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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Auf der Riesenheide

"Hör, Lütte Lünk", sagte die Ellerfrau; als sie ihn am andern Abend wieder besuchte, "heute wollen wir zu den Kiesen. Aber du mußt rasch machen, die Mahrfrau hat den Muckerpucker doch sitzenlassen und will durchaus dich haben. So hat's mir der Fuchs erzählt. Rasch, rasch!

"Oha", prahlte der kleine Lütte Lünk, "hier kann sie nicht herein, ich habe das Schlüsselloch fein verstopft." Und dann wollte er nach den Strümpfen greifen. Aber da war er schon angezogen und im Nu gewaschen und gekämmt; es war herrlich, gar nichts hatte er damit zu tun.



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Und eine winzige Puppe hatte die Ellerfrau auch im Arm. "Wo willst du damit hin?" wollte Lütte Lünk fragen. Da packte ihn ein Wind, er kniff die Augen fest zu und hatte doch Herzklopfen vor den großen Riesen, zu denen es nun hinüberging.

Als er die Augen wieder aufmachte, war er gar nicht so weit geflogen, nicht weiter als bis zum Rathausmarkt der Stadt, nahe der er wohnte. Es war nur alles ein wenig verschoben und absonderlich. Riesige Bootsbauer machten sich zu schaffen, Fischerleute und Brauknechte gingen umher und waren so lang, sie reichten fass bis an die Dächer. Und in der Mitte stand ein breiter Stuhl. "Da wird König Grindel drauf Platz nehmen, er hält heute Gericht", flüsterte die kleine Ellerfrau, "aber du brauchst gar nicht bange zu sein.

In dem Augenblick stiegen schon zwei mächtige Riesenkerle aus den Schleusen hoch und stellten sich rechts und links von des Grindels Stuhl auf. Und von fern kam ein Trompetenstoß, das galt wohl dem unheiligen Richter selbst.

Aber ehe er da war, hatte die kleine Ellerfrau einen der großen Bootsbauer an der Jacke gezogen. "Wir wollten nämlich drüben in eurem Land zu einem Gevatter", sagte sie, "kannst du uns nicht dazu verhelfen?

"Wie soll ich das anfangen?" fragte der und musterte die winzigen Wesen, die vor ihm standen.

"Nimm uns in deine Tasche, wir springen hinaus, wenn es soweit ist.

Da lachte der Bootsbauer gutmütig, schob die beiden mit Hut und Puppe kopfüber in die Jackentasche, wo sie erst in ein verbrannt riechendes Loch plumpsten — das war des ,Kiesen Tabakspfeifenkopf — und dann, als sie sich mit Mühe wieder herausgearbeitet hatten, zwischen mächtige Schiffstrossen rutschten. Das waren zwei Bindfäden, die der Unhold sich eingesteckt hatte. Endlich hatten sie es sich aber doch so eingerichtet, daß sie grade fürwitzig aus der Jackentasche herausgucken konnten. Sie wollten ja sehen, was auf dem Rathausmarkt vor sich ginge. Es wäre ihnen beinah schlecht bekommen, der böse Grindel stand nämlich neben dem Bootsbauer, rasch tauchten sie unter.



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Lange mußten die beiden voller Angst in der spakigen räucherigen Pfeifentasche bleiben; endlich hörten Ellerfrau und Lütte Lünk draußen die Leute aufbrechen. Gleich steckten sie den Kopf wieder zum Rock hinaus. Sie waren, das sahen sie, schon weit vom Rathausmarkt fort, der Riese stieg zum Hafen, wobei er immer nur zwei Schritte nötig hatte, um über die Straße zu kommen. — Danach stapfte er durch viel Wasser, und schließlich tat sich eine Höhle vor ihm auf. Erst ging es einige unterirdische Gassen entlang, dann trat der Bootsbauer in eine Tür, warf die Mütze in die Ecke und setzte sich mit seiner Riesenfrau zu Tisch. Ein ungeheuer großer Grütztopf stand schon bereit.



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Da vermochten die zwei in seiner Tasche nicht länger zu warten, so ein Essen könnte die ganze Nacht hindurch dauern. Sie räkelten und rangelten sich also hoch und wollten den Langen bitten, sie doch eben abzusetzen und ihnen den Weg zu weisen. Bauz, kriegten sie dabei das Übergewicht und klatschten mit den Armen in den Grützteller hinein.

Ihr könnt euch das Gelächter denken, das Mann und Weib angestimmt haben. Glücklicherweise war die Grütze nicht heiß, der Riese hatte sich wohl auf dem Rathausmarkt verspätet. Aber die Ellerfrau und Lütte Lünk waren so böse, sie liefen, so rasch sie konnten, zum Tischrand, fielen der Frau in den Schoß, purzelten zu Boden und überkugelten sich fast big zur Schwelle, solche Eile hatten sie.

Da stand nun grade ein armer Mann mit seinem Karren, der verkaufte Besen gegen Schellfische und kam aus der großen Riesenheide, Er hatte alte löcherige Hosen, und damit die Leute nicht sähen, wie ausgefranst sie waren, hatte er sie aufgekrempelt. Das war für Lütte Lünk und seine Freundin ein herrliches Versteck, rasch hatten sie sich drin eingemummelt wie vorher in der Tasche des Boorsbauers, und während die Hausfrau noch nach den beiden drolligen kleinen Wesen suchte, die der Mann mitgebracht hatte, — weg waren siel

Jetzt kamen sie ja auch endlich auf den richtigen Weg! Glaubt nämlich nicht, daß man so mir nichts, dir nichts in die Riesenheide gelangt. Nein, die liegt um einen halben Schuh über unserm Land und weit, weit fort. An kalten Abenden kann man sie erkennen, sie hebt sich wie ein Frostwald hinterm Herbst. Ich möchte auch gar nicht dorthin, es ist gut, daß wir in der Wärme bleiben dürfen. Aber Lütte Lünk und die Ellerfrau mußten ja zu den Riesen, um der guten Holle sagen zu können, daß sie bei allen Gevattern gewesen seien.

Es gab wieder vielerlei zu sehen, als die zwei mit dem Besenverkäufer in die kalte Heide gerieten. Wilde Frauen standen vor den Erdhügeln, ungeheure Steine ruhten am Weg, das waren Gesichter oder Köpfe von Hunden und Hammeln oder auch mächtige Häupter von Hünen, die träg und halb vergraben an der Straße schliefen. Am schönsten aber leuchteten



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kleine Molken, die schwebten wie Gläser vor den Händen von Pflügern und Schäfern und vergingen, wenn die Männer durstig davon tranken.

Endlich kamen sie auch ins Riesendorf. mußte die Ellerfrau sich erst einmal wieder nach dem Weg umhören; man will doch wissen, wo man hingerät. Als sie viele junge Hünen zusammenlaufen sah und Musik vernahm, faßte sie Lütte Lünk bei der Hand und sprang mit einem Satz aus den Hosenfransen.

Nun hatten sich jene Riesenkinder grade einen Hagemann gefangen, weil er so schön Flöte zu spielen vermag; sie plagten ihn ja arg und ließen ihn trillern und pfeifen und pfeifen und trillern, der Arme hatte keine Ruhe vor ihnen. Die Riesenkinder fühlten dabei in den Hacken, daß man eigentlich zu solchem Spiel tanzen müßte, aber sie wußten nicht, wie man das macht. Grade da standen Lütte Lünk und die Ellerfrau mitten unter ihnen. Und als die zwei den Hagemann pfeifen hörten, konnten sie es nicht lassen, rasch mußten auch sie sich anfassen und drehen. Da wurden die Hünen der beiden gewahr und schrien vor Erstaunen. Sie bildeten gleich einen großen Kreis um den Hagemann und die Tanzenden, holten sich Felsblöcke, hockten sich darauf nieder und wollten zusehen und lernen. Bald klatschten einige in die Hände vor Vergnügen und versuchten selbst, solche absonderlichen Tanzschritte zu machen. Alte Leute kamen dazu, hatten auch ihren Heidenspaß daran, und alle lachten, als die jungen Riesen den ersten Walzer hopsten.

Zwischendurch, wenn sie einmal Atem holen mußten, setzten sich Lütte Lünk und Ellerfrau auf des Hagemanns Flöte. Mon dort konnten sie am besten zuschauen, wie die Herren sich mühten, riefen dazwischen, lobten diese und tadelten jene; es wurde eine rechte Freundschaft draug.

Aber solch Hagemann ist doch listiger als zwölf Riesenkinder. Der gefangene Alte versuchte, während er spielte, alle möglichen Zaubersprüche halblaut für sich, er hatte kein Vergnügen an den plumpen Leuten und wollte sich gern in sein Land heimschwören. Die Hünen, die nicht viel von seinem Brummen verstanden und auch nur an das Tanzen dachten, hätten wohl besser achtgeben sollen, was der Hagemann da in den Bart murmelte.



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So kam es denn; Grade hatten Lütte Lünk und Ellerfrau wieder etwas vorgetanzt und verschnauften einen Augenblick auf der Flöte, da fand der Alte das richtige Wunschwort, um sich heimzuzaubern.

Hui, fuhr es auf einmal wie eine Wolke um alle Leute, der Hagemann hob sich haushoch in die Luft, und sogar die Flöte, und was darauf hockte, brauste in unser Land zurück. Herrlich warm und sommerlich wurde es, und als sie sich recht besannen, saßen Lütte Lünk und die Ellerfrau wieder dicht neben dem Busch, in dem sie sich gefunden hatten.

Eigentlich war es ein großes Glück, daß alles so gekommen war, wie hätten die zwei wohl ohne den alten Hagemann zurückkehren sollen? Aber beim Gevatter waren sie ja noch nicht gewesen; sie hatten beide auch allerhand Mühe, dem Waldkerl zu entschnappen, der wußte, wen er da auf der Flöte heimgeführt hatte, und erst sein Lösegeld haben wollte. In unserm Land kann die Ellerfrau indes fliegen, — husch, war die Kleine schon eine Meile weiter. Sie brachte auch Lütte Lünk grade noch vor den ersten Sonnenstrahlen in sein Bett.

Das ist nun die vierte Nacht gewesen, die der Junge unterwegs war. Jetzt will ich erzählen, wie es ihm in der wunderlichen fünften ergangen ist.


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