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Kapitel 

Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Wie der Hollerpuk einem Fräulein zur Hochzeit verhalf

Einmal im Jahr, sagt man, wird Lütje Puk —das ist der Kleine mit der roten Mütze, der unter unseren Dachboden wohnt —, einmal im Jahr wird er zum Hollerpuk. An dem Tag darf er seine Pflicht und Gerechtigkeit vergessen und drei böse Klebewünsche aussprechen, die ihm vergeben werden. Aber es muß um Frau Holles willen sein, und wenn er dabei nicht ein hübsches Mädchen unter die Haube bringt, kann ihn doch unversehens der Teufel holen.

Nun wohnte in einer Straße hier in dieser Stadt eine wunderschöne Jungfer, Emma Ellerbrook, die hatte schon eine Menge Freier, so jung sie war. Sie nahm es auch sehr ernst mit jedem. So viel sie sich's indes überlegte, keiner war ihr recht zu Sinn. Da war der Kapitän, aber der log zuviel; der Pferdehändler war zu dick und der Ratsschreiber eingebildet. Der, den sie hätte haben mögen, war ein armer Student; er hatte jedoch nichts als eine alte Geige und ein Herz voll Liebe, und damit war schon in den Tagen, von denen ich spreche, schwer ein Hausstand zu gründen. Das sagten auch alle Muhmen und Oheime, so daß Jungfer Emma es am Ende selbst glauben mußte. Sie hätte es aber dennoch gern versucht, und wie sie dazu kam, ist keine alltägliche Geschichte.

In einer Winternacht hörte nämlich Lütje Puk, der in ihrem Haus unterm Giebel wohnte, von der Straße her eine wunderschöne Weise. Er meinte zuerst, da spiele ein alter Wassermann, der am Hafen saß und Liebeskummer hatte. Aber es klang näher, und als der Puk seine Mütze zur Dachluke hinaustat, sah er in der Tür, gerade unter Emmas Fenster, einen langen Burschen stehen. Der geigte so fein, daß alle Häuser die blinden Augen aufsperrten und alles Laternenlicht auf zierlichen Fäden und Bogen zu ihm rann. Und obwohl es regnete, als wollte es niemals



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Morgen werden, und obwohl der Wind eiskalt durch alle Straßen strich, drang die Weise seiner geduldigen Liebe immer inniger zum Giebel hinauf, so daß dem Wicht das Herz ebensosehr zuckte wie der Jungfer Emma, die in ihrer Kammer auf den unnützen Liebsten schalt.

In jener Nacht hat Lütje Puk keine Ruhe gefunden, solch Mitleid batte er mit dem Geiger. Und gegen Morgen zog er über seine rote Mütze eine grüne und eine goldgelbe, zum Zeichen, daß er auf Hollerpuks Recht ging und dreimal die Gerechtigkeit überspringen durfte. —

Mit dem neuen Tag war es eisig kalt geworden. Die Straße war weiß von Schnee, so weit man schauen konnte; an allen Fenstern wuchsen blasse Gräser und Kräuter ohne Nanen und Samen. Im Haus Ellerbrook aber wurde es lebendig. Die Schlittenpferde stampften ungeduldig im Stall, und Lütje Puk, der sonst selten sein Heim verläßt, war unter seinen drei Hauben übermütig wie noch nie.

Um Mittag kam ein Bote zurück. Er hatte kleine Einladungen ausgetragen; der Pferdehändler hatte eine gekriegt, der Kapitän, der Ratsschreiber und, um Emma eine Freude zu machen, sogar der Student. Was war das für ein Gerede und Begrüßen, als die Gäste eintrafen! Alle Frauen nachbarsrund steckten die Köpfe zum Fenster hinaus und berieten gleich, wer bei Mutter Ellerbrook wohl am besten gesehen wäre. Die einen nannten den, die anderen jenen, wie sie just zu der Zunft standen. Auf den armen Studenten aber riet nur Möllers Lüttjemarie, die war erst sieben Jahr..

Dann ging es holterdiepolter und bimmelbammel in den Schnee hinaus; der Kutscher mit dem Wein oben auf dem Bock, dann so recht wohlig die Ellerbrooks und das Gastgeviert, dahinter aber, von allen angeschmaucht, der Hollerpuk.

Der Kleine hatte seinen Tag der bösen Wünsche, das erzählte ich schon, man hätte sich vor ihm in acht nehmen sollen. Die Brautwerber waren jedoch unvernünftig wie Maikater und hatten niemand auf Rechnung, auch den Studenten nicht, der nur mitunter etwas von seiner Geige sagen durfte. Und als sie erst nach ein paar Stunden bei Poppenbütkel ausgestiegen



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waren und den Kutscherbock leer getrunken hatten, wußte sich keiner breit genug zu tun. Der eine wollte mit der Jungfer über das Eig tanzen, der andere rollte ihr einen verliebten Schneemann, und der Pferdehändler schüttelte alle Schneezweige über dem Studenten, weil Mutter Ellerbrook Tränen darüber lachte. Kurz und gut, die Schlittenfahrt, die so vergnügt begonnen hakte, schien auch lustig zu Ende zu gehen. Denn was ich noch sagen muß: daß zwei sich gestritten hätten, ist nicht wahr; gegen den Kuß, den das Fräulein Emma kriegte, hat es sich nicht gewehrt. Es hat ja auch niemand davon gewußt, außer ihr und dem armen Studenten. Vielleicht hat's noch der Hollerpuk gesehen, aber der verrät nichts.

Endlich wurde es Zeit, man dachte an die Heimfahrt. Es hatte eigentlich nach Mutter Ellerbrookg Plan eine Verlobungsreise werden sollen. Aber die drei Werber wußten nichts Besseres zu tun, als voreinander aufzutrumpfen oder sich feindselig gegen den vierten zu spreizen. Gerade ging der Händler breitbeinig zu den Pferden, meinte, von der Art hätte er ein Dutzend im Stall, und schob dem einen Gaul prüfend die Hand zwischen die Zähne.

In dem Augenblick wurde der Hollerpuk lebendig. Er hatte sich bis dahin vom Bock alle Unvernunft geruhsam angesehen. Jetzt zog er bedächtig die oberste Mütze ab und sprach seinen ersten Klebewunsch aus Und der Pferdehändler riß die Augen vor Erstaunen auf und ruckte und zerrte; er begriff nicht recht, seine Hand war dem Tier am Gebiß festgewachsen.

Das war ihm sein Leben lang noch nicht geschehen, obwohl er vieltausend Rossen schon die Finger ins Maul getan hatte. Er schalt furchtbar, rüttelte am Gebiß und sah sich so heimtückisch um, daß seine dicken Augen aufquollen. Auch der Gaul warf ärgerlich den Kopf, schnaufte, schielte den Mann an und kaute an seinen Ringen.

Der Pferdehändler konnte ja durchaus nicht begreifen, was da vor sich ging. Er pruschte noch einmal vor Grimm, ruckte nach rechts und ruckte nach links. Aber die Hand rührte sich nicht. Da wurde er ganz still, wischte sich die Stirn und hätte sich am liebsten flach auf die Erde gelegt,



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so sehr zitterten ihm die Knie. Und er überlegte, was er wohl tun müsse, um wieder zu sich zu kommen. Er meinte nichts anderes, als daß er den Verstand verloren hätte.

In dem Augenblick eilte der Kapitän herbei. Er erzählte gerade von einem wilden Wettreiten zwischen Matrosen und Indianern, wollte seine Rüstigkeit zeigen, stieg auf eine Deichsel und warf sich auf das zweite Pferd. "Seht mal her', schrie er und legte sich fest in des Schimmels Rücken. "So preschte ich allen voran!" Er sah nicht, daß der Hollerpuk grinste, den Mund auftat und die andere Mütze zog. Wohl aber bekam der Mann ein klebriges Gefühl an den Schenkeln und hätte sich gern gelüftet, hockte und hüpfte. Es gelang ihm nicht, das Pferdefell hielt fest, obschon der Gaul, dem der Reiter Pein machte, sich auch nach Kräften zu schütteln begann.

Das muß nun wieder von unten sehr lustig ausgesehen haben; der Ratsschreiber wandte den Kopf und schneuzte sich ins Taschentuch, bis ihm das Zwerchfell weh tat; er merkte zudem, daß solche Art, von sich zu prahlen, nicht eines Fräuleins Herz gewinnen kann. Aber dem Reiter war auch gar nicht mehr danach zu Sinn. Er spürte alle Rückenwirbel seines Tieres und versuchte ein Bein nach dem andern zu heben, aber es wollte ihm nicht gelingen. stotterte er, ihm sei es so wohl da oben, er möchte am liebsten heimreiten bestand auch darauf, obwohl Mutter Ellerbrook zankte und ihn einen Narren nannte. Nur der Händler gab dem Kapitän recht, redete etwas Ähnliches und war heilfroh in seiner Not, daß dem anderen ein gleiches Mißgeschick wie ihm selbst begegnet war.

Der Ratsschreiber aber, der immer noch hinter seinem Schneuztuch lachte, tat ein übriges und empfahl einen besonders hügeligen Heimweg, obschon "verboten" davor stand. Und als die Jungfer Emma meinte, wenn etwas verboten sei, so gelte es auch für einen Ratsschreiber, ging der aufsässig hin und hob mit beiden Armen den Wegweiser aus der Erde, um seine Macht zu zeigen.

Der Pfahl blieb in seinen Armen kleben, Lütje Puk hatte eben den dritten Wunsch ausgesprochen.



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Der Ratsschreiber hatte nun gerade gemeint, den andern Werbern über zu sein. Er sträubte sich ingrimmig gegen die Zauberei und schlug mit der sonderbaren Stange gegen Bänke und Gatter. Es half aber alles nichts, der Pfahl hielt fest, obwohl der Mann sich voll Zorn nach allen Winden damit drehte. Ja, er wußte am Ende nicht einmal, über was er sich mehr ärgern sollte, über den albernen Kapitän auf seinem Gaul, über den Pferdehändler, der sich mit der freien Hand auf die Schenkel schlug, oder über den klebrigen Wegweiser in seinen Armen.

Da mußte denn eine stille Heimreise begonnen werden, fast wie ein Leichenzug. In halber Dunkelheit fuhr man durch die Stadt, konnte aber nicht vermeiden, daß viele ehrbare Bürger am Weg stehenblieben und den Kopf schüttelten über das sonderbare Gepäck. War auch einer dabei, der schrie, den alten Narren geschähe recht, was hätten die um solch junges Ding zu freien! Die drei Herren erwiderten standhaft. Es half aber wenig, weil ihre Beweglichkeit gering war, und dem Fräulein blieb gleichgültig, was sie da schalten, weil der vierte Gast gerade von seiner Geige sprach.

Nur die alten Weiber, die hinter den Fenstern auf die Heimkehrenden warteten,



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sperrten Mund und Augen auf, als der Student vor allen andern Herren der Jungfer Emma aus dem Wagen half und sie ins Haus führte, als der Kapitän mehr tot als lebendig von seinem Schimmel fiel, der Roßtäuscher wie ein Dieb zur Seite schlich und ein alter Wegweiser mit dem Ratsschreiber kopfüber, kopfunter aus dem Wagen purzelte.

Es ist auch so ausgelaufen, daß der Student gewonnen und am Ende die Jungfer heimgeführt hat. Der Puk hat drei Tage bei der Hochzeit geschmaust; er hat einen Mordsspaß gehabt und vor lauter Ausgelassenheit allen Leuten die Teller übergeschülpt. Wenn's nach ihm ginge, würde er gern noch einmal den Hollerpuk spielen. Vielleicht ist es in zwanzig Jahren wieder soweit?


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