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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Liebe Kinder! Liebe Eltern !

In meiner Heimat, in Deutschland überall, gibt es viele tausend Mären und Geschichten, die alle noch nicht erzählt wurden. Sie sind oft jung, oft uralt. Die jungen glitzern und prangen von Dingen, die erst in dieser Zeit geschahen, die alten ruhten in unserem Blut, oder aber sie hingen wie feine Nebel im Busch und blieben an uns haften, wenn wir sie streiften, und verlangen, daß wir von ihnen berichten.

Vielerlei gibt es da, was schon wir Älteren als Kinder hörten und neu zusammenflochten oder aber was wir selbst schauten und noch zu erzählen vergaßen. Kleine Wesen kamen zu uns in den Traum, kicherten und erinnerten uns an die plumpen Riesen, an die listigen Zwergvölker und an ihre oft so weisen Könige. Aus den Brunnen hörten wir Geschichten, die man sich auf seinem Grund erzählt. Am Meer begegneten wir König Egge, den Wasserfrauen und den lustigen grünen Nöcken, in den Sandgruben dem "Kulenwirt" mit seinen drolligen Gesellen. Aber am schönsten war es, wenn der Sturm über Land fuhr und wir den Wilden Jäger hörten, der uns freund war und allen Spuk, alle häßlichen Gedanken und alles kriechende Volk wie auch Drulle und unholde Wichte nach Gottes Befehl aus Furchen und Wäldern trieb.

Es gibt viele Namen für die Geister und Helfer, die in den Schelmengeschichten und Sagen unseres Landes umgehen. Es gibt so viele, daß man sich kaum dazwischen zurechtzufinden vermag.

Ich will mit ein paar Worten berichten, wie ich selbst die großen und kleinen Wesen der Märchen nenne, die in unseren Geschichten, in den alten und in den neuen, auftauchen. Ich brauche nicht zu sagen, warum es mir so erging, daß ich gerade diesen oder jenen Namen liebhatte. Oft wird es der erste gewesen sein, der mir zu Ohren kam. Aber Euch, den Alten, die Ihr auf den Schulen soviel Fremdes lerntet, von Euren eigenen Volkssagen zu erzählen, bringt mir Freude. Und erst den Mädchen und Jungen — nun ja, für Euch sind ja meine Märchen überhaupt da, und Ihr seid, ich weiß es, meine besten Freunde für alle Zeit.

Nun will ich rasch, wie ich's versprach, ein paar Namen sagen.

Also, daß der liebe Gott und der Heiland oft durch unsere Geschichten gehen, das weiß ein jeder. Und wenn sie vielleicht in diesem Buch etwas



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anders sind als in der Schulstunde, so tut es nichts zur Sache. Aber auch die Erzfeinde aller guten Wesen sind da: So etwa der falsche Riese, den wir Lohber nennen, und Dullhorn, Bellhorn, Kattenhorn und andere, die von ihm abstammen und die wir Menschen so gern und herrlich übers Ohr hauen. Wie gut, daß der Wilde Jäger jene Unholde und alle faulen Gestalten aus der Welt jagt, gleichwie der getreue Eckard sein Bestes tut, uns die Augen zu öffnen.

Von Frau Gode, die ihren hellen Wagen über den Himmel führt, habt Ihr wohl längst gehört. Sie heißt auch die Wittefru oder die weiße Frau und ist die Gütige, Segnende, die auf Erden geht und das Unglück heilt. Frau Freia ist ihre Schaffnerin und Frau Holle ihre Tochter. Ach, aber die Frau Helle selbst wieder hat so viele Schelminnen und kluge und schöne und oft trügerische Töchter, von denen will ich hier gar nicht erst zu erzählen beginnen. Mit Frau Holle kommt manchmal Herr Fro über Land, der uns im Sommer die Ernten beschert, oder auch der rotbärtige Mann aus den Gewittern, der Herr Dunnar oder Thor, wie man im Nordland sagt. 1 ein Sohn ist Weland, der Schmied, der zum erstenmal die Flügel für die Menschen baute.

Wovon soll ich weiter erzählen? Von den schlauen Zwergen oder Wichten, von den Klabautermännern, die auf den Schiffen, von den Rullerpuckern, die unter den Eisenbahnen wohnen, von den kleinen Pugen oder Wölterken, die unter der Dachluke hausen und freundliche Gesellen sind Oder etwa von den Riesen oder Hünen, denen wir Menschen und auch die guten Helfer längst übergekommen sind, oder von den Nixen im Wasser oder den schönen weißen Windischen, die in den Wolken wohnen?

Am liebsten aber erzählen unsere Geschichten immer wieder von Gottes Güte, die hinter allem Geschehen steht, das uns umgibt.

Ja, wer nur mit hellen Augen auf den Höhen unserer Berge oder am Land der wilden See zu wandern und zu träumen vermag, dem wird gegeben ohne Ende. Und wenn wir es auch nur Lied oder Mär nennen — und Mär soll es bleiben —, so wissen wir dennoch, daß manches Klingen in unseren Ohren Widerhall einer anderen Welt ist, die uns umgeistert, ohne die unser Leben ohne Lächeln und Fröhlichkeit wäre und ohne Hoffnung und glückhafte Erwartung kommender Dinge.


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