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Märchen und Sagen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaëls


Der Klapperer

Auf dem Kirchhofe zu Thierbach, unweit Pausa, war vorzeiten ein rippe, dessen Knochen alle noch zusammenhingen. Es stand in einer Mauernische und diente der Dorfjugend teils zum Schreck, teila zum Frevel. Wenn der Wind stark wehte, schlugen die geblichenen Gebeine klappernd zusammen, darum nannte man es den Klapperer.

Das Gerippe hatte einst einem reichen Bauernsohn, man sagt, dem Sohne dee Schulzen, angehört, der ein armes Mädchen aus dem Dorfe liebte und betrog. Er hatte ihr zugeschworen: wenn er ihr untreu werde und sie nicht nehme, solle sein Leib niemals im Grabe ruhen. Aber er durfte dieses Mädchen doch nicht heiraten und wollte hernach auch nicht und freite sich eine reiche Frau. Die arme fand doch einen Mann, der sie zu Ehren brachte, jener Treulose aber wurde nicht glücklich mit der reichen Frau, und da ergab er sich dem Trunke und starb an einem unglücklichen Sturz, den er in der Trunkenheit tat.

Er ward begraben, aber der Sarg mit seinem Leibe hatte keine Ruhe in der kühlen Erde, er hob sich empor, und immer sah man ein klein wenig



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davon aus dem Grabe ragen. Man schüttete frische Erde darauf, es half aber nichts, und der Sarg rückte immer höher. Da hob man ihn endlich heraus und stellte ihn in ein offenes Gewölbe, wo man die Totenbahren zu verwahren pflegte. Allmählich verfiel der Sarg, und das Gerippe wurde frei und allen sichtbar.

Darüber gingen aber Jahre hin, und viele wußten schon nicht mehr, wie der geheißen, der einst in diesem Leibe gewandelt, aber die Sage ging, daß er immer noch wandere, rastlos und ruhelos.

Da wurde zu Thierbach eine Hochzeit gehalten, auf der viele Junge und Alte waren, und das junge Volk spielte ein Pfänderspiel. Es war schon Mitternacht.

"Was soll das Pfand tun, das ich in meiner Hand halte?"fragte eine Stimme.

"Es soll den Klapperer vom Kirchhof hierhertragen!" erscholl die Antwort.

Alles lachte, aber fast unbemerkt war der, dem das Pfand gehörte und der die kecke Dirne liebte, die so frevlen Wunsch ausgesprochen, zum Kirchhof gegangen, hatte sich mit dem Klapperer beladen und kam bald darauf mit seiner asi angeprasselt. Alles schrie auf vor Schreck und Entsetzen, der Bursche aber war stolz auf seinen Mut.

Mitten in den Lärm der jungen Leute trat nun ein alter Mann und sprach ernst:

"Gebt dem Klapperer alle die Hand und bittet ihn um Verzeihung, daß ihr ihn gestört habt, sonst wird Unglück über euch kommen."

Zagend taten die Versammelten, was der Alke gebot, nur ein Mütterlein stand ferne, und Tränen zitterten in ihren Augen.

"Auch du, auch du mußt bitten!"rief der Alte.

Und sie schritt zitternd heran, faßte die Knochenhand und flüsterte:

"Verzeihe, wie ich selber dir verzeihe!"

Es war die Verlassene. Und da lösten leise die Knochenbänder, und das Gerippe sank auseinander. Man sammelte und begrub die Knochen, und der Klapperer hatte nun Ruhe.


Copyright: arpa, 2015.

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