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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Der Hagemann und der Karnickelbock

Einmal blühten drei Büsche über mir, ein Holunder, eine Rose und ein Jelängerjelieber. Und als ich mich noch über sie freute, hörte ich drei Vögel rufen, einen Habicht hoch in den Wolken, eine Krähe in den Eichen und eine Rebhenne hinter der Hecke.

Und es war ein schöner warmer Sommertag, und der kleine Achim lag vor mir in seinem Wagen und spielte mit seinen Zehen.

Auf einmal kommt drüben unter den Buchen der Hagemann hoch. Nun, mir tut er nichts, all diese Waldleute sind ja, wenn man selbst herzhaft und freundlich bleibt, gegen uns Menschen gefällig und vergelten's uns gern, wenn auch wir höflich gegen sie sind. Aber ich merke, der Hagemann ist neugierig, wer da wohl im Wagen liegt, und ich muß doch den kleinen Achim bewachen, weil die Mutter noch nicht wieder da ist! Was fange ich nur an? Der dicke braune Kerl kommt näher und näher, nickt mir zu, zeigt zum Wagen und möchte gar zu gern meinen Neffen besehen.

Und auch Achim will den Hagemann kennenlernen und kräht und lacht über den Plumpen, und als der sich über ihn beugt, zieht er ihn am Bart. Er wühlt sich mit beiden Händen fest, aber der alte Mann nickt nur.



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Da kommt unser großer Hund, der auf uns alle achtgibt. Der mag den braunen Fremden nicht; er meint, der gehöre nicht zu unsersgleichen, und rennt auf ihn zu. Was kriegt der Hagemann für einen Schreck! Flink sieht er sich um, wo wohl ein Mäuseloch sei, durch das er unter die Erde fahren kann, — er und seine Art vermögen sich ja blitzschnell klein und groß zu machen. Gerade beim Vorderrad des Kinderwagens wird er eines gewahr, schon wirft er sich kopfüber hinein und ist darinnen, ehe der Hund ihn zu fassen hat.

Ach, und dabei ist es geschehen, daß unser lieber Achim mit unter die Erde rutschte. Als der Hagemann nämlich auf einmal so winzig wurde, guckte Achim ihm nach und — hab ich's mir nicht gedacht — plumpste, pardauz, aus dem Wagen und gerade in das Mäuseloch hinein. Vielleicht hatte er auch noch etwas von Hagemanns Bart in der Hand, dann wird man genau wie der groß oder klein.

Da sitze ich nun! Vor meinen Augen, sag ich, sind Achim und der Waldkerl durch das Mäuseloch unter den Rasen gerutscht. Was soll ich um's Himmels willen der Mutter erzählen, wenn sie wiederkommt? Ich schiebe leise den Kinderwagen beiseite und rufe nach unten: "Freund Hagemann, schick mir doch Achim zurück, es war nur ein Versehen, er wollte gar nicht zu dir. Was willst du mit dem Kind anfangen?" Aber der Alte rührt sich nicht.

Mir wird ganz bange. Ich muß etwas unternehmen und denke nach. Der Häher in der Eiche hat alles gesehen, aber statt zu helfen, lacht er mich aus Nur die kleine Grasmücke ziept und ziept und jammert, als sei ihr eigenes Kind in das Mäuseloch gefahren. Einen Rat kann sie indes auch nicht geben.

Kommt der Igel vorbei. Ich erzähle ihm die Geschichte. Ach, Stickelpickel ist eine Bangbüx, er wagt sich nicht zum Hagemann. Hoppelt der Karnickelbock vorüber. "Bannig", rufe ich ihn beim Namen, "Bannig, du kannst mir helfen.

"Nanu", murrt er, "sonst darf ich nicht mal an deinen Kohl gehen, und jetzt soll ich dir helfen?



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"Ich lass heut abend die Tür zum Garten offen", bitte ich, "du mußt mich eben einmal zum Hagemann bringen."Das kann er ia!

"Faß meinen Hinterlauf", sagt Bannig. Und plötzlich bin ich ganz klein, Bannig läuft mit mir in den Knick und dann durch ein Loch kopfüber nach unten, ich weiß kaum, wie mir geschieht.

Da sitzt auch schon der Hagemann vor mir und hat Achim auf den Armen.

"Was willst du?" blafft er mich an. "Der Junge ist mir vom lieben Gott zugeworfen, den geb' ich nicht wieder her." Und er spielt und lacht mit Achim, und sieben Zwerge sitzen umher und bestaunen das Wunder.

"Er muß doch noch gewickelt werden, ehe er auf Besuch gehen kann", schreie ich dem Hagemann zu, ich möchte ihn bange machen.

Der hört indes gar nicht hin, er will mit Achim spielen; und Achim rauft ihm schon wieder ein Büschel Haare aus dem Bart, aber der Alte ist so vergnügt, er merkt es gar nicht.

Ich versuche ihn aufzumuntern. "Du", warne ich, "gib mir den Jungen her und kümmere dich um deine eigenen Sachen! Die Ameisen bauen zwischen meinen neuen Büschen."

"Na, laß sie nur", brummt der Alte, "die wollen auch leben!

"Hagemann", locke ich ihn, "ich weiß, wo das Hornissenloch ist. Willst du es nicht ausbrennen?"

"Morgen vielleicht!" Er schüttelt den Kopf, weil der kleine Achim ihm mit beiden Händen auf der Nase herumtrommelt.

"Weißt du schon, Brauner", sage ich, "daß die Zigeuner im Wald lagern und sich ein Feuer angemacht haben?"

Da bekommt der Alte aber einen Schreck, wie ich's noch nicht sah. Beinah hätte er den armen Achim fallen lassen, ich kann ihn gerade noch auffangen.

Was sagst du, die Zigeuner, die dreimal verwünschten Gesellen? Den Wald werden sie mir in Brand stecken, wenn ich nicht aufpasse!" Und er springt hoch und will nach oben fahren. Glücklicherweise kriegt ihn der Karnickelbock beim Schweif, und ich kriege Bannig beim Bein, und Achim



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hält sich ganz fest an meinem Hals. Und dann sausen wir alle miteinander zum Loch hinaus und nach oben und sind gleich wieder gerade so groß wie zuvor. Der Hage mann aber stapft zornschnaubend zum Wald, die Zigeuner zu suchen.

Ich kann Achim rasch noch in seinen Wagen legen, da kommt seine kleine Mutter.

"Das ist schön von dir", lobt sie, "daß du so gut auf mein Kind aufgepaßt hast!

"Nun ja", knurre ich, und Achim und ich, wir verraten kein Wort von dem, was alles geschehen ist. "Nun ja", brumme ich, aber du solltest den Jungen doch anbinden, eines Tages fällt er mir aus dem Wagen!


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