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Märchen und Sagen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaëls


Das Oldenburger Horn

Im heutigen Oldenburger Lande herrschte einst ein Graf des Namens Otto, der hatte große Lust am Jagen und zog aus mit seinen Vasallen, Jagdgenossen und Jägern nach einem Walde nicht allzufern von dem Osenberge. Da stieß dem Grafen ein Reh auf, das floh vor ihm her, und er hetzte es mit seinen Rüden und kam in der Verfolgung seinem Jagdgefolge ganz aus dem Gesicht. Sein weißes Pferd trug ihn so schnell von dannen, daß er selbst seinen schnellen Windhunden aus der Spur kam und sich mit einem Male, ohne auch nur von weitem etwas von seiner Jägerei zu sehen oder zu hören, auf einer stillen Bergfläche befand. Auch das Reh, das ihn so weit verlockt hatte, sah er nimmer.



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Nun war die Hitze an diesem Tage groß, es soll im Julimond gewesen sein, und den Grafen durstete sehr, daher sprach er zu sich selbst; ,O Gott, wer kühlen Wassers nur einen einzigen Trunk hätte!" —

Da öffnete sich eine Felswand am Osenberg, und es trat aus ihr eine schöne, wohlgezierte Jungfrau, reizend anzuschauen. Die hielt in ihrer Hand ein uraltes Jägertrinkhorn, verziert mit mancherlei seltsamem Bildwerk, das war von Silber überkleidet und kostbar vergüldet und überaus künstlich, voll Figuren, und das Horn war voll eines rankes, den bot die Jungfrau dem Grafen sittiglich dar. Graf Otto nahm das Trinkhorn, schlug den Deckel auf und wollte es zum Munde führen, sah aber in das Horn hinein und beschaute den Trank, und der gefiel ihm mitnichten, denn als er ihn schüttelte, war er trübe und roch auch nicht wie Malvasier — und der Graf trank nicht. Die Jungfrau aber ermunterte den Grafen, er solle nur ihr vertrauen und trinken; es werde ihm und seinem Geschlechte gedeihen. Aber der Graf weigerte sich fortdauernd, um so mehr, da die Jungfrau in ihn drang, doch zu trinken, und so sagte sie:

So du nicht trinkst, wird in deinem Geschlechte und deiner Nachkommenschaft nimmermehr Einigkeit sein.



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Nun hielt der Graf immer noch das Horn mit dem Trunke in seiner Hand und hatte sein Bedenken, da zuckte das Roß, und troff etwas von dem Tranke über und auf des Pferdes hintern Bug, da gingen gleich die Haare weg. Jetzt langte die Jungfrau nach dem Horne und begehrte es wieder aus seiner Hand zu nehmen, aber der Graf behielt es und ritt von dannen, und die Jungfrau schwand wieder in den Berg hinein.

Den Grafen kain ein Grauen an, er schüttete das Horn aus. Das Gefäß behielt er und ritt weiter, bis er sich wieder zu seiner Jägerei fand, zeigte ihr das Horn und erzählte, auf wie wunderbarliche Weise er zu dem köstlichen Kleinod gekommen sei, Darauf ist das Horn sorgsam im Schatz der Grafen von Oldenburg aufbewahrt worden.


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