Sie sind aber seit dem Winter zu Gast, als die Eisbrüder die Wasserkerle jagten. —

Die Vögel freuen sich heut über die offene Fläche, die sie bei uns finden, und auch die Grünen vom Grund brauchen sich nicht um Atem zu sorgen. In früheren Zeiten war das anders; da wurde die Alster in jedem Jahr eine weiße Ebene, auf der alles eben verdurstete, durch die



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arme Unholde Risse brachen oder mit Müh und Not ein Loch an einer Baumwurzel oder an einer Melle offenkratzten.

In einem Winter, in dem Hamburg besonders schwer unter der Kälte zu leiden hatte, sind nun —das wollte ich heute erzählen — einmal drei Eisbrüder vom Norden her auf der Alster niedergegangen. Sie waren auf der Suche nach neuen Knechten und machten es sich eines Nachts, unbekümmert um den Lärm in der Stadt, mit Fackel und Netzen bei der Lombardsbrücke bequem. Auf Wasserkerle hatten sie es abgesehen.

Die Gejagten hüteten sich aber, ihnen ohne Not ins Garn zu gehen. Zwei brachen schon in der ersten Nacht als Stiere beim Alsteedamm aus



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und gelangten schnaubend und prustend über die Zollenbrücke in die Elbe. Da riefen die Verfolger viele Vögel vom Norden, ihnen zu helfen, hieben Waken ins Eta und spannten Netze dazwischen aus, um die andern Wassermänner zu fangen. Aber die bollerten unter der Eisdecke entlang, husteten die drei argen Wintergesellen an, wenn sie nur den Rücken drehten, und versetzten in einen solchen Grimm, daß sie nicht mehr zu weichen schworen und die halbe Alster von Uhlenhorst big Harvestehude mit Netzen absperrten.

Die Stadt litt sehr unter der Kälte, die jene Fremden brachten. Es ging schon auf den Frühling, viele Häfen des Reichs waren frei von Eis. Nirgendwo hauste der Winter so arg wie in dem versteinten Hamburg. Was half's, daß viele schöne bunte Vögel zu Gast blieben und daß die Ufer schwarz von Gaffern waren, die von weit herbeigepilgert waren, um der wilden Jagd zuzusehen. Nichts konnte die schlimmen Eisbrüder zum Aufbruch bewegen. Wer näher kam, wurde mit ein paar polternden Blöcken verscheucht; Tag und Nacht jagten die Fremden mit eisernen Garnen von der Kuhmühle bis zu den Schleusen hinauf und hinunter.

Die Stadt fror entsetzlich; alle Leitungen sprangen, die Leute schliefen in den Küchen und verbrannten Stühle und Schränke, um warmes Essen zu haben. Endlich machten einige beherzte Männer am Mühlenkamp einen Schlepper klar, heizten ihn, bis die Funken zum Schornstein hinausfuhren, schlugen ihn los und versuchten, eine offene Rinne durch die Alster zu legen. Vielleicht — dachten sie — würden die Riesen ihr Beginnen aufgeben, wenn die Wasserkerle auch ohne ihre Garnlöcher wieder freie Luft hätten?

Sie kamen aber nicht weit. Als der Schlepper brechend und stampfend in die Alster einbog, rasten zwei Eisbrüder wie auf Schlittschuhen heran, packten unterwegs alle Zacken und aufstehenden Schollen, die sie ergreifen konnten, und hatten im Augenblick das kleine Fahrzeug überschüttet und die Rinne zugehaucht. Sie hatten auch bald mit viel Gepolter hohe Eisberge rundum aufgetürmt, so daß alle Leute am Ufer meinten, von der Besatzung würde keiner lebendig davonkommen.

Die Männer auf dem Schlepper aber hatten rasch das Feuer heraus



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gerissen, als sie die Eisigen sahen, und hatten sich in eine Koje verkrochen. Ganz mausestill lagen sie da und warteten, daß die Brüder sich wieder verzogen. Lange hörten sie die Unholde lärmen, endlich gegen Mitternacht wagte sich der Decksjunge als erster hervor. Die Eiskerle bliesen gerade die aufgerissene Rinne knüppeldick zu, er suchte sich ein zwischen den Blöcken rund um den Schlepper, und es gelang ihm, sich wie eine Ratte aus dem Bau zu winden und an Land zu sätzen.

Die Neugierigen am Ufer hatten sich über Nacht verzogen, alle Straßen waren schwarz und leer. Der Junge wollte schon an eines der dunklen Häuser anklopfen, da hörte er einen Huf über die harten Steine näher traben. Noch meinte er, es sei einer der Eiskerle, und wollte auf und davon. Aber beim Laternenschein kam ein lediges Pferd; pechschwarz war es, das Licht gleißte ihm gespenstisch über die Flanken. Mit Zaumzeug und Sattel hielt es schnaubend vor dem Jungen an.

Der war recht verwundert über die Begegnung, dann merkte er, sie hatte ihre Bedeutung. Er versuchte, einen Fuß in den Steigbügel zu setzen, und hob sich vorsichtig in den Sattel, da trabte das Tier schon wie im Flug die Straße hinauf und die Straße hinunter.

Wohin er geritten ist, hat er später niemand erzählen können. Zuerst zogen noch ein paar späte Menschen vorbei, sagt er, dann wurde alles totenstill. Mor einem alten Haus, das bis zum Nabel in die Erde gesunken schien, warf das Tier den Jungen ab, ohne daß er zu Schaden kam; ein Klöppel schlug ans Tor, er ging scheu darauf zu.

Die Tür sprang auf, als hätte er angeklopft. Eine hohe Halle mit matten Öllampen tat sich vor dem Burschen auf, dann eine Pforte zur Seite. Endlich gelangte er in ein schön geschmücktes Gemach, in dem unter Büchern und Rüstungen ein alter Mann saß; er hatte den Kopf halb in die Schulter gezogen wie ein Schlafender. Der Junge pochte und räusperte sich höflich. Da öffnete der Greis die Augen und blickte lange und vergrämt um sich.

"Die Stadt friert?" fragte er gedehnt, als träume er alles nach, was draußen vor sich ging.



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"Die Eisbrüder wollen nicht von der Alster", klagte der Zunge, er merkte jetzt erst, wie sehr die Kälte ihn schnitt, blies seine Finger an und trat von einem Fuß auf den andern.

Der Greis prüfte ihn mit schmalen Augen, ein Lächeln glitt ihm unter dem Bart entlang.

"Zündet die Osterfeuer an, davor graut ihnen!" Dann träumte er wieder in sich hinein; ein dumpfes Reiben und Klagen, fass unhörbar, erschütterte das Haus. Dem Jungen wurde unheimlich zumute, er wandte sich und schlug die Tür hinter sich zu.

In der Halle, durch die er gekommen war, hatte sich inzwischen ein breiter Brunnenrand aufgetan, Frauen standen schöpfend herum.

"Wer ist's, der da drinnen schläft?"fragte der Junge. Sie lachten, versuchten ihn zu greifen und wiesen in den Brunnen; aber der Gast riß sich los und lief fröstelnd vor die Tür. Das Pferd wartete noch, er setzte sich in den Sattel, hielt sich vorn und hinten fest und sauste wieder durch eine lange Reihe schwarzer Straßen, bis er endlich vorm Rathaus war.

Es ging zum Morgen; Lichter wie blasse Blätter wuchsen auf den Dächern, die Häuser öffneten sich, Fenster knarrten und klapperten.

Die Ratsherren der Stadt hatten in ihrer Sorge die ganze Nacht hindurch getagt, ohne daß sie bisher auf einen guten Gedanken gekommen wären. Als sie hörten, daß einer vom Schlepper vorm Tor stände, ließen sie ihn gleich vor, und als er in den Saal trat, horchten sie auf. Der Junge berichtete getreu, was er erlebt hatte, es gab ein großes Staunen und Merwundern. Zu dem Rat vom Osterfeuer schüttelten die Männer die Köpfe; weil sie aber doch alles versuchen wollten, ließen sie bis zum Frühgrauen auf beiden Seiten der Alster vier Haufen Teer und Holz aufschichten und allen Bläsern auf den Türmen auf eine bestimmte Stunde Bescheid geben.

Die Eisbrüder hatten während der Nacht noch einmal die ganze Alster nach den Wasserkerlen abgesucht. Gegen Morgen fanden die beiden an der alten Eilbek. Da berieten sie, und während einer bei dem übertürmten Schlepper hielt, mühten sich die andern, ihre Beute durch Schrecken und



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Poltern in die Netze zu treiben, die sie an der Lombardsbrücke ausgelegt hatten. Es war inzwischen heller geworden. Die Menschen sammelten sich wieder gaffend. Die Riesen jagten die beiden Wassermänner wirklich vor sich her, aufmerkend, daß sie nicht ausbrachen. Im Augenblick aber, als sie die Armen schon nah bei den Garnen hatten, zischten plötzlich auf vier Stellen des Ufers helle Feuer hoch, die Kirchen läuteten, und alle Menschen begannen zu singen und das fröhliche Osterfest zu begrüßen.

Als die Eisbrüder das hörten, vermeinten sie wahrhaftig, sie hätten die Zeit übers Jagen vergessen; oer der Ostern halten ihre weißen Wämser und ihre feuerroten Bärte ja nicht stand. Sie brüllten sich entsetzt an, hoben mit einem Ruck Pflöcke und Netze ans dem Wasser, luden sie über die Schultern und fuhren wie Nebel iii den Morgen hoch,

Es ist wirklich Frühling geworden, hals nachdem die Eisbrüder die Alster verlassen hatten. In wenigen Tagen waren alle Ufer übergrünt, so rasch, als wollten sie einholen, was versäumt war. Kleine weisse Wolken flogen über den blauen Himmel, die Vögel kamen mit ihnen, und die Wasserkerle konnten sich wie früher in den Sommer sonnen; eine lange Weile sind sie den Hamburgern gute Nachbarn gewesen.

Die Stadt hat auch anerkannt, daß sie dem Jungen Dank schuldete. Er hat den Schlepper, den die Eisbrüder zertrümmern wollten, vom Rat zum



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Geschenk bekommen und hat sein "eben lang emsig damit die großen Kohlenzüge von der Elbe zur Eilbek und Osterbeek, zur Goldbek und Isebek gefahren. — Die Eisbrüder aber hat der Betrug mit den Frühlingsfeuern so sehr verdrossen, sie sind nicht wiedergekehrt; nur die Wintervögel, die sie begleitet hatten, haben sich den Platz gemerkt, sie kommen heute noch zu jedem Frost fleißig als Gäste zu uns herüber.


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