Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839 ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 1

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE DES JÜDISCHEN ARZTES

Wunderbar war ein Erlebnis, das mir in meiner Jugend begegnet ist. Ich lebte damals in Damaskus und studierte dort; als ich eines Tages dasaß, siehe, da kam zu mir ein Mamluk vom Haushalt des Statthalters von Damaskus und sagte: ,Sprich mit meinem Herrn!' Ich folgte und ging mit ihm in das Haus des Vizekönigs, trat ein und sah am oberen Ende der großen Halle ein Lager aus Wacholderholz, belegt mit Goldplättchen; darauf lag ein kranker Mensch, ein Jüngling wunderschön, wie man nie einen schöneren gesehn. Ich setzte mich nieder zu seinen Häupten und betete für seine Heilung; er aber gab mir ein Zeichen mit den Augen, und so sagte ich zu ihm: ,O Herr, reiche mir deine Hand, dir zur Genesung!' Er hielt mir die linke Hand hin, und ich staunte darob und sagte: ,Gottes Wunder! Das ist ein schöner Jüngling, er stammt aus einem großen Hause und ist an Bildung gering; das ist ein wunderlich Ding!' Doch ich fühlte ihm den Puls und schrieb ihm eine Verordnung, und besuchte ihn zehn Tage lang, bis er genesen war und hinging, um ein Bad zu nehmen. Der Statthalter gab mir ein schönes Ehrengewand und ernannte mich zum Leiter des Hospitals, das in Damaskus ist. Als ich mit dem Jüngling in das Bad ging, das man für ihn geschlossen hatte, und als dann die Diener hereinkamen, um im Inneren des Badehauses entkleideten, so daß er nackt war, da sah ich, daß seine rechte Hand kurz vorher abgeschnitten war, und ebendies war der Grund seiner Schwäche. Bei diesem Anblick erstaunte ich, und ich war traurig



1000-und-1_Vol-01-332 Flip arpa

um seinetwillen; und als ich seinen Leib ansah, erblickte ich die Narben von Geißelhieben, diemit Salben behandelt waren. Darüber war ich ganz ratlos, und das zeigte sich auf meinem Gesicht. Da sah der Jüngling mich an, verstand, was in mir vorging, und sagte: ,O größter Arzt unserer Zeit, staune nicht; ich will dir meine Geschichte erzählen, sobald wir das Bad verlassen haben.' Als wir dann das Bad verlassen hatten, nach Hause zurückgekehrt waren, das Mahl eingenommen und uns ausgeruht hatten, fragte er mich: ,Wollen wir uns nicht den Söller ansehn?', und ich willigte gern ein. Dann befahl er den Sklaven, die Kissen und Teppiche hinaufzutragen, uns ein Lamm zu braten und Früchte zu bringen. Die Sklaven taten, was er befohlen hatte; so aßen wir zusammen, er mit der linken Hand. Dann bat ich ihn, mir seine Geschichte zu erzählen. Und er begann: ,Höre also, o größter Arzt unserer Zeit, was mir widerfahren ist. Wisse, ich gehöre zu den Söhnen Mosuls, wo mein Großvater starb und zehn Söhne hinterließ, von denen mein Vater der älteste war. Alle wuchsen auf und nahmen sich Frauen; da wurde ich meinem Vater geboren, während seine neun Brüder nicht mit Kindern gesegnet wurden. So wuchs ich auf unter meinen Oheimen, die große Freude an mir hatten. Als ich dann größer geworden und zum Manne herangereift war, ging ich eines Tages, an einem Freitag, mit meinem Vater in die Moschee von Mosul, und wir beteten das Freitagsgebet; dann ging alles Volk fort, aber mein Vater und meine Oheime blieben dort sitzen und sprachen vonden Wunderdingen in fremden Ländern und von den Merkwürdigkeiten ferner Städte. Und schließlich nannten sie Kairo, und einer meiner Oheime sagte: ,Die Reisenden berichten, es gäbe auf der ganzen Erde nichts Schöneres als Kairo und den Nil'; als ich diese Worte hörte, bekam ich Sehnsucht nach Kairo. Dann



1000-und-1_Vol-01-333 Flip arpa

sprach mein Vater: ,Wer Kairo noch nicht sah, der sah die Welt noch nicht. Seine Erde ist mit Gold gefüllt, sein Nil ist ein Zauberbild; seine Frauen sind wie Huris traut, seine Häuser wie Schlösser gebaut; seine Luft ist zart und weich, selbst der Weihrauch kommt ihrem Dufte nicht gleich. Wie sollte es auch nicht so sein, da es ja die ganze Welt in sich begreift?' Vortrefflich hat der Dichter gesagt:

Soll ich von Kairo fortziehen und seinen herrlichen Wonnen?
Welcher Ort wäre es, der dann mir noch Freude bringt?
Und soll ich den Ort verlassen, wo den Atmenden umwehen
Reine Lüfte, doch nicht, was aus engen Gassen dringt?
Und wie denn? Durch seine Schönheit gleicht es dem Paradiese;
Dort sind die Polster und Kissen ausgebreitet in Reihn.
Eine Stadt, die Augen und Herzen durch ihren Glanz erfreuet;
Was der Fromm e sich wünscht und der Sünder, bietet es im Verein.
Und das Verdienst vereint dort die treuen Freunde;
Liebliche Gärten bieten ihnen die Stätten der Ruh.
O ihr Volk von Kairo, wenn Allah mein Fernsein beschließet,
Versprechen und Schwüre führen euch mich immerdar zu.
Nennet sie nicht dein Zephir! Der Gärten Duft so weich
Ist ja gleichwie der seine; er raubt ihn dann sogleich.

Dann sagte mein Vater noch: ,Sähet ihr Kairos Gärten, wenn die Sonne hinabgleitet und der Schatten sich über sie breitet, ihr würdet ein Wunder bezeugen und in Freuden euch zu ihm neigen.' So sprach er, und alle begannen, Ägypten und den Nil zu schildern. Als sie geendet und ich solche Schilderungen von Kairo gehört hatte, da blieben meine Gedanken an ihnen hängen; und als sie sich erhoben und ein jeder in seine Wohnung gegangen war, da legte ich mich zwar nieder, aber in jener Nacht konnte ich vor lauter Sehnsucht nach Ägypten nicht schlafen, und Speise und Trank mundeten mir fortan nicht mehr. Nach wenigen Tagen rüsteten meine Oheime sich zu einer Reise nach Ägypten, und ich trat vor meinen Vater und



1000-und-1_Vol-01-334 Flip arpa

weinte, bis er Waren für mich besorgte und mich mit ihnen ziehen ließ; doch er sagte: ,Laßt ihn nicht bis nach Kairo ziehen, sondern laßt ihn in Damaskus, seine Waren zu verkaufen!' Wir brachen also auf, ich nahm Abschied von meinem Vater, und wir zogen aus Mosul hinaus; wir reisten immer weiter, bis wir Aleppo erreichten, wo wir einige Tage blieben. Dann reisten wir weiter nach Damaskus, und wir sahen eine Stadt, von Bäumen grün, wo die Früchte blühn, wo die Bächlein springen und die Vögel singen, dem Paradiese gleich und an allen Früchten reich. Wir stiegen in einer der Herbergen ab, und meine Oheime blieben eine Weile, um zu verkaufen und zu kaufen. Sie verkauften auch meine Waren, und dabei ergab sich ein Gewinn, der für jeden Dirhem fünf Dirhems einbrachte, worüber ich sehr erfreut war. Nun ließen meine Oheime mich allein und zogen gen Ägypten, während ich zurückblieb. Ich nahm meine Wohnstatt in einem Hause so schön gebaut, daß keine Zunge es zu beschreiben sich traut; das hatte ich für zwei Dinare im Monat gemietet. Dort blieb ich, aß und trank, bis ich das Geld, das ich besaß, fast ausgegeben hatte. Eines Tages nun, als ich vor der Haustür saß, kam mir eine Dame entgegen, gekleidet in die kostbarsten Gewänder, wie sie meine Augen noch nie prächtiger gesehen hatten. Ich blinzelte ihr zu, und ohne Zögern trat sie ins Tor ein. Als sie eingetreten war, folgte ich ihr und schloß die Tür hinter uns; da hob sie ihren Schleier von ihrem Antlitz und warf den Mantel ab. Ich aber sah, daß sie von strahlender Schönheit war, und die Liebe zu ihr ergriff mein Herz. So ging ich hin und brachte einen Tisch, mit den köstlichsten Speisen und Früchten und allem, was der Anlaß erforderte; ich setzte ihn vor uns hin, und wir aßen, tranken, scherzten dann, bis uns der Wein zu Kopfe stieg. Und darauf verbrachte ich die schönste der Nächte mit ihr bis zum Morgen.



1000-und-1_Vol-01-335 Flip arpa

Nun wollte ich ihr zehn Dinare geben; doch sie blickte finster und zog die Brauen zusammen, und bebend vor Zorn rief sie aus: ,Pfui über euch Mosulaner! Denkst du, ich wolle dein Geld?' Dann nahm sie aus der Tasche ihres Gewandes fünfzehn Dinare und legte sie vor mich hin und sagte: ,Bei Allah, wenn du sie nicht nimmst, werde ich nie wieder zu dir kommen.' Als ich sie von ihr angenommen hatte, sprach sie zu mir: ,O mein Geliebter, erwarte mich in drei Tagen; zwischen der Zeit des Sonnenuntergangs und des Nachtmahls werde ich bei dir sein; du aber rüste uns von diesem Gelde das gleiche Mahl wie gestern.' Und sie nahm Abschied von mir und ging davon; doch auch mein Verstand ging mit ihr. Nachdem die drei Tage vergangen waren, kam sie wieder, gekleidet in Stoffe aus Brokat, und in noch schönerem Schmuck und Gewand, als sie zuvor getragen hatte. Ich aber hatte alles gerüstet, ehe sie kam; wir aßen und tranken und verbrachten die Nacht wie das erste Mal bis zum Morgen. Sie gab mir wieder fünfzehn Dinare und versprach, nach drei Tagen wieder zu mir zu kommen. Ich hielt alles für sie bereit, und zur erwarteten Zeit erschien sie, wiederum reicher gekleidet als das erste und auch als das zweite Mal, und sie sagte: ,Bin ich nicht schön, mein Gebieter?' ,Ja, bei Allah!' erwiderte ich; und sie fuhr fort: ,Willst du mir erlauben, daß ich ein Mädchen mit mir bringe, schöner als ich und jünger an Jahren, daß sie mit uns spiele und daß du mit ihr scherzest, damit auch ihr Herz sich freue? Denn sie ist traurig gewesen seit langer Zeit, und sie bat mich, sie mitzunehmen, daß sie die Nacht mit mir verbringe.' Als ich ihre Bitte vernommen hatte, erwiderte ich: ,Ja, bei Allah!' Dann tranken wir, bis uns der Wein zu Kopfe stieg, und schliefen bis zum Morgen. Da gab sie mir wiederum fünfzehn Dinare und sagte: ,Schaffe uns etwas mehr Raum, da auch das Mädchen mit



1000-und-1_Vol-01-336 Flip arpa

mir kommt!' Darauf ging sie fort, und am vierten Tage machte ich wie immer alles bereit, und nach Sonnenuntergang, siehe, da kam sie, begleitet von einem Mädchen, das in einen Mantel gehüllt war. Als sie eingetreten waren, setzten sie sich, und indem ich sie anblickte, sprach ich die Verse:

Wie herrlich ist unsere Zeit, wie schön,
Wenn der Tadler fern ist und uns nicht sieht!
Wenn Liebe und Freude und Trunkenheit
Uns nah sind und wenn der Verstand entflieht;
Wenn der Vollmond in einem Schleier erstrahlt
Und der Zweig im zarten Gewande sich neigt,
Die Rose taufrisch wilden Wangen,
Die Narzisse im Auge sich mattglänzend zeigt.
Wie ich's wünsche, leuchtet das Leben so klar,
Im Verein mit der Liebsten, so wunderbar!

Ich freute mich ihres Anblicks, entzündete die Kerzen und begrüßte sie voller Freude und Entzücken. Sie legten ihre Oberkleider ab, und das neue Mädchen entschleierte ihr Gesicht, und ich sah, daß sie war wie der Mond in seiner Fülle; niemals sah ich eine Schönere als sie. Dann setzte ich Speise und Trank vor sie hin, und wir aßen und tranken; und ich gab dem zweiten Mädchen immerfort die besten Bissen, und ich füllte ihr den Becher und trank mit ihr, bis die erste in ihrem Inneren eifersüchtig wurde und mich fragte: ,Bei Gott, ist diese Maid nicht schöner als ich?', und ich rief: ,Ja, bei Gott!' Jene darauf: ,Es ist mein Wunsch, daß du heute nacht bei ihr schlafest.' Ich erwiderte: ,Herzlich gern will ich es tun.' Darauf erhob sie sich und breitete das Lager für uns aus; ich aber ging zu dem jungen Mädchen und ruhte mit ihr bis zum Morgen. Da erwachte ich und fühlte, daß ich ganz feucht war, wie ich glaubte, vom Schweiß. Ich setzte mich auf und versuchte, das Mädchen zu wecken; doch als ich an ihren Schultern rüttelte, rollte ihr Kopf



1000-und-1_Vol-01-337 Flip arpa

vom Kissen. Die Besinnung verließ mich, und ich schrie laut auf, indem ich sprach: ,O du trefflicher Schützer, leihe mir deinen Schutz!' Ich sah, daß sie ermordet war, und sprang auf; die Welt wurde mir schwarz vor den Augen. Nun suchte ich nach meiner ersten Geliebten, aber ich konnte sie nicht finden. Da wußte ich, daß sie jenes Mädchen aus Eifersucht ermordet hatte, und ich sprach: ,Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen! Was soll ich tun?' Ich überlegte eine Weile, zog meine Kleider aus und grub in der Mitte des Hofes ein Loch; dann nahm ich das Mädchen mit all ihrem Schmuck, legte sie in die Grube und deckte darüber die Erde und das Marmorpflaster. Darauf wusch ich mich, zog reine Kleider an und nahm, was mir an Geld noch blieb. Das Haus verließ ich und verschloß es, ging zu seinem Eigentümer, faßte mir ein Herz und bezahlte ihm die Miete für ein Jahr und sagte: ,Ich will zu meinen Oheimen nach Kairo ziehen.' Dann brach ich auf und zog nach Ägypten und traf meine Oheime, die sich meiner freuten. Sie hatten gerade alle ihre Waren verkauft, und sie fragten mich: ,Was ist der Grund deiner Reise?' Ich erwiderte: ,Ich hatte Sehnsucht nach euch'; aber ich ließ sie nicht wissen, daß ich noch Geld bei mir hatte. Dann blieb ich ein Jahr lang bei ihnen, indem ich mir Kairo und seinen Nil ansah; und ich legte meine Hand an den Rest meines Vermögens und gab davon aus für Essen und Trinken, bis die Zeit des Aufbruchs für meine Oheime kam. Da floh ich und verbarg mich vor ihnen. Sie suchten nach mir, doch als sie nichts von mir hörten sagten sie sich: ,Er ist wohl nach Damaskus zurückgekehrt.' ,Wie sie nun fort waren, kam ich wieder zum Vorschein und blieb noch drei Jahre in Kairo, bis von meinem Gelde nichts mehr übrig war. Inzwischen hatte ich jedes Jahr dem Besitzer des Hauses in Damaskus den Mietzins



1000-und-1_Vol-01-338 Flip arpa

eingeschickt, aber nach den drei Jahren wurde mir beklommen zumut, denn ich hatte nur noch genug Geld bei mir für die Miete eines Jahres. Da machte ich mich auf, bis ich in Damaskus ankam, und stieg in meinem Hause ab; der Besitzer sah mich mit Freuden wieder, und ich fand die Zimmer, wie ich sie verschlossen hatte. Ich öffnete sie und nahm die Sachen heraus, die darin waren; dabei fand ich unter dem Lager, auf dem ich mit dem ermordeten Mädchen in jener Nacht geruht hatte, ein goldenes Halsband mit eingelegten Edelsteinen. Ich nahm es auf, reinigte es von dem Blut des ermordeten Mädchens, sah es mir eine Weile an und weinte dabei. Dann blieb ich in dem Hause zwei Tage lang und ging am dritten ins Bad und wechselte meine Kleider. Ich hatte aber kein Geld mehr bei mir; und als ich eines Tages auf den Basar gehen wollte, flüsterte Satan mir die Versuchung ins Ohr, damit das Schicksal erfüllet würde. So nahm ich das Halsband mit den Edelsteinen, ging in den Basar und übergab es einem Makler. Der bat mich, an der Seite des Hausherrn Platz zu nehmen und zu warten, bis der Markt sich füllte; aber er nahm das Halsband ohne mein Wissen und heimlich und bot es zum Verkauf aus. Der Schmuck ward auf zweitausend Dinare geschätzt; doch der Makler kehrte zu mir zurück und sagte: ,Dieses Halsband ist aus Kupfer und nachgemacht, fränkische Arbeit; als Preis sind tausend Dirhems geboten worden.' Ich erwiderte: ,Jawohl! Wir haben es für ein Mädchen machen lassen, das wir damit zum besten haben wollten; nun hatte mein Weib es geerbt, und so wollen wir es verkaufen; geh hin und nimm die tausend Dirhems!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 29. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: ,Es ist mir berichtet



1000-und-1_Vol-01-339 Flip arpa

worden, o glücklicher König, daß, als der Jüngling zu dem Makler sagte: ,Nimm die tausend Dirhems', und als der Makler das hörte, er merkte, daß es eine verdächtige Geschichte war. So trug er das Halsband zu dem Vorsteher des Basars und gab es ihm; der brachte es dem Wali und sagte zu ihm: ,Dieses Halsband ist mir aus meinem Hause gestohlen, und wir fanden den Dieb im Kleide eines Kaufmanns.' So hatte mich, ehe ich mich dessen versah, die Wache umringt; man nahm mich gefangen und schleppte mich vor den Wali, der mich nach jenem Halsband befragte. Ich erzählte ihm, was ich dem Makler berichtet hatte; er aber lachte und sagte: ,Das ist nicht die Wahrheit.' Doch ehe ich noch wußte, wie mir geschah, wurden mir die Kleider vom Leibe gerissen, und ich wurde mit Geißeln auf die Seiten geschlagen. Unter den brennenden Schmerzen gestand ich: ,Ich habe es gestohlen'; denn ich sagte mir: ,Es ist besser, du sagst: ich habe es gestohlen, als zu sagen: die Besitzerin ist in meinem Hause ermordet, denn sie würden dich hinrichten.' So schrieben sie nieder, daß ich es gestohlen hätte, schnitten mir die Hand ab' und gossen siedendes Öl auf den Stumpf. Da sank ich in Ohnmacht; doch sie gaben mir Wein zu trinken, bis ich mich erholte. Dann nahm ich meine Hand und ging nach Hause; aber der Besitzer trat zu mir und sagte: ,Weil dir dieses widerfahren ist, mußt du mein Haus verlassen und dich nach einer anderen Wohnung umsehn; denn du bist des Diebstahls überführt.' ,O Herr,' erwiderte ich, ,habe nur noch zwei bis drei Tage mit mir Geduld, bis ich mir eine andere Stätte suche.' Er war damit einverstanden, ging davon und verließ mich. Nun setzte ich mich hin und weinte und sprach: ,Wie soll ich heimkehren zu den Meinen, da mir die Hand abgeschlagen wurde



1000-und-1_Vol-01-340 Flip arpa

und sie nicht wissen, daß ich unschuldig bin? Doch vielleicht tut Allah nach alledem noch etwas für mich.' Ich weinte bitterlich, und da auch der Besitzer des Hauses von mir gegangen war, verfolgte mich tiefer Gram, und so blieb ich zwei Tage lang in arger Not; aber am dritten Tage kam plötzlich der Hausherr zu mir und mit ihm Leute der Wache und der Vorsteher des Basars, der mich beschuldigt hatte, das Halsband gestohlen zu haben. Ich ging zu ihnen hinaus und fragte, was es gäbe; sie aber fesselten mich unverzüglich und warfen mir eine Kette um den Hals und sagten: ,Es hat sich herausgestellt, daß das Halsband dem Statthalter von Damaskus gehört, dem Wesir, der über die Stadt gebietet'; und sie fügten hinzu: ,Es ist aus seinem Hause vor drei Jahren abhanden gekommen, zugleich mit seiner Tochter.' Als ich diese Worte von ihnen vernahm, sank mir das Herz, und ich sagte zu mir selber: ,Dein Leben ist ohne Rettung dahin! Bei Allah, ich muß dem Statthalter meine Geschichte erzählen; wenn er will, so wird er mich töten, und wenn es ihm gefällt, so kann er mir verzeihen.' Sobald wir bei dem Statthalter angekommen waren, führten sie mich vor ihn. Und als er mich sah, schaute er mich mit einem langen Blicke an und fragte die, so zugegen waren: ,Weshalb habt ihr diesem die Hand abgeschlagen? Er ist ein unglücklicher Mann, doch es ruht keine Schuld auf ihm; wahrlich, ihr habt ihm unrecht getan, als ihr ihm die Hand abschlugt.' Als ich diese Worte hörte, erstarkte mein Herz und kräftigte sich meine Seele, und so sprach ich: ,Bei Allah, hoher Herr, ich bin kein Dieb; man hat mich mit diesem schweren Verdacht verleumdet, mitten auf dem Markte mit Geißeln geschlagen und mich zum Geständnis gezwungen. So habe ich mich selbst fälschlich bezichtigt und mich zu dem Diebstahl bekannt, obgleich ich unschuldig daran bin.' Der Statthalter sagte: ,Dir soll kein Leid



1000-und-1_Vol-01-341 Flip arpa

widerfahren.' Dann befahl er, den Vorsteher des Basars in den Kerker zu werfen, und sagte zu ihm: ,Gib diesem Manne das Blutgeld für die Hand; sonst werde ich dich hängen lassen und dir alles, was du besitzest, nehmen.' Alsbald rief er die Wachen; die ergriffen ihn und schleppten ilm hinweg, und so blieb ich bei dem Statthalter. Dann lösten sie auf seinen Befehl die Kette von meinem Nacken und befreiten mir die Arme; und er sah mich an und sagte: ,Mein Sohn, sage mir die Wahrheit und erzähle, wie dieses Halsband an dich gekommen ist.' Und er sprach den Vers:

Verkünde die Wahrheit, und möge dich auch
Die Wahrheit durch Feuer der Drohung verbrennen!

Darauf sagte ich: ,Hoher Herr, ich will dir die Wahrheit sagen.' Dann berichtete ich ihm alles, was zwischen mir und dem ersten Mädchen vorgefallen war, und wie sie das zweite zu mir gebracht und es aus Eifersucht erschlagen hatte, und ich erzählte ihm alle Einzelheiten. Als er meine Worte gehört hatte, schüttelte er sein Haupt, schlug mit der rechten Hand auf die linke, legte ein Tuch über seinen Kopf und weinte; und schließlich sprach er die Verse:

Ich sehe die Leiden der Welt so zahlreich über mich kommen;
Und wer von ihnen betroffen ist, krankt bis an sein Ende.
Sind zwei Freunde vereint, so müssen sie doch wieder scheiden;
Wenige gibt es nur, die der Abschiedsschmerz nicht fände.

Darauf wandte er sich zu mir und sagte: ,Wisse, mein Sohn, das ältere Mädchen war meine Tochter, die ich streng bewacht zu halten pflegte. Als sie herangewachsen war, schickte ich sie nach Kairo und vermählte sie mit meines Bruders Sohn. Aber er starb, und sie kehrte zu mir zurück. Sie hatte jedoch vom Volk von Kairo die Unzucht gelernt; und so suchte sie dich viermal auf und brachte zuletzt auch ihre jüngere Schwester



1000-und-1_Vol-01-342 Flip arpa

zu dir. Die beiden waren leibliche Schwestern und hingen sehr aneinander; und als die ältere jenes Abenteuer hatte, enthüllte sie ihrer Schwester das Geheimnis, die nun wünschte, sie zu begleiten. Aber sie kehrte allein zurück; da fragte ich sie nach ihrer Schwester, doch sie weinte nur um sie. Dann erzählte sie ihrer Mutter insgeheim, während ich jedoch zugegen war, wie sie ihre Schwester ermordet hatte. Und sie weinte immer und sagte: ,Bei Allah, ich werde stets um sie klagen, bis ich sterbe.' Und so kam es denn auch. Siehe also, mein Sohn, was geschehen ist; und jetzt bitte ich dich, daß du mir nicht widersprichst in dem, was ich zu tun gedenke. Ich will dich mit meiner jüngsten Tochter vermählen; sie ist nicht eine leibliche Schwester der anderen beiden und ist noch Jungfrau. Ich will auch keine Morgengabe von dir nehmen, sondern vielmehr euch ein Jahrgeld aus meinem Vermögen geben, und du sollst mit mir in meinem Hause bleiben an Sohnes Statt.' Ich antwortete: ,So sei es! Wie hätte ich solches Glück noch erhoffen können?' Dann schickte er sofort zum Kadi und zu den Zeugen und ließ meinen Ehevertrag mit seiner Tochter schreiben, und ich ging ein zu ihr. Ja, er erzwang für mich von dem Vorsteher des Basars eine große Summe Geldes, und ich erhielt eine sehr hohe Stellung bei ihm. Doch in diesem Jahr ist mein Vater gestorben, und der Statthalter hat von sich aus einen Boten entsandt; der hat mir das Geld gebracht, das mein Vater hinterlassen hat, und so lebe ich jetzt in aller Freude des Lebens. Dies also ist der Grund, weswegen mir die rechte Hand fehlt.'

Darüber war ich sehr erstaunt - so fuhr der Jude fort -,und ich blieb drei Tage bei ihm; dann gab er mir viel Geld. Ich aber reiste fort von ihm und kam in diese eure Stadt; ich hatte hier ein gutes Leben, aber mit dem Buckligen ist mir widerfahren, was dir bekannt ist.' Da sprach der König von China: ,Dies ist



1000-und-1_Vol-01-343 Flip arpa

nicht wunderbarer als die Geschichte des Buckligen; es geht nicht anders, ihr müßt hängen. Freilich ist noch der Schneider übrig, der das ganze Elend veranlaßt hat'; und er fügte hinzu: ,Schneiderlein, wenn du mir etwas erzählen kannst, was wunderbarer ist als die Geschichte des Buckligen, so will ich euch allen eure Schuld vergeben.' Da trat der Schneider vor und begann


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt