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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Spahengeschichte

Als die Kellner im Garten alle Tische abgedeckt hatten und die letzten Leute den alten Fährhof, in dem sich tagsüber soviel Gase an den Blumen und dem weiten Wasser ergötzen, verlassen hatten, da kamen die Sperlinge noch einmal ungestört zu ihrem Recht und sammelten die Brotkrusten und Kuchenbrocken unter den Tischen. Es wurde schon dunkel, sie sputeten sich, denn sie waren müde vom langen Tag; aber ihre bese Ernte halten sie doch abends, wenn die Menschen gegangen sind, nämlich gerade bevor die Stunde der andern Welt schlägt.

Der eiligste und der hungrigste von allen Spatzen, das will ich gleich bemerken, war Krümeling.

Und Krümeling es denn auch gewesen, der, als er zwischen den Kuchenbrocken rasch einmal trinken wollte, unter den Büschen den kleinen schlafenden Jungen gewahrte, von dem ich erzählen will.



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Mein Gott, dachte der Sperling erschrocken, wie werden die armen Eltern in Sorge sein! Er hatte nämlich mit anhören müssen, wie erst dem Kind sein Holzpferdchen weggeschwommen war, wie es überall danach gesucht hatte und wie dann Vater und Mutter ihren Jungen verloren hatten und ihn zu ihrer Verzweiflung nicht wiederfinden konnten.

Gleich flog Krümeling deshalb dem Schlafenden auf die Hände, um ihn zu wecken, und der schlug die Augen auf, als der Spatz an seinen Fingern pickte, und wußte zunächst gar nicht, wo er war.

"Ja", schalt der Vogel und plusterte sich gewaltig auf, "das kommt davon, wenn man seinen Eltern wegläuft; nun mußt du mit unserer Gesellschaft fürliebnehmen.

Das Kind rieb sich die Augen und wollte anfangen zu weinen.

"Laß das Heulen sein", keifte Krümeling, "sag lieber, wie wir dich nach Haus bringen sollen. Weißt du denn, wo wohnst?

Nein das wußte das Kind nicht. Es wußte nicht mehr, als



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daß es Vater und Mutter und ein Holzpferdchen gehabt hatte, das ihm weggeschwommen war. Und Hunger hatte es jetzt auch, solchen Hunger, daß ihm der Leib weh tat. "Nun, komm nur mit mir", riet Krümeling wichtig, vielleicht kann jemand im Garten Bescheid geben?

Über die Geschichte mit dem verlaufenen Jungen hat der Sperling aber seine Schlafenszeit verpaßt, es waren schon allerhand andere Leute in und um den leeren Fährgarten. Ein kleiner Klabautermann hockte draußen auf einem Segelboot, er hatte laternengroße Augen und blickte erstaunt das verirrte Kind an; zwei alte Baumstubben trieben im Wasser, pruschten vor Neugier, und drüben, unter den Brückenbögen, saß der Riese Langebart und winkte mit beiden Händen. —Aufzustehen wagte er nicht, er hatte ja seine Geldkiste unterm Sitz.

Die Vögel kümmern nicht viel um diese Art Gesichter, sind nicht so dumm wie manche Menschen, die sich davor fürchten. Auch der kleine Junge war tapfer und wunderte sich kaum über die fremdartigen Leute. Als ein dicker Stubben ihm die Hand gab, schlug er drein, und der Alte machte sich vor Erstaunen krumm und versuchte einen Bückling; ja, der Knirps nickte sogar einer schönen Frau Hollentochter zu, die grade unter der Wurzel der großen Buche aufhuschte, und lief immer noch vertrauensvoll neben Krümeling her.

"Hunger", jammerte er wieder, und "Pferdchen verloren".

Mein Gott, Hunger hatte er schon einmal gesagt, und Krümeling hatte gar nicht achtgegeben! Rasch pickte er einige süße Brocken zusammen, die satte Menschen hatten fallen lassen, und brachte sie dem Kind. Da wurden die Brocken in dessen Hand groß wie richtige Kuchen; was aus rechtem Mitleid geschenkt wird, macht immer satt.

"Zu Bett", klagte der Knirps dann wieder, er war von Herzen müde, und Krümeling flatterte von Baum zu Baum, um überall zu fragen, wo wohl ein Bettchen frei sei. Denn wo der kleine Junge zu Hause wäre, wußte niemand.

Alle Leute aber hatten Mitleid mit dem Verirrten; der große Stubben schenkte dem Kind einen Stock, um damit zu spielen, ein Klabauter kam



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und hatte ein feines geschnitztes Schiffchen in der Hand, und die Hollentochter und die Rosenmutter, die ihre Zweige gerade am Geländer entlang wand, brachten ihm kleine Knospen zum Spielen. Sie meinten, er würde zuschauen und warten, bis die Blumen aufgingen.

Aber das Kind war so müde, es wollte schon wieder weinen, alle Wesen gerieten in große Sorge. "Zu Bett", sagte es und wußte doch nicht zu antworten, wenn man es fragte, wo sein Bett denn sei.

"Vielleicht findet er sich bei Licht zurecht", meinte eine Elfenfrau, grub einen Span Mondlicht aus dem Wasser und leuchtete damit, wie mit einem kleinen silbernen Feuer. Aber das Feuer hüpfte nur vor dem Knirps einher, irrte durch den Garten und kam wieder dahin, wo es zu Anfang gestanden hatte. Ratlos waren die Leute, und der Junge begann wirklich zu heulen.

Er wird zu müde zum Laufen sein", sagte Krümeling endlich und versuchte, das Kind auf den Rücken zu nehmen, aber es war viel zu schwer, der Spatz konnte nicht mit ihm auffliegen.

"Bei uns steht ein Bett frei riet der Klabauter und winkte von seinem Segelboot.

Bei mir ein viel schöneres", lockte die Hollentochter eifersüchtig.

Ich werde mich rund um dich ranken", schlug die Rosenmutter vor, der kalte Wind soll nicht durchkommen. Kriech nur bei mir unter, Kind!

Aber der Junge schüttelte wieder den Kopf und wollte zu Vater und Mutter.

Grade da sah der ratlose Krümeling das verlorene Pferdchen des Kindes im Wasser schwimmen, es trieb zwischen den Stubben und losen Wurzeln. "Das wird den Weg wissen", sagte er rasch zu den Leuten und rief auch schon hinüber: "Willst du nicht eben kommen und den Jungen heimbringen?" Aber das hölzerne Pferdchen hörte nicht, so herrlich spielte es mit den Fischen im Wasser.

Da lachte die Hollentochter. "Das isi ja ein ungezogenes Ding", meinte sie. Und sie ließ sich an einem überhängenden Buchenzweig big dicht zum



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Wasser nieder, hatte, schwupp, des Tieres Mähne gepackt, hob es hoch und kletterte in den Garten zurück. Da hatte sie es ja in ihrer Gewalt. Auch der kleine Junge sah das Spielzeug, — oh, wie lange hatte er es schon gesucht, müde gelaufen hatte er sich danach! Gleich setzte er sich darauf, und das Pferdchen fing an zu traben. — Jawohl, um diese Stunde war es kein dummes Holzpferd, sondern konnte herrlich traben. Und was das allerbeste war, es wußte sogar den Weg nach Haus Das kleine Licht
hüpfte voran, der Klabautermann schrie vor Verwunderung, und die schöne Zauberin freude sich ihres Werks.

Der Herr Krümeling aber hat sich ungeheuer wichtig gemacht, er hat seinen Schützling straßauf, straßab bis vor seine Haustür begleitet und hat mit dem Schnabel so lange an die Glocke gestoßen, bis die Leute die Tür aufmachten und ihren Jungen und sein Holzpferdchen wiederhatten. Und sie haben ihr Kind geherzt und geküßt. Aber auf Krümeling, der sich doch so viel Sorge gemacht hatte, haben sie kaum geachtet.

Nun, dachte der Spatz, der Kleine wird es mir danken, wenn ich ihm morgen begegne. Aber als der Junge am nächsten Tag wieder im Fährgarten war, hat er von all dem, was in der Nacht geschehen war, nichts mehr gewußt und hat Krümeling nur ein paar magere Brocken von seinem Brot zugeworfen. Und die Buche, aus der die Frau Hollentochter



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gekommen war, hat er nicht einmal angeschaut, und eine wunderschöne Blume, die ihm die Rosenmutter in den Weg hing, um ihn zu mahnen, hat er beinahe abgebrochen. So sind die Menschen oft, sie wissen zu wenig von dem, was alles sich in der Nacht um sie müht, und haben keinen Dank dafür.

Geben wir acht, daß wir's besser machen und für die Vöglein sorgen und den Blumen wohltun und daran denken, wieviel gute Geister und Engel helfend um uns sind.


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