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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Die Abenteuer des kleinen Lücke Lünk


Das Ellerfräulein

Da war einmal ein kleiner Waisenknabe, der hieß Lütte Lünk. Sein Taufname war umständlich und lateinisch, den habe ich vergessen, die Leute nannten ihn eben Lütte Lünk, und das ist kurz und hübsch, wir wollen es ebenso halten.

Nun war zu der Zeit, von der ich erzähle, gerade der Sommer wieder in unser Land gekommen, und weil der arme Lütte Lünk nicht Vater, nicht Mutter hatte, nahm ihn, wenn es draußen warm wurde, ein altes Ehepaar zu sich, das wohnte vor der Stadt am Walde. Es waren Leute, die es gui mit dem kleinen Jungen meinten und nur nicht recht verstanden, daß er so oft spielen wollte, statt seine Schularbeiten zu machen. Sie waren auch sehr geizig ihr Häuschen am Wald ließen sie immer mehr verfallen, in Lütte Lünks Kammer regnete es hinein. So muffig und feucht wurde es darin, er mußte schließlich über Nacht im Zimmer bei den Leuten bleiben.

Die Alten schliefen indes sehr schlecht. Der Mann wurde oft von einer Mahrte besucht, das sind die Fräulein, die uns die bösen Träume bringen. Dann meinte er, daß er über weite Felder um sein Leben laufen mußte. Sein Weib aber mußte Erbsen aufpahlen und Schüsseln spülen, es kam nie zu Ende damit. Oft wachte der kleine Junge darüber auf und vernahm, wie die beiden stöhnten und seufzten und sich im Schlaf unter der Decke herumwarfen. Er hatte Mitleid mit ihnen.

Eines Nachts nun, als sie wieder so sehr geplagt wurden, stand Lütte Lünk aus seinem Bettchen leise auf. Er hatte einmal gehört, daß die bösen Träume durchs Schlüsselloch hereinschlüpfen, nahm deshalb seinen Papierpfeil, der vorm Bett lag, riß einige Stücke ab und stopfte ein Astloch in der Tür und auch das Schlüsselloch fest damit zu.



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Was meint Ihr? Im Augenblick, wo er das getan hatte, sah er ein kleines dunkles Mädchen auf dem Lager der beiden Alten herumhüpfen, das schob dem Mann das Laken über den Mund, so daß er vor Angst schnob und blies und unter der Bettdecke entsetzlich zu laufen versuchte. Dann zog es kichernd ein Kettlein vor dem Ohr der Frau durch die Finger, das waren wohl die Erbsen, die ihr im Traum auf den Fußboden rollten und die sie wieder aufsuchen mußte.

Endlich drohte der geplagte Mann aufzuwachen, flink sprang das schwarze Mädchen vom Bett herab, breitete zwei kleine Flügel aus und wollte, hui, durchs Schlüsselloch von dannen huschen. fiel es, bauz, auf den Rücken, hatte sich furchtbar die Nase gestoßen und sah betroffen Lütte Lünk neben sich stehen.

"Aha", sagte die Dirn, "also so einer biss du! Stopfst Schlüssellöcher zu? Das hatte ich dir gar nicht zugetraut.

"Wer bist du denn?" fragte Lütte Lünk tapfer, eigentlich war er ja ein wenig bange vor dieser Hexe.

"Wer ich bin, müßtest du wohl wissen, wenn du mich einfangs. hast es doch gewiß nicht aus Mrs ehen getan"

Was für eine freche Antwort dachte Lütte Lünk. "Warum plagst du die alten Leute so arg?" drohte er.

"Willst du mal sehen, wie ich das machen?" lachte die Verführerin. "Paß auf, sie sollen träumen, daß euer Haus brennt."

Lütte Lünk war sehr neugierig, wie die Mahr das anfangen würde, da stand sie schon wieder auf dein Bett der beiden, rieb mit den Händen über ihr Haar und ließ aus den Fingern winzige rote Funken knistern Wie stöhnten die armen Schlafenden! Sogar ine "jirik bekam Angst, er konnte der Mahr gar nicht schnell genug aufg Bett nachkriechen, er wollte ja die Funken ausschlagen.

Aber das Feuer war kalt, und die Hexe lachte, daß sie äch das Wasser aus den Augen wischte. "Ach, du liebe Zeit", kicherte sie, "was krieg ich für einen dummen Mann!

"Wieso!"schrie Lütte Lünk wütend, "ich werde doch nicht dein Mann?



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"Natürlich wirst du mein Wann! Wer eine Mahrfrau fängt, muß sie auch heiraten. Na, ich werde dir schon etwas beibringen, sei nur nicht traurig.

Lütte Lünk hat sich indes furchtbar erschrocken, als er hörte, daß er das Mädchen heiraten sollte, er ist mit einem Satz vom Bett herabgesprungen, hat die Tür aufgerissen und ist Hals über Kopf davongelaufen.

Aber die Hege war auch flink und immer hinter ihm her. Hätte er nicht ein paar gute Flintsteine gefunden und damit um sich geworfen, wäre nicht im Knick ein Loch wie ein leeres Rad gewesen, das Lütte Lünk schnell durchschlüpfte, sie hätte ihn gewiß noch gekriegt. Durch solch ein Rad aber können die Mahrfrauen nicht folgen, die Böse hat sich erst einen Umweg suchen müssen, um Lütte Lünk zu fassen. Und noch eh sie ihn am Wickel packte, hat plötzlich aus einer hohlen Erle eine Hand den Jungen berührt, und ein feines weißes Mädchen hat ihn rasch und ganz tief durch eine Tür in den Stamm gezogen. Kaum zu glauben, wieviel Platz in solch alter Erle sein kann!

Die Mahrfrau hatte inzwischen einen anderen Weg durch den Knick gefunden; sie hat sich die Augen gerieben, weil Lütte ünk auf einmal verschwunden war, und hat eine dicke Kröte zwischen Holler- und Ellerbusch gefragt, ob sie niemand hätte vorbeilaufen sehen.

Nein, hat die mürrisch gesagt, gar nichts hätte sie gesehen, und dann hat sie eine graue Schnecke verschluckt.

Ja, aber hier wäre bestimmt jemand vorbeigelaufen, hat die Mahrfrau geschrien und hat eine Eule angerufen, die auf Mäuse jagte,

"Nichts bemerkt", hat die Eule gekrächzt und ärgerlich die Lichter spielen lassen, weil die Maus, die sie erwischen wollte, in ihr Loch geschreckt war.

Da hat die kleine Schwarze es in der Erle über sich kichern hören und hat auf einmal begriffen, daß Lütte Lünk sich bei der Hellen versteckt hielt.

"Ich kriege dich noch, Mann", hat sie gedroht und an den Stamm geklopft, "wart nur ab, ich krieg dich noch!

Nun, die Ellerfrau lachte, rückte ein weißes warmes Polster für Lütte Lünk zurecht, öffnete ein Fenster, so daß der reine Blütenduft hereinkommen konnte, und ließ sich von dem Jungen die ganze Geschichte erzählen.



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"Ist es wahr", fragte er, "daß ich die Mahrte nun heiraten muß?

"Ich weiß nicht", meinte das Erlfräulein, "aber wenn du durchaus heiraten willst, dann nimm mis lieber.

"Ich bin doch noch viel zu klein zum Heiraten", sagte Lütte ünk, "aber gewiß möchte ich dich lieber als den bösen Plagegeist.

So mir nichts, dir nichts können wir ja auch nicht heiraten", lachte das Erlfräulein und faltete die Flügel aus und ein. "Das gebt ganz anders
zu; da muß ich nämlich aufpassen, wo hier in der Nchbarschaft ein kleines Mädchen geboren wird, dann muß ich rasch hineinschlüpfen, und wenn wir beide groß find, dann werden wir Mann und Frau.

Das leuchtete Lütte Lünk ein, er wurde ganz vergnügt. "Ja, dann möchte ich dich wohl auch nehmen", antwortete er, "so fein wie du aussiehst. Wenn nur die Mahrte uns nicht findet.

Kaum hat er das gesagt, kommt wahrhaftig das schlimme Ding mit einem alten Holzhauer wieder. Der schleppt eine große Säge. "Hier",



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kreischt die Schwarze, "diese Erle sollst du mir umsägen. Einen richtigen Taler kriegst du dafür!

Wie haben die beiden im Baum sich erschrocken, wie hat es der kleinen Ellerfrau weh getan, als der Alte nun wirklich die Säge ansetzte.

"Was soll nur werden, Lütte Lünk", hat sie gejammert, "ach, was soll nun werden, ach, mein armer Fuß, kannst du mir nicht helfen?"

"Ich will's gewiß versuchen!" Und der Junge hat rasch einen der Flintsteine, die er noch in der Hand hatte, von innen fest gegen die böse Säge gehalten. "Rätsch", sagte die Schneide, quietschte auf dem Stein entlang, kam nicht weiter und verbog sich alle Zinken.

"Nanu", brummte der alte Holzhauer draußen, da ist ja etwas Hartes drin.

Versuch, von der andern Seite zu sägen! kriegst deinen Taler nicht, wenn du den Baum nicht umlegst", hat maii den Plagegeist gehört.

"Gut", hat der Mann gesagt, "aber dann muß ich mir erst ein anderes Blatt holen, dieses ist stumpf geworden.

Flink, flink", hat die Mahrfrau gedränge und hat den Holzhauer nicht aus dem Auge gelassen; sie fürchtete vielleicht, er könnte unterwegs irgendwo einkehren.

Kaum aber sind die zwei uni die Ecke gewesen, um eine andere Säge zu holen, da hat die Ellerfrau sich flugs den Fuß verbunden, hat Lütte Lünk an der Hand genommen, und die beiden sind zum Baum heraus und spornstreichs initien durch den Wald gelaufen, über Stock und 1 )tein geradeswegs zur Hagefrau. Die saß just am Rand einer großen Lichtung und sah zu, wie viele hundert weiße Elfen auf ihrer Wiese tanzten. Als die beiden ihr nun mit fliegenden Morten alles erzählten, hat ihnen die Alte einen Ball gegeben und hai geraten, ihn rasch im Kreis einander zuzuwerfen und Abo Bibo zu rufen. Da ist rund um den Tanzplatz ein Kranz von winzigen Feuerchen aufgeglommen. Keine schlimmen Geister haben mehr darüber kommen können, alle haben bitterbös dahinter hocken und dem Spiel zuschauen müssen. Auch die schwarze Mahrfrau keifte von draußen das Erlfräulein aus.



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Die beiden Flüchtlinge haben sich gar nicht mehr darum gekümmert. Etwas so Schönes nämlich, wie auf dieser Wiese, hatte Lüte Lünk noch nie zu sehen bekommen. Viel hundert kleine Holler- und Ellerfräulein spielten da in zarten dünnen Kleidern, von einem großen Hügel leuchteten tausend sternhelle Lichter herab, und der Glanz von Mond und weißen Wölkchen am Himmel ließ die Wiese wie eitel Silber widerscheinen. Am drolligsten aber war der alte Hagemann, das ist so ein brauner Waldkerl, der unaufhörlich den Finger auf seiner Flöte tanzen ließ.

Ich sag, es war so schön und so warm und so duftend fein in dieser Nacht, Lütte Lünk hatte kaum Augen für die bösen Gesellen hinterm Feuer, er hat nur in einem fort sich von dem Ellerfräulein alles zeigen und erklären lassen, hat ihre Flügel in die Hände genommen, hat ihr über die Haare gestrichen und sich gefreut, daß da keine Funken heraussprühten wie bei der Nachtmahr.

"Wir beide wollen gewiß einmal heiraten!

Abgemacht, Lütte Lünk", hat das Ellerfräulein gesagt und ihn im Tanz gedreht, grade so, daß die eifersüchtige Mahrfrau es gewahr werden mußte. "Und morgen wollen wir auf Besuch gehen und uns überall Kuchen vorsetzen lassen.

"Bei wem müssen wir denn zu Besuch?" fragte Lütte Lünk.

Oh, auf Brautbesuch bei den Zwergen und bei den Riesen und Windfrauen und bei den Tieren und Fischen und bei allen, die uns später helfen sollen.

Die Mahrte aber, die noch immer hinter den kleinen Feuerchen hockte, hat ein Wort davon aufgeschnappt. Und sie ist so entsetzlich böse geworden, weil die Nachbarin nun Lütte Lünk bekommen sollte, daß sie sieben Schwestern herbeigerufen und mit ihnen beraten hat, was beginnen sollte. Die haben sieben Brüder, die das gleiche Handwerk betreiben, hinzubestellt, und die wieder sieben Völker Mäuse, die auch die kleinen Ellerfrauen nicht ausstehen können. Dann haben sie unter der Erde und unter den Feuerchen hindurch eine Höhle zum Spielplatz der Elfen gegraben. Grade da, wo Lütte Lünk und das Mädchen sich hingesetzt hatten, um



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einander Geschichten zu erzählen, sind sie auf einmal aus dem Soden hochgekommen und haben Lurie ünk für ihre Schwester einfangen wollen.

Wie haben alle die weißen Tänzerinnen sich erschrocken, als die Mäuse und Mahrfrauen unter sie sprangen! Rasch haben sie Abo Bibo rund um das neue och werfen wollen, um es wieder zuzusperren, aber Lütte Lünk hat in seiner Aufregung den Ball fallen lassen, da haben die Feinde Raum gewonnen, haben dem alten Hagemann die Flöte verstopft und haben den kleinen Jungen und sein Ellermädchen verfolgt.

Es war ein Glück, daß es grade fernher zwölf Uhr schlug — das ist nämlich die Stunde, wo die gute wunderschöne Frau Holle selbst mit vielen Töchtern durch den Sommer fährt. Mitten auf der Waldwiese ist ihr Schiff in dieser Nacht niedergegangen, gleich haben alle dunklen und hellen Wesen zu eilen aufgehalten, haben sich vor ihr verbeugt, und auch Lütte Lünk hat wieder Mut gefaßt und einen Bückling gemacht. Noch ehe jemand den Streit vorbringen konnte, ist er vor die schöne Königin hingetreten und hat gefragt, ob sie nicht die Mahrte wegjagen wolle, und ob er die Ellerfrau heiraten dürfe.

Frau Holle war zuerst sehr erstaunt, daß dies kleine Menschenkind auf dem Elfenspielplatz und nicht in seinem Bette war. Aber Lütte Lünk hat rasch fortgefahren und erzählt, wie alles zugegangen war. Er hat es getan, obwohl das Mahrfräulein währenddes hinter ihm stand, immer mit dem Fuß aufstampfte und keifte: "Er ist eben doch mein Mann, er hat ja das Schlüsselloch zugestopft", und die kleine Ellerfrau dagegen redete: "Mich hat er aber am liebsten!"Trotz all des Geschreis, sag ich, ist Lütte Lünk mit seiner langen Geschichte zu Ende gekommen.

"Das ist gar kein leichter Fall", hat die schöne Frau Holle nachdenklich geantwortet. "Die schwarze Schwester hat gewiß ein Recht auf Lütte ünk. Und doch kommt es nicht allein darauf an, wen man zuerst sah, sondern auch, wen man am liebsten hat."

Das sei eben das Erlfräulein, hat Lütte ünk versichert.

Ja, aber er kenne sie doch erst seit kurzer Zeit.

Einerlei, die wolle er haben und sonst keine.



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"Nun", hat Frau Holle entschieden und wie ein Schelm gelacht, "wenn du alle Verwandtschaft besucht hast und danach noch immer erklärst, daß du das Erlfräulein haben möchtest, dann will ich dafür sorgen, daß du sie einmal kriegst." Und dabei hat sie Lütte ünk freundlich über die Stirn gestrichen.

Oh, soviel Geduld hätte er gewiß, hat der Junge gesagt. Und er wollte rasch die Ellerfrau bei der Hand fassen, — da lag er in seinem Bett und es war Morgen.


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