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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Von der verkehrten Erlösung

Wenn ich nur ein Häuschen hätte oder etwas Land, dachte die hübsche Oedi, da bliebe ich nicht so einsam. Und dann weinte sie wieder, denn einer, den sie liebgehabt hatte, ging mit einer anderen und sah die arme Verlassene nicht mehr an.

Nun tappte gerade um die gleiche Stunde mit einem wichtigen Auftrag der Igel Stickelpickel die Straße entlang, der hörte das schöne Ding für sich hin klagen. Es tat ihm leid drum, er hat ja ein gutes Herz und kann niemand heulen sehen. Als er die Jungfer aber fragte, was ihr fehle, kriegte er kein vernünftiges Wort heraus und rief schließlich sein Weib herbei, weil er meinte, das könnte mit weinenden Mädchen umgehen. Dann lief er wieder seines Weges, er hatte es sehr eilig.

Aber da kam er bei seiner Frau schlecht an. "Willst du wohl hier



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bleiben, du schlimmer Kerl", schrie sie hinterher. "Da ist ein gutes Kind in Not, und du rennst weiter, als hätte dich 'ne Prinzessin gerufen.

"Wer hat mich gerufen?"fragte Stickelpickel und nahm vor Schrecken die kalte Pfeife aus dem Mund. Gleich tat er, als wäre es nur, um sich ein Lied zu flöten.

Die Frau hatte aber gar nicht so dumm geraten. Dem wackeren Stickelpickel war es nämlich zugestoßen, daß gerade zuvor, als er im Schummern so fürbaß ging, eine Fremde, nämlich eine Tochter der gütigen Holle, seinen Weg gekreuzt hatte. Ja, und sowenig die Art sich sonst mit kleinen Leuten abgibt, sie hatte ihn ins Gespräch gezogen. Was war geschehen? Ach, die schöne Hollentochter hatte eine Schwester, und die Schwester hatte wohl ihrer guten Mutter nicht gefallen und war von Frau Holle, schwupp, in einen Baum gezaubert, gerad als sie auf dem Weg gewesen war, Schloß und Dienerschaft und gar einen hohen Gemahl zu finden. Zwar hielten die Leute Frau Holles Spruch für gerecht, die Verwunschene galt als ein herzkaltes und eitles Ding, aber der Tochter Hinne — so hieß Stickelpickels Freundin — tat es leid um die Schwester und um ihrer Mutter Spruch. Und weil sie selbst nichts dawider unternehmen durfte, hatte sie dem Igel heimlich ein Schlüsselchen gegeben und ihn so recht von Herzen gebeten, den Baum der verzauberten Schwester aufzuschließen und sie zu ihrem Gemahl zu bringen. Ras so ein stachliger kleiner Kerl anstellte, meinte fiele wohl nicht weiter auf.

Als Stickelpickel sich nun schon im feierlichen Bratenrock auf den Weg gemacht hatte, um die Hollentochter aus ihrem Haftbaum zu befreien, gerade da war ihm die weinende Dedi begegnet. Und als er auch ihr mitleidig hatte helfen wollen, war sein Weib gleich bei ihm geblieben, obwohl es — alles Frauenvolk ist nun einmal eifersüchtig — von seinem anderen Auftrag ganz und gar nichts zu wissen brauchte.

Der Igel hatte den Schlüssel in der Tasche, er meinte indes, daß die Hollentochter und ihre verwunschene Schwester warten könnten. Sie gingen also zu dritt ihres Weges, links der Igel, rechts die Igelin und zwischen ihnen die weinende Dedi. Und Mann und Frau gaben gute



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Ratschläge und erzählten der Unglücklichen, daß es anderen Mädchen schon viel schlimmer ergangen, daß sie doch noch jung sei, und daß sie sich glücklich preisen solle, just diesen Bräutigam los zu sein, — was eben man so sagt, um arme Liebe zu trösten. Ja, Stickelpickel wußte so drollige Worte, Dedi trocknete schließlich die Tränen ab und mußte über den lustigen Nachbarn lachen.

Nun waren sie unterm Reden aber auf einen sonderbaren Weg geraten, den sie noch nie gesehen hatten, und merkten es kaum; wahrscheinlich hatte der Schlüssel in Stickelpickels Tasche sie ohne ihr Wissen da hinauf geführt. Der Himmel klarte auf, die Bäume wurden höher als sonst, viele Vögel wanderten mit ihnen, riefen einander, und um die drei Leutchen war ein Flüstern und Kichern, man wagte kaum hinzuhorchen. Auch stand einmal eine wunderliche Esche mitten im Weg, die war oben verastet wie ein Gesicht und schien unten hohl gewachsen. Als Stickelpickel das sah, fiel ihm ein, daß es vielleicht dieser Baum war, den ihm die Zauberin beschrieben, und daß er hier nach einem Schlüsselloch suchen sollte, wie die Hollentochter es ihm aufgegeben hatte. Aber konnte er seiner eigenen Frau etwas wie Hexerei vorführen? Der Igel blinzelte zur Esche hinüber, nickte ihr pfiffig zu und dachte: Na warte, wenn ich zurückkehre, helfe ich dir. Oder vielleicht morgen. Auf einen Tag kommt's wohl nicht an.

Nun war es aber nicht recht, daß Stickelpickel den Weg ging, ohne die Verzauberte mitzunehmen. Es wurde nämlich immer wunderlicher und geheimnisvoller. Türme und Tore wuchsen auf, die noch keiner gesehen hatte, auch tat sich ein breiter Burggraben auf. Als sie dem näher kamen, rasselte, ohne daß jemand es befohlen hatte, eine Zugbrücke nieder. Es war wirklich, als würden sie erwartet, — oder wenigstens der Schlüssel in Stickelpickels Tasche und die Braut, die mit ihm einziehen sollte. Die Frau des Igels schlug vor Erstaunen die Hände zusammen, die arme Dedi machte große Augen und wußte kaum noch, was ihr geschah, und Vater Stickelpickel hatte viel zu tun, alle Schildwachen zu grüßen, die an den Seiten des Weges standen und das Gewehr schulterten, wo er nur mit den beiden Frauen entlang kam.



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Sehr wichtig und schön fand Stickelpickel alles, was die Leute taten. Ihm war nur zumute, als wenn es nach dem Sinn der Hollentochter richtiger gewesen wäre, wenn er, statt mit Weib und Dedi, mit der in dem Baum Merbannten diesen Weg gegangen wäre. Aber vielleicht war die Verwunschene mit Recht bestraft, dachte er sich, und hübsch war es, den zwei Frauen einmal zu zeigen, wie es auf Schlössern zugeht. Sein Weib erschrak zwar noch, wenn die Trommeln sich rührten und die Pfeifen einfielen, es wurde auch ein wenig ängstlich, als sich reitende Diener vor den Zug setzten und die großen Pferde so himmelhoch vor ihnen herschritten, — oh, man wagte gar nicht, nach oben zu sehen.

Aber Dedi wußte, wie man sich zu benehmen hatte; sie bekam unter den Augen der Leute rote Backen, das stand ihr gut, sie hatte auf einmal auch ein schönes Brautkleid an und ging so zierlich, als wenn sie eine Hochzeit vorhatte. Hübsch war das, Stickelpickel nahm die Pfeife aus dem Sund und wurde ganz andächtig. Macht alles mein Zauberschlüssel, dachte er. Aber als er sich vorstellte, was die Hollentochter Hinne zu der Verwechselung sagen würde, war ihm zumute, als stünd' der Himmel voll brauner Haselstecken. Die Angst kommt von der Herrschsucht der Weiber, entschuldigte er sich, wir armen Männer müssen's dann aushalten.

Über solche Gedanken hatte man den großen Schloßhof durchquert; die reitenden Diener teilten sich, schwenkten nach beiden Seiten ein und standen wie eine Mauer. Stickelpickel aber und seine Frau und die schöne Dedi mitten zwischen ihnen sahen ein versperrtes hohes Tor vor sich und vernahmen wunderherrliche musik, die dahinter erscholl.

Wie das wohl enden wird, überlegte Stickelpickel, und weil sich die Tür nicht öffnete, wollte er sich schon die Pfeife anzünden; er meinte, kleine Leute würde man warten lassen. hörte er, wie einer der Reiter besorgt flüsterte:

Hest denn keen Slötel, Stickelkopp?
Holl di nich op,
Dat gelt dien Lewen,
Schallst Bruut und Bregamm tosamen gewen:



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Da erschrak der Igel gewaltig, er drückte rasch die Pfeife aus, steckte sie in die Hosentasche, holte umständlich das goldene Schlüsselchen der Hollentochter hervor und — sieh da, es zog ihn von selbst zum Schloß! Weit sprangen die Tore auf; ein junger Bursch stand auf der Treppe, der war wohl der Oberste von allen. Gleich verbeugte er sich vor der schönen Dedi, brachte einen Werbespruch vor, küßte sie, die nur schämig nickte, und umarmte sie vor allen Leuten. Den armen Igel sah er kaum in seinem Glück. Der hatte ja genug mit Mutter Stickelpickel zu tun; sie schluchzte vor Freude und fragte, warum ihre Kinder nicht auch einmal so etwas erlebten. Dann führten die Diener Braut und Bräutigam und Gäste unter Musik und Hurrarufen zu einer langen Hochzeitstafel. Und der Hofpastor sagte feierlich, Dedi sei das rechte Weib, das der Himmel seinem Herrn geschickt habe. Wie lange sie gefeiert und geschmaust, was Stickelpickel und seine Frau noch zum Lohn bekommen haben und wieviel Trinksprüche die Gäste aufeinander ausbrachten, —ich weiß es nicht.

Der Igel hat nicht ganz soviel Freude am Fest gehabt wie die andern Leute; er war etwas schweigsam und mußte oft bedenken, was die Hollentochter Hinne wohl sagen würde, deren arme Schwester noch immer im Baum saß und vielleicht von fern alles mit anhören mußte. Als die Hochzeit zu Ende war und er seine Frau glücklich heimgebracht hatte, faßte Stickelpickel sich auch ein Herz — er mußte als ehrlicher Mann ja den Schlüssel zurückbringen —, ist zu der schönen Hinne gegangen und hat sich auf dem Weg mit Herzklopfen überlegt, wie er sich recht entschuldigen und alles als ein großes Glück darstellen könnte.

Als er der Frau dann aber begegnete und sah, daß sie ihm zwar freundlich winkte, aber eine Hand hinterm Rücken hielt, ist ihm aller Mut entfallen. Er hat ihr den Schlüssel vor die Füße geworfen und hat sich, hatz, umgedreht und das Weite gesucht. Die zornige Hollin ist drei Schritte hinterdrein gesprungen und hat ihn mit ihrem Haselstecken erwischen wollen. Der Igel aber hat in seiner Angst alle Borsten gesträubt, so daß die Gerte, von den Stacheln gespießt, auf ihm hängenblieb. Dann zog er — hast du was, kannst du was — aus dem Feld.



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"Mach mir das Ding ab", befahl er, als er schnaufend zu seinem Weib heimkehrte.

"Mann, mit wem hast du dich geschlagen?"

"Ich hab der Hollentochter gezeigt, nach wessen Willen die Welt regiert wird", sagte Stickelpickel hochmütig. Und dann erzählte er, wie alles gekommen war.

Da hat die Frau getan, was er verlangte. Und sie war so stolz auf ihren Mann, sie hat sich vorgenommen, bis zum andern Tag nichts mehr besser zu wissen und alles zu befolgen, was ihr Herr verlangte.

Aber wie lange solche guten Vorsätze bei Frauen vorhalten, ist ja bekannt


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