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Märchen und Sagen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaëls


Wo der Hund begraben liegt

In Winterstein liegt der Hund begraben; das ist ein Dorf hart am Fuße des Inselberges, durch den die Emse fließt. Da haben früher auch viele Bergleute gewohnt, und die Herren von Wangenheim haben ein Bergschloss gehabt, das ist jetzt in Trümmern, es sind aber noch drei Wangenheimische Schlösser allda.



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Einer dieser Herren war, wie fast alle seine Vorfahren und Nachkommen, Jägermeister eines Herzogs von Gotha. Er hatte einen sehr gescheiten und neuen Hund, des Same war Stutzel, und als der Herr von Wangenheim gestorben war, hatte seine Witwe den Hund noch lange. Stutzel war so geschickt und klug, daß er mit Briefen, die man an sein Halsband befestigte, ganz allein nach Gotha auf den Friedenstein und zur Herrschaft ging und wieder mit Briefen zurück, so daß sich der gothaische Bote den Weg über Winterstein fast ersparen konnte.

Die Witwe war nun dem Stutzel über alle Maßen gut, und da er endlich den Zoll der Natur bezahlte, da ließ sie ihn in einen Sarg legen und weinte schmerzlich und wollte haben, daß auch die Dienerschaft weinen sollte. Die tat's der Herrin und dem Stutzel auch zulieb und heulte und schrie aus Leibeskräften um den guten Hund, bis auf eine alte Köchin, die weinte "mit trockenen Augen" —darob zürnte die Herrin und gab ihr auch kein Trauerkleid, wie das übrige Gesinde empfangen. Da sie aber in die Küche kam, wo die Köchin Zwiebeln schnitt, davon ihr die Augen tränten, so sprach sie schmerzvoll:

"Nicht wahr, nun weinst du doch noch um den guten Stutzel? Sollst nun auch ein Trauerkleid haben!

Die alte Köchin lächelte durch die Tränen und sagte nicht nein.

Nun wollte die Frau von Wangenheim, Stutzel solle feierlich beerdigt werden, und zwar nirgend anders als auf dem Gottesacker; da kam der Pfarrer aufs Schloß und sagte:

"Gnädige Frau, dieses gehet nicht an. Der Gottesacker ist für Christenleute und nicht für einen Hund. Nicht einmal einen Juden dürfte ich auf ihm begraben lassen.

"So", sagte die Frau Jägermeisterin von Wangenheim Witwe, "gehet es nicht an? Das tut mir leid. Der selige Stutzel war gar kein Hund, er hatte Menschenverstand und hat sogar ein Testament gemacht, und hat darin Seiner Kirche einhundert Taler vermacht und Ihm selbst fünfzig Taler, notabene, wenn ihm ein Plätzchen auf dem Kirchhof würde, außerdem aber nichts.



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Das ist freilich ein ander Ding, gnädige Frau — die Kirche ist sehr arm", sagte darauf der Pfarrer. "Ei, der gute fromme Stutzel! Wer weiß, ob nicht in ihm ein lieber Mensch verzaubert war, da er so vielen Menschenverstand gehabt. Nun —ich denke — ein Eckchen im Kirchhof — Ihro Gnaden mich dienstwilligst zu erzeigen.

Wurde darauf ein feierliches Leichenbegängnis veranstaltet, untz mußten Knechte und Mägde, so alle in Trauer gekleidet, hinter dem Hundesarg hergehen. Aber das wurmte die Gemeinde und kam herum in der Gegend, und wo sich ein Winters einer sehen ließ, lachten die Leute und spotteten, wie ohnehin die Thüringer gern spotten:

"Na, bei euch zu Winterstein leigt ja der Hund uff'm Kerfich (Kirch begraben!

Die Sache kam vor die gnädige Landesherrschaft, die wurde darum sehr ungnädig, es kam eine Kommission vom herzoglichen Konsistorio zu Gotha, und der Pfarrer wurde vernommen. Der sagte, er habe es um des armen Kirchleins willen zugelassen, half ihm aber solche Ausrede gar nichts; der Pfarrer wurde abgesetzt und der Stutzel ausgegraben, ob die Frau von Wangenheim aber das Geld zurück erhalten hat, ist sehr zu bezweifeln; ein Herr von Wangenheim, der dieses selbst erzählt hat, wußte davon nichts.

Nun ließ die Frau Jägermeisterin von Wangenheim Witwe den Stutzel zum zweiten Male beisetzen, und zwar im Garten, und ließ ihm einen Stein zum Denkmal setzen, darauf der unvergeßliche Stutzel abgebildet war, wie er leibte und lebte, und eine schöne Grabschrift war darauf lesen, die Stutzels Tugenden der Unsterblichkeit überlieferte.

Und noch immer geht das Sprichwort: In Winterstein — da liegt der Hund begraben,


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