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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Frau Holle und der verwunschene Müller

Da war einmal ein Müller in unserer Stadt, den hat Frau Holle unters Wasser verwünschen, weil er viele arme Leute mit seinem Mehlmaß betrogen hatte. Nun mußte er in seinem tiefen Haus frieren und die Dreckmühle unterm Hafen selbeigen drehen.

Um dem Wann jedoch Gelegenheit zur Buße zu geben, hat Frau Holle ihn in jeder Weihnacht einmal unter die Menschen gelassen. Er hat indes nicht anders als lästerlich über aller Leute Tun und Treiben reden können, nichts hat sein böses Herz erwärmt. So ist es an die dreißigmal geschehen, in jedem Jahr hat er nach der heiligen Nacht, verstockt wie zuvor, wieder an seine Dreckmühle gehen müssen.

Nun ist aber der Winter, von dem ich spreche, besonders hart gewesen. Das Brot war zu Ende, die Menschen haben kaum Feuer gehabt, so schwer war es, Holz aus den Wäldern zu beschaffen, und alle Schiffe im Hafen waren zwischen den Flutschollen eingefroren oder erdrückt. Selbst der arge Müller hat nur mit Mühe vermocht, nach oben zu kommen, so stark war die Eisdecke geworden.

Ein armer Klabauter, der auf einem Holzewer wohnte, hat ihn an jenem Weihnachtsabend als erster erspäht. Er hat gemeint, solch Verwunschener wisse Wetter zu machen, und hat gefragt, ob er den Menschen nicht einige



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warme Tage schenken könne. Aber der Müller hat mit seiner Hand zum Rücken gewiesen, er hatte ja nur den einen Wunsch, alles Arge noch ärger zu machen. lachte auch, als er eine arme Wildente sah, die festgefroren war und ihn jammernd um Hilfe bat, und schratterte, als die großen Wasserkerle bullernd und polternd unter dem Eig entlang fuhren und in ihrer Atemnot nach dem Loch suchten, durch das der Müller hochgestiegen war.

Als er sich nun durch die Stadt trieb, zufrieden, daß die Menschen erschrocken auswichen, wo er sich zeigte, ist der Verwunschene auch bei der alten Mühle auf dem Stadtwall vorbeigekommen, in der er einst gewohnt hatte. Die Mauern waren verfallen, die Flügel ohne Bespann, seine Kinder waren armes Volk geworden.

Der Wiedergänger sah sich alles an und wollte schon ingrimmig weiterlaufen, zufrieden, daß es ohne ihn nicht ging. Da trat ein kleines Mädchen, das mochte seiner Tochter Kind sein, aus der Tür. Es war dünn gekleidet, hatte nur ein buntes Tuch um die Schultern und wurde in die großen Straßen der Stadt geschickt, um Hampelmänner an die weihnachtsgeschäftigen Leute zu verkaufen.

Der Müller stapfte hinterdrein; er wollte einmal erfahren, was daraus würde. Ja, er ist selbst wie ein schlimmer Gast neben der Kleinen einhergetrottet, hat sie erschrecken wollen und kichernd gefragt, ob wirklich die Menschen für solches Zeug Geld bezahlten.

Aber das Kind hatte keine Furcht vor dem unheimlichen Greisbart; es ist gleich stehengeblieben und hat, so arg der Fremde auch aussah, ihn gebeten, ihm einen Hampelmann abzukaufen. Der Verwunschene, der geglaubt hatte, das kleine Mädchen würde schreiend davonlaufen, war erstaunt über seine Furchtlosigkeit und hat den Balg verblüfft entgegengenommen. Als er jedoch einen halben Groschen bezahlen wollte, ist er in Verlegenheit gekommen; er hatte ja nur uralte versparte Münzen in der Tasche und wußte durchaus nicht, wo er neue herholen sollte. Weil er indes gerade einen Zwergalten mit einem gestohlenen Wecken aus einem Laden laufen sah, hat er den Dieb abgefangen, hat ihm das Brot aus den



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Fingern gebrochen und es dem Mädchen in den Mund gesteckt. Und das Kind hat so heißhungrig zugebissen, der alte Mann hat wohl gemerkt, daß es lange nichts mehr zu essen gehabt hatte.

Da wurde der Müller begierig, was weiter aus dem Verkaufen würde; vielleicht hat er auch erfahren wollen, daß niemand besser und schlechter geworden, als er selbst zeit seines Lebens gewesen war. Er hat sich also von dem Mädchen durch die dunklen Straßen bis zum Dom führen lassen, wo die geschäftigen reichen Leute von Laden zu Laden eilten. Und er hat dem Kind vorgeredet, wie dumm es von den menschen sei, sich zum Fest lauter nutzlose Dinge zu schenken und Hampelmänner nach Haus zu schleppen. Ja, er fragte sogar, was es sich selbst zu Weihnachten wünschte, er fragte eigentlich nur, um sich an einer eitlen Antwort zu weiden. Das Mädchen aber verlangte gar nicht viel. Nur ein kleines Tannenbaumlicht hätte es gern gehabt, weil doch die andern welche besaßen, — und auch ein großes Brot zum Sattwerden.

Dem Müller, der einst viele Lichter und viel Mehl und Brot sein eigen genannt hatte, ist wunderlich ums Herz geworden. Und weil er nicht anders zu helfen vermochte, hat er für das Kind die besten Straßenwinkel zum Verkauf der Weihnachtsmänner ausgesucht. Ja, wenn die Menschen die kleine müde Stimme nicht hörten, hat er zornig den Hut von seinem eisgrauen Haar gezogen und hat mit rauhen, barschen Worten die Bitte des Mädchens wiederholt. — Kauft Hampelmänner, schöne bunte Hampelmänner — Er hat dabei immer noch gemeint, er mache sich nur einen schlimmen Spaß, wenn er betteln ging, aber es war doch das erste Erbarmen, das über ihn gekommen war.

Ich werde für das Kind ein Licht und ein Brot stehlen müssen, dachte der Müller zugleich, die Menschen taugen heute ebensowenig wie zu meiner Zeit und werden ihm nicht helfen. Aber während er sich umsah, kain schon dieser und jener und kaufte dem Mädchen etwas von seinen Sachen ab, Buhmann und Hampelmann und Knecht Ruprecht und was das Kind sonst noch gemalt und ausgeschnitten hatte. Und der alte Mann dankte den Leuten.



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Nun ist während der Zeit, die der verwunschene Müller in der Straße stand, der Zwergalte, dem er das Brot abgenommen, zornsprühend zu den Seinen gelaufen und hat ihnen erzählt, was ihm geschehen war. Die haben es blitzschnell anderen zugeschrien, jemand hat es die Windischen wissen lassen, und irgendwie ist auch zu Frau Holle die Klage gekommen, der schlimme Müller, dem alle Weihnachten einen Tag Gnade gewährte, sei nur aus, um zu rauben und zu stehlen, und sie müsse ihn rasch wieder zu seiner Dreckmühle unterm Wasser heimsenden.

Da ist die Hollin, wie eine Ratsfrau gekleidet, selbst durch die Stadt gegangen, um sich anzusehen, was der Verwunschene triebe. Sie ist dabei auch an dem kleinen Mädchen vorübergekommen, das in einem Straßenwinkel kauerte und frierend sang und seine bunten Bilder verkaufte. Neben ihm aber hat der betrügerische Müller gestanden, das hat die Zauberin sehr verwundert.

Als nun solch schöngekleidete vornehme Frau kam: "Bitte", hat der Alte gesagt und den Hut von seinem grauen Kopf gezogen, "ach, Herrin, kauft dem Kind etwas ab.

"Warum soll ich ihm etwas abkaufen, hat es denn keine Mutter mehr?"

"Eine Mutter hat es wohl", antwortete der Mann, "aber es ist nichts zu beißen und zu brechen im Haus. Und das Kind kann nichts dafür.

"Können denn andere dafür?" fragte die Fremde.

Nun, Frau Holle habe den Müller verwünschen, den hätten die Leute in der Mühle nötig, murrte der Alte.

Die Ratsherrin blickte voll Mitleid auf das arme Mädchen. "Und kann sonst niemand dafür als Frau Holle?" forschte sie weiter.

"Ach", seufzte der Mann, "der schlimme Müller hatte wohl Schuld, und den hat seine Strafe getroffen. Aber das ist eine alte Sache und nicht mehr zu ändern —bitte, gute Frau, kauft der Kleinen einen Hampelmann ab, er kostet nur einen Groschen.

Als er nun seine Reue sogar vor fremden Leuten merken ließ, hat sich die schöne Holle damit zufrieden gegeben; sie fühlte zuviel Erbarmen mit



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dem frierenden Kind. Und sie hai die beiden ohne ein Wort an die Hand genommen und ist mit ihnen zur Mühle auf dem Wall geschritten. Der Verwunschene hat nicht gewußt, was ihm geschah, er wollte sich der Fremden entziehen, hat es jedoch nicht fertiggebracht, einen Finger zu lösen. Da ist ihm aufgegangen, wen er angeredet hatte, und er wünschte sich in seiner Furcht gleich unters Wasser heim.

Aber die Frau hat ihn immer noch nicht freigegeben, bis sie alle drei im alten Mahlraum der Mühle waren. "Wenn du meinst, daß das Kind dich nötig hab", hat Frau Holle gesagt, "so magst du hierbleiben." Und alle Leute der Mühle sind staunend hinzugelaufen, weil im gleichen Augenblick ein großer Lichterbaum mit vielen Gaben im Mahlraum stand. Aber bis sie der fremden Frau gedankt hatten, die ihnen die Feier gerichtet, waren die Menschen



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schon allein. Die schöne Holle hat in den Weihnachtstagen nicht viel

Den Leuten in der Mühle ist es von da an besser gegangen; der Müller hat nicht unters Wasser heimkehren brauchen, niemand rief ihn in jener Nacht zurück. Er hat sogar noch einige Jahre arbeiten und die Mühle wieder in Gang bringen dürfen. Dann ist er eines irdischen Todes gestorben. Das kleine Mädchen aber hat schon lange nicht mehr nötig, Hampelmänner zu verkaufen. Es war bekanntgeworden, daß dem Müller vergeben war, da sind die Menschen wiedergekommen und haben Korn zum Wahlen gebracht. Und das weiß ich auch, es ist immer guter Wind in den Flügeln der Mühle gewesen, sie hat nie lange zu rasten brauchen.


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