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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE DES SIEBENTEN WACHTHAUPTMANNS

Mir geschah in Alexandrien, der Stadt, die Gott behüten möge, ein wunderbar Ding, und es war dies. Einst kam zu mir eine alte Frau, die allerlei Wertsachen und Schmuckstücke trug in einer großen Schatulle von wunderbar schöner Arbeit; und sie hatte ein schwangeres Mädchen bei sich. Sie setzte sich vor den Laden eines Leinenhändlers nieder und erzählte ihm, das



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Mädchen sei durch den Präfekten der Stadt schwanger geworden; dann entnahm sie bei ihm auf Borg Stoffe im Werte von tausend Dinaren und setzte die Schatulle bei ihm nieder. Nachdem sie ihm gezeigt hatte, was darin war, und er Dinge von hohem Werte gesehen hatte, hinterließ sie die Schatulle bei ihm als Pfand, lud der Sklavin. die bei ihr war, die Stoffe auf und ging fort. Doch sie blieb lange weg, und als ihr Ausbleiben dem Händler zu lange währte, glaubte er nicht mehr an ihre Rückkehr und eilte zum Hause des Präfekten. Dort fragte er nach ihr, aber er konnte nichts von ihr erkunden, ja, keine Spur ward von ihr gefunden; da holte er das Schmuckkästchen hervor, allein man sagte ihm, das alles sei vergoldet, und sein Wert betrage nicht mehr als hundert Dirhems. Wie er das zu hören bekam, ward er tief bekümmert; und er ging fort und begab sich zum Stellvertreter des Sultans. Als er bei ihm angekommen und vor ihn getreten war und ihm seine Klage vorgetragen hatte, erkannte der Stellvertreter, daß eine List bei ihm Erfolg gehabt hatte und daß die Menschen ihn belogen und betrogen und ihm seine Stoffe gestohlen hatten. Da er aber in den Dingen der Welt erfahren war und vortreffliche Pläne machen konnte, so sprach er zudem Manne: ,Nimm etwas aus deinem Laden fort; und morgen früh zerbrich das Schloß und schrei laut und komm zu mir und führe Klage, daß dein ganzer Laden ausgeplündert sei! Rufe aber Gott um Hilfe an, schrei und sage es den Leuten, damit alles Volk bei dir zusammenströmt und sieht, wie das Schloß zerbrochen und dein Laden geplündert ist; zeige es einem jeden, der zu dir kommt, auf daß sich die Kunde davon verbreitet, und sage den Leuten, deine größte Sorge gelte einer großen Schatulle, die einer von den Großen der Stadt bei dir hinterlegt habe, und du seiest in Furcht vor ihm! Doch fürchte dich nicht, sondern



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sage nur immer in deinen Worten: ,Meine Schatulle war die Schatulle des Herrn Soundso, und ich bin in Angst vor ihm und wage nicht, mit ihm zu sprechen; aber ihr Leute die ihr hier bei mir versammelt seid, könnt ja Zeugnis ablegen.' Und wenn du noch mehr dergleichen weißt, so sag es; dann wird die Alte schon zu dir kommen.' Nachdem der Händler die Worte des Präfekten vernommen hatte, sagte er: ,Ich höre und gehorche!' Dann ging er fort von ihm, begab sich in seinen Laden, nahm daraus eine beträchtliche Menge von Waren und trug sie in seine Wohnung. Als er am nächsten Morgen früh zum Laden kam, zerbrach er das Schloß, schrie und jammerte und flehte zu Gott um Hilfe. bis das Volk bei ihm zusammenströmte und fast alle, die in der Stadt waren, sich dort versammelten. Und er rief ihnen zu und sagte ihnen alles, was der Präfekt ihm geraten hatte; und die Kunde davon verbreitete sich überall. Dann eilte er zum Hause des Präfekten. und sobald er dort war, begann er zu rufen und zu schreien und zu klagen und gab seine Klage bekannt. Und nach drei Tagen kam die Alte zu ihm mit dem Gelde für die Stoffe; sie legte es ihm hin und verlangte nun die Schatulle zurück. Kaum aber hatte er sie erkannt, so ergriff er sie und schleppte sie zum Präfekten der Stadt. Und als sie dort vor den Kadi treten mußte. sprach er zu ihr: ,Du Teufeln, weh dir! Genügt dir deine erste Tat noch nicht, so daß du auch noch zum zweiten Male kommen mußtest?' Sie entgegnete ihm: ,Ich gehöre zu denen, die ihr Heil in den Städten suchen; wir versammeln uns in jedem Monate, und gestern war unsere Zusammenkunft." Da hub der Präfekt an: ,Kannst du sie ausliefern?' ,Jawohl,' erwiderte sie; ,aber wenn du bis morgen wartest, so zerstreuen sie sich



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wieder. Darum muß ich sie euch noch heute abend überantworten.' ,Geh hin!' befahl der Emir: doch sie fuhr fort: ,Schicke Leute mit mir, die mich zu ihnen geleiten und die mir in allem gehorchen, was ich ihnen sage. Auf alles, was ich befehle, müssen sie hören; ja, sie müssen mir aufs Wort gehorchen!' Da sandte er eine Schar von Leuten mit, und sie nahm sie und führte sie vor eine Tür; dort sprach sie zu ihnen: ,Bleibt hier vor dieser Tür stehen; und wer zu euch herauskommt, den haltet fest; ich werde dann als letzte von allen zu euch heraustreten.' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten die Leute und blieben an der Tür, zu der sie gekommen waren, stehen, während die Alte hineinging. Eine ganze Stunde standen sie dort, aber niemand kam zu ihnen heraus; solange warteten sie. Da wurden sie des Befehls, den der Stellvertreter des Sultans ihnen gegeben hatte, überdrüssig, weil sie so lange stehen mußten. Und da sie das Warten nicht mehr ertragen konnten, so traten sie an die Tür heran und schlugen so stark und heftig dagegen, daß sie den hölzernen Riegel fast zerbrachen. Dann ging einer von ihnen hinein und blieb lange Zeit fort; doch er fand nichts. Und als er zurückkehrte, sagte er: ,Dies ist die Tür zu einem Durchgange, zu einem Auswege, der auf die und die Straße führt! Die Alte hat sich über euch lustig gemacht, sie hat euch stehenlassen und ist verschwunden.' Als sie das von ihm hörten, kehrten sie zum Emir zurück und meldeten ihm die ganze Geschichte. Da erkannte er, daß sie eine Lügnerin und Betrügerin war, die ihnen einen listigen Streich gespielt hatte, um sich selbst zu retten. Sehet nun die Schlauheit dieser Frau und die listigen Pläne, die sie durchgeführt hat! Sie war zwar so unvorsichtig, daß sie zu dem Linnenhändler zurückkam, ohne zu fürchten, sie könnte in eine



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Falle gehen; aber sobald sie dem Verderben nahe war, rettete sie sich.'

Als die Gesellschaft diese Erzählung gehört hatte, freuten sich alle gar sehr, und ihr Entzücken kannte keine Grenzen mehr. Auch el-Malik ez-Zâhir Baibars freute sich über das. was er gehört hatte, und er sprach: ,Wahrlich, es geschehen Dinge in der Welt, die vor den Königen wegen ihres hohen Ranges verborgen bleiben.' Da hub ein anderer aus der Gesellschaft an und sprach: ,Mir ist von einem meiner Freunde eine Geschichte von der List und Tücke der Frauen berichtet, die ist noch seltsamer und wunderbarer, ergötzlicher und spannender als alles, was euch bisher erzählt ist.' Da sagten die Leute, die zugegen waren: ,Erzähle uns, was du erfahren hast, und berichte uns alles, damit wir sehen, was an ihr wunderbar ist!' Und er begann


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