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Märchen und Sagen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaëls


Die buckligen Musikanten auf dem Pervisch

Zu Aachen, in der alten Reichsstadt, haben einmal zwei Musikanten gelebt, von denen hatte jeder einen nicht kleinen Buckel; das war aber auch alles, was sie miteinander gemein hatten, denn der eine war gut und wohlgesinnt, der andere war neidisch und tückisch, scheelsüchtig und habsüchtig.

Nun trug sich 's einstmals zu, daß der erstere auf ein Dorf erfordert war, dort zu einer Hochzeit mit aufzuspielen, und erst am späten Abend heimwanderte. Er mochte dort manch gutes Trünklein getan haben, denn er war ganz fröhlich, und als er auf seinem Wege am hohen Dome vorbeikam, pfiff er wohlgemut ein lustiges Schelmenstücklein. Indem schlug die Glocke Mitternacht, und alsbald war um ihn her ein Schwirren und Schweben, geisterhaft und grauenhaft, und die Gespensterfurcht ergriff den Spielmann und trieb ihn eilend vorwärts durch die Schmiedegasse vor auf



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den Pervisch, das ist der Fischmarkt. Dort traf es der Spielmann ganz hell an, alle Fischbänke waren illuminiert, Wein und Speisen die Hülle und Fülle standen auf reich gedeckten Tafeln in köstlichen Gefäßen, und vornehme Frauen saßen da und schmausten und zechten. Eine solche Dame trat auf den Spielmann zu und sprach:

Holla, Fiedler, du kommst gerade recht, jetzt geig uns eins auf, wir wollen tanzen. Doch zuvor trink erst einmal!

Sie reichte ihm würzigen Wein in einem Goldpokal, und er trank und erglühte vor Lust, nahm sein Saitenspiel und geigte fröhlich darauflos. Die Frauen begannen miteinander zu tanzen im wilden Reigen, und des Geigers Tanzweisen gellten wie toll durch die Nacht. Da schlug es dreiviertel auf eins, und jetzt ließen allgemach die wirbelnden Paare vom Tanzen ab, wie ermüdet — und die Frau, die den Geiger angesprochen, trat jetzt wieder zu ihm und sprach:

Habe Dank und auch Lohn.

Dabei strich sie ihm mit ihrer Hand sanft über den Rücken, daß er vermeinte, sie wolle ihn an sich ziehen — aber indem war sie verschwunden und alle andern Frauen desgleichen und die Lichter, die Speisen, die Geräte alles — und die Münsteruhr schlug eing. Der Spielmann ging nach Hause, so leicht, so wohlig. — er wußte gar nicht, wie ihm geschehen. Als er sich nun auskleidete, da war sein Buckel weg, den hatte zum Lohn die nächtliche Tanzfrau ihm abgestreift.

Bald lief durch ganz Aachen die Wundermär, die hörte nicht sobald der andere Buckelmusikant, als der Neid über ihn kam, und er dachte, mir soll das doch wohl auch gelingen, was jenem Lump gelang. Konnte kaum die Nacht erharren, stand lange vor Mitternacht schon auf dem Pervisch, seine Geige mit dem Fiedelbogen in der Hand. Endlich schlug s, und da glänzten auch die Fischbänke voll Lichter, da standen die kostbaren Geräte, da reichte ihm eine Dame würzigen Wein, alles wie es vorher ging, und forderte auch ihn auf, seine Tanzweisen zu spielen. Das tat er, aber seine Tänze wurden, ohne daß er wollte, Grabmelodien, der Tanz wurde ein Totentanz, die holden Frauenbilder wurden zu Gerippen, und als es dreiviertel



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schlug, huschte ein wolkiges Schattengebild an den Spielmann heran, das hatte zuvor aus einem Silbergefäß ein Kleinod gehoben, und sprach:

Habe Dank und auch Lohn.

Es hing ihm und drückte ihm das Kleinod an die Brus, schier wie einen Orden. Dann schwand alles hinweg, und der Spielmann wankte und schwankte nach Hause, es war ihm weh auf der Brust, und er hatte kurzen Odem. Als er sich aber auszog, da hatte er den Buckel seines Spießgesellen vorn auf der Brust, und seinen eigenen dahinten, den hatte er auch noch, und mußte beide Buckel tragen bis an sein Ende.


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