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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Die Zauberrute

Zu einer Zeit, als unser Land sehr arm war, als der Feind große Teile losgerissen hatte und seine Heere auf unsern Feldern lagerten, da machte sich auch der Verlocker, das ist der Teufel, die Trostlosigkeit der Menschen zunutze. Er kaufte sich mit falschem Geld viele Kleinode und Schmuckstücke und war besonders darauf bedacht, heimlich die Wünschelruten und Allertürschlüssel im Land in seine Hand zu bekommen.

Nun war da in einer Stadt im Süden irgendwo ein altes Gebäude, in dem lag, das wußte er, unter allerlei Gerümpel eine solche Zauberrute verborgen. Eine Greisin hatte sie besessen, ohne zu ahnen, was für einen Schatz sie im Hause hatte. Jetzt war die Arme in ihrer Kammer Hungers gestorben.

Aber der Locker wußte Bescheid und machte sich auf, das Zauberreis zu gewinnen.

Das war indes gar nicht so leicht; der Uralte, dem das Sunder einstmals gehört hatte, ging in der Stadt um und wachte über seinen Schatz; nicht Mann, nicht Frau, nur ein unschuldiges Kindlein vermochte die Rute aufzuheben, jedem anderen war der Tote über.

Und es mußte zum Christmarkt sein, sonst fand das Kind sie nicht.

Der Verlocker fuhr also durch das Tor, stieg in einem großen Gasthof ab und besah sich die Stadt, die wie alle anderen arg zu leiden hatte. Viele arme Leute gingen auf den Straßen auf und ab, versuchten, kleine Dinge, die ihnen lange lieb gewesen, zu verkaufen, oder boten Reiser und Besen oder Hampelmänner aus, nur um einige Pfennige zu bekommen. Und dem Verlocker gefiel es, denn der Hunger ein großer Sünder und treibt die Menschen ihm zu.

Nun hatte der wackere Knecht Ruprecht wie in jedem Jahr mit dem ersten Schnee allen Kindern der Stadt eine echte Rute gebracht, um sie zu



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warnen das geschieht ja auch anderswo. Wenn die Beschenkten aber bis zum Weihnachtsabend fleißig und gut waren, durften sie alle .Ruten auf dem Christmarkt verbrennen, gerade bevor die Lichterbäume angesteckt wurden.

Der Verlocker wußte aber von der alten Sitte der Kinder und baute seinen Plan darauf, den Schatz im dunklen Haus zu gewinnen.

Als der Weihnachtsabend gekommen war und die Kleinen schon auf die Stunde warteten, wo sie aus Besen und Ruten ihr Feuer anzünden durften, trat er wie ein graues Männchen zu den Knaben und .Mädchen, brachte braune Suchen vom Markt und fragte, ob er ihnen sonst eine Freude bereiten könne.

Die Kinder waren erst scheu vor dem Fremden. Endlich faßte sich ein kleiner Junge ein Herz. Er solle einmal einen Buckel machen, krähte er. Was geschah? Der Alte hatte, bauz, einen großen Höcker auf dem Rücken und eine fingerlange Nase dazu. Das hatten die Kinder ja nicht erwartet. Jetzt solle er seinen Hals so lang machen wie einen Laternenpfahl, wünschte jemand. Nicht zu glauben, da hatte der Fremde einen Hals, drei Ellen lang. Was immer die Schelme noch von ibm verlangten, geschah; der Locker tat wie ein Hanswurst, er zog sich lang, er zog sich kurz, und die Schar folgte ihm lachend.

Ein armer Besenbinder wurde das Treiben gewahr. Und weil Knecht Ruprecht sein Kind ganz und gar vergessen hatte, meinte er, es bekäme vielleicht bei solchem Umzug einen braunen Kuchen ab, und riet ihm, sich dazu zu drängen.

Als der ocker in seiner Verkleidung nun das ärmste der Kleinen ohne Reiser und Besen sah, da hatte er ja einen Grund, es auszuschicken. Gerade als er mit der Kinderschar an dem dunklen Haus ohne Licht vorbeikam, hielt er an, tat, als wenn es nun genug und an der Zeit sei, zum Markt umzukehren. Das kleine Mädchen aber behielt er zurück, war freundlich und fragte so recht mitleidig, warum es denn nicht Reis noch Rute bei sich habe.

Ach, antwortete das Ding, sein Vater müsse immer alles verkaufen, und Knecht Ruprecht habe seiner vergessen. Nun, dem wolle er abhelfen,



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tröstete der sonderbare Fremde und zeigte dem Kind einen Schlüssel. Und dann gab er ihm ein brennendes Lichtlein in die Hand und sagte, es solle nur getrost die alte Tür aufschließen, gleich auf der Diele läg alles, was Knecht Ruprecht vergessen hätte. Da würd's auch seine Rute finden.

Das Kind war erst ängstlich, dann tat es, wie ihm geheißen ward, und der Böse blieb auf der Straße und horchte und wartete in seiner Gier.

Im Haus war es aber sehr düster, das Licht warf nur einen schwachen Schein. Das kleine Mädchen hatte Mühe, die Stufen zu gewinnen, ihm war, als flüsterte und wisperte es und riet ihm von allen Wänden. Weil es indes durchaus sein Ruprechtrütlein haben wollte, um es auf dem Markt ins Feuer zu werfen, und weil die andern Kinder nicht wissen sollten, daß der gute Knecht es so ganz und gar vergessen hatte, nahm das Mädchen allen Mut zusammen. Und es suchte den Berg Gerümpel ab, den die Leute beim Tod der alten Frau zuhauf geworfen hatten, und fand zwischen Flaschen und Tüchern und Lumpen wirklich solch Ding, wie es sich's wünschte. Rasch nahm er die Rute auf und freute sich, gleich mit den andern zum Markt ziehen zu können.

Nun hatte das Kind sich mit seinem dünnen Lichtlein aber so viel gedreht und gewendet, es wußte zwischen den winkligen Türen und Treppen nicht mehr, woher es gekommen war. Weil indes in einer der Scheiben ein wenig Licht schien, ging es darauf zu, preßte das Gesicht daran und sah genau auf den Christkindelmarkt hinaus. Da hatte es Furcht, sich durch das Haus zurückzutappen, fand eine Tür und ein Schloß und — oh, wie freute es sich, die Tür sprang vor seinem Schlüssel auf, und eine Treppe führte gerade auf den Marktplatz. Schon kamen von allen Seiten die Kinder angezogen, um ihr Feuer anzuzünden; das kleine Mädchen lief hinzu und war froh, das dunkle Haus hinter sich zu haben.

Der Verlocker wartete währenddes noch immer auf der Straße. Alls niemand zurückkehrte, wurde er besorgt um den Schlüssel und um die Zauberrute. Weil aber nur ein Kind das Ding zu heben vermochte, versuchte er sich zu gedulden, schuppte sich unter der Verkleidung, rückte sich den Hut von einem Ohr aufs andere und stampfte mit den Füßen vor Kälte. End



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lich hob er sich auf die Zehen, um von draußen durchs Fenster zu blicken. war kein Licht mehr zu erkennen, weder oben noch unten.

Der Böse bekam einen rechten Schreck; er fuhr dreimal hin und her, besah sich das Haus von allen Seiten und meinte, gleich müsse die kleine Suchende zurückkehren — wer sollte solchem Boten wohl etwas antun? Alls er dabei auch zur Marktseite lief, warfen schon alle Kinder ihre Ruten zusammen. Da kam ihn die Furcht an, daß die Rute, nach der er forschte, dazwischen sei; er also hin, entdeckte das Mädchen mit dem Schlüssel, drehte sich vor Zorn, sprang in den Reiserhauf, riß alles auseinander und durcheinander und stöberte vergeblich nach dem Zauberstab. Mon Zeit zu Zeit reckte er einen der Füße hoch und klagte, heulte und jammerte. Die Kinder lachten darüber; meinten, er machte wieder seinen Spaß mit ihnen.

Daß der Böse aber seine Rute nicht fand, ist so gekommen;

Alls der arme Besenbinder nach seinem Töchterchen rief; das er verloren hatte, gewahrte auch er die vielen guten Reiser, die von den Kindern zuhauf geworfen wurden. Und es tat ihm leid um die schönen Birken, die er für seine Besen brauchen könnte. Er raffte also unauffällig mit dem Fuß einige zur Seite und schob sie sich unter den Arm. Dann sah er sein Kind, das er suchte, nahm es an der Hand und zog es rasch nach Haus, er hatte kein ganz reines Gewissen. Wenn's doch erst Abend wäre und ich die Reiser zugearbeitet hätte, dachte er. Batz, stolperte er. Da lagen vier fertige Besen vor seinen Füßen, gerade so viel, wie er hatte schaffen wollen.

Das ist ja fein, staunte der Besenbinder, hob sie auf und wußte gar nicht, woher sie kamen.

Nun kann ich dem Kind eine schöne Weihnacht bereiten und ein Lichterbäumchen besorgen, überlegte er. Ach, wären wir erst daheim! Schwupp, war er schon in seiner Kammer, und alles war nach seinem Wunsch bestellt.

Da staunten Vater und Tochter. Wenn wir es doch immer so gut hätten, dachte der Mann und sah sich in der Kammer um, — immer so gut bis zum Lebensende.



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"Soll geschehen", sagte der Besen auf einmal laut und verneigte sich Und dann grüßte er und ging aus der Tür; vielleicht hatte ihn einer gerufen, der mächtiger als Mensch und Verlocker ist.

Aber das ist gewiß, die beiden Leutchen haben es gut seitdem, und sicherlich wird es ihnen weiter wohlergehen. Sie haben's auch besser verdient als der Alte, der auf der Christkindmette alle Ruten auseinanderwarf in seinem Zorn und doch die rechte nicht mehr gefunden hat.


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