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Märchen und Sagen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaëls


Der Glockenguß zu Attendorn

Eine Witwe, die zu Attendorn im Lande Westfalen lebte, hatte einen einzigen Sohn. Der ging in die Fremde, nach Holland, wo er treu und fleißig arbeitete, die Mutter unterstützte und auch für sich etwas zurücklegte, was er aber alles nach Hause zur Sutter sandte, es ihm aufzubewahren. Da kam eines Tages mit anderen Sachen eine kleine schwarze, aber sehr schwere Metallplatte, und die Frau, die einen kleinen Laden hielt, stellte sie unter die Bank, da sie nicht recht wußte, wo sie das Erz aufbewahren sollte, seiner auch nicht hoch achtete.

Nun traf es sich, daß die zu Attendorn wollten eine neue Glocke gießen lassen, und da gingen Männer aus der Gemeinde von Haus zu Haus und erbaten altes Metall, Erz, Messing, .Kupfer, Zinn, alles, was gut war zur Glockenspeise von zerbrochenen oder abgängigen Geschirren und Hausgeräten, und da die Witwe gerade nichts Entbehrliches von solcher Art hatte, fiel ihr die alte schwarze Erzplatte ihres Sohnes ein, und sie gab diese den Männern hin.

Der Glockengießer reiste bald darauf nach Arnsberg, wo er auch Arbeit hatte, indes bereitete sein Geselle zu Attendorn alles zum Guß vor big zu



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des Meisters bestimmter Ankunft, formte die Glocke und brachte einstweilen alles Erz in Fluß. Siehe, da blieb der Meister, durch andere Arbeit verhindert, aus, und der Geselle konnte nicht anders als den Guß vollenden, auch war er seiner Sache gewiß. Und das Werk gelang ganz vortrefflich, und als nun die Glocke geläutet wurde, hatte sie einen überaus herrlichen Klang, so daß alles, und sein Werk am meisten, den Meister lobte, obgleich der Meister nur ein Geselle war.

Heitern Sinnes gedachte dieser nun nach Arnsberg zu reisen, um seinem Meister dort zu helfen, und als er schied, da gaben ihm viele gute Gesellen das Geleite, und hinter ihm schallte das herrliche Geläute seiner Glocke ihm zu Sank und Ehren. Allg nun der wandernde Geselle mit seiner Geleitschaft gegen das Schloß Schnellenberg kam, begegnete ihm auf einer steinernen Brücke zu Pferde sein Meister, welcher schon erfahren hatte, daß der Geselle ohne ihn den Glockenguß meisterlich vollbracht, voller Zorn und Wut, schnaubte ihn mit den Worten an:

Was hast du getan, du Bestia?!"

Er schoß ihm auf der Stelle eine Kugel durch den Kopf und sprach zu den erschrockenen Geleitenden:

Der Kerl hat die Glocke gegossen als ein Schelm, muß umgegossen werden!

Ritt stracklich, als habe er was Rechtes vollbracht, nach Attendorn, in Absicht, die Glocke wirklich umzugießen.

Allein die Zeugen der Mordtat klagten ihn an beim Rat, und der Rat ließ ihn alsbald festsetzen und bedeuten, es sei nicht Brauch im Reich, daß jeder Meister an seinem Gesellen zum Scharfrichter werde, und ließ ihn befragen, was ihn zu solcher Untat getrieben, denn ein hochweiser Kat zu Attendorn sah klüglich ein, daß wohl mehr dahinter verborgen liegen müsse ala bloßer Zorn und Eifersucht über ein noch dazu wohlgelungenes Werk des Gesellen. Erst fragten sie gütlich, dann peinlich und sehr peinlich, mit eisernen Fragezeichen, als da waren Daumschrauben, spanische Stiefel, gespickter Hase und dergleichen, und da bekannte der Meister Glockengießer, er habe sich so sehr verzürnt über den Gesellen, weil unter dem eingelieferten



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Metall eine schwere schwarzgefärbte Goldplatte gewesen, die er, der Meister, für sich habe wegzwacken und zurückbehalten wollen, die habe der Geselle aus Unkunde auch mit eingeschmolzen, und davon habe die neue Glocke den herrlichen Klang. Darum habe er die Glocke nochmals umschmelzen, das Gold ausscheiden und sie neu gießen wollen.

Mit diesem Bescheid auf seine Fragen war der Kat zu Attendorn zufrieden und ließ dem Meister den Kopf abschlagen, dem unschuldigen Gesellen aber auf jener Brücke ein Steinernes Kreuz zum Andenken errichten. Niemand aber konnte denken, wer in der Stadt zur Glocke eine so kostbare Beisteuer gegeben habe.

Da kehrte der Sohn der Witwe mit ziemlicher Habe aus Holland zurück und fragte bald seine Mutter, wo sie die schwere Goldplatte aufbewahrt habe, so er ihr gesendet?

"Gold? Das war Gold?"schrie die Witwe und wurde vor Schrecken bleich und schier ohnmächtig und bekannte mit Zittern, daß sie das ja unmöglich habe wissen können, daß die schwarze Platte hingegeben habe zum Glockenguß. Darauf sprach der Sohn:

"Beruhigt Euch nur, meine liebe Mutter! Es ist gegeben zu Gottes

Und nun erzählte die Frau ihrem Sohne die Geschichte von dem Glockenguß und wie es dabei ergangen, daß durch jenes Gold zwei Menschen, einer unschuldig und einer schuldig, ihr Leben eingebüßt, daß sie aber nimmermehr habe denken können, daß aus ihrer Hand das vielbesprochene Gold gekommen, und der Sohn sagte:

"Gott hat es also vorausbestimmt, wir wollen über den Verlust nicht klagen und nur über das Unglück trauern, das jenes Gold geboren.

Nach langen Jahren entzündete ein Wetterstrahl den Glockenturm zu Attendorn, und in der Glut schmolz auch die Glocke. Da ward das Erz gesammelt und geprüft und also goldhaltig befunden, daß von seinem Wert der ganze Turm neu gebaut und mit Blei gedeckt werden konnte.


Copyright: arpa, 2015.

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