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Märchen und Sagen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaëls


Das große Los

Zu Berlin war ein armer Schuhmacher, dem hing ein Händler, statt baren Geldes für Stiefel oder Schuhe, ein Lotterielos auf; der Mann legte das Papier ing Fenster und hatte dessen keine Acht. Als der Sonntag kain, ging er mit seiner Frau spazieren, ließ aber die Kinder daheim.

Die Kinder hatten ihre Lust mit Pappen und Kleidern, und wie sie nach Papier umhersuchten, fanden sie auf dem Fensterbrett das Log.

Ach, ein Bild! riefen sie. "Dag muß hin- zu den andern Bildern an die Stubentür!

Gesagt, getan, das Los bekam auf seine minder schöne Rückseite eine merklich dicke Lage Mehlkleister und erhielt seine Stelle neben einem berühmten Kriegshelden, einer Kompanie Soldaten und sonstigen Dreier- oder Pfennigbildern, welche das Bildergemisch an der Stubentür bereits bilden halfen.

In der Woche tat der Schuhmacher einen Geschäftsgang, von diesem kam er ganz atemlos nach Hause, seine Augen glänzten — er stürzte nach dem Fenster, seine Hand streckte sich nach dem Papier aus — es war fort.

Wo wo — wo das Los? Das Papier? Hier hab's hergelegt! Himmel tausend Donner!

Frau und .Kinder zitterten — der Schuster wurde wild — seine Hand erfaßte den Knieriem, es drohte ein schreckliches Gewitter — da faßte das



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jüngste Kind, ein Mägdlein mit schelmischen Augen, des Vaters Hand und sah ihn bittend und zitternd an und wieg nach der Tür. Da klebte das Los, gut und sicher- aus dem Fenster hätt' es vielleicht ein Windstoß geweht.

Goldkind!"rief der Schuster, und hob das Kind empor, und küßte es, und ließ den Knieriem fallen.

Aber das Log saß fest, herunter ging es nicht-— der Versuch, mit Wasser es abzuweichen, hätte das dünne Papier jedenfalls vernichtet. Der glückliche Gewinner, denn das Log war als Großes Los aus ier Ziehung gekommen, faßte sich kurz, er hob die Tür aus den Angeln und trug huckepack auf das Rathaus, wo die Ziehung stattfand.

Alles erstaunte, als das Los so groß und schwer hereinkam, doch da alles in Ordnung befunden ward, mußte gleich dem Besitzer des glückhaften Loses die Tür zum Zählbrett dienen.

Darauf hat dieser Schuster in der Wallstraße zu Berlin ein hübsches Haus erbaut und über der Tür sich selbst abbilden lassen, wie er seine Stubentür huckepack trägt. Das Haus hat die Nummer 25.


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