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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Schneider und Dachs

Der Dachs unter den Tieren als Schneider bekannt. Er hält viel auf sein Gewerbe und kann bitterböse werden, wenn Leute, die eine Nadel zu führen wissen, in sein Gehege kommen. Ich will zur Warnung erzählen, wie es einem spindeldürren Schneidergesellen namens Meck ergangen ist, der mit ihm zusammengeriet.

Einmal, als dieser wackere Meck abends vor die Tür seines Hauses tritt, um seine Gänse einzutreiben, wollen die nicht den rechten Weg laupen. Er ergreift deshalb, ohne sich dabei etwas Böses zu denken, zwei von ihnen bei den Flügeln. Da bekommen die Tiere Angst, sie streichen hoch in die Luft, und der Schneider wird, was glaubt ihr, von ihnen über einen großen, großen Wald, wohl eine Stunde weit, von dannen getragen.

Hinterm Wald aber, es ist so gegen Sonnenuntergang, stehen just viele Tiere und schauen Grimbart, dem Dachs, beim Tanzen zu. Der Arme hat nämlich das Reißen, und die Leute haben dem abergläubischen Dummkopf im Scherz gesagt, er müsse um Sonnenuntergang einen Reigen aufführen, das hülfe dagegen. Nun kichern sie hinter allen Bäumen und Büschen und lachen und schauen dem armen Geplagten zu, wie er sich auf der



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Waldwiese gleich einem Junggesellen um sich selbst dreht, um das Reißen loszuwerden.

Gerade auf dieser Wiese landet nun der Schneidergesell zwischen den zwei Gänsen, und wie er sich umsieht und nichts als einen tanzenden Dachs erblickt, muß auch er laut keckern über den Spaß, wie seinesgleichen es leicht einmal tut. Das erbost den armen Grimbart aber gewaltig, er packt gleich zu, zieht mit einem Ruck den beiden unschuldigen Gänsen das Federkleid aus, so daß sie frierend und nackt dastehen und ihren Herrn nicht weitertragen können, und stellt den Schneider. Der darf sich nicht mehr vom Platz rühren, ohne daß der Dachs ihm die Zähne zeigt.

Dann verhört Grimbart den Gefangenen und will wissen, wie er in sein Reich gekommen sei, wie er das Fliegen fertiggebracht habe und anderes mehr.

Dabei erfährt der Dachs ja nun auch, daß dieser spindeldürre Kerl ein Schneidergesell sein will, das verdreifacht seinen Zorn. Für zwei Schneider sei im Wald nicht genug zu tun, faucht er, und einer von ihnen miste von hinnen. Ja, er ergrimmt so gewaltig über den neuen Nachbar, er fordert den armen Meck zu einem Wettlauf heraus. Und der Hagemann, verlangt er, solle den zu Tode stoßen, der verliert. — Der Hagemann vermag das ja, es ist der Riese, braun wie altes Laub, den wir alle schon einmal im Herbstwald sahen.

Nun, der arme Schneidergesell muß das böse Spiel annehmen, es bleibt ihm nichts anderes übrig. Er soll wirklich mit dem Dachs um die Wette rennen, die Tiere drängen sich schon am Ablauf und am Ziel, und manche geben den armen Spindeldürren verloren, denn solch Dachs kann gewaltig laufen, wenn es ums Leben geht.

Und dann ruft der Hagemann: "Los!" Und kaum daß sie zehn Schritt hinter sich haben: "Meck, Meck, Meck schreit der Schneider vor Aufregung.

"Was sagst du?" fragt Grimbart und bleibt mitten im Rennen stehen.

Der andere antwortet nicht, er jagt, was er kann. Und auch der Dachs läuft und ist ihm gleich voran. "Meck, Meck, Meck', keucht der Schneider, um sich selbst Mut zu machen. Der Dachs dreht sich wieder um, auf



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den Ruf müssen nämlich alle Schneidergesellen stehenbleiben. Und die Tiere merken es und beginnen zu lachen, und Häher und Drossel, und wer noch seine Stimme verstellen kann, schreien: "Meck, Meck" in das Rennen hinein. Grimbart kann nicht anders, er muß sich immer wieder umsehen auf den Ruf, genau wie der Schneidergesell auch.

So kommt es, daß die beiden Wettläufer zu gleicher Zeit anlangen; der Hagemann, der am Ziel steht, kann nicht sagen, wer von ihnen der erste geworden ist.

Der Dachs ist sehr mißgelaunt. Dann wolle er sich mit dem Schneider um die Wette durch den Sand kratzen, verlangt er, das Laufen gelte nicht. Und er zeigt einen Hügel, an dem sie sich beide versuchen können. Wer zuerst auf der anderen Seite wieder herauskomme, der habe gewonnen, sagt er. Und des Hagemanns Frau solle diesmal Schiedsrichter sein, verlangt er auch; der Dachs ist ja wütend, daß der große Braune ihn nicht als Sieger ausgerufen hai. Dann fängt er an, sich ein Loch zu scharren, und ist gleich mit dem halben Leib drinnen.

Die Hagefrau, die nun entscheiden soll, ist indes gar nicht so gut auf den Dachs zu sprechen, wie der wohl meint. Er hat ihr einmal die Heirat zugesagt, so um den Herbst herum. Aber dann hat Grimbart sich zum Winterschlaf gelegt und hat im Frühling von nichts mehr wissen wollen. Als deshalb der arme Schneider verzweifelt die Hände ringt und nicht weiß, wie er sich um Gottes willen durch einen Hügel Sand ein- und auswühlen soll, blinzelt sie ihn mit dem linken Auge an und dreht — das vermag sie ja — das andere gerade auf einen Fuchsbau zu. Nun der Schneider begreift, er stürzt sich, schlank wie er ist, kopfüber hinein, um den Hügel zu durchkriechen. Es hat schon sein Gutes, so spindeldürr zu sein!

Als er aber unten in den Kessel gerät, gehen da viele Röhren ab, er weiß nicht mehr, woher er kam, noch wo er sich hinwenden soll. Auch ist die Füchsin zu Haus, sie putzt gerade an einer alten Tischlampe, faucht den Schneider an und fragt, was er wolle.

Och, stottert Meck, und ihm will in seiner Angst rein gar nichts einfallen, — och, ihr Mann ließe bestellen, das Wetter draußen vorm Hügel



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sei so schön geworden. Und dann erkundigt er sich, wo es zur anderen Seite hinausginge, er solle nachsehen, ob da auch die Sonne scheine.

Da freut die Füchsin sich, daß schön Wetter geworden ist, sie ist dem sonderbaren Besuch gefällig und zeigt ihm die Richtung. Aber die Fragerei hat den Schneider doch so lange aufgehalten, er kommt nicht früher als Grimbart auf der andern Seite heraus. Genau um die gleiche Zeit stecken sie beide die Nase aus dem Heidekraut.

Der Dachs kann kaum begreifen, daß er nicht der erste geworden ist, er gerät außer sich vor Zorn. Und er verlangt — weil gerade der Böse vorbeikommt, ruft er den zum Schiedsrichter an —, er verlangt deshalb: Wer von ihnen beiden, Dachs und Schneider, bis Mitternacht den besten Rock genäht habe, dem allein stehe das Recht zum Handwerk im Wald zu. Wer aber unterliege, der müsse endgültig mit dem Leben bezahlen. Er blinzelt dabei dem Bösen zu, er glaubt ja, der sei ein Schiedsrichter, dem an einer armen Seele gelegen sei.



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Nun auf ein Zeichen hin schneidern die zwei nach besten Kräften darauflos. Der Dachs näht aus den Federn der beiden gefangenen Gänse ein herrliches Schwanenkleid; der arme Schneider aber muß nehmen, was die Tiere ihm an Federn und Lappen zuwerfen. Weil er dabei soviel kleine bunte Zipfel erhält, beschließt er, einen Hahnenrock zu nähen.

Er ist aber ein so flinker und geschickter Handwerker, unser Freund Schneider: wie sie um Mitternacht beide ihre Arbeit hochhalten und alle Tiere neugierig näher kommen und das Werk prüfen, da kann der Teufel vor so viel Leuten nicht anders als zugeben, daß beide Stücke gleich prächtig geworden sind. Aber der Böse ist ja auf die Schneiderseele aus und fügt deshalb hinzu: Da nun niemand wisse, welcher Rock der schönste sei, müsse man erfahren, in welchem sich am besten fliege, im Schwanen- oder im Hahnenkleid. Er denkt insgeheim, jetzt werde der Schneider gewiß verlieren, weil so ein Hahnenrock nicht auf große Flügel geschnitten ist.

"Einverstanden", schreit der Dachs, "aber wie sollen wir das ausproben?"

"Ich kann es ja erst mit dem einen und dann mit dem anderen Rock versuchen", schlägt der böse Verlocker vor.

Die Tiere im Wald halten indes auf Gerechtigkeit und auf gleiche Bedingungen, sie trauen ihm nicht. Da sind aber noch die zwei Gänse, an denen kann man sehen, in welchem Rock sich am besten fliegen läßt. Man holt also die beiden her, obwohl sie sich in ihrer Nacktheit entsetzlich zieren, und Dachs und Schneider legen ihnen die Kleider an, das schöne Schwanengefieder der einen und die Hahnenjacke der andern. Nun soll sich ergeben, wer von den beiden am besten fliegen kann.

Der arme Schneider aber weiß wohl, wie es ungefähr ausgehen wird, ach, im Hahnenrock fliegt es sich nicht weit! Er streicht und streicht deshalb, solange es noch angetaut, seiner Gang den Rock zurecht und mag gar nicht aufhören; er weiß, diese letzte Wette wird er verlieren. Und er hält sich noch immer fest, als seine Gans im Hahnenkleid schon zu flattern versucht, und kriegt in seiner Furcht sogar noch einen Flügel der andern Gans im Schwanenkleid zu fassen. Und auf einmal sind sie, weiß Gott, alle drei wieder in der Luft und streiten auf und davon.



017 H.F. Blunck Märchen -- Warum die Igel sich nur zur Nacht sehen lassen Flip arpa

Ich habe nicht mehr gehört, wo die drei gelandet sind. Ich weiß nur, niemand hat daran gedacht, den Flüchtlingen nachzusetzen; die Tiere haben viel zu lange lachen müssen über das Gesicht, das der betrogene Teufel machte, über den Verdruß Grimbarts des Dachses und über den spindeldürren Schneidergesellen, der zappelnd und strampelnd am Himmel von dannen zog: rechts eine Gans mit Hahnen-, links eine Gans mit Schwanenflügeln.


Copyright: arpa, 2015.

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