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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Weihnacht bei den Tieren

So alt war Bauer Krohn, daß er sich auch auf sein Gehör nicht mehr verlassen konnte, das ihm doch bislang gut gedient hatte. Immer glaubte er, es kämen Schritte — er wartete ja, daß sein Sohn von drüben ihn zur Weihnachtsfeier holte, aber er wartete schon lange, man hatte es wohl vergessen. Niemand besuchte ihn in seiner gichtigen Einsamkeit.

Als der Alltenteiler da nun trübselig saß, überlegte und halblaut seine Gedanken vor hin sprach, stand auf einmal der kleine Busemann vor ihm, das ist der Knirps aus dem Stall, den man nur zu hohen Festen sieht. Kindsgroß schien er und hatte eine neue rote Mütze auf dem Kopf.

"Kommst mit, Vater Krohn?

"Wie soll ich mit dir gehen", knurrte der Alte, "meine Kinder werden mich gleich holen! "Der Zwerg murrte und war nicht mehr zu sehen.

Nach einer Weile kam Busemann wieder.

"Willst jetzt mit, Suter Krohn, das Essen bald gar!

"Schönen Dank, Busemann, aber sie zünden drüben wohl noch die Lichter an." —



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Als wieder eine Stunde vergangen war, zeigte sich der Kleine zum drittenmal. "Die drüben sind schon mitten im Feiern, kommst jetzt mit mirs

Da nickte der Bauer trübsinnig; Busemann kletterte blitzschnell auf den Stuhl und zog ihm seine gestrickte Mütze über den Kopf. Was glaubt ihr? Im Augenblick, wo der Mützenrand die Brauen berührte, saß der Alte, hui, durch Wand und Tür hindurch bei den Tieren im Stall. Die Ohren sausten ein wenig, sonst war nicht viel Besonderes dabei.

Am Weihnachtsabend war Vater Krohn nie lange im Stall gewesen, er sah jetzt ein, daß man zu allen Lebzeiten noch hinzulernen muß. Wie gemütlich hatte dieser Busemann es sich doch eingerichtet! Nahe der Laterne, die über die Kuhköpfe hinflimmerte und noch die Pferde beschien, hatte er ein Laken über eine alte Haferkiste gehängt. Fein und wunderlich war das Muster, es mußte jemand an die hundert Jahre dran gewebt haben. Und eine Milchkruke stand darauf und zwei Messer und zwei Teller; Krohn rieb sich die Augen, das hatte er nicht für möglich gehalten!

War aber noch längst nicht genug! Busemann kroch wie durch ein Mauseloch fort und kehrte nach einer Weile mit einer brutzelnden Pfanne Bratkartoffeln wieder. Und als der Duft davon durch den Stall zog, ruschelte der Igel aus dem Stroh, wünschte fröhliches Fest und hielt den Hut hin, um sich etwas Abendessen zu leihen. Und die Ringelnatter, die bei den Kühen wohnt, solange man denken kann, nahte mit einem Kragen von kleinen Glocken um den Hals und mit einem Krüglein wegen der Weihnachtsmilch. Als die beiden aber den Altenteilsbauer sahen, vergaßen sie, warum sie gekommen waren; der Igel machte einen höflichen Kratzfuß, holte eine Pfeife aus der Tasche und fragte, ob einer der Herren eins mit ihm rauche. Und die Schlange hob und drehte sich. Wäre der alte Krohn nicht so taub gewesen, hätte er sicher gemerkt, daß die kleinen Glocken in ihrer Halskette wie ein Weihnachtslied klangen. Dann, als sie schon zusammenrücken wollten, schlug es draußen vom Kirchturm Mitternacht. Mit dem zwölften Schlag klirrte und polterte es,



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fielen allen Tieren die Ketten ab; ja, mehr noch, sie begannen sich wie die Menschen über allerhand Dinge zu unterhalten. Mon Koben und Raupen kamen sie, stellten sich, so gut es ging, zum Tisch und erkundigten sich nach des lieben Gastes Gesundheit; die Stute sagte ihm ein altes Hausmittel gegen die Gicht, und jeder fügte einen Wunsch für Weihnachten hinzu. Aber die Tiere waren auch höflich; keines von ihnen fragte, warum der greise Bauer das Fest gerade hier im Stall feierte.

So wurde es wirklich eine schöne, gemütliche Stunde; der Igel legte etwas Tabak auf das Tischtuch, er hatte genug für jedermann, und der heisere Wachhund, der drüben bei den Menschen weggejagt war und humpelnd zum Tor hereinkam, wußte eine ellenlange traurige Liebesgeschichte, der alle kopfschüttelnd zuhörten. Sogar die fünf großen Balken überm Stall fanden in dieser Stunde die Sprache und redeten ernst und weise von der Zeit, wo Bauer Krohn jung gewesen war. Sie kannten noch jede Kuh beim Namen, die er einst gehabt hatte.

Sonderbar, sann der Alte, da muß man von seinen Kindern vergessen werden, um zu erfahren, wer alles an einen denkt



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Ob er sich nicht auch eine Pfeife anstecken wolle, fragte der Igel wieder und reichte den Tabaksbeutel herauf. Gewiß, sagte Krohn, er hätte wohl Lust drauf.

Während er sich noch verwunderte, wo er eigentlich hauste und wie alles möglich wär, begann eine sanfte Musik vom Stallende. Die Leute standen auf und riefen, der Ommegang, das ist der feierliche Umzug, aus dem Garten sei da. Traten auch schon mit Lichtern durch ein Tor der Erde sieben Unterirdische ein, hinter ihnen das Brunnenfräulein, danach drei dicke Apfelknechte und neun Hollerfrauen. Die Weibsen hatten Schnee an den Füßen, schüttelten sich, tanzten doch gleich wieder und trieben mit allen Tieren ihren Schabernack. Der arme Hund wurde umgeworfen, weil er zu sauertöpfig dreinschaute, und Busemann klopften sie auf die dürren Schenkel und wünschten ihm auf seine alten Tage, daß er noch etwas wüchse.

Wirklich kam der halbe Garten mit Singen und Klingen und Tanzen bei den Kleinen im Stall zu Besuch. Immer mehr Leute fanden sich ein; die Kühe warfen die Köpfe, als könnte ihre Art noch reigen lernen, und auch die Schweine grunzten und standen auf den Hinterbeinen.

Dann, auf einmal, geriet alles ins Laufen, hin und her, husch, husch, husch, und auf und davon. Die Lichter und winzigen Laternen waren wie fortgeblasen, nur die Brunnendirn, welche die Größte im Ommegang gewesen



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war, hatte Mühe, durchs Tor hinauszufahren. Sogar die Tiere trappelten und trabten wieder an ihre Plätze, steckten die Köpfe ins Geschirr und taten, als wenn sie von nichts wüßten. Da ging die Tür auf, und-der junge Bauer leuchtete in den Stall.

"Mein Gott, wie bist du hierhergekommen, Vater?" fragte er. "Wir suchen dich überall!

Der Altenteiler wollte erst böse antworten, dann blickte er traurig in die Ecke, wo der bunte Ommegang verschwunden war. "Laß mich heute abend hier.

"Willst nicht zu uns kommen, Vater?" bat der Junge. Er sah ein feines Tischtuch über die Krippe gedeckt, wunderte sich und hatte ein schlechtes Gewissen.

Der andere winkte ihm. "Geh nur, ich habe noch was zu bereden. Da ist ein alter Freund zu Besuch", sagte er, "der wird gleich wieder da sein!"


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